Samstag, 16. September 2017

Abenteuer 5: Der letzte Tanz - Prolog

Eine große Spinnwebe hing am Höhleneingang. Ich wischte sie beiseite. Von der achtbeinigen Bewohnerin keine Spur. Die schockierenden Ereignisse der letzten Zeit hatten ihre Spuren hinterlassen. Da standen wir, nur ernste Gesichter ringsum. Wir hatten unsere Waffen und Pferde in den Händen der Stadtwache zurückgelassen. Gerade den bärtigen Krieger Edwen und seinen Koboldkampfgenossen Tarkin trieb die Sorge um ihren Anführer Syr Rotall zur Eile an. Wir verließen im Dunkel der Nacht die Hexenhöhle und legten hastig die Strecke bis zur Weggabelung südlich von Medea zurück.
Der Söldner Tarquan trat aus dem Schatten direkt auf Vivana zu. Ich hörte, wie er sich von ihr verabschiedete.
»Vivana! Ich will und werde an deiner Seite bleiben, vorher jedoch muss ich Halar mein Kopfgeld aushändigen, das er einst für meine Dienste anzahlte. Dann erst bin ich frei und werde dir überall hin folgen!«
Mit diesen Worten drückte Tarquan Vivana noch einmal an sich. Dann wendete sich sein Blick auf Saradar, unseren »besessenen« Barbaren.
»Ich werde Saradar zu Halar bringen. Er ist ein Bruder vom gleichen Stamm, der wissen wird, wie man ihm helfen kann. Dann werde ich euch nacheilen so schnell ich kann!«
Ich drehte mich weg, da ich dem Geknutsche, das dann folgte, nichts abgewinnen konnte.
Widun und Anneliese entschlossen sich, die beiden zum Nordmarkt zu begleiten. Es folgte ein kurzer, aber herzlicher Abschied.
Tarquan hatte ein Seil um die Hüfte des mächtigen Gjölnars geschlungen, der, als er daran wie an einem Zügel zog, wortlos hinter ihnen her trottete.

Eine beschwerliche Reise wartete auf uns, der Pferde und liebgewonnenen Waffen verlustig gegangen; vor allem Urota trauerte seinem Riesenknochen nach. Uns blieben bloß die Kurzschwerter, die wir von den Räubern erbeutet hatten und der Schlangendolch, den Vivana in der Truhe gefunden hatte.
Nachdem unsere Gefährten in den Schatten verschwunden waren, zogen wir uns an den Wegrand zurück und berieten, welchen Weg wir zum Rösserpass einschlagen sollten.
Edwen kannte die Umgebung am besten und schlug vor, in südlicher Richtung die Altmark in Richtung Tremen zu durchqueren.
Vivana und Maluna waren unsere Augen und Ohren, sie gingen als Kundschafterinnen voraus. Tarkin, Edwen und ich folgten in Sichtweite, Urota bildete die Nachhut.

Ich blickte noch einmal zurück: am Osthang des riesigen Mon Alunas tauchten erste Strahlen der Morgendämmerung seinen Grat in ein leuchtendes Rot und kündeten von einem neuen Tag in Thalien. Sie ließen mich die Nächte voller Schrecken im Bannkreis des Zurakkultes fast vergessen.

Mittwoch, 6. September 2017

Des Henkers Braut - Epilog

Der Zurakkult war besiegt – so schien es uns zumindest. Der Brief der »Bruderschaft der Gekreuzten Schwerter« trieb uns zur Eile an, wollten wir noch rechtzeitig vor der Invasion der Tekk am Rösserpass eintreffen.
Bruder Unar hatte jedoch eine Ausgangssperre verhängen lassen. Er war der höchste Amtsträger der Alunpriesterschaft in Medea und hatte jetzt das Sagen, nachdem Inotius, der zungenlose Verräter, im finstersten Kerker gelandet war und auf das weltliche Urteil wartete, während das jenseitige über den Stadtherrn Rothbart dem Totengott oblag.
Unar hatte Haegus Malefar, dem »Hochwächter des heiligen Lichts«, eine Taube geschickt, um ihn über die Vorkommnisse in Medea zu unterrichten. Er war sich sicher, dass er eine Untersuchungskommission bilden und sie den beschwerlichen Weg vom Gipfel des Mon Alunas hinab entsenden würde – aber das konnte sehr lange dauern.

Unterdessen waren unsere Verletzten auf dem Weg der Besserung. Während die körperlichen Wunden von Tarquan schnell heilten, vor allem dank der aufopfernden Pflege von Vivana, hielt Saradars seltsamer Bewusstseinsverlust unerklärlich lange an.
Am Abend nach der Entlarvung Inotius' als Kopf des Kultes hatten ihn Utyferus, der junge Priester, den wir als Straßenmusikanten kennengelernt hatten, und eine Wichtelpriesterin namens Freya aufgesucht.
Der Priester hatte versucht, Saradars Fluch zu bannen, doch seine Bemühungen waren erfolglos geblieben. Am folgenden Abend hatten sie uns erneut aufgesucht, diesmal schienen sie weitergekommen zu sein. Sie waren überzeugt, dass er von einer dunklen Präsenz befallen sei und versprachen, ihm zu helfen.

Am folgenden Morgen – wir nahmen gerade ein Frühstück aus altem, harten Brot, ein paar Eiern, knusprig gebratenem Speck mit einer Gemüsebrühe ein – gesellte sich der Henker zu uns, sein Beil, die »Henkersbraut«, ruhte an seinem Schemel. Er hatte - wie immer in der Stadt - seine Maske auf, aber wir konnten erkennen, wie uns seine durchdringenden blauen Augen musterten.
Schließlich begann er: »Ihr seid eine seltsame Gruppe von Abenteurern, aber ihr habt hier viel verändert. Der Hochwächter des Lichts hat eine Gruppe aus einem Inspektor, sechs Priestern, einem Paladin und sechs Schwertern des Lichts entsandt, die hier alles auf den Kopf stellen wird. Ihr denkt, ihr habt der Stadt geholfen, doch das Böse weilt immer noch hier – unsichtbar für die Sterblichen, lauernd im Schatten. Der Inspektor wird euch nicht mehr fortlassen. Geht besser, solange ihr noch könnt. Sie werden nach euch suchen, weil ihr die Ausgangssperre missachtet habt, aber ihr werdet leben.«

Wir wussten, dass wir die Stadt über den Geheimgang am alten Wehrturm jederzeit verlassen konnten, doch wollten wir nicht ohne unsere Pferde und unsere Waffen gehen.
Wir versuchten also, von Unar die Erlaubnis zu bekommen, die Stadt verlassen zu dürfen. Er verwies uns jedoch an die nächsthöhere Instanz, an Haegus Malefar, den Vorsteher des Ordens der Wächter des heiligen Lichts. Wir ließen von Bruder Latius eine Nachricht verfassen und per Taube verschicken, doch die Zeit drängte, wir konnten unmöglich einen Halbmond warten, bis eine Antwort eintreffen würde.
Ohne eine Besserung von Saradars Zustand war allerdings nicht an eine Flucht zu denken.
Vivana zweifelte, ob es die richtige Entscheidung gewesen war, den Alunpriestern Saradars Leben anzuvertrauen. Doch wir wurden nicht enttäuscht. Nach unserer Rückkehr in die Schenke trafen wir auf einen griesgrämig dreinblickenden Wirt, der gerade seine Krüge polierte. Ich war mir sicher, dass er uns insgeheim für die Ausgangssperre verantwortlich machte und uns gerne besser heute als morgen los geworden wäre. Mürrisch entgegnete er uns: »Da oben wartet jemand auf euch.«

Utyferus stand in der Tür zu Saradars Krankenlager. Eine Kette mit einem Knochen baumelte an seiner Hand, die deutliche Kratzspuren aufwies. Tarkin fragte besorgt: »Ihr seid verletzt, was ist euch widerfahren, und was ist das für ein Knochen?«
»Das an meiner Hand? Das war bloß Kater Filius, der mag es nicht, wenn man ihn streichelt. Und das hier ist eine Reliquie, um genau zu sein: das Schädelfragment des Hl. Kaleisius. Fragt lieber nicht, was ich auf mich genommen habe, um in seinen Besitz zu gelangen. Legt Saradar die Kette um, der Knochen muss Kontakt mit seiner Haut haben, um wirksam zu sein. Er ist dann nicht geheilt, es wird aber den Wandlungsprozess aufhalten und er wird auch wieder gehen können. Ihr müsst ihn so schnell wie möglich nach Norden bringen, nur ein Priester seines Gottes kann ihn wirklich von der schwarzen Präsenz befreien.«
Der Priester legte dem Gjölnarbarden die Kette um den Hals und sprach ein leises Gebet an den Lichtgott. Der Knochen ruhte dabei auf der Brust des Khor'Namar, des Windsohns.
Utyferus sprang erschrocken zurück, als plötzlich Saradars Wiesel aus dessen Hose herauskroch und Freudensprünge auf dem Bauch des Barbaren vollführte.
Saradar schien es tatsächlich schlagartig besser zu gehen. Er konnte sich aufsetzen, aufstehen und sogar ein paar Schritte laufen, sein Blick war jedoch immer noch leer.

»Wo ist die Wichtelpriesterin?«, wollte Tarkin wissen.

»Wenn ich das wüsste. Schwester Abelia hat sie heute Morgen das letzte Mal gesehen. Ich mache mir schon Sorgen. Ich dachte, sie würde mir helfen beim ›Ausleihen‹ der Reliquie, doch sie war wohl besorgt um ihre Stellung in der Priesterschaft. Vielleicht hat sie ihre Ansicht geändert, und sich aus Scham versteckt, ich weiß es ehrlich gesagt nicht.«

Tarkin verriet ihm den Geheimgang am alten Wehrturm, falls er selbst in Verdacht geraten sollte.
Er verabschiedete sich lächelnd von uns: »Möge das Licht euch immer scheinen. Inspektor Elysius soll ein harter Hund sein, aber es wird schon nicht so schlimm werden. Lebt wohl.«

Wir haderten, ob wir uns durch einen Trick, wie einen inszenierten Brand, unsere Waffen und Pferde von der Stadtwache zurückholen sollten. Wir entschieden dann aber doch, die Stadt klammheimlich durch den Geheimgang zu verlassen. Immerhin blieben uns die Waffen, die wir im Kampf mit den Räubern und Zurakpriestern erbeutet hatten.

Mit geleckten Wunden und aufgefülltem Proviant, freute ich mich auf unser nächstes Abenteuer.

Des Henkers Braut - Kapitel 9: Besessen

Zwei Gestalten in weißen Roben verließen den Tempel des Lichts in Medea. Beide hatten ihre Kapuzen tief ins Gesicht gezogen. Der auffälligste Unterschied zwischen beiden war ihre Körpergröße. Während die eine Gestalt eine durchschnittliche Größe für einen Menschen hatte, war die andere winzig. Sie machte die mangelnde Schrittlänge durch schnelles Trippeln und eingestreute Sprünge wett, sodass sie gleichauf blieben.
Die Straßen Medeas waren mittlerweile leer, es hing ein Schleier kalten Rauchs in der Luft, der das Licht der Laternen trübte.

Endlich hatten sie ihr Ziel erreicht, den Gasthof »Zum Fasanenruf«. Ein paar Kerzen und das heruntergebrannte Kaminfeuer erhellten den Gastraum nur spärlich. Beim Eintreten schlugen die beiden ihre Kapuzen zurück. Sie wurden bereits erwartet.

Vivana begrüßte den Ankömmling: »Bruder Utyferus, gut, dass ihr schon da seid. Unserem Gefährten geht es sehr schlecht. Er liegt oben und windet sich in Krämpfen. Tarkin ist bei ihm. Unser Priester des Mnamn hat schon versucht, ihn zu heilen, aber sein Zustand hat sich eher noch verschlechtert.«

Der junge Priester wandte sich an seine winzige Begleiterin: »Schwester Freya, geht bitte nach oben und schaut nach ihm. Kommt wieder, falls ihr Hilfe braucht.«
Die Wichtelin machte eine kurze Verbeugung und sprang dann flink die Treppenstufen hinauf.

Der junge Alunpriester ging zu einem verschwörerischen Flüstern über: »Glaubt mir, die niederen Götter können in einem solchen Falle wenig ausrichten. Der Schratenherr, naja, man kann nicht jeden Fluch mit Schnaps vertreiben.« Aus einer dunklen Ecke kam ein beschwipstes »Das hab' ich gehört!«.

Am oberen Treppenabsatz tauchte die Wichtelpriesterin wieder auf und rief: »Bruder Utyferus, ihr müsst ihn euch selbst ansehen. Da stimmt etwas nicht!«

Der Gerufene eilte die Treppe hinauf und betrat das Zimmer. Er sah, wie der Faundruide gerade ein Gebet an die Erdmutter sprach, doch vergebens. Es knackte im Gebälk, der Barbar hustete, sonst passierte nicht.
Tarkin, der Kobold, hatte dem Barbaren Wadenwickel angelegt und kühlte gerade seine Stirn mit einem nassen Lappen. Der Gjölnar schien sich beruhigt zu haben. Er lag still da und starrte an die Decke. Er schien sehr weit weg zu sein.

Finn, der Faundruide, sah den Alunpriester verzweifelt an: »Wie kann ich ihm helfen?«

Der Priester antwortete: »Ehrlich gesagt: wenig; Ianna hat hier keine große Macht. Aber ihr könntet einmal lüften, ein übler Gestank liegt im Raum.«

Utyferus beugte sich über Saradar: »Seht, er hat die Augen nach oben verdreht, sodass man nur noch das Weiße sehen kann. Ich will versuchen, den Fluch zu bannen, der auf ihm lastet. Bitte tretet alle zurück.«

Alle folgten seiner Aufforderung. Während die Umstehenden in tiefes Schweigen verfielen, versenkte sich der junge Priester ins Gebet. Nach einer Weile holte er eine Flasche geweihten Wassers und acht kleine weiße Kerzen aus seiner Gürteltasche. Die Kerzen stellte er in regelmäßigen Abständen um Saradar herum auf und entzündete sie. Dann machte er das Sonnenzeichen. Er öffnete den Verschluss der Flasche und begann, Saradar mit geweihtem Wasser zu besprenkeln. Die Tropfen schillerten im Kerzenschein in allen Farben. Währenddessen intonierte er mit tiefer und fester Stimme einen zölestischen Gesang: »Esruch Fugon Nomo Alunas.« Das Kerzenlicht flackerte kurz auf, doch an Saradars Zustand änderte sich nichts.
Der Gesang des Priesters erstarb schließlich. Enttäuscht blickte ihn die kleine Wichtelpriesterin an: »Wenn er verflucht wäre, müsste es ihm doch jetzt besser gehen.«
Der weiße Priester sank erschöpft auf einen Stuhl. »Ich verstehe es auch nicht. Ich befürchte, es handelt sich nicht bloß um einen simplen Fluch. Fast wirkt es, als sei er … Nein, das kann nicht sein.«
Der faunische Druide sah ihn fragend an. »Es scheint fast so, als ob euer Freund von einer fremden Macht befallen sei. Ich schlage vor, dass ihr euch abwechselnd um ihn kümmert. Ich muss mit Schwester Freya in die Tempelbibliothek. Wir kommen morgen wieder. Falls sich sein Zustand in der Zwischenzeit verschlechtern sollte, wisst ihr, wo ihr uns findet.«
Mit diesen Worten verließen die beiden Alunpriester das Gasthaus und kehrten zum Tempel zurück.
Dort schickte Utyferus die kleine Wichtelfrau ins Bett: »Die Bibliothek ist abgesperrt und Bruder Amelfus hat den Schlüssel. Wir treffen uns gleich nach dem Morgengebet in der Bibliothek. Gute Nacht.«

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»So, so; ihr wollt also in den gesperrten Bereich«, stellte der alte, gebeugte Amelfus, der Verwahrer der Bücher, fest.

»Es ist eine Notlage. Einer der Abenteurer, die den Zurakkult vernichtet haben, wurde verflucht, ich muss an die Bücher über Dämonen und schwarze Künste – ansonsten ist er verloren!«, beteuerte der junge Priester.

»Bruder Utyferus, ich will es euch erlauben. Hier ist der Schlüssel. Inotius war mir schon immer ein bisschen zu fromm – das kam mir schon immer verdächtig vor. Er hatte seinen eigenen Schlüssel für den gesperrten Bereich, ich habe ihn oft des Nachts mit einer Kerze dort sitzen sehen. Jetzt weiß ich warum!«

Utyferus legte Freya einen großen Folianten auf den Tisch, blies den Staub vom Deckel und schloss ihn auf: »Der Codex ›Nomo Daemonico‹, vielleicht werdet Ihr darin fündig, Schwester Freya.«

Das Buch war sogar aufgeschlagen noch höher als sie. Sie zog sich an dem großen, geschlitzten Lesezeichen hoch und setzte sich an den unteren Seitenrand. Sie war eine schnelle Leserin. Zum Umblättern ging sie an den rechten Seitenrand, zog an der Ecke und lief mit ihr auf die linke Seite rüber, wo sie sie behutsam ablegte.
Die Strahlen der Mittagssonne fielen gerade durch das bunte Mosaikfenster, das eine Eule darstellte – ein Symbol für Skia, die Göttin der Weisheit – als Freya aufgeregt aufschrie: »Ich hab's, ich hab's gefunden!«
Freya beim Stöbern.
Utyferus trat zu ihr: »Leise! Ihr vergesst Euch! Wir sind doch in einer Bibliothek! Zeigt mir, was Ihr gefunden habt.«
Sie las ihm eine Passage aus Band X des Dämonencodex vor, in dem es um »Verfaulte Leiber« ging:

»Der Schwarze Sud.
Findet sich am Corpo sub axilla, sub lingo oder im Sacco conjunctivo eine Nigra Substancia, so ist vom Sodi Nigri, in der Gemeinen Sprache auch Schwarzer Sud genannt, auszugehen. Die Substancia hat in der Regel einen fauligen Foetorio; der Volksmund bezeichnet den Befallenen daher auch als ›Verfaulten‹. Der Befallene hat die Augen geöffnet, sie regelhaft aber so verdreht, dass nur noch die Sclera Alba sichtbar ist; er reagiert nicht auf Ansprache. Die Nigra Substancia dringt von diesen Loci aus langsam in den Corpo ein und verzehrt die Seele des Befallenen. Dieser Processo läuft langsam ab, doch nach ungewisser Duracio ist er irreversibel. Dann ist aus dem Befallenen ein williger Diener des Gottes des Hasses geworden, dessen Nomo hier nicht weiter expliziert wird.»Sehr gut, Schwester Freya.«, lobte Utyferus die kleine Wichtelin. »Findet sich dort auch etwas über eine mögliche Heilungsprozedur?«

Freya zuckte mit den Schultern: »Darüber findet sich hier nichts, Bruder Utyferus. Vielleicht im Band XX über Heilung von Besessenheit.«

Utyerus holte einen weiteren Wälzer aus dem Regal, blies wieder den Staub vom Buchdeckel und legte ihn offen auf den Tisch. Schnell hatte er die entsprechende Passage gefunden. Er las laut vor:

»Heilung vom Schwarzen Sud.
Ein rapportierter Caso von Bruder Semwellius.
--- Und so gelang es mir – ich will es, ohne mich der Sünde des Stolzes schuldig zu machen, ... mit Hilfe einer Reliquie, dem Proc. Coccygo des Schutzheiligen Podexius … mit Contacto zum Corpo … das Fortschreiten des Sodi Nigri zu verhindern … doch eine vollkommene Restitucio … ist nur einem Priester des Hauptgottes des Befallenen möglich.
Aliud denke ich, dass auch die Gebeine eines anderen Schutzheiligen in Betracht gekommen wären.«Utyferus hatte ein breites Lächeln auf den Lippen: »Wir müssen uns zunächst versichern, ob er tatsächlich vom Schwarzen Sud besessen ist. Kommt, Schwester Freya.«

Die beiden Priester wollten gerade den Tempel verlassen, als sich ihnen ein Jüngling in brauner Kutte in den Weg stellte. Es war Tolar, der einzige der Novizen aus Altem, der das Wüten des Zurakkultes überlebt hatte.
»Bruder Utyferus, Schwester Freya, Bruder Unar will euch sehen.«
Sie folgten dem jungen Mann in den hohen Tempel. Unar kniete vor dem Altar des Lichts und war in ein Gebet vertieft. Als er die beiden Priester bemerkte, machte er das Sonnenzeichen und erhob sich.

»Schön, dass ihr gekommen seid. Ich hätte nie gedacht, dass ich einmal die Amtsgeschäfte eines Hohepriesters und eines Stadtherrn übernehmen müsste. Nun, Alun hat so entschieden. Wie dem auch sei. Ich wollte euch unterrichten, dass eine Taube gekommen ist. Der Hochwächter des Lichts befiehlt, dass wir eine Ausgangssperre über Medea verhängen sollen. Ich habe dies direkt an die Stadtwache weitergeleitet. Sie soll bestehen bleiben, bis ein Inspektor mit seiner Gefolgschaft vom Mon Alunas eingetroffen ist, und die Angelegenheit gründlich untersucht hat. Ich habe gehört, ihr habt den ganzen Tag in der Bibliothek zugebracht und dadurch das Mittagsgebet versäumt.«

Aus den Gesichtern der beiden konnte man zunächst Erschrecken und dann Beschämung herauslesen. Sie ließen die Köpfe hängen.

»Was war so wichtig, dass ihr eure Pflichten vergesst?«, wollte Unar wissen.

Er musste sich wegen seines schlechten Gehörs etwas nach unten bücken, als ihm Freya antwortete: »Wir haben herausgefunden, dass der Barbar wahrscheinlich vom Schwarzen Sud besessen ist!«

Jetzt sah Unar erschrocken aus: »Der Schwarze Sidd? Alun, behüte uns vor den Geistern des Abgrunds!«
Er machte das Sonnenzeichen.

Utyferus ergänzte: »Wenn es so ist – wir müssen das erst noch verifizieren – brauchen wir die Reliquie eines Schutzheiligen.«

Unar schüttelte den Kopf: »Wir können sicherlich keine Reliquien an irgendwelche Barbaren aus den Nordlanden verschwenden. Aber, versucht euer Glück, stellt einen Antrag an die Reliquienbewahrer, vielleicht genehmigen sie euch die Verwendung. Ich weiß nur, dass Bruder Emerius gar nicht begeistert wäre, wenn ihr seine Reliquiensammlung durcheinander bringt. Und nun holt euer Mittagsgebet nach!«

Die beiden Priester knieten nieder und versanken ins Gebet, als von draußen schon die Abenddämmerung durch die Mosaikfenster drang.

Wieder schwebten die zwei weißen Roben wie Geister durch die Gassen Medeas, die bereits ins Zwielicht getaucht wurden.

Im dämmrigen Licht des Schankraums des Fasanenrufs hatte sich die Abenteurergruppe versammelt. Nur der Barbar aus dem Norden fehlte. Der Halbschrat Widun saß an der Theke und war in ein Gespräch mit dem missmutig dreinblickenden Wirt vertieft, der gerade jammerte: »Dumme Sache, diese Ausgangssperre. Jetzt bleibt meine Kundschaft aus. Wenn ihr nicht wärt, würde noch mein Bier schal werden.«
In einer Ecke des Raums waren zwei weißbärtige Männer in ein Würfelspiel vertieft, Bronzemünzen wanderten begleitet von einem Lachen des Gewinners und einem Seufzen des Verlierers hin und her über den Eichentisch. Eine Bank wurde fast vollständig vom riesigen Hügeltroll Urota eingenommen, sie ächzte und knackte bereits unter seinem Gewicht. Ihm gegenüber saß der Faundruide, dessen Huhn gerade – unter dem strengen Blick der übrigen Abenteurer – gackernd über den Tisch stolzierte. Vivana füttere Tarquan, ihren Liebsten – es roch nach Bohnen mit Speck, ein kühles Bier durfte natürlich nicht fehlen.
Eine rothäutige Schönheit aus dem Land des Feuers musste einer kleinen Koboldmagierin von ihrer Heimat berichteten. Ein bärtiger Krieger schaute gedankenverloren ins Kaminfeuer.
Bei jedem Geräusch von draußen hoben sich die Köpfe erwartungsvoll und blickten in Richtung Tür.
Diesmal waren sie es: die beiden ungleichen Alunpriester.

Während die Wichtelpriesterin ohne lange Vorrede die Treppe hinauf sprang, setzte sich Utyferus zu den Abenteurern: »Alun zum Gruße!« Er fuhr in einem Flüsterton fort:
»Wir sind uns ziemlich sicher, was euren Freund befallen hat. Eine dunkle Präsenz hat von ihm Besitz ergriffen, die ihm die Lebenskraft aussaugt. Es ist kein Dämon, den man austreiben könnte. Doch wartet, Freya überzeugt sich gerade, ob auch die anderen Zeichen zutreffen. Wir müssen uns erst ganz sicher sein.«

Die Wichtelin rutschte mit einem breiten Grinsen im Gesicht das Treppengeländer herunter. Sie sprang Utyferus auf die Schulter und flüsterte ihm etwas ins Ohr.

»Es ist so, wie wir vermutet haben. Wir haben auch schon eine Idee, wie wir eurem Freund helfen können, aber es wird nicht einfach. Vertraut uns, wir machen das schon.«

Dabei zwinkerte er der Wichtelpriesterin zu.