Samstag, 25. Februar 2017

Des Henkers Braut - Kapitel 3: Die Quelle allen Übels

Wir verließen die Stadt zusammen mit den drei Jünglingen, natürlich nicht ohne unsere Waffen, Urota war auch seine lästigen Ketten wieder los. Da die Quelle nicht weit von der Stadt entfernt sein sollte, hatten wir uns zu Fuß auf den Weg gemacht. Nach kurzer Wegstrecke betraten wir den Wald, in dem sie sich befinden sollte. An einer Wegkreuzung waren wir uns unschlüssig, in welche Richtung wir weiter gehen sollten.

„Sie hätten ja auch mal Hinweisschilder anbringen können, wo es zur Quelle geht!“, beschwerte ich mich.

Edwen grinste: „So einfach können sie es den Novizen nun auch nicht machen, außerdem könnten Räuber solche Schilder missbrauchen, um kleine Faune in die Falle zu locken.“

Wir entschieden uns für die östliche Abzweigung. Nach einer Biegung raschelte es im Unterholz - und plötzlich stand ein riesiger Hund vor uns, der seine Zähne fletschte und uns anknurrte. Wir standen wie erstarrt - noch machte er keine Anstalten, uns zu attackieren - Sabber tropfte ihm in großen Portionen aus dem Maul.
Dann ein erneutes Rascheln - und ein Mann mittleren Alters im Gewand eines Jägers trat aus dem Gestrüpp: „Uggu, ruhig mein Braver!"

Er schaute uns etwas ungläubig an und begann dann: "Nivië zum Gruße! Ich bin Derk der Jäger. Entschuldigt meinen Bullbeißer, aber im Moment kann man in den Wäldern nicht vorsichtig genug sein, da bin ich froh, so einen aufmerksamen Jagdhund an meiner Seite zu haben. Ihr seht so aus, also ob ihr euch verlaufen hättet. Kann ich euch helfen?“

Der Mann hatte graue Schläfen und ein Spitzbärtchen, für einen Menschen machte er einen sehr sympathischen - und - attraktiven Eindruck. Das hatte auch Vivana mitbekommen: „Hallo, Nivië zum Gruße. Ich heiße Vivana - und das sind meine Gefährten. Wir sollen diese drei Novizen zur heiligen Quelle begleiten. Könnt Ihr uns da vielleicht weiterhelfen?“, säuselte sie ihm zu.

Tarquan hatte sich im Hintergrund gehalten, ich merkte aber, dass ihm gar nicht gefiel, was er da sah.

Vivana fragte mit Blick auf den gewaltigen Hund: „Uggu ist ein lustiger Name. Hat er eine Bedeutung?“

Derk antwortete lächelnd: „Wisst ihr, ich habe meinen Hund nach meinem Großvater benannt, der hat auch immer so gesabbert… - Spaß beiseite, das ist Trollgar und steht für ‚fleißig‘. Folgt mir, ich führe euch zur Quelle, es ist nicht weit!“

Er ging mit uns den Weg zurück zur Kreuzung und nahm die westliche Abzweigung. Nach einer kurzen Strecke tat sich vor uns eine große Lichtung auf, in deren Zentrum ein kleiner Hain aus alten Eichen stand. Als wir den Hain betraten, konnten wir schon das Plätschern hören. Unscheinbar sprudelte hier klares Gebirgswasser aus einer Öffnung im Boden und bildete ein kleines Rinnsal.

Saradar: „Ich habe vielleicht einen Durst!“ - Er hatte sich bereits auf den Boden geworfen und den Mund geöffnet, als er völlig unerwartet vom Bullbeißer weggestoßen wurde. Uggu bellte, begann zu knurren und dann mit seinen Pfoten zu scharren.

Derk: „Das ist seltsam, so etwas macht er nur, wenn er etwas Verdächtiges gewittert hat.“

Auch Vivana warmisstrauisch. Sie kramte zwei Phiolen hervor, nahm Proben vom Quellwasser und schnupperte daran.
„Das Wasser riecht wirklich komisch, vielleicht ist es verseucht. Also, ich würde erst einmal nicht davon trinken!“

Tolar: „Aber was ist mit unserer Aufgabe? Vielleicht ist das ja die Prüfung des Glaubens!“

Derk: „Das glaube ich nicht! Ich war schon oft hier. Da ist wirklich etwas faul. Trinkt lieber nicht davon!“

Unverrichteter Dinge kehrten wir um. Vor der Stadt verabschiedete sich Derk von uns.
„Wenn ich euch einen Tipp geben darf: Wenn ihr eine Herberge für die Nacht sucht, übernachtet im Gasthof Zur gesegneten Aussicht, da ist das Essen zwar teuer, dafür schmeckt es aber auch, und die Zimmer sind ihren Preis wert! Ich verweile auch öfters dort, wenn ich in der Stadt bin.“

Die Stadtwachen waren sehr ungehalten über unser Kommen und Gehen.
„Entscheidet euch endlich - rein oder raus! Für das Verstauen eurer Waffen kriegen wir keinen Extrasold!“
Damit war wohl vor allem Urotas Riesenknochen gemeint, den ein Mensch alleine gar nicht heben konnte. Mühsam legten sie Urota wieder die Ketten an und zwei Wachen folgten ihm auf Schritt und Tritt.

Die Menschen in der Stadt musterten uns argwöhnisch. Sie sahen wohl selten fremde Völker. Ein Gjölnar, eine Jujin, ein Faun und - ein Troll an der Leine - wir waren ein zusammengewürfelter Haufen. Aber selbst Edwen, den Mensch aus Askalon, betrachteten sie missgünstig. Einzig die Kinder schienen keine Abscheu vor uns zu haben. Sie tanzten um uns herum und lachten. Ein kleines Mädchen stellte sich vor den angeketteten Urota, der zu lächeln versuchte.
„Wo kommst du her? Betest du fremde Götter an? Frisst du kleine Kinder?“, fragte sie ihn rotzfrech. Er schüttelte den Kopf.
Eine alte Frau rief den Kindern zu: „Geht da weg, das sind Fremde!“

Wir beschlossen, es noch einmal mit dem Rathaus zu versuchen. Die Novizen wollten solange auf uns warten. Ihnen war die ganze Aufmerksamkeit scheinbar unangenehm. Diesmal hatten wir Glück. Nachdem Urota angeklopft hatte, öffnete ein Diener des Stadtherrn die schwere Eichentür. Er war ganz entrüstet "ob der Heftigkeit des Schlages", wie er sich ausdrückte. Wir erklärten ihm unseren Begehr und er brachte uns zum Schreibzimmer. Dort saß - zwischen einigen großen Büchern - der rothaarige Mann, der bei der mittäglichen Hinrichtung seine Wut hinaus gebrüllt hatte.

Seelenruhig, unsere Anwesenheit völlig ignorierend, schrieb er eine Urkunde zu Ende und setzte sein Siegel darunter. Dann erst erwies er uns die Gnade seines Blickes, und dieser Blick war weniger überrascht als vielmehr feindselig.

„Seid gegrüßt, Fremde. Ich bin Rhovan Rothbart, rechtmäßiger Stadtherr von Medea, der Stadt des Lichts und der Gottesfürchtigkeit. Was ist euer Begehr?“, fragte er uns abschätzig.
Rhovan Rothbart, der Stadtherr von Medea.
Edwen übergab ihm das Schreiben Gorecks. Rhovan brach das Siegel und las aufmerksam den Brief.
„Fremde, habt Dank für euren Botendienst. Ihr sollt die versprochene Belohnung erhalten!“ Mit diesen Worten holte er aus seinem Schreibtisch einen Beutel hervor und zählte zwanzig Silberlinge ab. Wir waren verblüfft, wegen seines Auftretens hätten wir nicht mehr mit einer Entlohnung gerechnet.

„Aus dem Brief geht hervor, dass ihr zuverlässige Söldner sein sollt. Ich habe auch einen Auftrag für euch. Im angrenzenden Wald gibt es eine Hexe. Ich will, dass ihr sie beobachtet und herausfindet, ob sie etwas mit den Kultisten zu tun hat. Sie soll sich in der Nähe der alten Ruine herumtreiben. Wollt ihr das für mich und den Frieden der Stadt tun?“, fragte er mit einem leichten Verziehen der Mundwinkel.

Saradar ließ seinen ganzen Charme spielen.
„Wie wollt Ihr uns entlohnen, werter Stadtherr Syr Rhovan?“
Ihm war sicher nicht entgangen, dass da kein Ritter vor ihm saß, doch vielleicht war es auch nur seine Verhandlungstaktik. Der Rotbärtige schien tatsächlich geschmeichelt zu sein. „Zwanzig Silberlinge jetzt und vierzig später, wenn ihr euren Auftrag erfüllt und mir Bericht erstattet habt!“

Plötzlich kroch das Wiesel aus Saradars Hose hervor und lief ihm einmal quer über die Brust, um dann wieder in der Hose zu verschwinden.
Mein Huhn schien das auch mitbekommen zu haben. Es streckte seinen Kopf aus seinem Versteck, schaute sich irritiert um und gackerte angsterfüllt.

Angewidert schrie uns Rothbart an.
„Ihr … - ihr seid ja mehr Tiere als Menschen. Raus hier - und lasst euch nicht eher blicken, bis ihr euren Auftrag erfüllt habt!“

Wir befolgten gerne seinen Befehl. Was für ein unsympathischer Mensch - und hässlich noch dazu mit seiner großen Warze im Gesicht.

Wir holten die Novizen ab und gingen mit ihnen zusammen zum Tempel zurück. Dort erwartete uns Inotius bereits.
„Novizen, habt ihr eure erste Aufgabe erfüllt und ist euch die innere Reinigung zuteil geworden?“
Sie blickten verlegen auf ihre Füße.

Vivana ergriff für sie das Wort.
„Nein, wir trafen auf den Jäger Derk und seinen Bullbeißer, der uns vor der Quelle gewarnt hat. Sie scheint vergiftet zu sein. Wir konnten gerade noch so verhindern, dass eure Novizen aus der Quelle tranken. Ich habe eine Probe genommen.“
Sie zeigte Inotius eine der Phiolen.

Inotius: „Das ist … - bedauerlich und … - besorgniserregend. Ihr könnt mir eine der Proben überlassen. Ich werde sie an Bruder Rotbert weiterreichen, der sie in seinem Laboratorium untersuchen soll. Kommt morgen wieder, vielleicht wissen wir bis dahin mehr!“
Wir überließen die Novizen seiner Obhut und verabschiedeten uns von ihnen.

Der Tag neigte sich langsam seinem Ende zu. Bevor wir Derks Rat befolgen und im Gasthaus Zur gesegneten Aussicht einkehrten, machten wir mit Hilfe unseres Plans noch eine kleine Stadtbesichtigung. Uns fiel ein Turm auf, der durch seine Bauweise aus der Umgebung hervorstach. Hier waren viel gröbere und dunklere Steine verbaut worden. Er wirkt dadurch sehr alt - und wollte nicht so recht in die Umgebung passen. An seinem Fuße verlief der Fluss. Über eine schmale Holzbrücke gelangten wir auf eine Insel. Hier stand die Mühle mit einem großen Wasserrad, das sich unablässig drehte. Vor dem Eingang stand der Müller, der uns aber über die Vorkommnisse in Medea nichts Neues berichten konnte und nur mit den Schultern zuckte. Er zeigte auf zwei alte Männer, die auf einer Bank vor dem alten Turm saßen und sich die Zeit mit einem Würfelspiel vertrieben.
„Ich bin zu beschäftigt, um viel mitzukriegen. Aber fragt mal die beiden da, wenn einer was weiß, dann sie!“

„Seid gegrüßt im Namen der guten Götter!“, sprach Edwen die beiden Weißbärtigen an. Der eine war dick, der andere spindeldürr. Sie unterbrachen ihr Würfelspiel für uns.

Der Dicke blickte uns freundlich an: „Seid gegrüßt, Fremde!“

Edwen: „Wisst ihr etwas über die seltsamen Dinge zu berichten, die sich in Medea abspielen?“

Der Dicke setzte sich gerade hin und rückte seinen Bauch zurecht.
„Und ob, wir sitzen immer hier, so kriegt man viel mit, was so vor sich geht. Erst vor drei Tagen haben sie hier an der Mühleninsel eine Leiche aus dem Weißwasser gezogen. Es soll ein Novize gewesen sein - und er ist wohl nicht ertrunken, sondern ermordet worden, denn er hatte ein klaffendes Loch in der Brust!“

Jetzt schaltete sich der Dürre mit ein und berichtete mit blau leuchtenden Augen:
„Aber das war nicht der Einzige. In der Nähe der alten Ruine haben sie auch einen gefunden … - ausgeweidet! Anhänger des Zurak sollen dahinter stecken. Rothbart hat viele erwischt, vielleicht war dieser Di'Var ja wirklich der Anführer und wir haben endlich unseren Frieden. Aber da ist noch diese Waldhexe … - ihr Blick soll tödlich sein!“

Edwen: „Woran kann man diese Zurak-Anhänger eigentlich erkennen?“

Jetzt antwortete wieder der Dicke: „Es heißt, sie tragen eine Tätowierung auf ihrer Brust, das Symbol der Spinne - das Zeichen Zuraks! - Übrigens heißt es, dass die Ruine und der alte Wehrturm die Überbleibsel einer uralten Siedlung sein sollen, aber keiner weiß so genau, welches Volk früher hier gelebt haben soll.“

Die Wachsoldaten waren genervt, sie schwitzten in ihren Metallrüstungen. Wir ließen uns aber nicht davon abbringen, unsere Besichtigung fortzusetzen. Wie zu vermuten, gab es in der Stadt keinen einzigen Waffenhändler, nur Goldschmiede, die Anhänger in Form des Sonnenrades für die Pilger oder andere Schmuckstücke mit Edelsteinen herstellten.
Medea war berühmt für seinen guten Wein, der am Südhang des Mon Alunas wohl prächtig gedieh - daher gab es hier viele Winzer. Saradar ließ jedoch seine Pläne, in der Weinstraße einen guten Tropfen für Widun zu besorgen, schnell wieder fallen, als er die Preise sah.

Da die Sonne tief am Horizont stand und die Stadt bereits in ein leuchtendes Rot tauchte, machten wir uns auf zur Herberge. Ich war für getrennte Zimmer, da mein Huhn Angst vor dem Barbaren und seinem Wiesel hatte. Urota wurde von den Wachen an ein Bett gekettet. "Morgen holen wir dich wieder ab!"
Sichtlich erleichtert trollten sich die beiden Soldaten. Auf den fragenden Blick Urotas, was denn sei, wenn er einmal müsse, deutete Saradar auf den Nachttopf unter dem Bett.
"Da sollen Inhalt Trollblase rein?"

Ich war froh, dass die Herberge dicke Wände hatte und ich so von Urotas Schnarchen verschont blieb. Rasch fiel ich in einen tiefen Schlaf.
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„Ein Erdbeben?“, fragte ich mich, als mein Bett wackelte. Schlaftrunken bekam ich kaum meine Augen auf. Ein gewaltiger Rums! und schon flog ein Teil der Wand durch mein Zimmer. Durch ein riesiges Loch konnte ich ins Nachbarzimmer blicken. Dort schien ein Kampf zu toben. Ich hörte ein tollwütiges Knurren - war das? Uggu!
Der tollwütige Bullbeißer Uggu.
Er hatte Schaum vor dem Maul und schnappte gerade nach Urotas Arm, der immer noch am Bett festgekettet war. Edwen und Tarquan kamen eben durch die Tür herein. Ohne Waffen war es gar nicht so einfach, sich gegen den riesigen Hund zu wehren. Vivana versuchte es mit einer Phiole, die sie auf den Hund schleuderte. Sie prallte ab und entleerte ihren Inhalt auf den Boden. Urota heulte schmerzerfüllt auf. Uggu hatte ihn am Arm erwischt. Er konnte ihn jedoch wieder rasch abschütteln. Dafür war jetzt Saradar dran, ihm biss er in den Oberschenkel. Vivana war als nächste an der Reihe - sie konnte ihn aber abwehren, da sie sich als Schutz ihren Mantel um den Arm gewickelt hatte. Während der Bullbeißer wie besessen an Vivanas Mantel zerrte, konnten ihm Pferd, Edwen und Saradar in die Seiten boxen. Urota landete schließlich den tödlichen Schlag mit dem Bettpfosten, an den er gekettet war und den er soeben abgerissen hatte.

Das Knacken von Uggus Rückgrat ging auch uns durch Mark und Bein. Er lag am Boden und wir mussten uns sein Todesröcheln anhören.

„Was ist bloß in ihn gefahren? Heute Mittag hat er uns noch geholfen und jetzt das!“, stellte Vivana betroffen fest.
Sie hat einen Verdacht und schnüffelte an ihm.
„Seltsam, er riecht genauso wie das Quellwasser. Vielleicht ist er vergiftet worden und deshalb so ausgerastet!“

Dann - ein Schrei - er kam vom anderen Ende des Ganges. Wir stürmten hinaus.

An einer offenen Zimmertür stand eine hysterische Frau. Als wir in das Zimmer blickten, konnten wir unseren Augen kaum trauen. Da lag Derk, mit durchgebissener Kehle.

Des Henkers Braut - Kapitel 2: Der Priester und sein Henker

Um die Mittagszeit erreichten wir das Stadttor Medeas. Die Wächter waren offensichtlich erstaunt über unsere zusammengewürfelte Truppe.

„Wer seid ihr, woher kommt ihr und was ist euer Begehr?“, fragte uns einer der Wächter.

Saradar drängte sich vor: „Ich bin Saradar, berühmter Barde vom Stamme der Khor’Namar, den Söhnen des Windes.“

Als mein Huhn Saradars Stimme vernahm, kam es schreckhaft aus seinem Unterschlupf unter meinem Hemd hervorgesprungen, setzte sich auf meinen Kopf und begann vor Aufregung zu gackern. Der Blick des Wächters wanderte misstrauisch von Saradar, dem schwerbewaffneten Barden, zu Urota, dem riesigen Hügeltroll mit geschulterter, ebenso riesiger Knochenkeule, zu mir, dem Faun, und schließlich zu meinem Huhn.

Finn: „Nein, wir sind nicht die Stadtmusikanten …“, versuchte ich die Situation etwas zu entspannen. Den Wächtern ließ sich noch nicht einmal der Ansatz eines Lächelns entlocken, ernsten Blickes starrten sie uns weiter an.

Edwen versuchte es diesmal humorlos: „Seiet gegrüßt. Wir sind Gesandte des ehrenwerten Syr Goreck, des Stadtherrn von Schaynwayle, und wir haben ein wichtiges Schreiben, das an euren Stadtherrn gerichtet ist. Außerdem haben wir diesen drei Novizen sicheres Geleit auf ihrem Weg zu ihrer neuen Ausbildungsstätte am Mon Alunas gegeben.“

Die Stadtwache schaute Urota an.
„Wir werden sicher keinen Troll frei durch unsere Stadt laufen lassen. Wenn er hinein will, dann nur in Ketten! Des Weiteren ist das Tragen von Waffen jeglicher Art durch Beschluss unseres hochehrenwerten Stadtherrn Rhovan Rothbart verboten worden. Gebt sie ab - alle Waffen, und wenn ich sage alle, meine ich alle! Sie kommen in die Waffenkammer, wo sie für euch sicher verwahrt werden, bis ihr die Stadt wieder verlasst. Nur uns Wachen - und - dem Henker“ - dabei lachte er seinem Kameraden zu - „ist das Tragen von Waffen aus dienstlichen Gründen gestattet!“

Wir konnten sie schließlich überzeugen, dass von Urota keine Gefahr ausging. Er wurde dennoch in Ketten gelegt und zwei Stadtwachen begleiteten ihn. Er hatte sich keine neue Unbedenklichkeitserklärung ausstellen lassen, nachdem seine letzte wahrscheinlich zusammen mit Ratura in den Abgrund gestürzt war.

Vivana war neugierig: „Sagt, wessen Verbrechen haben sich die beiden Galgenvögel auf dem Hügel vor der Stadt schuldig gemacht?“

Die zweite Stadtwache meldete sich zu Wort.
„Das waren zwei Zurak-Anhänger, die Unheil über unsere heilige Stadt bringen wollten. Unser Rat der Drei kennt keine Gnade, was diese Kultisten angeht. Ihr könnt euch gerne auf dem Richtplatz selbst davon überzeugen!“
Mit diesen Worten deutete er in Richtung einer breiten Gasse, an deren Ende sich eine größere Menschenmenge versammelt hatte.

Das düstere Schauspiel, das sich uns dort bot, stand im krassen Gegensatz zur gleißenden Mittagssonne, die die Giebel der Häuser in hellem Licht erstrahlen ließ.
Dicht umringt von meist blonden Imbriern in typischen Bürgertrachten aus edlem Tuch und Stoffhüten, standen drei Männer um den Verurteilten herum, der mit seinem Kopf bereits auf dem Richtblock lag.
Beim Ersten handelte es sich um einen Alunpriester, der mit gesenktem Blick seine Hände bedächtig gefaltet vor sich hielt. Der Zweite war ein breitschultriger, rothaariger Mann, der geifernd und mit vor Zorn zitternder Stimme in die Menge brüllte: „Nieder mit Zurak! Nieder mit deinen dämonischen Machenschaften, Di'Var! Du bist überführt! Wir merzen die Brut aus, indem wir der Schlange den Kopf abschlagen! Tod allen Abtrünnigen! Tod den Kultisten!“
Nach dieser Hasspredigt spuckte er dem knienden Verurteilten ins Gesicht.

Die Sonne hat ihren höchsten Punkt erreicht und erleuchtete hell den Richtplatz.
Der Bespuckte schien ein Edler zu sein, seinem teuren, jetzt aber befleckten Gewand nach zu urteilen. Er blickte voller Angst auf den dritten Mann, der mit nackter, muskulöser Brust und schwarzer Kapuze vor ihm stand.
Auf seiner Schulter ruhte ein großes Beil, auf dessen blank geschliffener Klinge sich blitzend das Sonnenlicht spiegelte. Der Henker blickte noch einmal zum Alunpriester hinüber, der ihm durch ein Nicken zu verstehen gab, dass er seines blutigen Amtes walten sollte. Er holte aus - Zack! - der Kopf fiel in einen Binsenkorb. Aus den Schlagadern des durchtrennten Halses spritzte das Blut so weit, dass die Umstehenden davon besudelt wurden. Ein Soldat trugden Korb zu einer Feuerstelle, wo er mitsamt Inhalt sofort verbrannt wurde. Vor dem kopflosen Leib hatte sich eine große Blutlache gebildet.

Nach der Hinrichtung löste sich die Menschenmenge rasch auf, manche spuckten aus, andere dagegen zogen schweigend von dannen.
Der Alunpriester trat uns freundlich lächelnd entgegen: „Willkommen in Medea!“

„Ich bin Bruder Inotius, der Hohepriester des Stadttempels. Seid gegrüßt im Namen des heiligen Lichtes!“, stellte sich der angegraute Mann vor.
Inotius, der Hohepriester des Stadttempels von Medea.

Edwen: „Seid gegrüßt, im Namen der guten Götter. Mein Name ist Edwen, und dies sind meine Gefährten.“
Jeder stellte sich namentlich vor.

Inotius: „Eine Taube aus Altem hat eure Ankunft vor einem Viertelmond bereits angekündigt - ihr müsst eine beschwerliche Reise gehabt haben.“

Edwen: „Wir hatten zwischenzeitlich noch andere Verpflichtungen - Ihr habt vielleicht von den Trollangriffen gehört?“

Inotius: „Nein, wie ihr gesehen habt, haben wir unsere ganz eigenen Probleme in Medea.“
Dann fiel sein Blick auf die drei Novizen.
„Ihr müsst Zedrick, Tolar und Luth sein, die drei Novizen, die mir der altehrwürdige Ian Terek zur Ausbildung überstellen wollte.“
Sie stellten sich schüchtern vor. Inotius winkte sie zu sich.
„Ihr könnt mich direkt zum Tempel begleiten, das Mittagsgebet steht an. Eure Beschützer können gerne später nachkommen, sie sind herzlich eingeladen! Vielleicht habe ich auch noch einen Auftrag für sie.“

Er wollte sich gerade zum Gehen wenden, als mir noch etwas einfiel.
„Ehrwürdiger Priester, wir haben in Altem eine Rattenplage bekämpft. Der Verursacher sagte bei seiner Verhandlung aus, er habe diese Querflöte von einem Priester in Medea erhalten. Wisst Ihr vielleicht etwas darüber?“

Inotius schaute etwas verdutzt drein und zuckte dann mit den Schultern.
„Ziegen-Druide, ich weiß nichts darüber. Kommt nach dem Mittagsgebet zum Tempel.“
Er wandte sich ab, die drei Novizen folgten ihm im Schlepptau.

Saradar grinste: „Ziegen-Druide, das klingt gut!“
Ich schmollte, was für eine Beleidigung.
„So ein hochnäsiger Hohepriester. Dabei ist Ianna die einzig wahre Gottesmutter!“

Wir beschlossen, das Rathaus aufzusuchen, um dem Stadtherrn eines der versiegelten Schreiben von Syr Goreck zu übergeben. Von einem freundlichen Händler hatten wir uns einen Stadtplan geben lassen.
Der Stadtplan Medeas.

Das Rathaus wirkte irgendwie finster. Es hatte zwar eine weiße Fassade, diese wurde aber von wuchtigem, dunklem Holz umrandet, in das die Wappen der Stadtväter und das Sonnenrad als Symbol des Lichtgottes geschnitzt waren. Auf der dicken Eichentür war das Wappen Imbriens eingeprägt, das die aufgehende Sonne hinter dem Berg des Lichts zeigt. Die Tür war verriegelt, auch ein Klopfen brachte uns nicht weiter. Ein Passant, der große Weinschläuche um den Hals trug, meinte, dass das Rathaus mittags immer geschlossen sei.

Wir folgten Inotius‘ Einladung und gingen zum Lichttempel. Er war von einem lichtdurchfluteten Vorgarten umgeben. Es folgte eine prächtige, ausladende Vorhalle mit zölestischen Statuen. Figuren in Rüstungen, mit großen Flügeln auf dem Rücken, den Blick immer nach oben gerichtet. Bis auf einen fein verzierten Eichentisch in der Mitte der Halle war der Raum leer. Beim Näherkommen erkannten wir einen weiß gewandteten Alunpriester, der mit seiner langen, spitzen Nase über einem großen Folianten brütete. Er schien uns nicht gehört zu haben - komisch bei den hallenden Schritten und Urotas Kettenrasseln - vielleicht etwas schwerhörig der Gute. Er schreckte auf und fiel fast vom Stuhl, als er zufällig über den Bücherrand schaute. Er fasste sich an die Brust und blickte uns aus fragenden, aber auch etwas ängstlichen Augen entgegen.

Edwen ergriff das Wort: „Seid gegrüßt im Namen der guten Götter! Wir kommen auf Inotius‘ Einladung!“

Der Priester gewann wieder an Fassung.
„Seid gegrüßt im Namen des Lichts! Ihr müsst die Söldnertruppe sein. Mein Name ist Bruder Unar. Ich vergaß, war wieder sehr tief in meine Studien versunken.“
Er ließ eine kleine Glocke erklingen, die neben ihm auf dem Schreibtisch stand.

Ein Novize, erkennbar an seiner gegenüber den Priestern sehr schlicht wirkenden Kutte, eilte herbei und führte uns durch einen Bogengang auf der gegenüberliegenden Seite. Ehrfürchtig durchschritten wir in seinem Gefolge einen hellen Säulengang, der die Vorhalle mit dem Haupttempel verband. Zu beiden Seiten des Ganges konnten wir einen Blick in den Tempelgarten werfen, in dem Blumen in allen möglichen leuchtenden Farben erblühten. Bei diesem Anblick ging mir das Herz auf. Der runde Durchgang war von Abbildungen verschiedener zölestischer Wesen gesäumt, die kunstvoll aus dem weißen Stein herausgearbeitet waren. Als wir den Haupttempel betraten, drang mir ein leichter Geruch von Weihrauch in die Nase. Der Boden war so glatt poliert, dass sich auf ihm die bunten Deckenfresken spiegelten, die Szenen der Schöpfungsgeschichte zeigten.

Vor dem Altar des Lichts stand Bruder Inotius. Er drehte uns den Rücken zu und war in eine Unterhaltung mit zwei Brüdern vertieft. Diese blickten etwas entsetzt drein, als plötzlich ein riesiger Hügeltroll mit zwei Stadtwachen im Schlepptau in den Tempel stapfte.
Ich sah die drei Novizen vor dem Altar knien. Sie waren ins Gebet vertieft. Inotius kam uns lächelnd entgegen.
„Seid gegrüßt im Namen des heiligen Lichts! Willkommen im hohen Tempel!“
Er holte weit aus und schweifte weit ab, als er uns den Tempel und die Szenen erklärte, die auf den Fresken abgebildet waren. Als er gerade erläuterte, was es mit der Eule auf sich hatte, zeigte ihm Vivana ihren Jade-Talisman.
„Das allsehende Auge als Zeichen der Weisheit, ja, auch Skia ist ein Kind Aluns. Befragt das Auge, wenn ihr einmal nicht weiter wisst.“

Saradar trat vor: „Ihr habt gesagt, Ihr hättet vielleicht noch eine Aufgabe für uns.“
Da sprach wohl sein leerer Geldbeutel.

Inotius: „Auf die Novizen wartet ihr Aufnahmeritual. Als erste Aufgabe müssen sie aus der heiligen Quelle im Wald trinken. Es dient der inneren Reinigung. Wenn ihr möchtet, könnt ihr die drei begleiten. Dafür wäre ich euch sehr dankbar. Habt ihr schon von der Hexe im Wald gehört? Dann auch noch die vielen Räuberbanden! Von den Trollen ganz zu schweigen …“
Sein Blick traf auf Urota: „Ihr entschuldigt meine Worte?“
Unser Troll hatte mal wieder nichts mitbekommen, er fand die Erzählung wohl sehr ermüdend und hatte sich beim Rundgang einen Spaß daraus gemacht, die Wächter zu ärgern, indem er im Slalom um die Säulen gelaufen war, damit sich die Ketten ineinander verwickelten - er nickte aber zustimmend.

Saradar konnte sich eine Frage nicht verkneifen.
„Was kriegen wir dafür?“
Er erntete dafür von Edwen einen Stoß in die Rippen.
"Au, ich bin da empfindlich!"

Inotius: „Der gerechte Lohn unseres Allvaters soll euch zuteil werden!“
Sicher keine Antwort, wie sie sich Saradar erhofft hatte.

Wir stimmten zu und verließen in Begleitung der drei gut gelaunten Knaben den Tempel, mit angekettetem Hügeltroll und verzweifelten Wachen im Schlepptau.

Samstag, 18. Februar 2017

Des Henkers Braut - Kapitel 1: Vorboten des Chaos

Tarso hatte uns wieder zwei seiner Gespanne für die zweitägige Reise nach Medea geliehen. Ich saß mit den drei Novizen auf einem der Wagen. Der jüngste der drei, Zedrick, blondgelockt und mit ganz roter Nase - er schien erkältet zu sein - berichtete mir:
„Wir dachten wirklich, die Trolle hätten euch erschlagen. Wir waren drauf und dran auf eigene Faust nach Medea aufzubrechen, aber Tarso hat uns - zu unserem Glück - davon abgehalten.“

Finn: „Ja, hat er uns erzählt. Er ist zwar immer auf seinen Gewinn bedacht, aber in diesem dicken Leib schlägt ein gutes Herz“, lächle ich.

Zedrick: „Ja, ihr habt Recht - Hatschi! - Habe mir eine schlimme Erkältung geholt, hoffe ich stecke euch nicht an!“

Finn: „Faune sind da nicht so empfindlich, was Menschen-Krankheiten angeht!“

Der Novize Luth tippte mir von hinten auf die Schultern: „Finn, Ihr wart an der Stelle stehengeblieben, als ihr den Trollriesen mit eurem Klettenkraut besiegt habt - erzählt bitte weiter! Ihr wisst doch, ich schreibe eine bescheidene Chronik über unsere Reisen, der tut ein wenig Pfeffer von Euren Abenteuern sehr gut!“

Urota saß mit auf dem Wagen und war vor lauter Lachen nicht mehr einzukriegen, der ganze Wagen wackelte und drohte umzukippen.
„Faun besiegen Riese - hahaha - der FAUN - hohoho!“
Ihm glitt seine Decke vom Rücken und als er sich umdrehte, um sie wieder überzuwerfen, konnte ich einen kurzen Blick auf das Symbol erhaschen, das ihm die Hexe kurz vor ihrer Begegnung mit Mortarax in den Rücken geritzt hatte.
Es handelte sich um das Trollsymbol für „Tod“, doch es war unvollendet geblieben.

Die Sonne stand tief am Horizont. Wir hatten soeben ein kleines Wäldchen passiert, als Edwen ein lautes „Halt!“ rief und die Pferde des ersten Gespanns zügelte.
„Es ist Zeit, unser Lager aufzuschlagen!“

Ich suchte mir ein Plätzchen am Waldrand aus, soweit weg wie möglich von Urotas sägendem Organ. Hier war alles mit Moos überwuchert und ich freute mich schon auf einen geruhsamen Nachtschlaf. Im Zelt nebenan hörte ich plötzlich Saradar.
„Vivana, das kitzelt, ich bin da sehr empfindlich!“ - Vivana: „Man sieht überhaupt nichts mehr von deinen blauen Flecken, sei nicht so wehleidig!“ - Saradar: „Au, das tat jetzt aber richtig weh!“ - Vivana: „Und so etwas will ein Krieger sein!“ - Saradar: „Ich bin Barde und eigentlich zartbesaitet.“

Tarquan, der uns um jeden Preis begleiten wollte, ging just in diesem Moment am Zelt vorbei - und schien seinen Ohren nicht zu trauen. Er lauschte kurz - und stürmte dann hinein. Kurz darauf kam Vivana mit einem Rückwärtssalto aus dem Zelt heraus, die beiden Männer hinterher.
„Kann ich euch damit nicht beeindrucken?“ - Saradar: „Du solltest mir doch mit Ruß und Alkohol ein Dreieck tätowieren - jetzt sieht es aus - wie, wie“, schrie er lauthals Vivana hinterher.

Das war zu viel. Mein Huhn kam gackernd und mit seinen gestutzten Flügeln schlagend aus meinem Zelt hervor und lief in seiner Panik direkt auf den halbnackten Barbaren zu, um dann abrupt stehenzubleiben. Die beiden blickten sich tief in die Augen. Das Huhn kippte um, es konnte Saradars Blick nicht standhalten.

Ich brachte es schnell vor dem Barbaren in Sicherheit, der inzwischen wieder - kochend vor Wut - in seinem Zelt verschwunden war. Ich bekam gerade noch so mit, wie Pferd Vivana hinterher lief, doch sie zeigt ihm nur ihre kalte Schulter.

Die Sonne ging unter. Ich machte es mir auf dem Moos gemütlich. Im Westen ging Zama auf. Der helle Mond war voll und tauchte die Landschaft in ein gespenstisches Licht. Der dunkle Mond Lor würde ihm - wie in jeder Nacht - folgen und über das Firmament jagen. Die Legenden besagten, dass eine Überdeckung der beiden das Zeichen für einen Kataklysmus sein sollte, der ganz Ion erschüttern würde. Mit einem mulmigen Gefühl musste ich wieder an die Höhle der Schattentrolle denken, wo ich das Symbol des Verborgenen Gottes gesehen hatte - und das Symbol der Spinne, deren Sternbild über mir im Zenit stand. Beunruhigt von diesen Gedanken, fiel mir das Einschlafen schwer.

Was war das? Ein grünlicher Schimmer zwischen den Bäumen, der mich in seinen Bann zog. Ich konnte mich nicht dagegen wehren, meine Beine bewegten sich wie von selbst, meine Füße schienen nicht mehr den Boden zu berühren. Sie brachten mich zu einem Baum, dessen Stamm die Form eines Gesichts hatte. Aus zwei nebeneinander liegenden Astlöchern drang ein pulsierendes, grünes Leuchten. Dann erklang eine tiefe Stimme, mehr in meinem Kopf als von außen. „Wandle dich, du Diener der Erdgöttin, wandle dich! Nutze deine Gabe!“

Meine Haare wuchsen, mein Kopf verlängerte sich, die Hörner verschwanden, meine Hufe wurden zu Klauen - aber anders als sonst - wuchs ich. Auf vier Beinen rannte ich durch den Wald - unermüdlich. Ich spürte eine unbändige Kraft in mir. Als ich schließlich einen grasbewachsenen Hügel erreicht hatte, stand ich im hellen Lichte Zamas. Ich konnte nicht anders, als ein Heulen ertönen zu lassen.
Ein Wolfstraum.
Ich wurde wach. Ich lag in meinem Zelt, mein Fell war ganz nass. Ich musste stark geschwitzt haben in der Nacht. Das Huhn lag auf meinem Bauch - noch in der gleichen Schockstarre wie am Abend zuvor - seltsam. Es musste ein Traum gewesen sein. Ein Wolfstraum - wie damals als Kind, als ich träumte, mich in ein Eichhörnchen verwandeln zu können. Ich betete an meine Göttin: „O Ianna, ich danke dir für diese reiche Gabe, die du deinem bescheidenen Diener verleihst!“

Meine Gefährten saßen bereits beim Frühstück. Vivana war in eine Decke gehüllt und hatte gerade eine Nießattacke, die gar nicht aufhören wollte.
„Das kommt davon, wenn man einem Barbaren zu nahe kommt“, sagte ich im Spaß - was bei Saradar aber nicht so ankam. Er schien immer noch verärgert von gestern Abend zu sein, denn er ballte seine Faust - und - „Wusch!“ - sie schwang knapp an meiner Nase vorbei. Ein erschrockenes Gackern - ich hatte mein Huhn in meiner Lederrüstung versteckt - es schien aus seinem Schockzustand erwacht zu sein. Ein Ei plumpste mir zwischen die Beine.

Finn: „Au! Spinnst du?“ - Saradar hatte mir im Moment meiner Ablenkung voll auf die Nase gehauen.
„Musst du deine schlechte Laune an mir auslassen!“
Beleidigt verwandelte ich mich in ein Eichhörnchen und suchte das Weite. Das Huhn sprang mir gackernd hinterher. Ich hörte Edwen noch sagen: „Der kommt schon wieder zurück!“

Er hatte natürlich Recht, Faune sind recht schnell, aber nie sehr lange beleidigt. Zum Glück saß ich nicht auf dem gleichen Gespann wie Saradar, dieser launige Möchtegern-Barde.

Jetzt hatte es auch den dritten Novizen, Tolar, erwischt, der mit einer Triefnase hinter mir saß.

„Wir müssten bald da sein, ein Hügel noch!“, rief uns Edwen vom vorderen Wagen zu. Ein Pferd mit zwei Reitern überholte uns. Es waren Tarquan und Vivana, die sich fest umschlungen hielten. Er hatte ihr am Morgen Kräuter gegen ihre Erkältung gebracht und sie schien ihm vergeben zu haben.

Sie hatten Edwen überholt und gerade den Scheitelpunkt des Hügels erreicht, als sich plötzlich Tarquans Pferd aufbäumte und die Reiter fast abwarf. Es wieherte und sträubte sich angsterfüllt.

Der Himmel hatte sich mittlerweile verdunkelt, es sah nach Regen aus.

Auf dem Hügel angekommen, konnte ich endlich sehen, was das Pferd so erschreckt hatte. Auf beiden Seiten des Weges standen Galgen, an denen stark verweste Leichen baumelten.

Saradar: „So verfährt Medea also mit seinen Dieben“, sein Blick streifte Vivana.

Finn: „Wie kommst du drauf, dass es Diebe waren?“

Saradar: „Faun, bist du blind? Ihnen fehlen die Hände!“

Faun: „Aber auch die Zunge, vielleicht waren es ja Magier, Medea ist doch die Hochburg der Alunpriester, die Jagd auf Magier machen.“

Tarquan: „Augen haben sie auch keine mehr - aber waren bestimmt die Krähen!“

Eine dunkle Vorahnung kroch mir ins Herz. Schwarze Wolken verdunkelten die Sonne. Stumm und mit schlimmen Vorahnungen überquerten wir den Hügel.

Als endlich wieder die Sonne durch die Wolken brach, heiterte sich auch unsere Stimmung wieder auf. In der Ferne konnten wir Medea erkennen, die kleine imbrische Stadt mit ihrem Lichttempel. Seine drei Türme wurden in ein blendendes Gelborange getaucht. Im Hintergrund trat der majestätische Mon Alunas aus einem Wolkenschleier hervor. An den Hängen konnte ich zwei der sieben Klöster erkennen, die in verschiedenen Höhen erbaut worden waren und die sieben Stufen der Priesterschaft symbolisierten.

Sonntag, 5. Februar 2017

Abenteuer 4: Des Henkers Braut - Prolog

Es war nicht einfach, das Karawanenlager im Chaos des Nordmarktes wiederzufinden. Wir hatten Tarso Payn, dem Karawanenführer, versprechen müssen, ihm seine Gespanne zurückzubringen. Als wir es nach langwierigem Durchfragen und völlig erschöpft endlich gefunden hatten, stürzte uns Tarso auch schon entgegen: »Ein Glück, ihr lebt! - Da sind ja auch meine Gespanne! - Ich habe schon das Schlimmste befürchtet! - Ihr wart lange weg! - Wir müssen doch nach Süden aufbrechen! - Wolltet ihr nicht diese Novizen nach Medea bringen? - Das liegt aber im Osten! - Sie wollten schon ohne euch aufbrechen! - Jetzt essen sie sich auf meine Kosten die Bäuche fett! - Hätte ich sie doch ziehen lassen! - Aber dann hätten sie wahrscheinlich ihr Ende im Bauch eines Riesentrolls gefunden! - Was für ein Dilemma!«
Tarso Payn, der Karawanenführer.
Tarso war völlig außer Atem nach dieser Tirade. Er keuchte und schnappte nach Luft, seine Lippen waren blau verfärbt. Wir beruhigten ihn und vereinbarten, innerhalb eines Mondes mit ihm nach Süden in Richtung Skilis aufzubrechen. Er gab sich damit zufrieden. Die Novizen und unser Versprechen hatten wir – ehrlich gesagt – völlig vergessen.

Syr Edwen kannte sich in Imbrien aus. Er schätzte, dass wir etwa zwei Tagesreisen bis nach Medea brauchen würden. Medea, die Stadt am Fuße des gewaltigen Mon Alunas, dessen Silhouette Teil des imbrischen Wappens war. Wir würden zwar auf festen Straßen durch Imbrien reisen, er habe aber auch von Räuberbanden gehört, die auf uns lauern könnten.

Tarso hatte uns gebeten, ihm bei den Vorbereitungen für die Rückreise zu helfen. Wir entschieden, unsere Gruppe aufzuteilen. Widun, Anneliese und Tarkin würden zur Unterstützung auf dem Nordmarkt bleiben, der Rest sollte den Novizen als Begleitschutz dienen.

Bis es soweit war, blieben uns einige Tage Zeit, die jeder auf seine Weise nutzte.
Widun freute sich darauf, die Anhängerschaft des Schratenherrn Mnamn unter den Besuchern des Nordmarktes noch weiter zu vergrößern, obwohl er – was er natürlich nie zugeben würde – noch verkatert vom letzten Saufgelage mit Halars Söldnern war.
Anneliese wollte die Zeit nutzen, noch ein wenig bei den Schmuckständen und Talismanhändlern zu stöbern – sie war wie immer auf der Suche nach magischen Artefakten.
Tarkin bot mit leicht zittriger Stimme an, sie in den gefährlichen östlichen Teil des Marktes zu begleiten. Warum war er bloß immer so nervös, wenn er mit der kleinen Koboldmagierin sprach?
Anneliese lieh mir ein Buch über Erdmagie aus und zeigte mir, wie ich meine Aura zum Zaubern nutzen kann: »Ianna ist doch die Erdmutter, sie wird schon nichts dagegen haben, wenn du etwas Erdmagie beherrschst!«
Syr Edwen hatte sich mit einigen der Söldner angefreundet und lernte neue Kampftechniken von ihnen. Der Söldner Mond zeigte ihm den »Todesstoß«, während ihm Zopf demonstrierte, wie ein »heftiger Angriff« ausgeführt wird.
Vivana deckte sich mit seltenen Ingredienzien ein. Sie liebte den Nordmarkt für seine exotischen Krämer. Sie erzählte, dass sie einen alten Giftmischer kennengelernt hatte, der sie jetzt in Giftkunde unterwies und ihr einige neue Rezepte beibrachte. Blieb nur zu hoffen, dass unsere »Giftprinzessin« ihre Talente weiterhin nur bei unseren Feinden einsetzen würde.

Mir war aufgefallen, dass sich der Hügeltroll Urota seit unserem letzten Abenteuer merklich verändert hatte. Er schien wieder gewachsen zu sein und war in-sich-gekehrter als je zuvor. Er verhüllte sich neuerdings mit einer Decke, die jedoch nicht verbergen konnte, dass er eine Art Symbol auf dem Rücken trug. Es war wohl nicht bloß ein Kratzer gewesen, der ihm da von der Trollhexe zugfügt worden war.
Der Barde Saradar hingegen schien sich - bis auf eine große Beule am Kopf und mittlerweile grün verfärbte Blutergüsse an den Rippen - gut erholt zu haben. Seine Kommentare waren wieder bissig wie eh und je.

Die drei Novizen – die tatsächlich etwas zugelegt hatten – wurden schließlich ungeduldig und drängten uns zur Eile: »Der Hohepriester in Medea erwartet uns seit einem Viertelmond! Der altehrwürdige Terek hat uns doch schon mit einer Taube bei ihm angekündigt!«
Syr Edwen beschwichtigte sie mit einem wohlmeinenden Lächeln: »Ihr werdet euren Mon Alunas schon früh genug zu Gesicht bekommen! Wir brechen morgen auf!«
Wir deckten uns am Vorabend noch mit Proviant ein. Alle waren verdutzt, als ich mit einem – lebendigen – Huhn vom Einkauf zurückkam.
Saradar forderte: »Was willst du denn damit? Gib's her, das brat' ich und das ess' ich!«
Urota tropfte der Speichel vom rechten Kinnhauer: »Lecker. Ich Feuer machen!«
Ich musste meinen Neuerwerb verteidigen: »Das habt ihr euch so gedacht. Das ist mein Huhn! Und es wird mir hoffentlich jeden Morgen ein schönes Frühstücksei legen!«
Das Huhn, das wohl die gierigen Blicke des Barbaren und des Trolls richtig zu deuten wusste, verschwand mit einem Gackern unter meiner Lederrüstung.