Sonntag, 29. Januar 2017

Die Trolljagd - Epilog: Das Nachspiel

Schaynwayle, die Stadt der sieben - oder waren es acht? - Paladine, lag schon einige Stunden hinter mir, dennoch ließen mich die dortigen Geschehnisse nicht los. Auf dem Gespann, das uns der Karawanenführer Tarso Payn ausgeliehen hatte, dachte ich über das Erlebte nach: Hügeltrolle, Schattentrolle und Schattentrolle, die sich als Hügeltrolle ausgaben, um im Sonnenlicht zu überleben. Dann natürlich noch Trollgiganten und Trollhexen. Das alles war für mich sehr verwirrend - und brachte mich um den Schlaf. Widun hatte mir deshalb ein grünlich schimmerndes Gebräu namens »Schratenbier mit Schuss« gemischt, daraufhin war es jedoch nur noch schlimmer geworden: in meinen Träumen tanzten die Trolle zu einem hämmernden Trommeln und sangen Lieder in ihrer scheußlichen Sprache. Dieses Trommeln setzte sich als pochender Kopfschmerz nach dem Erwachen fort. Dazu gesellte sich dann noch die holprige Rückfahrt zum Nordmarkt - Faune jammern eben gerne.
Der Markt sah völlig anders aus als beim letzten Mal. Ich konnte nicht verstehen, wie sich die Menschen hier zurechtfinden bei diesem Kommen und Gehen, dem Gewimmel und Gewusel.

Vivana saß neben mir. Mir fiel ein Lederhalsband mit einem Jadeauge auf, das sie neuerdings um den Hals trug. Ich wollte wissen, wo sie es gekauft hatte, doch sie lächelte nur.
 
Vivanas Malefize - 1. Teil
 
»Da hat sich dieser fette Söldner doch tatsächlich eine Belohnung für die Trollteile abgeholt!«, dachte sich die grazile Diebin, als sie beobachtete, wie der Söldner Fass gerade mit einem reichlich gefüllten Sack den Planwagen des Scharlatans Irozan verließ. So würde sie ihn nicht davonkommen lassen. Sie war so in Gedanken, dass sie gar nicht bemerkt hatte, wie hinter ihr ein Trupp Reiter herangeprescht kam. Sie konnte sich gerade noch mit einem eleganten Schwung auf eine Holztreppe retten, bevor sie unter die Hufe geriet. Dann folgte ein schneller Blick in Richtung des Söldners: er stieg eben auf sein geschundenes Pferd und gab ihm die Sporen. Er ritt in vollem Galopp durch das Stadttor und ignorierte die Rufe der Bürger, die sein Rappe fast totgetrampelt hätte.
»Der ist weg! Verdammt!«, fluchte Vivana innerlich.
»Aber was ist das?«, fragte sie sich, als sie den Krämer Irozan mit einer Phiole mit glitzerndem Inhalt wieder in seinem Planwagen verschwinden sah. Sie musste sich das genauer ansehen. Rasch lief sie die Treppe hoch, vorbei an jubelnden Menschen, und sprang vom Treppenabsatz auf die Brüstung der Stadtmauer. Diese tänzelte sie entlang, bis sie auf ein angrenzendes Hausdach hinüberspringen konnte. Fast wäre sie ausgerutscht, doch geschickt gewann sie ihr Gleichgewicht zurück. Vom Giebel aus ließ sie sich auf den obersten Fenstersims herab. Der Planwagen des Krämers befand sich jetzt genau unter ihr. Unbemerkt ließ sie sich auf die Plane fallen und schwang sich in den Wagen hinein. Das war alles so schnell gegangen, dass Irozan davon nichts mitbekommen hatte. Mucksmäuschenstill kauerte sie sich in eine schattige Ecke des Wagens, von der aus sie den Scharlatan gut im Auge behalten konnte.Er hielt sich gerade eine der Phiolen mit Trollblut vor Augen und zeigte sein zahnloses Lächeln. Er murmelte vor sich hin: »Das Trollblut war das einzige, das noch gefehlt hat, jetzt wird er!«, als plötzlich ein Miauen aus der Ecke zu hören war, in der sich die Jujin-Diebin versteckt hielt.
»Rula, wo warst du denn die ganze Zeit?«, hallte Irozans besorgte Frage durch den Wagen. Vivana erschrak innerlich, als plötzlich eine schwarze Katze um ihre Beine strich.
»Jetzt steckt dieser ›Irre Zahn‹ auch noch eine Kerze an, Mist!«, dachte sich die Diebin und sah sich nach einem Ausweg um. Sie war nicht weit vom Ausgang entfernt. Rasch griff sie im Dunkeln noch nach einem Gegenstand, der von einem Regal an der Seite herunterbaumelte und verließ rückwärts robbend den Planwagen.
»Puh, das war knapp«, seufzte sie erleichtert auf, als sie in der Menschenmenge untertauchen konnte. Auf dem Weg zum Rathaus schaute sie sich ihr »Mitbringsel« genauer an: ein Talisman aus Jade - das allsehende Auge Skias, der Göttin der Weisheit. Ein toller Fang! Am Rathaus schloss sich die Eichentür, durch die sie gerade noch hineinschlüpfen konnte, ohne eingeklemmt zu werden - »Was man nicht alles riskiert für eine Handvoll Silberlinge!«, musste sie sich eingestehen.
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Die Söldner, die uns teils geholfen, teils ihr eigenes, undurchschaubares Spiel getrieben hatten, waren schon vor uns zurückgekehrt. Wir hörten das laute Schnalzen von Peitschenhieben, als wir uns ihrem Lager näherten. Auf einem Schemel vor einem der Zelte erkannten wir den Söldner Zopf, der seinen mit Striemen übersäten Rücken mit nassen Tüchern kühlte - das Wasser in der Schüssel vor ihm hatte sich bereits scharlachrot verfärbt. Zopf erzählte uns, dass ihr Anführer Halar von dem geheimen Abkommen der Söldner mit dem Händler Irozan Wind bekommen hatte - und sie für diesen Vertrauensbruch jetzt bluten ließ. Auch das Töten eines Gefangenen - er meinte wohl den Troll, den sie hatten ausbluten lassen - konnte er als unehrenhafte Tat nicht ungestraft durchgehen lassen, sodass er es sich nicht nehmen ließ, selbst die Hiebe auszuteilen. Die Söldner - wir sahen gerade Fass mit seinem blutdurchtränkten Hemd das Lager hustend und blutspuckend verlassen - ließen diese Strafe ohne Gegenwehr über sich ergehen. Nur Zottelbart und der junge Schatten blieben wohl verschont, weil Speer sie vor dem »gerechten, aber harten« Halar in Schutz genommen hatte.
Edwen und ich suchten einen Bogner auf, um uns mit Kurzbögen einzudecken. Ich ließ all meinen - bescheidenen - Charme spielen und konnte tatsächlich einen guten Preis für zwei Bögen und zwanzig Pfeile heraushandeln. Vivana deckte sich mit Vorräten, Fackeln und Phiolen ein. Urota präsentierte uns seine aufpolierten, brandneuen Armschienen. Das Verhandlungsgeschick des Barden schien nach seiner Nahtoderfahrung stark nachgelassen zu haben, da er mit leeren Händen von seinem Rundgang zurückgekehrt war. Allerdings war er wegen des Vorfalls in der Schenke in Schaynwayle sowieso ziemlich pleite; immer noch stieß er unvermittelt Flüche aus wie »Wenn ich diesen Beutelschneider zu fassen kriege! Donner! Donner!«
 
Vivanas Malefize - 2. Teil
 
Vivana hatte einen Schmied aufgesucht, um sich ihren Dolch schleifen zu lassen. Dieser hatte sie als einen der Wohltäter der Stadt erkannt und verlangte keine Gegenleistung.
»Wieder etwas gespart!«, dachte sie sich, als sie die Schmiede verließ. Mit wachem Blick schlenderte sie durch Schaynwayle. Die Oberstadt, die den Edlen vorbehalten war, ließ den Langfinger in ihr immer wieder in Verzückung geraten, doch ihr Verstand erinnerte sie dann jedes Mal nüchtern: »Du brauchst deine Hände noch!«
In der ärmeren Unterstadt fiel ihr ein junger Jujin auf, der pfeifend durch die Gassen lief. Dieser schien bemerkt zu haben, dass sie ihm Beachtung schenkte, und beschleunigte seinen Schritt.
»Ein Spitzbube! Sowas sehe ich auf den ersten Blick«, schoss es ihr durch den Kopf, »mal sehen, was er vorhat.« Sie ließ ihm einen kleinen Vorsprung; er sollte denken, dass sie ihm nicht mehr folgte. Nachdem der Junge um eine Häuserecke gebogen war, versteckte sich Vivana blitzschnell im Schatten einer Hauswand.
»Hab‘ ich mir‘s doch gedacht!«, lobte sie sich selbst, als sie sah, dass der kleine Dieb seinen polierten Dolch wie einen Spiegel benutzte, um zu sehen, ob ihm noch jemand auf den Fersen war. Dann verschwand der Spiegel wieder hinter der Ecke. Sie wartete noch einen Moment länger. Tatsächlich kam er wieder aus der Gasse hervor und ging in eine ganz andere Richtung davon. Er schlich sich zum Hintereingang einer Schenke, über deren Vordertür »Tanzende Maid« zu lesen war.
Aus dem Schatten heraus konnte Vivana beobachten, wie sich der Junge mit einem primitiven Dietrich vergeblich abmühte, die Hintertür zu öffnen.
»So hab‘ ich auch mal angefangen«, dachte sie sich und ein Schmunzeln huschte über ihre Lippen. »Kann ich dir helfen?«, erschreckte sie den kleinen Einbrecher. Der Junge drehte sich wieselflink um und hielt ihr - mit einem leichten Zittern - seinen Dolch entgegen. Vivana dagegen freute sich, dass sie in ein junges Gesicht mit goldgelber Haut und Mandelaugen blickte - ein Gesicht ihres Volkes. Der Junge entspannte sich, als ihm klar wurde, dass es sich bei ihr ebenfalls um eine Vergessene handelte und ließ seinen Dolch sinken.
»Meine Frage war ernst gemeint. Aber, was willst du eigentlich in der Schenke? Du bist doch noch zu jung für Starkbier!«, stellte sie fest.
Der Junge namens Hasabi hatte seine Stimme wiedergefunden:
»Sie lassen mich nicht durch die Vordertür rein. Ich muss aber zu einem Freund, der sich in der Schenke befindet. Ich habe eine wichtige Nachricht für ihn!«
Vivana glaubte ihm und sprach mehr zu sich selbst:
»Wie könnten diese Mandelaugen lügen.«
»Ich zeige dir mal wie das geht - gib mir deinen Dietrich!«, bat sie den kleinen Möchtegern. Nach mehreren raschen Drehungen und einem Klicken sprang die Tür auf.
Ein lautes Grölen drang aus dem Schankraum. Die laute Stimme eines Gjölnars namens Lorik übertönte alle anderen:
»Heh, Khor’Namar, lass uns gemeinsam Saufen und dann unsere Kräfte messen!«
»Danke, hab‘ meinen Freund schon gefunden!«, verabschiedete sich der kleine Dieb lächelnd und ließ die Schenkentür hinter sich ins Schloss fallen.
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Mir war aufgefallen, dass sich Vivana und Tarquan neuerdings aus dem Weg gingen, was da wohl vorgefallen war?
 
Vivanas Malefize - 3. Teil
 
»Dieser Schuft!«, dachte sich Vivana, als sie sich von der Holzbank erhob und in Richtung des Schauspielhauses verschwand. Sie hatte zufällig das Gespräch zwischen Syr Goreck und einer Stadtwache mitbekommen, dass laute Geräusche aus dem Theater kämen. »Wahrscheinlich nur ein Liebespärchen, das sich nach zu viel Wein dort vergnügt!«, meinte Syr Goreck.
Grazil schlüpfte sie durch ein geöffnetes Fenster des Theaters.
»Kein Wunder, dass hier nachts die Fenster offen stehen, sehr heiß und stickig hier drin«, erklärte sich Vivana, wie sie so leicht hineingelangen konnte. Dann hörte sie etwas: rhythmische Geräusche, die durch den geschlossenen Bühnenvorhang drangen. Rasch kletterte sie die Balustrade empor und balancierte auf einem Balken, der bis hinter die Bühne reichte.
»Erwische ich dich etwa auf frischer Tat?«, malte sich Vivana das Schlimmste aus.
Und tatsächlich: da stand er, grinsend, mit aufgeknöpftem Hemd - in Umarmung mit einer bildhübschen blonden Maid, einer Gauklerin ihrer Kleidung nach. Vivana merkte, wie ihr vor Eifersucht das Herz bis zum Hals schlug. Wütend begann sie mit ihren Fäusten auf den Balken unter sich zu trommeln, so laut, dass das Pärchen erschrocken auseinandersprang. Tarquan blickte nach oben; er musste sie erkannt haben, denn er rief:
»Mandeläuglein, bleib stehen - das ist anders als du denkst!«
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Sie hatte uns auch verschwiegen, wie sie in die Hände der Trolle geraten war. Ich vermutete, dass sie vielleicht einen Gedächtnisverlust erlitten hatte - so wie es Edwen und mir ergangen war.
Vivana in den Gassen Schaynwayles.

Vivanas Malefize - 4. Teil
 
»Was sind das für bucklige Gestalten da unten?«, fragte sich Vivana, als sie sich enttäuscht - alleine - auf den Weg zu ihrem Bett in der Gaststätte aufgemacht hatte. Als Jujin-Diebin hatte sie natürlich nicht den »normalen Weg« gewählt, den alle anderen eingeschlagen hatten: Sie sprang von Dach zu Dach. »Trolle!«, stellte sie erschrocken fest.
»Was sind denn das für Exemplare? Die sind blass und haben viel längere Kinnhauer als Hügeltrolle«, fragte sie sich.
Sie beobachtete eine - aufgrund ihres schwankenden Ganges offensichtlich betrunkene - junge Frau durch die Gassen torkeln.
»Oh nein, sie läuft ihnen direkt in die Arme«, befürchtete Vivana. Als die Maid um die Häuserecke bog, wurde sie auch schon von einem Troll geschnappt. Er hielt ihr den Mund zu. »Eklig!«, kommentierte Vivana leise, als der Troll der Frau mit seiner langen Zunge über das Gesicht leckte - dann schleppte er sie fort.
»Du muss ihr doch helfen!«, meldete sich das Gewissen der Diebin. Immer mehr Trolle kamen - wie es schien - aus allen Richtungen auf den Festplatz zu.
»Ach ... du …«, erschauderte Vivana, als sie die beiden Trollgiganten bemerkte, deren Köpfe die Dächer der Häuser deutlich überragten. Sie versteckte sich rasch hinter einem Schornstein und wartete ab, bis die beiden vorbeigezogen waren.
»Jetzt aber schnell!«, trieb sich Vivana an und kam bei ihrer Verfolgung der entführten Frau an zahlreichen Leichen und Blutlachen vorbei. Im Bereich des Flussufers verlor sie die beiden aus den Augen. Dann wurde ihr klar, wo sie verschwunden sein mussten: am Ende einer Steintreppe erkannte sie ein Eisentor.
Ein Mensch hantierte daran herum; er versuchte offensichtlich, das Tor wieder abzuschließen.
»Aber das ist doch« - hatte sie ihn erkannt - »Halef!«
Sie trat ihm entgegen. Er blickte sie mit Augen an, aus denen eine uralte, unheimliche Bosheit sprach. Er flößte ihr eine unbeschreibliche Angst ein - ihre Knie wurden weich. Da schloss sich auch schon von hinten ein blasser Trollarm um ihren Hals und sie verlor das Bewusstsein.
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Ich leckte meine Wunden, wie ich das immer nach einem überstandenen Abenteuer mache, und sehnte mich nach ruhigeren Tagen in Tarsos Karawane.

Die Trolljagd - Kapitel 11: Ein Opfer des Hochmuts

Wir folgten unserem Mortarax gerade noch einmal entkommenen Gefährten durch die Tür. Tarkin machte uns Licht: ein hoher, rechteckiger Raum mit einem gewaltigen Tor auf der gegenüberliegenden Seite. Das Tor wurde flankiert von zwei Podesten, auf denen Kupferschüsseln befestigt waren. Auf ihnen erkannte ich wieder Spinnen- und Mondsymbole. Das Tor selbst bestand aus massiver Eiche und war fest verriegelt, das bekam selbst unser Troll nicht auf. Im Fackelschein sahen wir auf seiner Oberfläche schwarze, zum Teil schon wieder abgebröckelte Runen: ein Wort auf Trollgar. Wir schauten Urota an, der jedoch nur mit den Schultern zuckte. Bei den Trollen können wohl nur die Hexen lesen und schreiben.
Mit Trollblut geschriebene Trollrunen.

Widun hatte sich schon einmal mit Trollrunen befasst und erklärte sie mir: „Der nach oben offene Keil ist ein U, das Zeichen darunter ein F, der nach rechts offene Keil - ein C oder K, dann das Dreieck - ein A, dann folgen ein R und schließlich wieder ein Dreieck - also ein A - macht zusammen UFCARA. Eigentlich ganz einfach. Urota, weißt du, was das bedeutet?“

Urota nickte: „Bedeuten: Opfer machen!“

Widun sah uns fragend an: „Aber wen sollen wir opfern?“

Alle schauten betreten unter sich, außer Saradar, der irgendetwas Unverständliches wie „ene, mene …“ murmelte und nacheinander mit seinem Finger auf jeden Einzelnen - außer sich selbst - zeigte.


Nach langen Überlegungen kam ich auf eine mögliche Lösung. Das Wort wurde mit Trollblut geschrieben und neben dem Tor standen zwei Schüsseln: „Nicht wen, sondern was! - Urota, du musst etwas von deinem Blut in die Opferschalen geben!“

Unser Hügeltroll zögerte nicht lange und hielt mir seine Hand hin. Ein kleiner Schnitt mit meinem Dolch und er blutete aus der Handfläche. Er ließ etwas Blut in beide Schalen tropfen. Wir hörten, wie ein Mechanismus aktiviert wurde und das Tor öffnete sich mit einem lauten Knarren.

Ehrfurchtsvoll blickten wir in die dahinterliegende riesige Höhle, der Fackelschein reichte gar nicht aus, als dass wir ihr Ende hätten sehen können. Zu beiden Seiten standen hölzerne Gestelle . Bei genauer Betrachtung wurde mir klar, dass es sich dabei wohl um die Schlafgelegenheiten der Schattentrolle handelte. Das mussten tausende sein! Zu unserem Glück war die Halle "trollleer". Wir durchquerten sie so leise und vorsichtig wie möglich und konnten schließlich am Ende mehrere riesige Käfige erkennen. Darin befanden sich Skelette; an einigen Knochen hingen noch Fleischfetzen. Da lagen auch gewaltige Ketten am Boden; hier wurden scheinbar die Trollgiganten gehalten. Bis auf ein paar Stofffetzen und vergammeltes Essen fanden wir jedoch weiter nichts in der Höhle.

Wir verließen die Höhle durch einen Seiteneingang und standen plötzlich vor einem Abgrund, über den lediglich ein paar Holzbretter gelegt worden waren.

Vivana antwortete instinktiv: „Das riecht förmlich nach einer Falle.“

Saradar sah das ganz anders: „Ach Quatsch, wir gehen vorwärts!“

Einer nach dem anderen folgten wir unserem furchtlosen Barden. Plötzlich wurde uns klar, dass wir uns mitten auf einer Art Felseninsel befanden - umgeben von einem tiefen Abgrund. Auf der anderen Seite lagen ebenfalls ein paar Bretter, die die Schlucht überbrückten. Vivana hatte Recht gehabt - eine Falle! Da waren zwei angemalte Schattentrolle auf der Felseninsel. Sie stießen die Bretter auf beiden Seiten in die Tiefe - wir saßen fest! Dann auch noch ein Luftzug - unsere Fackel loderte noch einmal kurz auf, um dann endgültig zu erlöschen. Das Lachen der Trolle hallte uns entgegen - sie kamen näher. Als Tarkin die Fackel wieder entfachen konnte, kriegten sie plötzlich Angst und versuchten, über die Schlucht zu springen. Einer prallte gegen die gegenüberliegende Felswand, konnte sich nicht festhalten und stürzte mit einem Stöhnen in die Tiefe. Der zweite Troll war erfolgreicher und hielt sich gerade noch so am Felsrand fest.

Vivana war sauer: „Ich hab es euch doch gesagt, eine Falle, war ja offensichtlich - aber auf mich hört ja keiner - alle marschieren sie unserem waghalsigen Barden hinterher wie Freitodwühler.“

Wir tasteten herum - da schienen umgestürzte Säulen zu sein; wir waren uns aber nicht sicher, ob wir mit ihnen über den Abgrund gelangen könnten.
Meine Bohne regte sich. Ich warf sie zu Boden und bat meine Göttin, eine Ranke aus ihr wachsen zu lassen. Ich konnte mit ansehen, wie aus der Bohne zunächst ein weißer Keimling spross, der dann in die Länge wuchs und sich verzweigte. Die Fasern wanden und verdrillten sich ineinander, bis schließlich eine dicke Ranke in die Höhe wuchs, an der wir hochklettern konnten. Wir gelangten so an eine Brücke, die oberhalb des Runentors über die Schlucht führte. Urota war als erster oben angelangt und zog uns nacheinander von der Ranke auf die Brücke. Dann schrumpfte meine Bohnenpflanze wieder in sich zusammen und flog mir in hohem Bogen in die geöffneten Hände.

An das gegenüberliegende Ende der Brücke schloss sich ein Durchgang an, von dem ein blasser Schimmer ausging - in der Ferne konnte ich huschende Schatten erkennen; ich vermutete, dass es sich um fliehende Trolle handelte. Es war hier so dunkel, dass man kaum die Hand vor Augen sehen konnte. Urota ging voraus. Ungefähr in der Mitte der Brücke hielt er unvermittelt an.

Urota flüsterte: "Feind!"

Ein durchdringendes Lachen erschallte plötzlich - eines, das mich in meine Albträume verfolgen würde. Wir wussten, wer uns da erwartete - es war Ratura.
Im blassen Fackelschein sahen wir den Trollberserker, wie er sich breitbeinig auf der schmalen Brücke in Position brachte, um uns den Weg zu versperren. Er schwang seine riesige dornenbewehrte Holzkeule dabei auf und ab.

Höhnisch rief er Urota etwas zu, das so klang wie „Di meks dukam kurbä rer, Waräsar!“.
Urota erwiderte ihm drohend: „Ik karam di sus!“

Auge in Auge standen sich die beiden Trolle gegenüber. Ratura schien sich sicher zu sein, dass er einen nach dem anderen von der Brücke werfen könnte. Doch er hatte die Rechnung ohne Mnamn gemacht: Widun betete an seinen Gott - und Ratura begann wieder zu lachen.
Diesmal aber nicht höhnisch, sondern es hörte sich richtig herzhaft an - er konnte gar nicht aufhören damit und schüttelte sich richtig vor Lachen. Urota nutzte die Gelegenheit - und stieß ihn einfach von der Brücke. Aber nicht, ohne ihm vorher noch seine Dornenkeule abgenommen zu haben.
Ungläubig hörten wir, wie er im Fallen immer noch weiter lachte. Es wurde immer leiser - und schließlich verstummten auch die Echos.

Saradar freute sich: „Na, den sind wir los!“

Vivana zweifelte: „Bei dem wäre ich mir da nicht so sicher …“

Ein kleines Problem blieb noch: Wie kamen wir hier wieder raus? Der Ausgang auf der anderen Seite war verbarrikadiert, wie wir resigniert feststellen mussten. Auch das noch: Unsere letzte Fackel war erloschen, jetzt standen wir da in absoluter Finsternis. Nachdem sich meine Augen an die Dunkelheit gewöhnt hatten, fiel mir ein blasser Schimmer an der Höhlendecke auf.

„Mein Böhnchen, auf ein Neues!“ - Ianna sei Dank wuchs sie wieder empor und diente uns schließlich als Leiter, um an die Decke zu gelangen. Da war tatsächlich ein Loch - und es schimmerte Tageslicht herein! Wir begannen zu graben - und mussten zu unserer Verwunderung feststellen, dass uns scheinbar jemand aus der anderen Richtung entgegen grub. Dann wurde es plötzlich richtig hell - und wir erkannten, wer da gebuddelt hatte. Nein, kein Maulwurf - es war Pferd!

Er reichte Vivana die Hand und half ihr nach oben: „Na, du hättest ja nicht gleich im Erdboden verschwinden müssen, nur weil ich meine Halbschwester umarmt habe!“

Sie ließen uns ein Seil herab, an dem wir und schließlich alle wieder ans Tageslicht ziehen konnten. Meine Zauberbohne verschwand wieder in ihrem Leinenbeutel.

Zu unserem Erstaunen fanden wir uns auf dem Grabhügel von Schaynwayl wieder. Die Statue des achten Paladins, der dem Alun-Priester nach von einem Feuerdrachen in Asche verwandelt wurde, leuchtete grell in der Abendsonne.

Tarquan berichtete: „Ich habe gehört, dass ihr einen Auftrag des Mortarax-Dieners angenommen habt, außerdem war Vivana plötzlich wie vom Erdboden verschwunden. Da habe ich mich auf die Suche gemacht. War schon eine Überraschung, als ich plötzlich dieses scharrende Geräusch hier gehört habe, dachte schon, es gibt hier Ghule, aber die lassen sich ja nur nachts blicken.“

Widun fragte: „Aber hast du vielleicht hier irgendwelche Trolle gesehen?“

Tarquan nickte: „Allerdings, auf der Straße nach Südosten habe ich zehn voll mit Tonkrügen beladene Wagen gesehen, die von hunderten grün bemalter Trolle gezogen wurden. Die hatten es sehr eilig, wollten glaube ich den imbrischen Soldaten aus dem Weg gehen. Was mir aufgefallen ist: Da war auch ein Mensch darunter - ich glaube, dass das dieser Händler war, den ihr vor den Trollen gerettet habt!“

Widun war überrascht: „Halef? Aber warum in Mnamns Namen sollte er jetzt mit ihnen gemeinsame Sache machen?“

Noch lange beschäftigten uns diese Gedanken. Widun hatte unterdessen dem Totendiener Doryth die Überreste der Paladine übergeben, der sich dafür bei ihm nur mit einem schlichten Nicken bedankt habe. Widun musste zugeben: „Na ja, von den Mumien ist ja nur eine halbverweste Hand übrig geblieben.“

Wir begaben uns in die Stadt, wo wir von Lord Goreck empfangen wurden. Wir berichteten ihm von den Vorkommnissen und erhielten eine erneute Belohnung. Er versprach, die nach dem Trollangriff der letzten Nacht noch erschöpften Soldaten hinter den Trollen her zu schicken.

Syr Goreck überreichte uns ein Bündel Schriftrollen: "Nehmt diese versiegelten Schreiben mit und händigt sie persönlich an die Stadtherren aus, denen ihr auf eurer Reise begegnet. Sie enthalten eine Warnung vor den Schattentrollen. Wir wissen nicht, was sie noch weiter vorhaben. Sie sollen euch 20 Silberlinge dafür geben."

Das war dann wohl das Ende der Trolljagd - zumindest für uns.