Montag, 15. September 2014

Die Trolljagd - Kapitel 5: Unter Trollen

Auf Speers Wunsch hin blieb ein Teil unserer Gruppe mit den Söldnern Zopf, Zottelbart und Schatten zurück. Saradar, Widun und Anneliese verkündeten, sich im Wald auf die Lauer zu legen.

Zopf hatte uns noch einmal die Richtung gezeigt, in der die Burgruine lag. Zusammen mit Tarkin, Urota, Edwen und Vivana näherte ich mich der Festung. Durch das Unterholz hindurch konnte ich zwischen den Bäumen eine Mauer erkennen. Die Steine sahen zwar verwittert aus, dennoch machte die Mauer einen massiven Eindruck. Im Schutze der Sträucher schauten wir uns die Festung genauer an. Wir fanden keine Schwachstelle, wo ein problemloses Eindringen möglich gewesen wäre, der Steinwall war überall mindestens dreimal so hoch wie unser Hügeltroll. Vor der Mauer erstreckte sich ein Graben mit schmutzigem Wasser. In der Mitte der diesseitigen Befestigung befand sich ein großes Holztor mit einer Zugbrücke. Ich erkannte, dass einige Äste der umstehenden Bäume bis dicht an die Mauer heranreichten.

Ich verwandelte mich in ein Eichhörnchen, kletterte auf einen der Bäume und kam so auf die Mauer. Auf dem Wehrgang erkannte ich einen großen Schatten. Da ich in meiner momentanen Form wenig ausrichten konnte, kehrte ich schnurstracks zu meinen Gefährten zurück.
„Ich will mir das nochmal genauer ansehen!“, meinte Vivana und kletterte behände einen Baum hoch. Kurz darauf schwang sie sich schon wieder herunter. Sie berichtete uns, dass es sich bei dem Schatten um eine Trollwache handelte, die mit einer großen Klingenwaffe auf der Schulter patrouillierte. Sie hätte auch einen Blick hinter die Mauer erhaschen können. Dort sei ein großer Platz mit einem Baum, weiter im Zentrum hätte sie eingestürzte Dächer, Wagen und Fässer gesehen und im Fenster eines noch intakten Turmes hätte sie sogar Fackelschein bemerkt.

Wir planten, die Trolle aus ihrer Festung heraus in einen Hinterhalt zu locken. Tarkin wollte die anderen im Waldstück unterrichten und machte sich auf den Weg.
Als er zurückkam, berichtete er: „Ich habe nur noch den jungen Söldner Schatten angetroffen. Kurz nachdem wir zur Burgruine aufgebrochen sind, habe eine große Trollhorde das Wäldchen passiert. Zopf und Zottelbart hätten dann wohl mit unseren Gefährten zusammen die Verfolgung aufgenommen. Das mit dem Hinterhalt wird jetzt wohl nichts mehr!“
Wir änderten unseren Plan. Vivana wollte den Wächter auf der Mauer lautlos ausschalten und uns dann das Tor aufmachen. Sie kletterte wieder katzenhaft den Baum hoch, sprang rüber zur Mauer und verschwand in den Schatten.

Einen Moment später hörten wir ein Geräusch, als ob auf der Mauer irgendjemand gestolpert wäre - dann ein Hilfeschrei, der eindeutig von Vivana kam! Plötzlich raschelte es über uns - Vivana war von der Mauer zurück auf den Baum gesprungen und rutschte schnell den Stamm hinunter.

Jetzt konnten wir von unten den Trollwächter sehen, wie er sich über die Mauer beugte. „Schnell, schalte ihn aus, bevor er Verstärkung rufen kann!“, rief Vivana dem etwas träge wirkenden Urota zu. Unser Troll spannte seinen Langbogen und schoss. Der Troll fasste sich ans Ohr, schrie dann etwas Unverständliches auf Trollgar und trommelte mit den Fäusten auf die Mauer. Einen Augenblick später hörten wir das Rattern der Zugbrücke, bis sie schließlich mit einem lauten Krachen auf die Erde knallte. Wir versuchten uns zu verstecken. Tarkin schien verwirrt zu sein, was machte er da bloß? Er kletterte auf einen Stein und bot sich den Trollen förmlich zum Fressen an. Urota und Edwen hatten sich besser platziert. Als drei Trolle schnaubend aus dem Tor hervorquollen, rannte Tarkin um sein Leben. Urota und Edwen traten aus ihren Verstecken neben dem Eingangstor hervor und fielen den Trollen in den Rücken. Nach einem Hieb von Urotas Riesenknochen ging einer der Angreifer bereits in die Knie. Auch Edwen war erfolgreich und hackte dem zweiten Troll in den Rücken. Vivana verließ ihr Schattenversteck und traf den dritten Troll mit einem hinterhältigen Angriff. Die Trolle schlugen wie von Sinnen mit ihren rostigen Beilen um sich. Urota erlitt eine leichte Verletzung, Vivana und Edwen konnten geschickt ausweichen. Urota wurde zornig und spaltete einem der Trolle den Kopf mit seiner Keule.
Als Faundruide konnte ich gegen diese Trolle im Nahkampf wenig ausrichten. Mein Gebet an Ianna, mir einen weiteren Waldgeist zu schicken, war gescheitert, daher versuchte ich es mit einer Schutzhecke. Kurz nachdem ich das Stoßgebet vollendet hatte, spross auch schon eine dichte Hecke vor mir aus dem Boden, die die Trolle nach kurzer Verdutztheit jedoch bloß zu einem spöttischen Lachen nötigte.

Die Trolle waren würdige Gegner, unter Blessuren schafften es die Kämpfer, drei von ihnen auszuschalten. Einem der Trolle gelang es noch mit letzter Kraft ans Tor zu klopfen. Die Brücke wurde wieder hochgezogen. Ein anderer Troll musste Urota gesichtet haben, denn wir hörten ein lautes „Waräsar!“ von der Mauer herunterschallen, was wohl so viel wie "Verräter" auf Trollgar bedeutete. Unsere Antwort folgte prompt. Ich warf Klettenkraut auf ihn - Tarkin schaltete ihn mit einem gezielten Schuss aus: perfekte Zusammenarbeit!

Dann wurde es plötzlich still vor der Ruine. Um uns herum lag ein halbes Dutzend toter Trolle. Urota wandte sich angewidert ab, als wir darüber sprachen, ob wir es den Söldnern nachmachen und Trollhände einsacken sollten.

Doch wie kamen wir jetzt in die Festung? Vivana kletterte erneut auf die Mauer und versteckte sich. Tarkin folgte ihr. Sie konnten einen überraschten Trollwächter ausschalten. Vivana ging eine Treppe hinunter und öffnete Edwen und mir das Tor.

Hinter dem Tor fanden wir uns in einer spärlich ausgeleuchteten Halle wieder. Die Wände bestanden aus grobbehauenen Steinen, die von zerfledderten Wandbehängen geziert wurden. Wir konnten gerade noch erkennen, dass sich vor uns ein bestimmt zehn Schritte messender Abgrund befand. Auf der gegenüberliegenden Seite loderten Fackeln auf. Zwei dicke Trolle bauten sich vor uns auf. Beide trugen sie Stäbe, an derenEnde jeweils ein Korb befestigt war.

Sie fingen an, mit ihren Stäben in Kohlebecken herumzurühren. Wollten sie bloß das Feuer schüren? Nein, jetzt sahen wir, was los war. Sie hatten die Körbe mit glühenden Kugeln beladen. Dann fingen sie an, uns zu verhöhnen, besonders auf Urota hatten sie es abgesehen. Doch nicht nur Beleidigungen schleuderten sie uns entgegen. Mit einer plötzlichen Bewegung feuerte einer der beiden ein glühendes Geschoss auf Urota ab. Dieser konnte sich wegducken und die Feuerkugel setzte einen der Wandbehänge in Brand. Während ich noch auf das sich ausbreitende Feuer achtete, hatte wohl der zweite Trollwerfer sein Geschoss abgefeuert. Es roch plötzlich nach verbranntem Fell - meinem Fell! Zum Glück hatten auch wir Fernkampfwaffen. Urota legte seinen Bogen an - und traff einen der feindlichen Trollwerfer. Nach zwei weiteren Versuchen zogen sich die Trolle zurück.

Wir hörten ein Knarren - eine zuvor verschlossene Seitentür ging auf und zwei Trolle stürmten herein - verfolgt von Schädel und Fass. Ein weiterer Söldner mit einem Trollhauer in der Hand kam grinsend die Treppe von der Mauer herunter, die auch Vivana benutzt hatte, um das Tor aufzumachen. Plötzlich kippte er nach vorne um - ein Beil steckte in seinem Schädel. Jetzt erkannte ich ihn: Das war Tanz, der vor ein paar Stunden Saradar noch Avancen gemacht hatte. Aus dem Schatten trat der Besitzer des Beils hervor - ein weiterer Trollkrieger. Mit der Unterstützung der beiden verbliebenen Söldner drängten wir die Trolle zurück. Der letzte von ihnen starb mit dem Metzgerbeil von Fass im Rücken. Schnell füllte Fass wieder ein paar Phiolen mit Trollblut. An seinem Gürtel sah ich mehrere Trollhauer und -hände hängen.

Fass und Schädel wollten auf eigene Faust losziehen. Sie ließen Tanz' leblosen und gefledderten Körper zurück und verschwanden in der Dunkelheit.

Wir verließen die Vorhalle durch ein Seitentür und finden uns in einem langen Gang wieder. In einem der Nebenräume entdeckten wir Fässer und Truhen. Vivana schaffte es, die Schlösser der beiden Truhen zu knacken. In der einen fanden wir 50 Silberlinge, in der anderen schwarzen Stoff - wohl die Beute eines Raubzugs.

Die Stille wurde plötzlich unterbrochen. Wir hörten ein Schnaufen und sich nähernde Schritte - vielen Schritte. Wir versuchten in die Gegenrichtung zu fliehen und gelangten in einen großen runden Raum. Wir waren gefangen. Etwa fünfzig Trollen hatten uns umringt. Wenn ich ein Mensch gewesen wäre, hätte ich gesagt, dass mir mein Herz in die Hose gerutscht ist. Aber da ich ja für gewöhnlich keine keine Beinkleider trage, begann stattdessen mein linkes Horn zu jucken.

Sie hielten Abstand und griffen überraschenderweise noch nicht an. Sie geiferten und musterten uns mit im Fackelstein glühenden Augen. Auffällig waren die enormen Größenunterschiede - kleinere Jungtrolle standen neben großen, mit vielen Narben übersäten und umso furchteinflößender wirkenden Trollhünen. Dann teilte sich plötzlich wie auf einen unhörbaren Befehl hin die Menge. Ein riesiger Troll, der selbst Urota an Größe überragte, baute sich vor uns auf. Eine seiner Gesichtshälften war durch Brandnarben entstellt und an seiner Schulter ruhte eine große Holzkeule, die mit langen Dornen gespickt war.
Grimmig, aber augenscheinlich mit Interesse, inspizierte er uns, einen nach dem anderen. Dann blieb sein Blick an Urota hängen - er zeigte auf dessen Knochenkeule und brüllte auf Trollgar:
„Eema baaemdricdamda Wokka! Lokk imk aemam Kuvkksußvassbavarb, ik kea kocram!! Wamm Di sasam kecr savemmks, rokkam ver Decr quearraecrs ok Labam, Waräsar!“ - was Urotas groben Übersetzung zufolge so viel bedeutete wie
„Waffe gut! Kopf-Kampf darum machen! Wenn Du gewinnen, vielleicht Du am Leben bleiben, Verräter!“
Ratura, der Trollberserker.

Was nun folgte - ich kann es nur als eine Art Kopfstoßwettbewerb zwischen den beiden Trollhünen bezeichnen. Der feindliche Troll winkte Urota zu sich. Sie stellten sich gegenüber auf. Urota scheint diese Art Wettkampf schon zu kennen. Dann ging es los - die umstehenden Trolle begannen plötzlich rhythmisch aufzustampfen und brüllten: „Ratura! Ratura!“

Ratura begann: von oben herab hämmerte sein Schädel auf den Urotas - dieser zeigte sich gänzlich unbeeindruckt. Dann war unser Troll an der Reihe - Ratura zuckte merklich zusammen - mit so einem harten Schädel hatte er wohl nicht gerechnet, auch die nächste Runde ging an Urota. Die dritte und vierte entschied Ratura für sich, der sich vom ersten Schock erholt zu haben schien und ordentlich austeilte, sodass Urota in die Knie gehen musste. Dann die entscheidende Runde. Urota holte aus, legt sein ganzes Gewicht hinein und landete eine gewaltige Kopfnuss, die Ratura sich das Blut aus seinem verbliebenen Auge wischen ließ. Der letzte Stoß war so heftig gewesen, dass der Berserker etwas verloren hatte. Am Boden blieb ein kleiner Beutel liegen, der sich von seinem Gürtel gelöst haben musste.

Was war das? Die Trollhorde verstummte - ein krächzendes Lachen drang in den Raum. Ratura trat zur Seite und brüllte noch ganz benommen einen Befehl. Wir wurden von den Trollen durch einen engen, dunklen Gang abgeführt. Das Lachen wurde lauter - jetzt auch unterbrochen von schrillen Schreien - und - bestialischen, kehligen Grunzlauten.

"O Ianna, welches Schicksal hast du bloß für uns vorgesehen?", flüsterte ich mir zu.