Samstag, 9. Juni 2018

Der letzte Tanz - Kapitel 8: Das Turnier am Regenfels

Auf dem Festplatz vor der Burg ergab sich ein beeindruckendes Bild. Neben zahlreichen Zelten hatten sie auch eine gewaltige Tribüne errichtet. Über den Zelten flatterten Banner in allen Farben, darunter ein gelbes Banner mit einem Streithammer, ein hellblaues mit einem Albatros, ein graues mit einem brennenden Turm – und viele weitere mehr. Ein großer Platz vor der Tribüne war mit Sand bestreut worden und mit einem Zaun umgrenzt. Weitere Fahnen, Wimpel und Schilde mit prächtigen Wappen wurden im Bereich der Zelte, an der Tribüne und an zahlreichen Stangen aufgehängt. Zwischen den Zelten und auf dem großen Platz herrschte ein buntes Treiben. Ich konnte Knappen sehen, die Rüstungen und Schwerter polierten, Stallburschen, die die Pferde fütterten, Mägde, die Gemüse und Wasser in die Zelte der Ritter brachten. Zahlreiche Handwerker waren noch mit der Fertigstellung der Tribüne beschäftigt, während Schmiede die stolzen Schlachtrösser mit neuen Hufeisen versahen. In einem anderen Bereich wurden Schießscheiben aus Stroh aufgestellt, in der Nähe saßen Pfeilmacher, die sich beeilten, genug Pfeile für das Bogenschießen herzustellen. Auf einer angrenzenden Wiese hatte sich ein Barde niedergelassen, der lustige Lieder zum Besten gab und von den Bürgern, die sich das bunte Treiben nicht entgehen lassen wollten, ein ums andere Mal mit einem Silberling belohnt wurde.

Ich sah einen Knappen, der ein Fass laut polternd einen Hang hinunterrollen ließ, um es dann mühsam wieder hinaufzurollen. Schweiß tropfte von seiner Stirn, als ich ihn neugierig fragte, was er da tat. Der Junge verbeugte sich höflich und stellte sich vor: »Mein Name ist Gerdwyk, ich bin der Knappe des edlen Ritters Syr Hradwyn, des Hüters von Quenlins Cayp.« Er zeigte auf ein nahegelegenes Zelt, über dem ein Banner mit einem doppelköpfigen Adler über einem freien Feld flatterte. »So reinige ich die Rüstungsteile meines Herrn. Im Fass sind Sand und seine Eisenschuhe, die ich dadurch vom Rost befreie. Natürlich muss ich sie danach noch polieren.«
»Für die Vermählungsfeierlichkeiten?«, fragte ich naiv. »Für das Turnier natürlich!«, rief er fröhlich aus und ließ das Fass mit einem Fußtritt wieder hinunterpoltern.

Plötzlich ertönte eine Fanfare. Ich sah, wie die Leute in Richtung Turnierplatz strömten – wir schlossen uns an. In der Mitte des Sandplatzes stand ein Herold, der, nachdem sich die Menge ein wenig beruhigt hatte, mit gewählten Worten ansetzte: »Hört, hört. Die Anmeldungen für den Buhurt, das Bogenschießen und den Tjost schließen in zwei Stunden. Ich erinnere: zum Tjost sind nur gesalbte Ritter zugelassen. Der Sieger des Buhurt darf sich eine der edlen Waffen aus der Waffenkammer des Hochfürsten aussuchen. Der Sieger des Bogenturniers erhält vier Goldtaler und einen echten Silbereschenbogen aus der hochfürstlichen Waffenkammer. Der Sieger des Tjost schließlich erhält ein Preisgeld von zwanzig Goldtalern und das sagenumwobene Krysar-Schwert der Familie von Burg Regenfels. So tretet heran, ihr mutigen und furchtlosen Ritter und Recken!«

»Na dann hoffe ich mal, der edle Fürst hat eine Zweililie in seiner Waffenkammer!«, lachte Saradar und ging schnurstracks auf einen der drei Eichentische zu, die am Rande des Turnierplatzes standen. Über den Tischen hingen Holzschilder. Ich erklärte sie mir so: »Axt und Schwert, das musste für den Buhurt stehen, der Ritter für den Tjost und Pfeil und Bogen waren selbsterklärend.«
Saradars Schlange wurde kürzer, nachdem ein dicker, übel stinkender Bauer seine Keule vom Tisch genommen und darauf einen kleinen Misthaufen zurückgelassen hatte. Er trug eine große Narbe im Gesicht und zog gerade seine Rotze hoch, als er an mir vorüberging.
»Na, da kann ja wohl jeder mitmachen«, sagte ich zu Saradar. »Alles unter Faungröße sicher nicht, ich kann ja nicht ständig nach unten schauen, um nicht auf dich draufzutreten!«, konterte Saradar.
Ein anderer Gjölnar hinterließ drei Kreuze auf dem Anmeldebogen, dann war Saradar an der Reihe. Aus den Augen des Gelehrten, der die Anmeldungen durchführte, sprachen Güte, aber auch tiefer Schmerz. Er begrüßte Saradar: »Willkommen beim Buhurt! Hier wird zu Fuß gekämpft und zwar solange, bis ein Kämpfer dreimal getroffen zu Boden geworfen wurde oder aufgibt. Alle kämpfen gleichzeitig, bis nur noch ein Kämpfer übrig ist. Wollt Ihr wirklich teilnehmen? Verletzungen werden hier nicht abgegolten und sind so gut wie sicher.« Saradar lachte ihn aus und unterschrieb.

Der Buhurt war sicher nichts für mich, aber das Bogenschießen sah interessant aus. Maluna stand schon bei der Anmeldung und ich stellte mich hinten an. Als ich an der Reihe war, bellte mir ein junger, schlecht rasierter askalonischer Soldat entgegen: »Die Anmeldung kostet Euch zwei Silberlinge!«
Als er merkte, dass ich vom Tisch zurücktreten wollte, erhob er sich.
»Ihr erhaltet auch fünf Turnierpfeile, die ihr behalten dürft. Wollt Ihr Euch jetzt eintragen?«
Ich stimmte zu und unterschrieb. Er drückte mir die Pfeile in die Hand.
»Morgen zur ersten Vormittagsstunde geht es los, seid pünktlich auf dem Schießplatz!«

Ich sah, dass auch Urota am Buhurt teilnehmen wollte. Der Gelehrte erhob sich jedoch und winkte ab: »Wir werden hier sicher keinen Troll zulassen.«
Ein Mann mit Knollennase trat zum Tisch. Es war einer der beiden Männer, die sich auf der Wegburg zwischen den Hochfürsten und Syr Madhur gestellt hatten. Der Gelehrte nickte ihm freundlich zu: »Ihr stimmt mir doch sicherlich zu, Waffenmeister Radex, einen Troll können wir nicht zum Turnier zulassen!«
Der Angesprochene wandte sich direkt Urota zu: »Unser Hochfürst schickt mich, er hat einen Vorschlag für Euch, Hügeltroll – wie war doch gleich Euer Name?« »Urota Nero«, brummte dieser.
»Ihr dürft am Turnier teilnehmen, wenn ihr in einen Faustkampf gegen einen noch zu bestimmenden Gegner einwilligt. Seid Ihr bereit dazu, Urota?«
Der Hügeltroll nickte begeistert.

Unser Koboldkumpan Tarkin – Verzeihung, natürlich Syr Tarkin – wollte sich die Gelegenheit nicht entgehen lassen, als frisch gesalbter Ritter am Lanzenstechen teilzunehmen. Er stand in der Reihe hinter einem stattlichen, jungen Ritter, der seinen Helm unter dem Arm trug und dessen Umhang im Wind flatterte. Sein Wappen zeigte drei goldene Speere zu Füßen einer goldenen Rose. Der Ritter trat an den Tisch heran und trug sich mit einer großen Schwanenfeder in die Turnierliste ein. Im Weggehen musterte er den Kobold verwundert: »Ihr wollt ein Ritter sein? Wo sind Ross und Rüstung? Habt Ihr überhaupt eine Lanze?« Der Schreiber hinter dem Tisch stand kurz auf und blickte auf den bedröppelt dreinschauenden Kobold herab: »Eine Lanze können wir Euch stellen, aber den Rest müsst Ihr Euch besorgen. Geht doch mal zu den Handwerkern und Schmieden rüber.«
Der Waffenmeister schien Tarkins Dilemma mitbekommen zu haben.
»Syr Tarkin, ich soll Euch für Eure Tapferkeit vom Hochfürsten diesen Goldtaler zukommen lassen. Er möchte unbedingt, dass Ihr am Turnier teilnehmt. Geht am besten gleich zum Rüstungsmacher und sagt ihm, dass ich Euch geschickt habe. Er kann sicher in dieser kurzen Zeit kein Meisterstück abliefern, aber für das Turnier sollte es reichen!«
»Fehlt nur noch das Ross!«, überlegte Tarkin laut. Saradar klopfte ihm auf die Schulter: »Du kannst natürlich mein Schlachtross reiten, ich freue mich schon auf den Anblick!«
Radex hatte noch einen Ratschlag: »Syr Tarkin, lasst Euch beim Sattler eine Schabracke fertigen und den Sattel anpassen, damit Ihr nicht schon vorher herunterfallt!«

Plötzlich wieder Fanfaren und Jubelrufe aus dem Dorf, aus allen Himmelsrichtungen strömten die Menschen herbei. Sie ließen eine Gasse frei für einen langen Reitertross, der sich wie eine mit Flaggen und Bannern gefiederte Schlange seinen Weg durch die Menschenmenge bahnen musste.
»Der Hochfürst kehrt zurück auf seine Burg! Er ist immer noch sehr beliebt, auch wenn es viele gibt – wie diesen Madhur – die seine Entscheidung in Frage stellen, die Burg durch die Vermählung in imbrische Hände zu übergeben.«
Im Tross konnte ich Syr Wunnar von der Wegburg erkennen, auch die »Roten Klingen« Galinea und Lyr waren dabei, der junge Ritter Syr Tergen aus der Altmark.
Als er uns sah, stieg Syr Wunnar vom Pferd, nahm einen Schluck aus seiner Schnapsflasche und wünschte uns viel Glück beim Turnier. »Auch ich werde mein Glück als >neuer Ritter< beim Tjost versuchen, auch wenn ich mir aufgrund meines Alters da wenig Chancen ausrechne. Ich hoffe, ich breche mir nicht alle Knochen im Leib.« Er nahm noch einen Schluck aus der flachen Flasche, die er stets an einen Faden gebunden um den Hals trug.

Der Waffenmeister verabschiedete sich von uns. »Ich kann Euch leider nicht in die Burg einladen, diese ist aufgrund der Vorbereitungen für die Vermählung für Gäste gesperrt. Ihr könnt Euch aber sicher im Dorf einen Schlafplatz suchen. Wir sehen uns dann morgen beim Turnier.«

Beim Überqueren der Hauptstraße mussten wir aufpassen, nicht von einem großen, mit einem halben Dutzend vollen Bierfässern beladenen Wagen überrollt zu werden. Ein alter Ackergaul zog das rumpelnde Gefährt, auf dessen Kutschbock sich drei Schrate lautstark in ihrer knarzigen Sprache stritten.
»Ich werde mal sehen, wo sie die Fässer hinbringen. Vielleicht kann ich dem Wirt mit einem Segen dienlich sein!«, rief Widun und rannte dem Wagen hinterher.

Ein Spielmann begann – an den Rand des Dorfbrunnens gelehnt - seine Bardenlieder zum Besten zu geben. Er trug eine große Feder am Hut und hatte einen langen, gegabelten blonden Bart, den er mit Klammern am Saum seines Umhangs befestigt hatte. Ich vermutete, dass er so verhindern wollte, dass sich die Haare in den Saiten seiner Laute verfingen.
Als er eine Pause einlegte, um seine Stimme mit einem Schluck Gerstensaft zu ölen, trat Anneliese an ihn heran.
»Mein haariges Kind, was kann ich für Dich tun?«, fragte er sie. Sie stellte sich vor und er entgegnete die Höflichkeit: »Sehr erfreut, ich bin Agalfar, die Leute kennen mich auch als den Gewitzten. Ich stamme aus Tanadom und verdinge mich – wie ihr ja schon vernommen habt – als Spielmann.«
Anneliese blickte sich vorsichtig um und fragte ihn dann: »Sagt, als Barde erfährt man doch so einige Dinge, ich hätte da mal eine Frage an Euch.« Sie kletterte auf den Brunnenrand und flüsterte ihm etwas ins Ohr. Der Barde sah sie erstaunt an, kratzte sich am etwas verfilzten Kopf und antwortete im Flüsterton: »Ich kenne da jemanden, ich lasse ihm eine Nachricht zukommen und Du kannst ihn dann heute Nacht aufsuchen! Komm' in einer Stunde nochmal vorbei, dann sage ich Dir, wo Du ihn treffen kannst.«
Wir blickten Anneliese fragend an, diese lächelte bloß, zuckte mit den Schultern und meinte: »Ihr wisst doch, immer auf der Suche.«

Die beiden Herbergen des kleinen Dorfes waren überfüllt, auch die Burg durften wir nicht betreten und keiner hatte daran gedacht, ein Zelt zu besorgen.
»Wir könnten bei einem Bauern fragen, ob wir im Stall übernachten dürfen, dann hätten wir es wenigstens schön warm.«
»Und riechen schön nach Stall am nächsten Morgen«, rümpfte Anneliese die Nase.
Maluna klopfte bereits an die große Holtztür des nächstbesten Bauernhauses: »Lasst mich mal machen!«
Ein dicker, verschwitzter Bauer öffnete genervt die Tür – als er Maluna erblickte, huschte ein anzügliches Grinsen über sein Gesicht: »Was wollts denn ihr? Suchst a Platz zum Schlafe, da seids hier falsch, aber wenn die schöne Rothaarige bei mir bleibts die Nacht, könnt I scho was mache.«
Angewidert trat unsere Faueralwe einen Schritt zurück: »Nie und nimmer!«
»Dann machts Euch fott!«, knallte der Bauer die Tür hinter uns zu.

Mittlerweile war Widun zurückgekehrt, er schwankte etwas und berichtete begeistert von den Vorzügen des dunklen Schratenbieres, das er für den Gastwirt geweiht hatte.
Bei Einbruch der Dunkelheit stahl sich Anneliese davon, nur um kurze Zeit später mit freudestrahlendem Gesicht zurückzukehren. Sie zeigte uns ihren Neuerwerb: »Der Barde kannte einen Schwarzhändler, bei dem habe ich mir diesen roten Stein gekauft. Seht nur, wie er funkelt vor flammender Aura! Feuer ist eben mein Element!«

Wir suchten uns einen Kuhstall aus und warteten, bis im Bauernhaus die Kerzen ausgegangen waren. Auch Anneliese war jetzt dank des magischen Steins der Geruch egal. Als sich Urota ins Heu warf, knackten die Balken und die Kühe wurden unruhig. Wir hörten Schritte und versteckten uns hinter den Heuballen. Das Scheunentor ging auf und wir hörten nur ein »Halt's Schnauze, Gerda!« - bevor das Tor mit einem lauten Knall wieder zugeschlagen wurde.
»Wo steckt eigentlich Vivana?«, fragte ich in die Runde. »Bestimmt im Pferdestall!«, lachte Saradar. In Vorfreude auf das morgige Turnier schlief ich rasch ein.

Ich wurde jäh aus dem Schlaf gerissen – der Hochfürst hatte angewiesen, dass pünktlich zum Sonnenaufgang zehn Posaunen über dem Regenfels erschallen sollten. Ich schüttelte mir das Stroh aus dem Fell. Gerade noch rechtzeitig bevor der Bauer den Stall zum Melken betrat, hatten wir uns hinausgeschlichen. An einem Bach machten wir uns frisch und besorgten uns bei einem anderen Bauern Brot, Butter, Schinken und Eier für ein kräftiges Frühstück. Nachdem Tarkin sich seine Rüstung abgeholt hatte – die für die kurze Fertigungszeit sehr stattlich aussah – half ihm Saradar beim Satteln des Schlachtrosses.
Ich hatte mich mit Maluna verabredet, um vor Beginn des Wettkampfes ein paar Übungspfeile abzuschießen. Statt des anvisierten Strohballens schoss ich mir einmal beinahe selbst in den Fuß. Bei dieser Streubreite konnte ich mir selbst Außenseiterchancen abschminken. Maluna dagegen hatte offensichtlich ein angeborenes Talent zum präzisen Schuss. Mit ruhiger Hand versenkte sie einen um den anderen Pfeil im Strohballen.
Eine Fanfare kündigte die baldige Eröffnung des Turniers an. Wir schritten in Richtung Turnierplatz. Zahlreiche Menschen aller Schichten – Arme in Lumpen, Reiche in Pomp – hatten sich auf dem Nebenplatz des Tjostfeldes versammelt. Jetzt trat der Hochfürst selbst unter Fanfaren auf die Tribüne, begleitet von seiner bezaubernden Tochter und ihrem Verlobten, Syr Zaran. Zahlreiche Ritter füllten die Plätze um den Hochfürsten herum und dem gemeinen Volk zugewandt hatten sich einige Wachen postiert.


»Ruhe, Ruhe, Silenzio!«, schrie ein Herold, um das Getuschel der Zuschauer zum Erliegen zu bringen. Der Hochfürst erhob sich und begrüßte die Menschen mit fester, aber freundlicher Stimme: »Meine lieben Menschen von Burg Regenfels, liebe Askalonier, liebe Imbrier, werte Damen, werte Herren! Ich freue mich, das Turnier zu Ehren der Vermählung meiner Tochter Firnja und zur Feier des Sieges im Grünen Kessel, eröffnen zu dürfen. Ich wünsche allen eine wundervolle Zeit sowie spannende und faire Wettkämpfe!«
Jubel brandete auf, der erst wieder abebbte, als der Herold begann, beschwichtigende Gesten aufzuführen.

»Hört, hört. Folgende Schützen treten heute im Bogenschießen gegeneinander an: Maloren der Gelbe, Soldat der imbrischen Armee.« Es erklang ein Johlen aus der Gruppe der imbrischen Soldaten. »Isgard Falkenauge, askalonischer Bogenschütze der Bruderschaft der Gekreuzten Schwerter. Feynwyr, Bogner der Roten Klingen. Rugar der Späher, bester Bogenschütze von Burg Regenfels.« Hier wurde der Beifall richtig laut. »Tarun, ein Jujin aus dem Söldnerlager des berühmten Marulion Blutsohn. Adana Gyl, auch bekannt als die treffsichere Maid vom Regenfels. Und Myk, Knappe unseres verehrten Syr Zaran, des Bräutigams.« Es folgten weitere Namen der langen Liste. »Sowie Finn, der Faun und Maluna, die Feueralwe vom Bund aus Blut und Feuer.«
Jeder hatte drei Schuss frei, als Zielscheiben dienten bespannte Strohballen. Mir war ja schon vorher klar gewesen, dass ich in diesem Feld keine Chance haben würde, immerhin traf ich einmal die Scheibe und verletzte niemanden durch meine Fehlschüsse. Maluna traf die Scheibe dreimal im Randbereich. Falkenauge und Tarun lieferten sich ein spannendes Duell, beide hatten mit ihren drei Schüssen genau die Mitte getroffen. Das anschließende Stechen entschied Tarun für sich, indem er es schaffte, den Schaft von Falkenauges letztem Pfeil zu spalten. Syr Xardrus hatte die Ehre, dem siegreichen Jujin-Söldner den Eschenholzbogen und das Gold zu überreichen.

Jetzt war der Buhurt an der Reihe. Nach einer erneuten Fanfare traten die Kämpfer aufs Turnierfeld. Vivana hauchte ihrem Tarquan noch einen Kuss hinterher. Die Zuschauer drängten sich am Holzzaun, um nichts zu verpassen.
Aus unserer Gruppe nahm neben Pferd auch Saradar teil. Der Herold stellte als weitere Teilnehmer vor: »Am heutigen schlachtenartigen Buhurt nehmen teil: Mjarol der Düstere, Söldner der Blutbande. Lorgrim, Krieger im Dienste der Gekreuzten Schwerter. Zorell, Leibwächter des Schratenbraumeisters der Bierbringer. Unser tapferer Schmiedemeister Mallund der Starke.« Die Dorfbewohner jubelten ihrem »Helden aus dem gemeinen Volk« zu. »Muuf, ähm, der Bauer.« Der so Vorgestellte zeigte dem Publikum ein dümmliches Grinsen und kratzte sich mit seiner Keule dabei den Allerwertesten. »Kelen, Soldat der imbrischen Streitkräfte. Arak Fenn, Soldat der askalonischen Streitkräfte. Galinea, Anführerin der Roten Klingen.«

Syr Xardrus hatte das Vergnügen, das Hauen und Stechen in Gang zu setzen: »Lasset den Buhurt beginnen!« Die Posaunen verliehen dem ganzen Schauspiel die gewünschte Dramatik. Nachdem es kurz so aussah, als ob sich alle in Form eines wilden Tanzes umkreisen würden, kam es dann zu einem richtigen Getümmel, in dem jeder auf jeden einschlug. Es war schwierig hier den Überblick zu behalten. Der Boden war aufgeweicht, ein kurzer Regen in der Nacht hatte die Arena in einen schlammigen Acker verwandelt.

Was Menschen so alles zu ihrem Vergnügen veranstalteten. Bei uns Faunen gab es so etwas nicht. Es gab natürlich auch Wettkämpfe, diese liefen aber in der Regel völlig gewaltlos ab, niemals kämen wir auf die Idee, uns gegenseitig zu verletzten. Es gab musikalische Veranstaltungen, wo wir im Flötenspiel und in der Sangeskunst gegeneinander antraten, Geschicklichkeitsspiele – wer ist am schnellsten den Baum hochgeklettert, wer hat am schnellsten den Fluss überquert. Unser Volk war nie einer ernsten Bedrohung ausgesetzt gewesen, während die Menschen in ständigem Konflikt lagen. Das machte sicherlich den Unterschied aus. Wenn die Tekk einmal auf die Idee kämen, Faune auf ihre Speisekarte zu setzen, hatten wir wenig Gegenwehr zu leisten, wir konnten uns verstecken oder wegrennen, aber uns nie im Kampfe mit ihnen messen. Wir mussten auf die Erdmutter vertrauen, dass sie uns vor dem Bösen beschützen möge.

Ich saß vorne bei den Kindern direkt am Zaun und hatte deshalb trotz meiner geringen Körpergröße einen guten Blick auf das Geschehen. Freya saß auf einem Balken neben mir.
Tarquan und Saradar hielten sich gut. Der Söldner lag gerade im Klinsch mit dem Schmiedemeister. Jetzt stießen sie sich voneinander ab und der Schmied ließ seinen gewaltigen Hammer über dem Kopf kreisen. Der flinke Tarquan wich dem Hieb aus und kam durch eine geschickte Drehung hinter den Schmied. Das Gewicht des Hammers hatte diesen aus dem Gleichgewicht gebracht, sodass ein leichter Tritt in den Hintern reichte, um ihn in den Schlamm zu schicken. Nach einem Hieb mit dem stumpfen Turnierschwert blieb Mallund liegen und musste vom Feld getragen werden. Mjarl und Lorgrim hatten sich gegenseitig zu Fall gebracht und waren bereits ausgeschieden. Saradar hatte gerade den Schrat durch einen Tritt zu Boden geschickt, während Galinea den Bauern umtänzelt und zum dritten Mal in den Schlamm geschickt hatte. Von oben bis unten mit Matsch besudelt, wurde Muuf hinausgetragen. »Sieht besser aus als vorher«, lachte Freya neben mir. Kelen und Arak Fenn hatten sich gegen Tarquan verbündet, während die beiden Rothaarigen, Saradar und Galinea es miteinander ausfochten. Gegen die zwei erfahrenen Krieger hatte Tarquan keine Chance. Er schaffte es zwar noch, den Imbrier zu Boden zu bringen, erhielt aber bei dieser Aktion einen so gewaltigen Hieb zwischen die Schulterblätter, dass auch er ächzend im Schlamm landete. Es hatte ihn so heftig erwischt, dass er hinausgetragen werden musste. Vivana kümmerte sich sogleich herzlich um ihn. Galinea zog sich etwas zurück und ließ den Askalonier auf den Barbaren losgehen. Beim Versuch, der stumpfen Axt des Khor'Namar aus dem Weg zu gehen, knickte Arak Fenn um, musste aufgeben und humpelte vom Feld. Während Saradar dem Soldaten noch hinterherblickte, hatte sich Galinea so geschickt von hinten an ihn herangeschlichen, dass jeder Warnruf von uns zu spät kam. Sie tippte ihm auf die Schulter, sodass er sich überrascht umdrehte, während sie eine Beinschere ansetzte und den hochgewachsenen Barbaren wie eine schwere Eiche zu Fall brachte. Sie ließ es sich nicht nehmen, ihm noch ihre Klinge auf die tätowierte Brust zu setzen.
Eine laute Fanfare ertönte und ein Herold ließ verlauten: »Sieger des Buhurt ist Galinea, die Anführerin der Roten Klingen.« Jubel brandete auf, ihre Roten Klingen pfiffen und schrien und trugen sie schließlich davon.
Galinea, Siegerin des Buhurt.
Während der Siegerehrung hatte sich Saradar bedröppelt zum Rest der Gruppe gesellt: »Keine Lilie! Gegen eine Frau verloren! Verdammt!«
Maluna konnte sich einen Kommentar nicht verkneifen: »Unterschätze nie die Waffen einer Frau!«
»Besonders nicht, wenn sie Magie beherrscht!«, musste Anneliese noch anbringen.
Radaras hatte während des Buhurt Unterschupf in Annelieses Ärmel gefunden. Jetzt kam das Wiesel wieder hervor, sprang auf Saradars Schulter und leckte ihm wie zum Trost über die dreckige Wange.

Wieder ertönten die Fanfaren. »Hört, hört. Auf hocheigenen Wunsch unseres geliebten Hochfürsten Syr Vardek erwartet Euch jetzt und hier etwas ganz Besonderes. Der Hügeltroll Urota Nera vom Bund aus Blut und Feuer hat eingewilligt, sich in einem Faustkampf gegen einen unbekannten Gegner zu beweisen. Urota Nera, tretet vor!«
Begleitet von dramatischem Fanfarenspiel trat unser Trollfreund in die Arena. Einige Kleinkinder fingen an zu weinen und zu schreien, als sie den Troll erblickten. Sie mussten von ihren Müttern, die sich das Spektakel nicht entgehen lassen wollten, getröstet werden. Die Zuschauer spendeten ihm aber ermutigenden Beifall und allen war erwartungsvolle Spannung ins Gesicht geschrieben. »Und hier kommt sein Herausforderer.«
Unter tosenden Fanfaren fuhr ein Wagen, der von vier Kaltblütern gezogen wurde, in die Arena. Auf dem Wagen stand ein kastenförmiger Aufbau, der von einem riesigen Laken verhüllt wurde.
Syr Xardrus hatte als Ehrengast wieder das Vergnügen, das Geheimnis zu lüften. Ein Raunen ging durch die Zuschauerreihen – die Kinder heulten wieder auf und Firnja suchte Schutz in den Armen ihres Verlobten. Syr Vardek hingegen hatte sich von seinem Sitz erhoben und klatschte laut Beifall. Ein seltsamer Ausdruck war in sein Gesicht getreten, so als wollte es sagen: »So, und jetzt will ich Blut sehen!«
Da stand er – eine Schreckgestalt aus schlimmsten Albträumen. Durch die Stäbe des freigelegten Eisenkäfigs blickte ein Ogrens. Das musste das Monster sein, das sie im Grünen Kessel gefangen hatten. Geifer tropfte aus seinem Maul und es rüttelte an den Gitterstäben wie ein wildes Tier.
Der Herold hatte Schwierigkeiten die aufgewühlte Menge zu übertönen: »Das ist Gorrym, der Ogrens. Unsere siegreichen Soldaten haben ihn im Grünen Kessel gefangen genommen. Wie viele Menschen mag dieser Unhold schon gefressen haben! Der Faustkampf wird solange ausgetragen, bis einer der Kontrahenten bewusstlos am Boden liegt. Wir hoffen natürlich alle, dass der Troll gewinnt. Ihn erwartet in diesem Fall eine besondere Überraschung.« Die Mütter hielten ihren Kindern die Augen zu, einige verließen sogar den Turnierplatz. Die Soldaten der Stadtwache hatten die gefährliche Aufgabe, den an den Armen gefesselten Ogrens bis zur Mitte der Arena zu geleiten. Sie standen im Kreise um ihn herum, ihre streitkolbenartigen Stangenwaffen nach innen gerichtet. Im Zentrum der Arena befand sich ein großer, im Boden verankerter Eisenring, an den die Fußfessel des Ogrens mit einer dicken Kette angeschlossen wurde.
Die Stadtwache zog sich zurück und Syr Vardek ließ es sich nicht nehmen, den Kampf selbst zu eröffnen: »Möge der Kampf der Monster beginnen!« - Fanfaren und dann setzte ein donnerndes Trommelspiel ein, um die Dramatik noch zu erhöhen. Sie lösten die Armfesseln des Ogrens. Er rieb seine wunden Handgelenke und nahm dann Urota ins Visier. Ob sie ihm wohl versprochen hatten, dass er freigelassen würde, wenn er den Troll besiegen könnte?
Urota war so konzentriert auf seinen Gegner, dass er die Beleidigung, als Monster bezeichnet zu werden, überhört zu haben schien. Der Ogrens war durch die Fußfessel in seiner Bewegungsfreiheit eingeschränkt, sodass ihn Urota umkreisen konnte. Unser Trollfreund war nach den Ereignissen auf der Wegburg nicht gut zu sprechen auf die Menschenfresser. Mit Gebrüll stieß er vorwärts und hämmerte dem Ogrens gegen den Schädel. Dieser setzte zu einem Schwinger an, der Urota am unteren Brustkorb erwischte und ihn zehn Schritt durch die Arena fliegen ließ. Die Zuschauer johlten und der Hochfürst war außer sich vor Vergnügen. Urota verzog merklich das Gesicht, auch einem Hügeltroll tat so ein Schlag in die Rippen scheinbar ganz schön weh.
Jetzt ging er bedächtiger vor – soweit man davon bei einem Troll sprechen kann – er wartete seine Chance ab, durch die Deckung des Ogrens einen sicheren Treffer zu landen. Das Monstrum war jedoch zwei Schritt größer als er und ihm in Sachen Reichweite deutlich überlegen. Auf einen leichten Treffer seinerseits im Bauchbereich landete Gorrym einen schweren Leberhaken, der Urota schnaufend zurückweichen ließ. Wir feuerten Urota an, doch es wurde immer klarer, dass er diesem Gegner im Faustkampf unterlegen war. Ein weiterer Schlag Urotas prallte von den Brustplatten des Ogrens ab und dieser traf Urota im Gegenzug so fest an der Schläfe, dass unser Freund besinnungslos zu Boden ging. Der Ogrens grunzte und reckte die Arme nach oben. Als von den Zuschauerrängen nur Buh-Rufe erklangen, machte sich Gorrym an der Kette seiner Fußfessel zu schaffen, und versuchte die Verankerung aus dem Boden zu reißen. Sofort waren die Wachsoldaten zur Stelle und hieben mit ihren langen Streitkolben von allen Seiten auf ihn ein, bis auch er ohnmächtig und mit einem lauten Grunzen zu Boden ging. Blut rann ihm aus dem Maul und hinterließ eine große Lache in der Arena. Sie hatten Mühe das gewaltige Monstrum wieder auf den Wagen zu ziehen. Der Hochfürst war begeistert vom Spektakel, während seine Tochter die ganze Zeit angewidert zu Boden geblickt hatte. Wir betraten die Arena und halfen Urota auf die Beine, der schon wieder die Augen geöffnet hatte und enttäuscht nuschelte: »Urota zum ersten Mal besiegt, nicht stark genug. Darf nicht wieder passieren, muss Faustkampf üben.«

Es folgte eine Pause, die die Leute dazu nutzten, sich an den Buden mit in Öl gebratenen Erdäpfeln, die in rote oder weiße Soßen getaucht wurden, zu bedienen. Auch der Barde war wieder da und gab ein Liebeslied über »Isidur und die holde Isolde« zum Besten.

Passend zum höchsten Sonnenstand bliesen die Posaunen zum Höhepunkt des Turniers, dem Tjost.
Die Ritter traten in ihren glänzenden Rüstungen, die sie mit Hilfe ihrer Knappen angelegt hatten, aus ihren Zelten, stiegen auf ihre geschmückten Rösser und ritten einer nach dem anderen an der Tribüne vorbei, um dem Hochfürsten und natürlich der holden Firnja ihre Ehrerbietung zu erweisen. Jeder Ritter wurde dabei ausführlich vom Herold vorgestellt. »Syr Hradwyn, der Hüter von Quenlins Cayp, Paladin des Quenlin, beim Tjost in silberner Rüstung. Sein Wappen ist der doppelköpfige Adler über freiem Feld. Syr Aschantus, Paladin des Alun, in goldener Paladinrüstung, mit dem heiligen Sonnenrad des Lichtherrn auf der Schabracke seines Rosses und seinem Schilde. Auf seiner Brust prangt die Darstellung von Zölestion, dem höchsten Krieger des Lichtgottes und dem Vorbild aller Paladine.« Bei Syr Aschantus' Vorstellung fiel der Beifall eher bescheiden aus, nur die Imbrier ließen Handgeklapper hören.
»Des weiteren, Syr Kallek, freier Ritter aus Tyr. Syr Asurius, der Brennende Hammer, ein ehrenvoller imbrischer Ritter, der tapfer im Grünen Kessel kämpfte. Syr Zaran, der Bräutigam, der es sich nicht nehmen lässt, selbst am Turnier teilzunehmen.« Firnja band ihm als ihrem Favoriten ein blaues Tuch mit der Regenburg an die Lanzenspitze. »Syr Tergen aus der Altmark, zum Ritter geschlagen ob seines Mutes im Kampfe gegen die Ul'Hukk von unserem Hochfürsten höchsteigen. Syr Wunnar, askalonischer Veteran aus der Bruderschaft der Gekreuzten Schwerter! Und Syr Deodan aus dem Grünen Kessel, der die Truppen gegen die Bestien aus dem Süden in den Kampf geführt hat! Syr Jurk ...« Die Askalonier erhielten besonders viel Applaus von ihren Landsleuten.
»Und zu guter Letzt Syr Tarkin, Koboldritter aus dem Bund aus Blut und Feuer, auch er wurde vom Hochfürsten höchsteigen zum Ritter geschlagen, nachdem er gegen die Ul'Hukk seine Tapferkeit bewiesen hat!« Besonders die Kinder jubelten laut, sie hatten in dem Fell tragenden Krieger ihren Favoriten auserkoren.
Ich musste zugeben, Tarkin machte Eindruck in seiner neuen Rüstung und hoch zu Ross. Sicher reckte er die mit einer rot-weißen Flagge geschmückte Lanze in die Höhe.
Die Paarungen waren am Morgen ausgelost worden. Ich hatte so etwas noch nicht gesehen und war sehr gespannt, wie sich unser Koboldfreund schlagen würde. Er kam als erstes an die Reihe und musste gegen einen Syr Jurk antreten. Auf ein Signal hin gallopierten die Rösser, getrennt durch eine hölzerne Trennwand, aufeinander zu. Die Ritter hatten die Lanzen gesenkt und zielten jeweils auf die Rüstung ihres Gegenübers. Dann ein Krachen – und Syr Jurk flog rücklings vom Ross und landete mit einem Ächzer auf dem Hosenboden, während sein Ross weitertrabte und von einigen Knappen wieder eingefangen werden musste. »Sieger der ersten Runde: Syr Tarkin vom Bund aus Blut und Feuer!« Wir jubelten begeistert unserem Kobold-Ritter zu. So ein Kobold gab nur ein kleines Ziel ab, gar nicht einfach ihn zu treffen.
Syr Kallek warf den Hammer Asurius aus dem Sattel, Syr Zaran glänzte gegen den jungen Syr Tergen aus der Altmark und auch der alte Syr Wunnar behielt gegen sein Gegenüber die Oberhand.
In der nächsten Runde sollte dann Syr Aschantus, der zuvor den Hüter von Quenlins Cayp aus dem Sattel gehoben hatte, gegen Tarkin antreten. Ich bekam mit, wie sich dieser eingebildete Paladin bei seinen imbrischen Kameraden über den Kobold lustig machte. Tarkin konnte es kaum erwarten, ihm eine Lektion zu erteilen. Ein fallendes Tuch von der schönen Firnja war das Signal. Immer schneller gallopierten die Rösser aufeinander zu. Syr Aschantus goldene Rüstung blitzte und blinkte im Sonnenschein – Tarkin musste blinzeln – und stach mit seiner Lanze vorbei – während Aschantus ihm die seinige mit voller Wucht in den kleinen Panzer rammte. Aschantus' Lanze zerbarst und der Krähenfresser flog in hohem Bogen, sich mehrfach in der Luft überschlagend, aus dem Sattel. Auch er landete auf seinem Hosenboden, schüttelte sich ein paar Mal, stand auf und verbeugte sich artig vor Syr Vardek und dem Brautpaar. Syr Aschantus ließ es sich nicht nehmen, ihm ein paar Schmähworte hinterherzuschicken: »Jetzt bist Du da, wo Du hingehörst, Du Möchtegern-Ritter: im Dreck«. Saradar hatte sein Schlachtross bereits wieder am Zügel gefasst und versuchte Tarkin zu trösten: »Du hast Dein bestes gegeben. Keiner hätte gedacht, dass Du Dich überhaupt im Sattel halten könntest!«
Die Kinder jubelten ihm Beifall und buhten von jetzt an jedesmal, wenn Aschantus an der Reihe war.
Der dicke Heiler Wael kümmerte sich mit einigen Helfern um die geschundenen Ritter. Den weiteren Turnierverlauf bekam ich nicht mehr so genau mit, da ich mir die Wundbehandlung ansehen wollte. Wael erklärte gerade einem seiner Helfer: »Die Verletzungen der Ritter sind meist stumpf, dann hilft nur sofortiges Pausieren, Eis auf die Schwellung, Compressio mit einer Binde aus langem Gummiblatt, das sehr elastisch ist, sowie das Hochlagern des verletzten Körperteils – merke Dir die P-E-C-H-Regel!«
Eine Fanfare ertönte zum letzten Duell. Jetzt musste ich doch zurück zum Tjostfeld.
Der alte Syr Wunnar musste gegen den miesen Aschantus antreten. Es war klar, auf welcher Seite unsere Sympathien lagen. Syr Wunnar hatte Glück, eine große Wolke hatte sich vor die Sonne geschoben, sodass er nicht wie Tarkin von Aschantus' Rüstung geblendet werden konnte. Die Lanzen krachten ineinander, doch beide Kontrahenten blieben im Sattel. Beide ließen sich neue Lanzen reichen. In der zweiten Runde bäumte sich Aschantus' Pferd mitten im Galopp plötzlich auf. Ich sah, dass ihm Blut von der Flanke tropfte. Er musste ihm so fest die Sporen gegeben haben, dass es ihn abwerfen wollte. Der Paladin sprang vom Pferd und fluchte. Er verpasste seinem Ross einen Tritt, sodass es davon galoppierte und von den Knappen nicht gehalten werden konnte. Er riss sich den Helm vom Kopf und schleuderte ihn wutentbrannt zu Boden.
Der Herold verkündete: »Wir haben einen Sieger! Syr Wunnar von Chiram, Hauptmann der Bruderschaft der Gekreuzten Schwerter!« Wir fielen in den Jubel mit ein.
Tarkin frotzelte: »Ganz schlechter Verlierer, dieser Aschantus.«
Syr Wunnar, Sieger des Tjost.
Wieder ertönten die Fanfaren. Der Herold erklärte das Turnier für beendet. Der Hochfürst erhob sich, dies war scheinbar auch das Signal für die Zuschauer, sich auf den Heimweg zu machen.
Ich sah, dass der Hochfürst mit dem Waffenmeister sprach und dann auf uns deutete. Eiligen Schrittes kam uns Radex nachgelaufen, da wir uns bereits auf den Weg gemacht hatten, in einer der Dorfschenken zum Abendessen einzukehren.
»Werte Mitglieder des Bundes aus Blut und Feuer. Der Hochfürst höchstselbst hat mich geschickt, um Euch für morgen in die Innere Burg zur Zeremonie einzuladen. Das ist eine große Ehre, der Hochfürst scheint sehr viel von Euch zu halten. Die Feier beginnt zur Mittagsstunde, seid pünktlich! Ihr müsst Euch natürlich dem Anlass entsprechend kleiden – ähm, und der ein oder andere ein Bad nehmen – das Brautpaar erwartet sicherlich auch ein angemessenes Geschenk von Euch. Bis morgen!«

Sonntag, 3. Juni 2018

Der letzte Tanz - Kapitel 7: Kleinvolks Ritterschlag

Wir wurden vom Krähen eines Hahns geweckt. Es war noch früh und dunkel draußen. Jemand aus dem askalonischen Lager rief »Scheißhahn«.

In der frühen Morgenstund tat der Hahn sein Krähen kund,
doch einer mocht es lieber ruhig,
und schnitt dem Hahn die Gurgel durch.

Zumindest war jetzt Ruhe und ich konnte vielleicht noch einmal einschlafen. Widun rieb sich die Augen und streckte sich. »Der Schratenherr fordert seinen Tribut«, rief unser Bierprediger und schwang sich in die Höhe, um aus dem Zelt zu gehen.

Zur ersten Morgenstunde ungefähr, da drückt' den Schrat die Blase sehr,
er sprang von seinem Bette auf,
und setzte noch 'nen Darmwind drauf.

»Ah, frische Luft!«, meinte Saradar als er vors Zelt trat und machte sogleich ein paar Liegestütze, der Reliquienknochen baumelte dabei im Dreck. »Ich würde an deiner Stelle ein bisschen besser auf das Ding aufpassen!«, merkte Vivana an. »Der Priester meinte, dass dich der >Schwarze Sidd< wieder holt, wenn du den verlierst!«
Freya korrigierte: »Das heißt >Schwarzer Sud<, und das ist kein Dämon oder Geist, sondern eine Art schmarotzender Seelenfresser.«
»Apropos >essen<, ich schlage vor, wir gehen zum Frühstück in die Schenke!«, rief Widun, der sich hinter dem Zelt einer großen Last entledigt zu haben schien, so erleichtert, wie er jetzt dreinblickte.

Ich sah, wie Anneliese noch etwas müde in Richtung des imbrischen Lagers davonstappste, was sie wohl vorhatte?

Die Sonn' in ihrem Morgenlauf, folgt' der Koboldmagierin bergauf,
auf der Suche nach 'nem roten Stein,
trat se in Fisimatenten rein.

Saradar spielte mit Radaras, seinem Wiesel. Danach lief es ihm von Arm zu Arm und blieb schließlich auf seiner tätowierten Schulter sitzen. Das war immer das Zeichen gewesen, dass es Hunger hatte, aber der Barbar reagierte nicht darauf. Unvermittelt sprang es runter und schwänzelte in Richtung Lagerausgang davon. »Willst du nicht hinterher?«, fragte ich Saradar.
»Radaras muss langsam lernen, für sich selbst zu sorgen und auf die Jagd zu gehen. Ich kann ihn ja nicht ewig durchfüttern. Der verweichlicht mir noch!«

»Wo bleibt Anneliese?«, fragte Tarkin. »Wollte sie nicht mit uns frühstücken?«
Widun zuckte mit den Schultern. Wir hatten eine volle Stunde gewartet, doch sie war noch nicht zurück. Saradars Schoßtier kam jedoch zurückgewieselt und zerrte an seinem Schuh.
»Was willst du mir sagen? Soll ich dir folgen?«, fragte der Bestienmeister.
Das Wiesel lief in Richtung Lagerausgang und dann auf das imbrische Lager zu, wir hinterher.

Radaras hielt auf auf ein Zelt am Rande des Lagers zu. Ein hochgewachsener Imbrier mit kahlgeschorenem Schädel stand in der Nähe und gab zwei Soldaten Anweisungen: »Lasst die Hexe nicht aus dem Zelt, wir werden ihr heute noch den Prozess machen – dann gibt es heute Abend noch ein schönes Feuerchen.« Er lachte – bis er uns kommen sah. Sein Gesichtsausdruck wurde direkt wieder ernst – todernst. Edwen wollte Tarkin zurückhalten – doch es war zu spät.
»Seid gegrüßt im Lichte Aluns«, hieß er uns willkommen. »Sagt, Ihr seid ein Kobold, habt Ihr vielleicht etwas mit einer Koboldin zu tun, die sich mit den schwarzen Künsten beschäftigt?«
Tarkin tat so, als sei er gar nicht gemeint und blickte in der Gegend umher.
»Ja, Euch meine ich, Pelzknäuel!«, versuchte der Imbrier Tarkins volle Aufmerksamkeit zu gewinnen. Das Wiesel war inzwischen weiter auf das Zelt zugelaufen.
Tarkin versuchte ihn vom Wiesel abzulenken: »Sprecht Ihr mit mir? Ich bin Tarkin, großer Koboldkrieger und Mitglied im >Bund aus Blut und Feuer< und gehöre auch zur Bruderschaft der Wegburg. Und wer gedenkt Ihr zu sein?« Er hatte bei seinen Worten deutlich seine Brust rausgestreckt und versucht eine edle, ja fast ritterliche Haltung anzunehmen. Aufgrund des Größenunterschieds wirkte das ganz etwas grotesk. Fehlte noch, dass er sich von Urota in die Höhe heben ließ, damit er auf den Imbrier hätte hinabsehen können.
»Ihr seid tollkühn. Wisst Ihr denn nicht, dass Ihr Syr Aschantus, den Waffenmeister der Paladine des Lichts vor Euch habt?«, entgegnete ihm der Ritter in seiner gülden blinkenden Rüstung und schien wenig beeindruckt zu sein. Das Wiesel hatte inzwischen das Zelt erreicht und war hineingeschlüpft – unbemerkt von den beiden Soldaten, die sich angeregt über die neueste Errungenschaft in der Waffenentwicklung, die >Armbrust< unterhielten.
»Ihr habt bestimmt etwas mit ihr zu tun! Eine Gegenüberstellung wird mir Gewisstheit bringen!« Mit diesen Worten packte er – wir kamen gar nicht dazu, zu protestieren – Tarkin am Arm und zerrte ihn in Richtung Zelteingang. Tarkin stemmte sich nach Leibeskräften dagegen. Als sie zum Zelt kamen und der imbrische Paladin die Plane hochschlug – war das Zelt leer.
»Diese Hexe, wie konnte sie sich befreien! He, Soldaten, ihr solltet doch den Eingang bewachen!«, schnauzte der die beiden Wachmänner an. Er hatte Tarkin losgelassen und wir entschieden, so schnell wie möglich das Lager der Hexenjäger zu verlassen.

Der Vormittag war schon im Gange, da wurd's der Hex im Zelt ganz bange,
doch kam ein Wiesel reinspaziert, biss Fesseln durch und grub ein Loch,
Radaras, der lebe hoch!

Wir fanden Anneliese und das Wiesel in unserem Zelt im askalonischen Lager.
»Puh, das war knapp«, seufzte sie, als wir eintraten. Widun schüttelte mit dem Kopf: »Wie hast du dich denn in diese Lage gebracht?«
Anneliese zuckte mit den Schultern: »Ich habe den Mann in der tollen goldenen Rüstung – die hat vielleicht geblinkt im Morgenlicht, ich sage euch - gefragt, ob er einen Krämer kennt, der magische Steine verkauft.« Tarkin hielt sich die Hände vor Augen, um die Lachtränen zu verbergen: »Hast du nicht!« »Doch, und dann meinte er, dass ich wohl eine Hexe sei, hat mich fesseln lassen und dann haben sie mich in ein Zelt reingelegt. Dann kam das Wiesel, hat mir die Fesseln durchgenagt und mir beim Graben geholfen, sodass wir an der Rückseite des Zelts unbemerkt entkommen konnten.« Widun schüttelte ungläubig den Kopf: »Hab ich dir nicht gesagt, dass du mit deiner Magie vorsichtiger sein musst! Die Imbrier, und besonders diese Paladine, verstehen da keinen Spaß. Erst schneiden sie dir die Zunge raus, dann hacken sie dir die Hände ab und schließlich verbrennen sie dich auf dem Scheiterhaufen. Die fackeln da nicht lange!«
Anneliese war bei diesen Worten immer kleiner geworden, senkte den Kopf und flüsterte: »Ich werde vorsichtiger sein, versprochen!«
Wir gingen zum Frühstück in die Schenke der Wegburg, Anneliese hatte den Kragen ihres Wolfsfellmantels hochgeschlagen, sie wollte unerkannt bleiben – soweit das hier für einen Kobold überhaupt möglich war.

Kurz nachdem wir gefrühstückt hatten, kam Valan in die Schenke und rief: »Kommt alle in den Burghof, der Hochfürst hat etwas Wichtiges zu verkünden!«
Wir folgten seiner Aufforderung, stellten uns jedoch in die hinterste Reihe.

Der Innenhof wimmelte mittlerweile nur so von Rittern, auch die Wehrgänge und die Turmtreppen standen voll. Der Hochfürst trat auf ein Podest; er wurde flankiert von Syr Deodan, dem Anführer des askalonischen Heeres aus Regenfels, und einem etwas älteren imbrischen Paladin, bei dem es sich – so vermutete ich – um Syr Xardrus handeln musste, den Syr Madhur >Graufuchs< genannt hatte. Der alte Paladin überreichte Syr Vardek eine kleine Schriftrolle, die er auch sogleich entrollte, kurz durchlas und dann verkündete:
»Werte Ritter Imbriens, werte Ritter Askalons. Ich hab soeben eine Nachricht erhalten von Syr Ilon Heckslay, unserem tapferen askalonischen Heerführer und Lichtbringer. Er beglückwünscht uns zum Sieg gegen die Tekkarmee. Gleichzeitig rät er uns aber zur Vorsicht, da die Ul'Hukk ihre drei großen Verbände aufgelöst hätten, und die Angreifer nur den Bruchteil eines dieser Verbände dargestellt hätten. Die Ruine Skalan sei gegen Angriffe befestigt worden, sodass hier unsere Verteidigungslinie steht, und der askalonische Grenzwall wieder geschlossen ist. Auch dort im Westen konnten zwei Angriffe der Tekk erfolgreich abgewehrt werden.« Die Imbrier klatschten höflich, während die meisten Askalonier kaum eine Regung zeigten.
Syr Vardek gab Xardrus das Pergament zurück und ließ sich von ihm ein großes, kunstvoll verziertes Schwert reichen.
»Ich habe eine weitere Pflicht zu erfüllen. Knappe Tergen, aus den Reihen der imbrischen Soldaten, Hauptmann Wunnar von der Bruderschaft der gekreuzten Schwerter und Krieger Tarkin vom Bund aus Blut und Feuer, tretet vor!«
Tergen und Wunnar standen bereits vor dem Hochfürsten, als es Tarkin endlich gelungen war, sich durch die Reihen zu schlängeln.
»Kniet nieder, Soldaten. Mir wurde berichtet, dass ihr euer Leben in besonderem Maße eingesetzt, Mut und Geschick bewiesen und gezeigt habt, dass ihr es versteht, andere anzuleiten und zu führen im Chaos einer Schlacht. So sprecht mir folgende Worte nach und empfangt als Auszeichnung von mir den Ritterschlag!«
Sie sprachen dem Hochfürsten folgende Worte nach; ich merkte, dass Tarkin einen Kloß der Rührung im Hals hatte:

»Ich gelobe, hier vor den Völkern Ions und im Angesicht der hohen Götter, dass Respekt, Treue, Demut, Beharrlichkeit, Mut, Disziplin und Hingabe fortan zum Wohle der Schwachen und zum Ruhme der gerechten Götter mein Handeln und Tun bestimmen mögen.« Jetzt trat der Hochfürst zu jedem einzelnen hin, legte das Schwert mit der stumpfen Seite auf jede Schulter und goss anschließend etwas Öl über ihre Häupter.
Er schloss die Zeremonie mit den Worten: »Bei den hohen Göttern, erhebt euch nun als Ritter, Syr Tarkin vom Bund aus Blut und Feuer, Syr Wunnar von der Bruderschaft der gekreuzten Schwerter und Syr Tergen aus der Altmark.«
Die frisch gesalbten Ritter konnten sich vor Umarmungen und Glückwünschen kaum retten. Syr Tarkin tauchte unter den Umarmungen durch, konnte aber dem vernichtenden Blick, den ihm Syr Aschantus zuwarf, nicht entgehen.

Der Sonnenstand zeigt' es war Zenit, als ein Kobold zum Schlage kniet',
Schwert auf die Schultern, Salbe aufs Fell,
ein Ritter werden, das ging doch schnell.

Inzwischen war ein junger imbrischer Ritter an die Seite des Hochfürsten getreten. Vardek hob die Hand und bat die Menge um Ruhe. »Syr Zaran aus der Blutmark ist einer der tapfersten Streiter gegen die Horden der Tekk. Um so mehr freut es mich, dass er vor nicht allzu langer Zeit um die Hand meiner Tochter Firnja vom Regenfels angehalten hat.«
Ein »Hört, hört!« und kurzer Jubel unterbrach den Redner, während ich mitbekam, wie Syr Madhur, der ein paar Schritt neben uns stand, laut hörbar ausspuckte.
Syr Vardek musste erneut die Hand heben, bis wieder Ruhe herrschte, um dann fortzufahren:
»Mit großer Freude gewähre ich ihm die Hand meiner geliebten Tochter, auf dass Imbrien und Askalon wieder ein Stück enger zusammentreten, um auch in Zukunft als Einheit gegen unseren Feind ins Felde zu ziehen!«
Ein lauter Jubel brandete auf, doch konnte dieser nicht einige verärgerte Zwischenrufe ganz überdecken.
»Anlässlich unseres großen Sieges gegen die tekkische Horde«, Zaran räusperte sich, »und – natürlich – auch wegen der bevorstehenden Vermählung des ehrenwerten Syr Zaran und meiner Tochter Firnja, lade ich alle Kämpfer, die an den Schlachten um die Wegburg oder im grünen Kessel teilgenommen haben, zu den Festivitäten auf meiner Burg – Burg Regenfels – ein. Ich hoffe auf zahlreiches Erscheinen!«
Diesmal noch lauterer Beifall. Ich sah, wie sich Syr Madhur an zwei Soldaten vorbei drängte, um an den Hochfürst zu kommen. Syr Zaran und ein etwas älterer Mann mit Knollennase zückten ihre Schwerter und postierten sich zwischen den beiden.
Syr Madhur spuckte ihnen vor die Füße: »Ich lehne eure Einladung ab«, stieß er wütend hervor und drehte sich dann im Kreis. »Ihr alle solltet das tun! Wenn durch Heirat unsere Länder in die Hände der Imbrier fallen, werden zuerst Askalon und dann ganz Thalien fallen! Diese arroganten >Streiter des Lichts< sind sich doch zu fein, richtige Kriege zu führen! Sie kommen doch nur von ihren Sonnenschein-Hügeln runter, wenn sie nichts zu verlieren haben! Spielen sich als große Retter und Sieger auf, dabei wissen sie gar nicht, wie es ist, ständig um seine Heimat kämpfen zu müssen. Ich sage, lasst uns keine Zeit vergeuden mit Feiern und Festivitäten! Lasst uns den verbliebenen Grauhäuten in den Arsch treten und dann Neprox angreifen – wenn wir sie aus Askalon getilgt haben, dann können wir feiern! Erst dann haben die Imbrier bewiesen, dass sie uns ein wahrer Freund sind!«
Bevor der verblüffte Hochfürst ihm etwas entgegnen konnte, hatte sich Madhur abgewandt und sich seinen Weg durch die Menge gebahnt. Er hinterließ eine Welle aus Gemurmel und Getuschel.

Wir berieten uns kurz und entschieden dann, der Hochzeit als Gäste beizuwohnen. Vor dem Aufbruch wollten wir aber noch einmal nach den Rotall-Brüdern sehen. Wael und die Magd waren mit der Versorgung der beiden beschäftigt. Während Toran in einem tiefen Schlummer lag, öffnete Benesch kurz die Augen und sagte uns, dass Toran kurz bei Bewusstsein gewesen sei und mit uns sprechen wollte. Diese wenigen Worte strengten Benesch so sehr an, sodass uns Wael hinausschickte. »Auch Toran wird noch bestimmt zwei Monde brauchen, bis er sich von seinen Wunden erholt hat. Kommt doch nach der Hochzeit noch einmal vorbei, vielleicht ist er dann bereit für ein längeres Gespräch.«

Edwen entschied, vorerst auf der Wegburg zu bleiben, um Notor Gulim zu unterstützen und Toran bei seiner Genesung beizustehen: »Das bin ich meinem alten Kumpel schuldig!«
Er verabschiedete sich herzlich von uns: »Wir werden uns sicher bald wiedersehen! Ich wünsche euch viel Spaß bei den Hochzeitsfeierlichkeiten. Mir ist im Moment nicht nach feiern zumute angesichts der Lage im südlichen Askalon. Ich würde euch bloß den Spaß verderben.«

Wir gingen noch einmal zu Notor Gulim, der jeden - selbst den Troll - umarmte und einen Bruderkuss aufdrückte: »Ich finde es gut, dass es eine neue Verbindung zwischen Askalon und Imbrien geben wird. Ich würde auch gerne mitkommen, muss mich aber um die Wegburg kümmern. Die Rotall-Brüder werden noch lange für ihre Genesung brauchen, solange muss ich mich um alles kümmern. Braucht ihr Pferde oder Proviant für die Reise? Bis zur Regenburg sind es hoch zu Ross zwei und zu Fuß etwa vier Tagesreisen!«
Wir nahmen gerne etwas Proviant mit, doch Pferde hatten wir selbst genug: Saradar hatte sein Schlachtross, Widun und Anneliese einen Schimmel und wir hatten noch drei Pferde von Fugan Tayn.
»Passt auf euch auf, und Syr Tarkin, trinkt nicht zuviel, Ihr wisst, dass ihr das nicht vertragt! Jetzt als Ritter müsst Ihr mehr auf Etikette achten. Mögen die guten Götter euch begleiten!«, verabschiedete sich Gulim von uns.

Als wir losritten, küsste die Sonne bereits die schwarzen Berge, der Himmel leuchtete in Rosa- und Gelbtönen. Nach etwa einem Drittel der Strecke machten wir Halt und schlugen ein Nachtlager auf. Mitten in der Nacht kam Saradar, der Barde, der bislang noch kein einziges Mal für uns gesungen hatte, auf die glorreiche Idee, ein Bardenlied anzustimmen. Selbst der Schnarchtroll wurde dadurch wach und stimmte in den Gesang mit ein. Ein Eulenvogel ließ ein lautes >Uhuuuu< ertönen und suchte dann das Weite. Während meiner Wache sah ich eine Sternschnuppe am Himmel, die sich ihren feurigen Weg übers Firmament bahnte und dann nach einem Blinzeln schon wieder verglüht war.

Am nächsten Morgen begrüßte uns Alun mit einem bunten Sonnenaufgang. Das Wetter meinte es gut mit uns, die Sonne strahlte herbstlich warm vom Himmel.
Ich sah am Wegesrand eine zerfetzte Robe liegen. Es schien sich um eine Druidenrobe zu handeln, sie war mit Blättern an den Schultern geschmückt und mit Waldsymbolen bemalt. An einigen Stellen bemerkte ich eingetrocknete Blutflecken. Was dem Träger dieser Robe wohl widerfahren war? Wir hatten ein wachsames Auge und hofften, dass die Räuberbanden vor einer so großen Reisegruppe Respekt haben würden.
Nach einer ereignislosen Nacht erblickten wir schließlich am Vormittag des nächsten Tages Burg Regenfels am Horizont. Je näher wir kamen, desto mehr Details wurden sichtbar. Die Burg war zweistöckig, von einem breiten Wassergraben umgeben, der – wie mir Edwen erklärte – vom Fluss Regenarm gespeist wurde, hatte zahlreiche Türme und umschloss hohe Gebäude. Ein Dorf war der Burg vorgelagert, schon von weitem konnten wir sehen, dass hier für ein Fest geschmückt wurde.
Am beeindruckensten war jedoch der Hauptturm der Burg, der von einer durchscheinenden Wasserzisterne bedeckt wurde, aus der sich unablässig aus Öffnungen in der Mauer kleine Wasserfälle in die Tiefe ergossen. Fast sah es so aus, als ob die Burg weinen würde. Aber nicht aus Kummer, sondern vor Freude.