Samstag, 25. März 2017

Des Henkers Braut - Kapitel 4: Gesegnete Ermittlungen

»Der hatte bestimmt Tollwut«, entschied einer der hinzugerufenen Wächter, nachdem er sich den großen Hund und sein Herrchen, das ihm mutmaßlich zum Opfer gefallen war, angeschaut hatte.

»Hier sind Kratzspuren an der Tür«, stellte Vivana fest.

Einer der Wächter schien Inotius benachrichtigt zu haben, denn er stand plötzlich in der Tür. Ich berichtete ihm von den nächtlichen Ereignissen. Der Priester wirkte auf einmal sehr nachdenklich: »Ich vermute, dass der Hund vergiftet wurde. Bruder Rotbert hat herausgefunden, dass im Quellwasser ein Pilz für den seltsamen Geruch verantwortlich ist.«

Saradar wollte es genauer wissen: »Also eine natürliche Ursache?«

Inotius wägte ab: »Ja und nein. Ich habe einen Verdacht, wer dahinterstecken könnte …« - Er schwieg und wandte sich ab.

Vivana bohrte weiter: »Aber mit uns könnt Ihr doch reden!«

Inotius gab sich geschlagen: »Also gut, ich vermute, dass die Waldhexe verantwortlich ist. Das ist aber kein Auftrag für die Stadtwachen, diese Hexe ist unberechenbar.«

Urota meldete sich zu Wort: »Wo wir Hexe finden?« - Den anwesenden Stadtwachen fiel erst jetzt auf, dass der Troll gar nicht mehr angekettet war - die Kette suchten sie jedoch vergeblich.

Inotius erklärte uns: »Sie lebt im Wald, versteckt sich dort in Höhlen. Sie soll früher eine Kräuterfrau gewesen sein und Kranke geheilt haben. Seit dieser Zurakkult in der Stadt ist, hat sie sich verändert.«

Saradar verhandelte: »Wenn wir für Euch in den Wald gehen, wie sieht es da aus mit einem Schutz gegen Hexenzauber?«

Inotius lud ihn ein: »Sohn Osirs, kommt morgen in den Tempel des Lichts und euch soll ein Segen zuteilwerden.« - Er wies die Wachen an, die Leichen in den Aluntempel zu bringen, sie sollten dort genauer untersucht werden.

Saradar gähnte: »Wenn die Hexe wirklich das Problem ist …«

Inotius verließ uns, nachdem die Stadtwachen die Leichen Derks und Uggus aus der Herberge geschafft hatten. Trotz der dramatischen Ereignisse mussten wir etwas Schlaf finden, um für die Suche nach der Waldhexe in Form zu sein.

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Am nächsten Morgen empfing uns der Wirt mit einem reichhaltigen Frühstück, es gab unter anderem Eier und Dünnbier. Nach dieser Stärkung verließen wir die Herberge und machten uns auf den Weg in Richtung Tempel. Auf der Schmuckstraße drang uns eine sakrale Musik an die Ohren. Am Straßenrand stand ein junger Alunpriester, der Harfe spielte. Er hatte eine Zinkschale vor sich stehen und lächelte die Passanten an; er sah aber nicht wirklich fröhlich dabei aus. Vivana warf ihm einen Silberling in die Schale. Er nickte ihr freundlich zu.

Vivana trat näher: »Seid gegrüßt, wisst Ihr vielleicht etwas über die Hexe im Wald?«

Der Priester begrüßte sie: »Das heilige Licht segne euch! Ich weiß auch nur, dass sie im Wald lebt und wohl mit dem Zurakkult in Verbindung steht.«

Vivana erklärte ihm: „Wir versuchen herauszufinden, was mit Derk, dem Jäger, geschehen ist.«

Der Priester gab ihr zur Antwort: »Ich weiß bereits, dass er tot ist. Ich musste noch in der Nacht bei der Untersuchung seiner Leiche helfen. So wie es aussieht, wurde auch er vergiftet. Sein Hund muss ihm dann im Schlaf die Kehle durchgebissen haben. Schlimm. Mein Name ist übrigens Bruder Utyferus.«

Vivana hakte nach: »Bruder Utyferus, kanntet Ihr den Jäger gut?«

Utyferus beteuerte: »Nein, aber ich habe ihn gestern Abend noch lebendig gesehen. Er lief eilig zum Tempel hinüber.«

Vivana forschte weiter: »Was wollte er dort?«

Utyferus berichtete: »Er sagte mir nur, dass er wichtige Neuigkeiten habe. Geht am besten zum Tempel und fragt dort Bruder Unar.«

Saradar wollte auch etwas wissen: »Wer ist zu dieser Zeit noch im Tempel?«

Utyferus stellte fest: »Außer Unar sicher Inotius, er ist zu dieser Zeit immer ins Gebet vertieft.«

Wir bedankten uns bei Utyferus für die Auskunft und betraten den Tempel.
Unar hatte uns jetzt schon früher bemerkt, Schweißperlen erschienen auf seiner Stirn, als er Urota näherkommen sah. Er wirkte etwas beruhigter, als er merkte, dass Urota wieder zwei Wachen im Schlepptau hatte.

Vivana grüßte ihn: »Seid gegrüßt, Bruder Unar. Wir wollen herausfinden, was dem Jäger widerfahren ist. Es heißt, er wollte gestern Abend noch mit Inotius sprechen.«

Unar berichtete: »Äh, ja. Er war hier, er sagte mir nur, dass er etwas im Wald entdeckt habe und es unbedingt Inotius erzählen müsse. Unser Hohepriester, der werte Bruder Inotius, ist zu dieser Zeit in seiner Kammer und ins Gebet vertieft. Er darf unter keinen Umständen gestört werden. Ich verwies ihn des Tempels und sagte ihm, er solle heute früh wiederkommen. Dann ist er mit seinem riesigen Hund wieder abgezogen. Mir ist nur aufgefallen, dass er furchtbar geschwitzt hat, der Kerl.«

Saradar verlangte: »Ruft Inotius. Wir haben Fragen.«

Als ob er es gehört hätte, tauchte Inotius im Lichte des Durchgangs zum Haupttempel auf. Er trug eine Maske über dem Mund - die er sich jedoch ruckartig vom Gesicht riss und hinter seinem Rücken verbarg - mir entging nichts.
Mit einem abwesenden Blick begrüßte er uns: »Seid gegrüßt im Lichte. Tretet ein in den Tempel, ihr kommt sicherlich wegen des Segens.«

Saradar, der gestern noch nach dem Segen gefragt hatte, war plötzlich misstrauisch und trat zur Seite. Wir anderen folgten Inotius zu einem Wasserbecken, wo wir niederknien mussten. Mit den Worten »Möge das Licht euch leiten« erteilte er uns einen »Segen des Lichts« und besprenkelte uns dabei mit Wasser, dessen Tropfen auf unserer Haut in den Farben des Spektrums glitzerten. Er hatte ein schiefes Grinsen auf den Lippen, als er uns aus dem Tempel entließ.

Wir beschlossen, in den Wald zu gehen, um nach der Hexe Ausschau zu halten. Auf dem Weg zum Stadttor fiel uns eine ganz in schwarz gekleidete Frau auf, die betrübt auf einer breiten Holzbank vor einem kleinen Häuschen saß. Das war wohl einmal eine Schreinerei gewesen, wie ich am Schild über der Straße mit der Abbildung eines Hobels erkennen konnte, jetzt war die Werkstatt aber mit einem großen Schloss verriegelt. Als wir näher traten, sahen wir, dass sie etwas in ein weißes Tuch stickte. Sie hob den Blick, wir erkannten Tränen, die in ihren Augen glitzerten - sie sah uns fragend an: »Alun zum Gruße! Verzeiht meine Tränen. Wie kann ich euch behilflich sein?«

Vivana fragte sie: »Warum weint Ihr?«

Die trauernde Frau antwortete: »Ich trauere um meine beiden Söhne. Sie gingen als Novizen zum Tempel. Sie mussten eine Nacht zum Gebet außerhalb der Mauern verbringen, am nächsten Morgen waren sie verschwunden. Zwei Tage später fand man sie: Olyf wurde an der Mühleninsel angeschwemmt und Randolf lag im Wald, in einem Holzschuppen von Di’Var, diesem Dämon.« - Sie machte das Zeichen des Sonnenrades und begann laut zu schluchzen.
»Der Jäger Derk hat Randolf entdeckt, und jetzt ist auch er tot. Beiden fehlte …«, sie wird wieder von ihrer Trauer überwältigt, »… das Herz!« - Ihr Blick wandelte sich plötzlich, aus ihren Augen sprach der pure Hass: »Ich hoffe, dass Mortarax diesen Di’Var in den tiefsten Abgrund schickt, damit er seine gerechte Strafe erhält! Sein Bruder hat wohl den kopflosen Leichnam am Osthang des Weinbergs vergraben, aber dadurch findet er auch keine Erlösung bei Alun!«

Vivana fragte dazwischen: »Wisst Ihr, wo dieser Bruder ist?«

Die traurige Frau gab zurück: »Er hat bestimmt die Stadt verlassen. Möge der Fluch auch auf ihn fallen!«

Wir verabschiedeten uns von ihr und gingen weiter Richtung Stadttor. Dort kam es plötzlich zu einem Tumult. Die Stadtwachen drängten die Bürger zur Seite. Ein stämmiger Mann schrie: »Lasst uns durch! Wir müssen zum Hohepriester Inotius!« - Eine schluchzende Frau begleitete ihn.

Wir fragten die Leute: »Die beiden haben beim Pilzesammeln einen toten Priester gefunden, in der Nähe der heiligen Quelle!« - »Er hatte ein Loch in der Brust!« - »Sie haben ihn nicht gekannt, muss ein Fremder sein!«

Wir holten umgehend unsere Waffen und eilten zur Quelle. Wir konnten keine Leiche finden, aber Tarquan hat Spuren entdeckt, die in Richtung Nordwesten wiesen. Dann hörten wir plötzlich einen durchdringenden Schrei - aus nordöstlicher Richtung!

Wir rannten also weiter nach Nordosten und gelangten so zum Eingang einer Höhle, der gut versteckt hinter moosigen Felsen lag. Wir hörten ein unheimliches Ächzen.

Vivana meinte voller Ernst: »Vielleicht sollten wir erst einmal das Huhn vorschicken.«
Ich blickte sie ungläubig an - und mein Huhn verfiel wieder in seine Schockstarre.

Saradar lachte: »Quatsch, wenn wir schon einen Kundschafter vorschicken, dann mein Wiesel!« - Als ob es alles verstanden hätte, sprang Besagtes aus seiner Tasche und lief direkt auf den Höhleneingang zu.

Saradar verging das Lachen: »So war das nicht gemeint!« - und rannte ihm hinterher. Wir schlossen uns an.

Als wir in die Höhle kamen, bot sich uns ein schreckliches Bild: Zedrick, der blondgelockte Novize, lag am Boden. Er hatte eine klaffende Wunde unterhalb des Brustkorbs, aus der pulsierend Blut trat, das sein weißes Gewand fast vollständig scharlachrot verfärbt hatte. Über ihm hockte, in ein seltsames Gesäusel versunken, eine dunkle Gestalt: das musste die Hexe sein! Was machte sie da an seiner Brust? Blut tropfte von ihren Händen. Ihre langen Haare verbargen ihr Gesicht. Als sie uns bemerkte, stopfte sie sich rasch irgendwelche Kräuter in ihre Umhängetasche und sprang erschrocken in eine dunkle Ecke der Höhle. Plötzlich erklang ein Klappgeräusch.

Tarquan vermutete: »Das hat sich wie eine Falltür angehört!« - Vivana entzündete rasch eine Fackel: und tatsächlich - die Hexe war verschwunden. Am Boden tasteten wir die Umrisse einer Falltür. Wir kriegten sie nicht auf, sie musste von unten verschlossen sein.

Ich beugte mich über Zedrick. Ihm war leider nicht mehr zu helfen: Tränen glitzerten auf seinen Wangen; aus seinen Augen sprach die Angst, dann entwich alles Leben aus ihnen, bevor er uns noch etwas hätte sagen können.

Nachdem sich jeder an der Falltür versucht hatte, war Urota an der Reihe. Er machte kurzen Prozess und riss sie aus ihrer Verankerung. Vivana leuchtete in das entstandene Loch im Boden: »Da unten ist ein Gang. Wer steigt zuerst da runter?«

Ich betete an Ianna und bat sie um die Gabe, die sie mir durch den Traum letzte Nacht verliehen hatte. Mit den Worten: »Edwen, kümmere dich bitte um meine Sachen - und das Huhn!«, verwandelte ich mich zum Erstaunen meiner Gefährten in einen Wolf.

Saradar war verblüfft: »Dieser Faun steckt voller Überraschungen.«

Ich sprang nach unten und nahm dort eine Fährte auf: ich konnte die Kräuter riechen, die die Hexe bei sich trug. Ich folgte dem Gang. Mit meiner Nachtsicht brauchte ich keine Lichtquelle. Ja, da war sie. Ich näherte mich vorsichtig, doch bevor ich sie stellen konnte - ein Lichtblitz - Rauch - sie war verschwunden! Auch die Duftspur war weg! Die anderen folgten mir mit etwas Abstand. An einer Stelle tropfte es von der Decke, der Boden wurde matschig. Nach weiteren fünfhundert Schritt endete der Gang: ich konnte eine Treppe erkennen, die bis zu einer Holztür führte. Wo blieb der Rest der Gruppe? Ich ließ ein Heulen ertönen.
Die Holztür war verriegelt. Kein Problem für Vivana, im Fackelschein hatte sie das Schloss schnell geknackt. Hinter der Tür lag ein leerer Kellerraum. Am Ende einer Treppe wieder eine Falltür. Als wir sie öffneten, wurden wir von Sonnenlicht geblendet.

»Das ist doch der alte Wehrturm!«, erkannte Vivana überrascht, als wir nach draußen traten. Wir hatten also einen Geheimgang in die Stadt entdeckt.

Saradar fluchte: »Verdammt nochmal! Wo ist diese Hexe hin? Wir müssen uns die Höhle noch einmal genauer ansehen!« Er rannte die Treppe wieder runter, ohne unsere gemeinschaftliche Entscheidung abzuwarten, wie wir weiter vorgehen sollten - und kam nach kurzer Zeit mit einer Beule am Kopf zurück, was von Vivana natürlich nicht unkommentiert bleiben konnte: »Na, dunkel da unten?«

Edwen pflichtete dem Barbaren jedoch bei: »Saradar, du hast Recht, wir müssen zurück. Wir können ja auch Zedricks Körper nicht den wilden Tieren überlassen!«

Wir nahmen wieder den Geheimgang und fanden auf dem Rückweg nichts Auffälliges. Mir war es immer noch ein Rätsel, wie die Hexe entkommen konnte. Ich hatte mich mittlerweile zurückverwandelt und meine Sachen - inklusive meines erstarrten Huhns - wieder an mich genommen.

Im Bereich des Höhleneingangs sah sich Vivana die Leiche des jungen Novizen noch einmal ganz genau an: »Die Wunde sieht aus, als ob sie ihm mit einem sehr scharfen Dolch beigebracht wurde - da wollte ihm jemand das Herz rausschneiden!«

Wir schauten uns in der Höhle um. In der Dunkelheit verborgen fanden wir ein paar Säcke. Sie enthielten Kräuter, die so aussahen wie diejenigen, die sich die Hexe in die Tasche gesteckt hatte. Vivana untersuchte sie: »Das sind Heilkräuter!« - Wir nahmen uns ein paar davon mit. Vielleicht war die Hexe doch nicht für den Tod des Novizen verantwortlich?
Urota schulterte den Leichnam, und wir verließen die Höhle.
Die Spurensuche in der Umgebung der Höhle brachte uns nicht weiter - die Sonne näherte sich bereits dem Horizont.

Saradar meinte frustriert: »Das ist Zeitverschwendung. Wir sollten zur Quelle zurück! Da waren doch noch andere Spuren!«

Zama zeigte sich bereits am Abendhimmel, als wir uns entschlossen, Saradars Vorschlag zu folgen.

Auf dem Weg zur Quelle hörten wir plötzlich schallendes Gelächter aus dem Geäst. Dann raschelte es. Mehrere Männer in schmutzigen Lederrüstungen bauten sich vor uns auf. Sie trugen Schilde und Schwerter und sahen kampfbereit aus. Der Älteste von ihnen, erkennbar an seinem grauen, verfilzten Bart, trat einen Schritt auf uns zu. Als er den Mund öffnete, zeigte er uns seine zwei letzten, fauligen Zähne. Was dann rauskam, war mehr ein Spucken als ein Sprechen: »Hallo ihr späten Wanderer! Ihr seid in unserem Wald, deshalb schuldet ihr uns einen Wegzoll! Gebt uns all euer Gold und Silber, dann kommt ihr mit dem Leben davon!« - Auf ein Zeichen von ihm traten hinter uns einige Bogenschützen aus dem Unterholz. Sie sollten uns wohl klarmachen, dass es kein Entrinnen gab. »Die Leiche könnt ihr übrigens behalten!«, stellte Räuber Faulzahn klar und spuckte aus.

Ich wollte gerade meinen Sack mit Kräutern hochhalten und ihm glaubhaft machen, dass wir diese bloß im Wald gesammelt und sonst nichts bei uns hätten, als - »O Skia!“ - Saradar den Mund aufmachte: »Das einzige Silber, dass ihr heute von mir bekommt, ist das Silber meiner Klinge!« - und sich auf Räuber Faulzahn stürzte.