Montag, 19. Dezember 2016

Die Trolljagd - Kapitel 10: Licht und Schatten

Das Knarren des alten Tores hatte die Aufmerksamkeit der Trolle geweckt und sie starrten erstaunt auf die Eindringlinge. Hindurch traten ein hochgewachsener Gjölnar, ein noch größerer Hügeltroll, flankiert von zwei Kobolden und zuletzt ein Halbschrat. Eine Lichtquelle ließ ihre Schatten - auch die der Kobolde - riesenhaft erscheinen.

Dann ein Krächzen: eine der Hexen brüllte Befehle, woraufhin ein Teil der Trolle begann, Gegenstände, die vor einer Art Altar standen, wegzuschleppen. Ich konnte von hier oben bei diesem spärlichen Licht nicht genau erkennen, worum es sich handelte. Sie verließen die Höhle durch einen Seiteneingang. Ein weiterer Befehl der Trollhexe, und schon wendeten sich drei der fürchterlichen Schattentrolle, die mit einer Art Morgenstern bewaffnet waren, meinen fünf Gefährten zu. Die Hexe stimmte derweil ein lästerliches Gesäusel an und nahm sich zwei Hügeltrolle als Begleitschutz.

Tarkin schien die gefesselte Vivana erkannt zu haben, er stürzte sich todesverachtend auf den Schattentroll, der sie hinter sich herschleifte. Saradar reckte seinen Doppelspeer in die Höhe und stürmte den drei Trollkriegern entgegen. Urota machte unterdessen seine Knochenkeule kampfbereit.

Edwen rief: „Los geht’s!“ - Er hob seine Axt und sprang den Vorsprung hinunter, sodass er hinter den Trollen zu landen kam. Ich folgte ihm und - "Aua!" - verstauchte mir beim Herabklettern den linken Huf. Ich sah, dass es den Kobolden gelungen war, Vivana zu befreien, Widun hatte sich ihrer angenommen und flößte ihr etwas - sicherlich Hochprozentiges - ein. Sie wurde wach, spuckte aus und entledigte sich ihrer Fesseln. Nachdem sie sich ihre Waffen von ihrem Entführer zurückgeholt hatte, verschwand sie im Schatten und aus meinem Blickfeld.

Ich hinkte Edwen hinterher. Einer der Schattentrolle hatte es auf mich abgesehen - ich betete für eine Schutzhecke - die auch, Ianna sei Dank, sofort aus dem felsigen Boden spross. Nur schemenhaft konnte ich durch das Gestrüpp hindurch erkennen, was vor sich ging: Anneliese zauberte und heizte den Schattentrollen ordentlich ein. Saradar, Urota, Tarkin und Edwen stellten sich ihnen im Nahkampf entgegen.

Die Hexe ließ schon wieder ein unverständliches Gemurmel erklingen und richtete dabei ihre dürren Finger auf jeden Einzelnen unserer Gruppe. Ich fühlte mich plötzlich unwohl, ein Schwindel überkam mich und Schatten waberten vor meinen Augen.
"O Ianna, bitte hilf mir!", wünschte ich mir. Dann spürte ich plötzlich ein Pulsieren in meiner Tasche - die Bohne! Ich holte sie aus dem Leinenbeutel: in meiner Hand wuchs ein kleiner weißer Keimling aus ihr hervor. Dieser zweigte sich immer weiter auf bis sich ein richtiges Geflecht gebildet hatte. Ich merkte, wie das Gewächs immer schwerer wurde und musste es schließlich fallen lassen. Die Stränge verflochten sich ineinander und nahmen eine menschenähnliche Gestalt an. Ich taufte sie kurzerhand "Bohnenmann".

Widun hatte inzwischen die "Wabernden Schatten" der Hexe gekontert, indem er die Trolle in einen Rauschzustand versetzt hatte, der sie zum gemeinschaftlichen Wanken brachte, dabei ihre Kampfeslust aber kaum beeinträchtigte: sie griffen verwegen weiter an. Anneliese musste sich zurückziehen, anscheinend hatte sich ihre Aura erschöpft.

Edwen, Saradar und Tarkin wurden von den Schattentrollen mit ihren Morgensternen auf Abstand gehalten. Mein Bohnenmann stand seelenlos dabei und beobachtete die Szenerie, als ob sie ihn gar nichts anginge. Ich bat Ianna, dass er die Feinde angreifen solle, doch das interessierte ihn wohl nicht die Bohne.
Ein Schattentroll.

Die Schattentrolle machten ernst, sie schlugen wie wild auf unsere drei Kämpfer ein, die sich durch die Verhexung bei eigenen Treffern scheinbar selbst Schaden zufügten. Saradar konnte sich kaum noch auf den Beinen halten und ging schließlich nach einem Treffer am Bauch auf die Knie. Ein zweiter Schattentroll traf ihn mit seiner Eisenkugel mit voller Wucht am Kopf. Mit Schrecken mussten wir mitansehen, wie ihm das Leben aus den Augen wich und er zu Boden ging. Blut ronn aus einer großen Platzwunde an seinem Kopf und zeichnete ein rotes Aderwerk in den Grund aus Steinplatten.

Urota stürzte sich wutschnaubend auf den Begleitschutz der Hexe. Mit zwei kräftigen Hieben schickte er die Hügeltrolle zu Boden und wendete sich der Anführerin zu – er musste wohl in der Vergangenheit sehr unter diesen Hexen gelitten haben, so wie er jetzt seinen Zorn an ihr ausließ. Da passierte es: sie sprang ihm unvermittelt in die Arme und ritzte ihn mit ihren langen, spitzen Fingernägeln etwas in den Rücken. Doch sie hatte die Rechnung ohne Vivana gemacht, die plötzlich wie aus dem Nichts auftauchte und ihr in den krummen Warzenbuckel stach. Mit einem Fluch auf den schrumpligen Lippen hauchte sie ihr Leben aus.

Mit dem Tod der Hexe schwand auch die Wirkung ihrer Hexerei – ich merkte, wie mein Blick wieder klarer wurde. Das Blatt hatte sich gewendet: Edwen entwaffnete einen der Schattentrolle mit seiner Axt, trat ihn zu Boden und spaltete ihm schließlich den Schädel. Tarkin sprang einen der ihn deutlich an Größe überragenden blassen Trolle mit erhobenem Schwert an und machte sich so selbst zum Geschoss. Das Schwert blieb dem Troll im Halse stecken – mit einem Röcheln sank er zu Boden. Nachdem Tarkin das Schwert wieder herausgezogen hatte, spritzte das Blut pulsierend mehrere Schritt weit in den Raum. Vivana nahm sich des letzten verbliebenen Trolls an, umtänzelte ihn und versetzte ihm schließlich mit ihrem Dolch einen tödlichen Stich ins Auge.

Mein Bohnenmann schrumpfte wieder in sich zusammen und verwandelte sich zurück zur Bohne. Ich hoffte, dass ich irgendwann hinter sein Geheimnis kommen würde und steckte die Bohne zurück in den Leinenbeutel.

Widun kniete unterdessen über Saradar und versuchte verzweifelt, ihn wiederzubeleben. Ein erstes Gebet an Mnamn schien nicht erhört worden zu sein. Der Barbar lag dort, friedlich, die Augen geschlossen. Seine Brust stand still. Ebenso still und fassungslos standen wir um seinen leblosen Körper herum. So endete also die Trolljagd für unseren tapferen Gefährten.

„Ich werde ihn nicht aufgeben!“, schrie unser Wanderprediger verzweifelt. Er betete inbrünstig und flößte Saradar etwas von seinem besten Tropfen ein - weiterhin keine Reaktion. Traurig senkten alle den Blick, Tarkins Augen glänzten feucht und schließlich kullerte eine dicke Träne - -
Doch dann geschieht etwas: Saradar blinzelte und fragte benommen in die Runde:
„Wo bin ich? Ich war doch gerade auf dem Weg in Osirs Halle, um mit seinen Gefolgsleuten auf meine siegreichen Kämpfe zu trinken.“

Tarkin lachte erleichtert: „Der war ja bloß scheintot! Das muss die Nachwirkung vom vielen Starkbier von gestern sein!“

Saradar blutete noch aus seiner Kopfwunde - Widun löste schnell einen Faden aus seiner Kutte und aus einem Knochensplitter wurde eine improvisierte Nadel. Nachdem die Blutung stand, halfen wir dem Barbaren auf die Beine - eine noch ziemlich wacklige Angelegenheit.

Anneliese inspizierte inzwischen die toten Schattentrolle, wohl auf der Suche nach etwas Brauchbarem. In meinen Augen sahen sie noch schrecklicher als die Hügeltrolle aus, mit ihren weißen, pupillenlosen Augen in blutunterlaufenen Höhlen, ihrer bleichen Haut und ihren Kinnhauern, die sich in Form und Anzahl von denen der Hügeltrolle unterschieden.

Widun wurde neugierig: „Anneliese, was machst du da? Du willst doch diesem Schattentroll nicht etwa seinen Lendenschurz ausziehen?“

Annliese entgegnete trotzig: „Ich werde bestimmt nichts Wertvolles zurücklassen!“

Edwen lachte: „Also, Kronjuwelen wirst du da sicher nicht finden! So wie das riecht, höchstens ein paar faule Eier!“

Vivana kramte in ihrem Beutel: „Das könnte auch mein Käse sein, nehmt euch etwas davon zur Stärkung!“ - mit diesen Worten warf sie Saradar ein großes Stück davon zu - er hatte große Mühe, es zu fangen.

Wir schauten uns in der Höhle um, das übrige lichtscheue Gesindel musste wohl durch einen Seiteneingang verschwunden sein. Ich ließ meinen Blick schweifen: es handelte sich tatsächlich um einen Altar, den ich da gesehen hatte; sein Sockel wurde von einem Vogelgötzen mit pechschwarzen Augen geziert. Auf der Platte lag neben einigen Tongefäßen - eine menschliche Hand!

Widun musterte sie genauer: „Eine verwesende Hand, da hängen noch Bandagen dran, sie muss einbalsamiert gewesen sein. Das könnte die Hand von einem der Paladine sein, die vom Grabhügel gestohlen wurden! Wir bringen sie dem Mortarax-Diener zurück, damit die Ruhe der Paladine gewahrt bleibt!“

Er wollte es genauer wissen: „Wovon sprichst du?“

Widun erklärte: „Ich werde dir gleich alles erzählen, doch sieh dir das an!“ - er zeigte auf eine Kupferschüssel auf dem Altar, auf der sich Spinnensymbole befanden.

Edwen schaute hinein: „In der Schüssel ist die gleiche Paste wie in der Trollfeste! Damit war auch die dortige Trollhexe eingeschmiert!“

Ich vermutete: „Vielleicht ist das so eine Art Sonnenschutz für die Schattentrolle. Sterben sie nicht, wenn sie zu lange dem Sonnenlicht ausgesetzt sind?“

Widun strich sich über den Bart: „Dann könnte das verwesende Fleisch der Alun-Paladine eine wichtige Zutat für diese Paste sein!“

Ich fragte ihn: „Meinst du etwa, dass die Hand einem der sieben Paladine des Lichts gehört hat?“

Widun lehnte sich an den Altar: „Ich sehe schon, ich muss dir kurz Bericht erstatten, sonst kommen wir hier nicht weiter. Wohlan denn: Nach dem Trollüberfall auf das Fest, den die imbrischen Soldaten erfolgreich zurückschlagen konnten, holten wir Urota aus dem Lager und machten uns auf den Weg zum Grabhügel. Der Eingang wurde von einem dieser grinsenden, schwarzen Schädel geschmückt, aus dessen Mund sich eine Schlange windet. Mir läuft da immer ein kalter Schauer über den Rücken, wenn ich an die Endlichkeit meines Daseins erinnert werde. Du kennst doch Mortarax, den Herrn des Todes und des Abgrunds, in dessen Obhut die Gegangenen sind?“

Ich nickte: „Natürlich, auch wir Faune glauben an ihn.“

Widun fuhr fort: „Nachdem wir das eiserne Tor des Grabhügels durchschritten hatten, hatte ich schon so ein Gefühl, als ob dort etwas nicht stimmte. Und tatsächlich, die sieben Grüfte der Paladine waren allesamt aufgebrochen worden, bei einer entdeckten wir schließlich die Abdrücke von Trollfüßen und grobes Werkzeug. Wir betraten die Gruft und standen vor einer Statue des gefallenen Paladins, in deren Hand ein 'Ewiges Licht' brannte. Der Deckel des Sarkophags war beiseitegeschoben worden. Der zuständige Totendiener Doryth hatte scheinbar unsere Untersuchungen bemerkt und stellte uns zur Rede. Wir erklärten ihm, dass Goreck uns zu ihm geschickt hatte und zeigten ihm die Trollabdrücke vor der Gruft.
Diese Mortarax-Diener sehen schon irgendwie beängstigend aus mit ihren schwarzen Gewändern, die von goldenen Zeichen des Totengottes geziert werden. Doryth blitzte mich mit zwei lebhaften Augen an, der Rest seines Gesichts wirkte hingegen hager und leblos, die fahlen Wangen mit Todesrunen gezeichnet, die Lippen blau bemalt. Er war entsetzt, dass Trolle die heilige Ruhe seines Grabhügels gestört hatten und noch verzweifelter, als er sah, dass die Sarkophage leer waren. Er konnte sich nicht vorstellen, was die Trolle mit den Mumien der Paladine vorhaben könnten. Wir folgten den Trollspuren bis zu einem Wäldchen nördlich des Grabhügels.“

Urota warf ein: „Dort Duft von Trollen!“

Widun grinste: „Nichts gegen dich, aber Gestank trifft es eher. Dank Urotas Witterung entdeckten wir schließlich einen gut versteckten Eingang, der steil hinab in die Dunkelheit führte. Eine scheinbar blanke Felswand gab auf leichten Druck nach und wir gelangten in eine gewaltige Höhle. Durch kleine Löcher in der Höhlendecke drang etwas Mondlicht herein, sodass wir schemenhaft gewaltige Spinnweben ausmachen konnten, die sich wie geisterhafte Schleier hin und her bewegten. Vor uns lag eine schmale Brücke - darunter eine bodenlose Finsternis. Vorsichtig betraten wir einer nach dem anderen die Brücke – dann ein steinernes Mahlgeräusch – die Felswand hinter uns hatte sich durch einen verborgenen Mechanismus wieder geschlossen, es gab keinen Weg mehr zurück. Auf der anderen Seite der Brücke erwartete uns erneut eine Felsentür – und ein Rätsel: Auf ihr stand ein kurzer Text, darunter befanden sich Druckplatten mit Symbolen drauf.

Das Rätsel an der Felsentür.

Nachdem Tarkin eine Fackel entzündet hatte, konnte ich erkennen, dass es sich um eine Inschrift in einer Trollsprache handelte. Ich beherrschte die Zeichen soweit, dass ich sie Urota vorlesen konnte. Er konnte die Worte jedoch nur zum Teil verstehen, jetzt bin ich mir sicher, dass es sich um die Sprache der Schattentrolle gehandelt haben muss. Wie lautete der Satz nochmal?“

Anneliese ergänzte: „Wir hatten uns sowas wie 'Was ist der Beginn der Ewigkeit, das Ende der Stunde, der Anfang allen Endes und das Ende aller Tage?' zusammengereimt. Saradar ging das Rätselraten jedoch nicht schnell genug: Bevor jemand einschreiten konnte, hatte er schon auf irgendeines der Symbole gedrückt.“

„Ich bin eben ein Draufgänger!“, warf er ein.

Anneliese wies ihn zurecht: „WIR wären fast draufgegangen! Na ja, zumindest hat der gewaltige Felsenhammer nur dich getroffen.“

Widun zeigte auf den Troll: „Aber Urota und mich mit von der Brücke gefegt! Wir hatten aber Glück im Unglück und sind in diesen Spinnweben hängengeblieben. An der Felsentür waren vor uns wohl schon andere gescheitert: Da hingen ein paar Skelette eingesponnen im Netz. Und dann waren da auch noch seine Erbauer: Ein paar haarige, vieläugige und hundsgroße Spinnen, die sich gemächlich auf uns zu bewegten.“

Saradar machte Stoßbewegungen mit seiner Waffe, die er jeweils mit einem Ächzen unterlegte: "Kein Problem für meine Zweililie, hab' sie alle aufgespießt! Aber Urota hat geschrien wie ein Mädchen!"

Urota grollte: "Grrr. Ich keine Spinnen-Angst! Du gleich wieder tot!"

Widun beschwichtigte die beiden und fuhr unberührt fort: „Auf jeden Fall haben wir diese widerlichen Spinnen besiegt und uns aus dem Netz befreit. Das Rätsel konnte ich schließlich auch lösen: Gefragt war nach dem Buchstaben 'E', der als Symbol gemeinerweise kaum noch zu erkennen war, weil es sich um Trollblut handelte, das zum Teil schon wieder abgebröckelt war. Wir hatten Glück, dass die Lösung sowohl auf Schatten-Trollgar als auch in der Gemeinen Sprache passte, sonst wären wir nie drauf gekommen.“

Ich war verblüfft: „Respekt. Wie ging es dann weiter?“

„Die Felsentür öffnete sich und wir gelangten in einen mit Kohlebecken ausgeleuchteten Gang. In den seitlich angrenzenden Kammern fanden wir verrostete, aufgebrochene Rüstungen – wahrscheinlich von den Paladinen, einen erloschenen Rennofen und billige Erze. Am Ende des Ganges lag die Holztür, durch die wir hier reingekommen sind. Da war auch ein mit Blut geschriebenes Symbol drauf: die beiden sich überdeckenden Monde, das Symbol des verborgenen Gottes!“

Ein Krachen – Saradar hatte eine hölzerne Seitentür durch einen Tritt aus ihren Angeln gehoben - und war bei dieser Aktion nach hinten umgekippt: „Seht mal, hier geht’s raus!“ Er war scheinbar fast wieder der Alte – bis auf einen noch schlimmeren Dachschaden.