Montag, 15. September 2014

Die Trolljagd - Kapitel 5: Unter Trollen

Auf Speers Wunsch hin blieb ein Teil unserer Gruppe mit den Söldnern Zopf, Zottelbart und Schatten zurück. Saradar, Widun und Anneliese verkündeten, sich im Wald auf die Lauer zu legen.

Zopf hatte uns noch einmal die Richtung gezeigt, in der die Burgruine lag. Zusammen mit Tarkin, Urota, Edwen und Vivana näherte ich mich der Festung. Durch das Unterholz hindurch konnte ich zwischen den Bäumen eine Mauer erkennen. Die Steine sahen zwar verwittert aus, dennoch machte die Mauer einen massiven Eindruck. Im Schutze der Sträucher schauten wir uns die Festung genauer an. Wir fanden keine Schwachstelle, wo ein problemloses Eindringen möglich gewesen wäre, der Steinwall war überall mindestens dreimal so hoch wie unser Hügeltroll. Vor der Mauer erstreckte sich ein Graben mit schmutzigem Wasser. In der Mitte der diesseitigen Befestigung befand sich ein großes Holztor mit einer Zugbrücke. Ich erkannte, dass einige Äste der umstehenden Bäume bis dicht an die Mauer heranreichten.

Ich verwandelte mich in ein Eichhörnchen, kletterte auf einen der Bäume und kam so auf die Mauer. Auf dem Wehrgang erkannte ich einen großen Schatten. Da ich in meiner momentanen Form wenig ausrichten konnte, kehrte ich schnurstracks zu meinen Gefährten zurück.
„Ich will mir das nochmal genauer ansehen!“, meinte Vivana und kletterte behände einen Baum hoch. Kurz darauf schwang sie sich schon wieder herunter. Sie berichtete uns, dass es sich bei dem Schatten um eine Trollwache handelte, die mit einer großen Klingenwaffe auf der Schulter patrouillierte. Sie hätte auch einen Blick hinter die Mauer erhaschen können. Dort sei ein großer Platz mit einem Baum, weiter im Zentrum hätte sie eingestürzte Dächer, Wagen und Fässer gesehen und im Fenster eines noch intakten Turmes hätte sie sogar Fackelschein bemerkt.

Wir planten, die Trolle aus ihrer Festung heraus in einen Hinterhalt zu locken. Tarkin wollte die anderen im Waldstück unterrichten und machte sich auf den Weg.
Als er zurückkam, berichtete er: „Ich habe nur noch den jungen Söldner Schatten angetroffen. Kurz nachdem wir zur Burgruine aufgebrochen sind, habe eine große Trollhorde das Wäldchen passiert. Zopf und Zottelbart hätten dann wohl mit unseren Gefährten zusammen die Verfolgung aufgenommen. Das mit dem Hinterhalt wird jetzt wohl nichts mehr!“
Wir änderten unseren Plan. Vivana wollte den Wächter auf der Mauer lautlos ausschalten und uns dann das Tor aufmachen. Sie kletterte wieder katzenhaft den Baum hoch, sprang rüber zur Mauer und verschwand in den Schatten.

Einen Moment später hörten wir ein Geräusch, als ob auf der Mauer irgendjemand gestolpert wäre - dann ein Hilfeschrei, der eindeutig von Vivana kam! Plötzlich raschelte es über uns - Vivana war von der Mauer zurück auf den Baum gesprungen und rutschte schnell den Stamm hinunter.

Jetzt konnten wir von unten den Trollwächter sehen, wie er sich über die Mauer beugte. „Schnell, schalte ihn aus, bevor er Verstärkung rufen kann!“, rief Vivana dem etwas träge wirkenden Urota zu. Unser Troll spannte seinen Langbogen und schoss. Der Troll fasste sich ans Ohr, schrie dann etwas Unverständliches auf Trollgar und trommelte mit den Fäusten auf die Mauer. Einen Augenblick später hörten wir das Rattern der Zugbrücke, bis sie schließlich mit einem lauten Krachen auf die Erde knallte. Wir versuchten uns zu verstecken. Tarkin schien verwirrt zu sein, was machte er da bloß? Er kletterte auf einen Stein und bot sich den Trollen förmlich zum Fressen an. Urota und Edwen hatten sich besser platziert. Als drei Trolle schnaubend aus dem Tor hervorquollen, rannte Tarkin um sein Leben. Urota und Edwen traten aus ihren Verstecken neben dem Eingangstor hervor und fielen den Trollen in den Rücken. Nach einem Hieb von Urotas Riesenknochen ging einer der Angreifer bereits in die Knie. Auch Edwen war erfolgreich und hackte dem zweiten Troll in den Rücken. Vivana verließ ihr Schattenversteck und traf den dritten Troll mit einem hinterhältigen Angriff. Die Trolle schlugen wie von Sinnen mit ihren rostigen Beilen um sich. Urota erlitt eine leichte Verletzung, Vivana und Edwen konnten geschickt ausweichen. Urota wurde zornig und spaltete einem der Trolle den Kopf mit seiner Keule.
Als Faundruide konnte ich gegen diese Trolle im Nahkampf wenig ausrichten. Mein Gebet an Ianna, mir einen weiteren Waldgeist zu schicken, war gescheitert, daher versuchte ich es mit einer Schutzhecke. Kurz nachdem ich das Stoßgebet vollendet hatte, spross auch schon eine dichte Hecke vor mir aus dem Boden, die die Trolle nach kurzer Verdutztheit jedoch bloß zu einem spöttischen Lachen nötigte.

Die Trolle waren würdige Gegner, unter Blessuren schafften es die Kämpfer, drei von ihnen auszuschalten. Einem der Trolle gelang es noch mit letzter Kraft ans Tor zu klopfen. Die Brücke wurde wieder hochgezogen. Ein anderer Troll musste Urota gesichtet haben, denn wir hörten ein lautes „Waräsar!“ von der Mauer herunterschallen, was wohl so viel wie "Verräter" auf Trollgar bedeutete. Unsere Antwort folgte prompt. Ich warf Klettenkraut auf ihn - Tarkin schaltete ihn mit einem gezielten Schuss aus: perfekte Zusammenarbeit!

Dann wurde es plötzlich still vor der Ruine. Um uns herum lag ein halbes Dutzend toter Trolle. Urota wandte sich angewidert ab, als wir darüber sprachen, ob wir es den Söldnern nachmachen und Trollhände einsacken sollten.

Doch wie kamen wir jetzt in die Festung? Vivana kletterte erneut auf die Mauer und versteckte sich. Tarkin folgte ihr. Sie konnten einen überraschten Trollwächter ausschalten. Vivana ging eine Treppe hinunter und öffnete Edwen und mir das Tor.

Hinter dem Tor fanden wir uns in einer spärlich ausgeleuchteten Halle wieder. Die Wände bestanden aus grobbehauenen Steinen, die von zerfledderten Wandbehängen geziert wurden. Wir konnten gerade noch erkennen, dass sich vor uns ein bestimmt zehn Schritte messender Abgrund befand. Auf der gegenüberliegenden Seite loderten Fackeln auf. Zwei dicke Trolle bauten sich vor uns auf. Beide trugen sie Stäbe, an derenEnde jeweils ein Korb befestigt war.

Sie fingen an, mit ihren Stäben in Kohlebecken herumzurühren. Wollten sie bloß das Feuer schüren? Nein, jetzt sahen wir, was los war. Sie hatten die Körbe mit glühenden Kugeln beladen. Dann fingen sie an, uns zu verhöhnen, besonders auf Urota hatten sie es abgesehen. Doch nicht nur Beleidigungen schleuderten sie uns entgegen. Mit einer plötzlichen Bewegung feuerte einer der beiden ein glühendes Geschoss auf Urota ab. Dieser konnte sich wegducken und die Feuerkugel setzte einen der Wandbehänge in Brand. Während ich noch auf das sich ausbreitende Feuer achtete, hatte wohl der zweite Trollwerfer sein Geschoss abgefeuert. Es roch plötzlich nach verbranntem Fell - meinem Fell! Zum Glück hatten auch wir Fernkampfwaffen. Urota legte seinen Bogen an - und traff einen der feindlichen Trollwerfer. Nach zwei weiteren Versuchen zogen sich die Trolle zurück.

Wir hörten ein Knarren - eine zuvor verschlossene Seitentür ging auf und zwei Trolle stürmten herein - verfolgt von Schädel und Fass. Ein weiterer Söldner mit einem Trollhauer in der Hand kam grinsend die Treppe von der Mauer herunter, die auch Vivana benutzt hatte, um das Tor aufzumachen. Plötzlich kippte er nach vorne um - ein Beil steckte in seinem Schädel. Jetzt erkannte ich ihn: Das war Tanz, der vor ein paar Stunden Saradar noch Avancen gemacht hatte. Aus dem Schatten trat der Besitzer des Beils hervor - ein weiterer Trollkrieger. Mit der Unterstützung der beiden verbliebenen Söldner drängten wir die Trolle zurück. Der letzte von ihnen starb mit dem Metzgerbeil von Fass im Rücken. Schnell füllte Fass wieder ein paar Phiolen mit Trollblut. An seinem Gürtel sah ich mehrere Trollhauer und -hände hängen.

Fass und Schädel wollten auf eigene Faust losziehen. Sie ließen Tanz' leblosen und gefledderten Körper zurück und verschwanden in der Dunkelheit.

Wir verließen die Vorhalle durch ein Seitentür und finden uns in einem langen Gang wieder. In einem der Nebenräume entdeckten wir Fässer und Truhen. Vivana schaffte es, die Schlösser der beiden Truhen zu knacken. In der einen fanden wir 50 Silberlinge, in der anderen schwarzen Stoff - wohl die Beute eines Raubzugs.

Die Stille wurde plötzlich unterbrochen. Wir hörten ein Schnaufen und sich nähernde Schritte - vielen Schritte. Wir versuchten in die Gegenrichtung zu fliehen und gelangten in einen großen runden Raum. Wir waren gefangen. Etwa fünfzig Trollen hatten uns umringt. Wenn ich ein Mensch gewesen wäre, hätte ich gesagt, dass mir mein Herz in die Hose gerutscht ist. Aber da ich ja für gewöhnlich keine keine Beinkleider trage, begann stattdessen mein linkes Horn zu jucken.

Sie hielten Abstand und griffen überraschenderweise noch nicht an. Sie geiferten und musterten uns mit im Fackelstein glühenden Augen. Auffällig waren die enormen Größenunterschiede - kleinere Jungtrolle standen neben großen, mit vielen Narben übersäten und umso furchteinflößender wirkenden Trollhünen. Dann teilte sich plötzlich wie auf einen unhörbaren Befehl hin die Menge. Ein riesiger Troll, der selbst Urota an Größe überragte, baute sich vor uns auf. Eine seiner Gesichtshälften war durch Brandnarben entstellt und an seiner Schulter ruhte eine große Holzkeule, die mit langen Dornen gespickt war.
Grimmig, aber augenscheinlich mit Interesse, inspizierte er uns, einen nach dem anderen. Dann blieb sein Blick an Urota hängen - er zeigte auf dessen Knochenkeule und brüllte auf Trollgar:
„Eema baaemdricdamda Wokka! Lokk imk aemam Kuvkksußvassbavarb, ik kea kocram!! Wamm Di sasam kecr savemmks, rokkam ver Decr quearraecrs ok Labam, Waräsar!“ - was Urotas groben Übersetzung zufolge so viel bedeutete wie
„Waffe gut! Kopf-Kampf darum machen! Wenn Du gewinnen, vielleicht Du am Leben bleiben, Verräter!“
Ratura, der Trollberserker.

Was nun folgte - ich kann es nur als eine Art Kopfstoßwettbewerb zwischen den beiden Trollhünen bezeichnen. Der feindliche Troll winkte Urota zu sich. Sie stellten sich gegenüber auf. Urota scheint diese Art Wettkampf schon zu kennen. Dann ging es los - die umstehenden Trolle begannen plötzlich rhythmisch aufzustampfen und brüllten: „Ratura! Ratura!“

Ratura begann: von oben herab hämmerte sein Schädel auf den Urotas - dieser zeigte sich gänzlich unbeeindruckt. Dann war unser Troll an der Reihe - Ratura zuckte merklich zusammen - mit so einem harten Schädel hatte er wohl nicht gerechnet, auch die nächste Runde ging an Urota. Die dritte und vierte entschied Ratura für sich, der sich vom ersten Schock erholt zu haben schien und ordentlich austeilte, sodass Urota in die Knie gehen musste. Dann die entscheidende Runde. Urota holte aus, legt sein ganzes Gewicht hinein und landete eine gewaltige Kopfnuss, die Ratura sich das Blut aus seinem verbliebenen Auge wischen ließ. Der letzte Stoß war so heftig gewesen, dass der Berserker etwas verloren hatte. Am Boden blieb ein kleiner Beutel liegen, der sich von seinem Gürtel gelöst haben musste.

Was war das? Die Trollhorde verstummte - ein krächzendes Lachen drang in den Raum. Ratura trat zur Seite und brüllte noch ganz benommen einen Befehl. Wir wurden von den Trollen durch einen engen, dunklen Gang abgeführt. Das Lachen wurde lauter - jetzt auch unterbrochen von schrillen Schreien - und - bestialischen, kehligen Grunzlauten.

"O Ianna, welches Schicksal hast du bloß für uns vorgesehen?", flüsterte ich mir zu.

Samstag, 30. August 2014

Die Trolljagd - Kapitel 4: Die Trophäen der Sieger

Bei Sonnenaufgang zogen wir zusammen mit den Söldnern in Richtung Westen weiter. Wir stießen schließlich auf die nicht zu übersehenden Spuren einer großen Trollhorde. Darunter befanden sich ein paar riesige Fußabdrücke, die sicherlich nicht von einem gewöhnlichen Troll stammten.

Wir folgten den Spuren, die uns zu einer umgekippten Kutsche führten. Ihre Umgebung war von großen Blutflecken übersät. Ein Stöhnen ließ uns die Unterseite des Gefährts untersuchen. Dort war ein Überlebender, der eingeklemmt unter der Kutsche lag. Für Urota war es kein Problem, den Wagen wieder aufzurichten. Als der blutüberströmte Mann den Hügeltroll sah, schrie er vor Angst wie am Spieß und versuchte wegzurennen. Vor Erschöpfung brach er jedoch zusammen, bevor er auch nur richtig auf die Füße gekommen war.

Widun fragte ihn, was passiert sei. Benommen berichtete er ihm: »Sie haben alle umgebracht! Da war ein Monster, das die Trolle an einer Kette geführt haben. Es hat sie ... aufgefressen ... meine Begleiter.«

Er stand verständlicherweise noch unter Schock. Nachem wir ihn beruhigt hatten, fanden wir herais, dass er Halef hieß und als Händler mit der Kutsche unterwegs war – bis sie von Trollen überfallen worden war. Die Pferde hätten sich aufgebäumt und die Kutsche umgerissen. Seine Begleiter und der Kutscher hätten versucht zu fliehen, aber die Trolle hätten sie geschnappt und dann dem Riesen geopfert. Ihn hätten sie für tot gehalten. Bevor er bewusstlos geworden sei, habe er noch mitbekommen, wie sie in Richtung Westen verschwunden seien.

»Laut meiner Karte gibt es dort bloß es eine Burgruine!«, wusste einer der Söldner namens Schädel zu berichten.

»Bleibt zunächst bei dem Händler! Wir schauen uns erst einmal ein wenig um!«, mit diesen Worten von Speer gaben die Söldner ihren Pferden die Sporen.

Nachdem wir aus Teilen der Kutsche eine Trage für Halef gebaut hatten, folgten wir den Söldnern. Als wir uns einem Wäldchen näherten, schallte uns Kampfeslärm entgegen. Wir wurden Zeuge, wie die Söldner drei Trolle niedermachten und einen vierten gefangen nahmen. Dann folgte ein schreckliches Schauspiel: Tanz, Schädel und Fass hackten den toten Trollen die Hände ab und machten sich daran, ihnen auch die Kinnhauer zu entfernen. Dann steckten sie die Körperteile in mitgebrachte Säcke.

Mir war der ganze Vorgang ein Gräuel und ich wollte die Söldner zur Rede stellen:
»Was macht ihr da? Sammelt ihr Trophäen?«

Speer entgegnete mir verärgert: »Nein, wir wollen gutes Geld verdienen! Der Scharlatan bezahlt Halar dafür, dass wir ihm Trollhände und Kinnhauer beschaffen. Mag euch zwar eklig erscheinen, aber die Trolle brauchen ihre Hände und Hauer jetzt auch nicht mehr!«

Urota war inzwischen zu dem gefangenen Troll getreten und befragte ihn für uns auf Trollgar: »Was ihr machen hier?«
Der Troll schaute ihn hoffnungsvoll an: »Wir Wächter – unser Heim schützen!«, übersetzte uns Urota.
»Warum ihr Stadt angegriffen?«, fragte er weiter.
»Wir nicht angegriffen! Wir nur hier! Bruder, du helfen mir!«, übersetzte er die Antwort des Trolls.

»So, Schluss jetzt mit dem Gebrabbel!«, kam es von Fass. Mit einem »Hau-Ruck!« zogen sie den Troll am Seil seiner Fußfessel, das sie über einen dicken Ast geworfen hatten, nach oben. Der Troll baumelte kopfüber vor uns.

Mond zog plötzlich seine Klinge und trat dem Trio aus Fass, Schädel und Tanz entgegen: »Was soll das? Er ist doch keine Bedrohung mehr für uns!«

»Hoho, kleiner Wüstenfuchs! Du stehst wohl auf Trolle!«, frotzelte Fass und machte dabei eine beschwichtigende Geste mit seinen fetten Händen.

Ein weiterer Söldner namens Zopf trat an Monds Seite und zog seinen Säbel. Speer versuchte zu schlichten: »Hört auf mit dem Schwachsinn und steckt eure Waffen weg!«
»Was habt ihr mit ihm vor?«, wollte er von Fass wissen.
Der skrupellose Söldner »Fass«.

»Ist doch klar! Wir erledigen ihn. Ein Feind weniger im Rücken und ein Paar Hände mehr im Sack!«, erklärte Fass.

Speer überlegte einen Moment, dann nickte er: »Ich muss euch leider recht geben: Ja, solange er lebt, bleibt er eine Bedrohung für uns.«

Mond und Zopf steckten widerwillig ihre Waffen weg. Zopf spuckte Fass vor die Füße, dann räumte er das Feld. Fass lachte ihm spöttisch hinterher.

»Speer, das kannst du nicht zulassen!«, meldete sich der junge Schatten, der offenbar auch Mitleid mit der Kreatur hatte. »Er hat sich doch ergeben!«

»Solchen Kreaturen darf man kein falsches Vertrauen entgegenbringen, auch Mitleid ist hier fehl am Platze! Mit den Männern und Frauen in Schaynwayl hätten sich auch keins gehabt!«, versuchte Speer Schatten seine Entscheidung zu erklären – »Tötet ihn, aber macht es schnell!«

Zottelbart zog Schatten zurück, als dieser erneut ansetzen wollte: »Sei weise und vertrau' ihm!«

Blitzartig zückte Tanz ein Messer und schnitt dem herabhängenden Troll die Halsschlagader durch – der Troll schrie auf, dann blutete er stoßweise aus. Fass und Schädel sind zur Stelle und fangen das schwarze Trollblut mit Fläschchen auf, die sie rasch mit Stopfen verschlossen.

Ich sah, wie Urota plötzlich zu taumeln begann – für einen Moment sah ich nur noch das Weiße in seinen Augen – dann ist er wieder ganz da. »Was ist mit dir?«, fragte ich ihn.
»Böse Erinnerung! Trollhexe!«, antwortete er kryptisch.

Dann zischte ein Pfeil knapp über unsere Köpfe hinweg und traf den blutenden Troll genau zwischen die Augen.

»Ihr solltet ihn doch schnell töten! Was führt ihr im Schilde?«, schrie Speer, der den Pfeil abgeschossen hatte.

»Nichts von Belang!«, kam es aus Fass' zahnlosem Mund, als er mit dem Versuch eines Lächelns ein weiteres randvoll mit Trollblut gefülltes Glasfläschchen mit seinem Daumen verschloss.

Inzwischen war Zopf zurückgekehrt: »Ich habe die Burgruine entdeckt! Volltreffer! Die Trollspuren führen dorthin!«

Es folgte eine kurze Unterredung mit Speer.

»Am besten wir teilen uns auf und dringen aus verschiedenen Richtungen in die Trollfestung ein!«, schlug Speer vor.
»Zopf, du bleibst mit Zottelbart und Schatten bei diesem verletzen Händler, sucht euch hier ein gutes Versteck!«
»Ein paar eurer Leute sollten auch zurückbleiben!«, wendete er sich an Edwen, den er wohl für den Anführer unserer Gruppe hielt.
»Wenn ihr aus der Ruine fliehen müsst, haltet auf das Wäldchen zu! Dann können die Zurückbleibenden die Trolle von den Bäumen aus mit Pfeilen spicken!«

Nachdem er seinen Leuten weitere Befehle erteilt hatte, setzte er sie mit einem Handzeichen in Bewegung. Die Söldner verschwanden schnell zwischen den Bäumen, einzig Tarquan warf noch einen sehnsüchtigen Blick zurück – Vivana verabschiedete sich von ihm mit einem gehauchten Kuss.

Freitag, 8. August 2014

Die Trolljagd - Kapitel 3: Söldner und Scharlatane

Inzwischen war die Nacht hereingebrochen. Unsere nicht immer ganz so einträchtige Runde um das Lagerfeuer wurde jäh von Pferdegetrappel unterbrochen. Drei Reiter jagten ihre Pferde in vollem Galopp auf den Markplatz zu. Dort angekommen machten sie abrupt Halt und sprangen ab. Die Pferde keuchten vor Erschöpfung.

„Horcht! Horcht!“, schrien sie bis sich eine größere Menge um sie herum versammelt hatte. Auch einige Mitglieder der Söldnerbande waren zugegen.
Einer der Reiterboten berichtete atemlos: „Wir kommen aus Schaynwayle. Die Stadt wird von Trollen angegriffen. Wir befinden uns im Krieg mit den Trollen! Wir brauchen jede Unterstützung, die wir kriegen können! Alle Freiwilligen mögen sich bis Tagesanbruch hier auf dem Marktplatz sammeln!“

Edwen erklärte, dass es sich bei Schaynwayle um ein kleines Grenzstädtchen im Norden handelte. Sie hatten nur eine kleine Garnison, die einem Trollangriff nicht lange standhalten würde. Wir waren uns uneins, ob wir uns dem Feldzug gegen die Trolle anschließen sollten. Einer unserer Gefährten war schließlich ein Troll - sollte er denn gegen sein eigenes Volk zu Felde ziehen? Wir wussten um Urotas Stärke, was sollte man da gegen eine ganze Trollarmee ausrichten?

Immer mehr Leute kamen auf den Marktplatz. Anneliese wies uns auf einen Krämer hin, bei dem sie einen Zauberstein gekauft hatte. Er war in ein Gespräch mit Halar, dem Anführer der Söldner, vertieft. Die beiden schüttelten sich die Hände. Der Krämer Irozan hatte wohl ein gewinnbringendes Geschäft abgeschlossen.

Vivanas Augen waren auch die Söldnertruppe fixiert. Einer der Söldner mit einer Augenklappe zwinkerte ihr zu. Ich sah, wie sich ihre Gesichtsfarbe von ihrem natürlichen Gelbton in ein leuchtendes Rot verwandelte…

Wir einigten uns schließlich darauf, als Gruppe zusammenzubleiben und den Menschen in Schaynwayle zu helfen. Wir mussten Tarso noch von unserem Entschluss unterrichten. Er bot uns zwei seiner Wagen und Pferde an.
„Bringt sie mir heil zurück, oder ich muss euch 100 Silberlinge pro Wagen und Pferd in Rechnung stellen!“

In aller Früh brachen wir unter der Führung eines Reiterboten in Richtung Norden auf. Zu unserem Tross gehörten acht der gut bewaffneten Söldner und der von Widun als Scharlatan bezeichnete Irozan. Viele der Händler standen vor ihren Zelten und schauten uns nach. Wir kamen auch an einem Zirkuszelt vorbei. Ein zweiköpfiger Schrat blickte daraus hervor und lächelte uns zu.

Als die Sonne unterging machten wir Halt. Ein bärtiger Söldner machte Feuer, zwei andere übernahmen die erste Nachtwache, dann waren Vivana und Tarkin an der Reihe. Wir saßen am Lagerfeuer. Der Söldner, der das Feuer schürte, stellte sich uns als Zottelbart vor. „Eigentlich nicht mein richtiger Name, aber alle nennen mich so“, lachte er.
Er wandte sich an Urota.
„Was macht so ein Hügeltroll wie du in menschlicher Gesellschaft?“, wollte er von ihm wissen.

Urota hatte inzwischen so viel der Gemeinen Sprache erlernt, dass er ihn verstand und – etwas unverständlich zwar – auch antworten konnte.
„Hexenmeister mich verkaufen – soll sterben! Böse Tekk mich versklaven - Menschen mich befreien, dankbar!“

„Mutig von euch mit so einem Troll zu reisen“, wandte sich Zottelbart an den Rest der Gruppe.
„Ich will euch etwas über Trolle erzählen. So weit mir aus Askalon bekannt ist, können sie sehr alt werden, man schätzt so 500 Jahre. Und sie wachsen ihr ganzes Leben lang. Was sie an Körpergröße zulegen, bauen sie an Geisteskraft ab. Es wird von Trollriesen berichtet, die dem Wahnsinn anheim gefallen sind. Zum Glück bin ich noch keinem über den Weg gelaufen... eine solche Begegnung soll meist tödlich enden!“

Saradar fragte in die Runde, ob Trolle irgendwelche bekannten Schwachstellen hätten. Dann fiel sein Blick auf Urota. Er musterte ihn eindringlich bis dieser schließlich mit einem bösen Blick zurückstarrte.

Nachdenklich antwortete der Söldner.
„Na ja, sie haben eine dicke Haut und sind deshalb schwer zu verletzen. Aber stecht ihnen ins Herz oder schlagt ihnen den Kopf ab, dann stehen sie wahrscheinlich nicht wieder auf. Irgendwas war noch mit ihrem Blut ... will mir gerade nicht einfallen.“

Widun hatte sich inzwischen, dank mehrerer Krüge Schratenbier, mit ein paar Söldnern angefreundet.

Nach einer ruhigen Nacht und unbeschwerten Weiterreise, erreichten wir die Stadtmauer von Schaynwayle. Zu unserer Verwunderung öffnete sich das Stadttor – und der Ratsherr der Stadt, ein Syr Goreck, stand vor uns. Er berichtete, dass es ihnen gelungen war, ein Eindringen der Trolle zu verhindern. Sie seien in Richtung Westen verschwunden. Er berichtete, dass es um die 50 Trolle gewesen sein mussten, und dass ein riesiges Monster darunter gewesen sei, das es fast geschafft habe, das Stadttor aufzubrechen.
„Wir wollen 50 Reiter losschicken, um die Trolle zu jagen und die Bedrohung ein für alle Mal zu beenden! Schließt Ihr Euch an?“

Währenddessen sah ich, wie sich der Scharlatan und ein dicker Söldner, der von allen zurecht Fass genannt wurde, unterhielten. Ich konnte nur das Wort 'Trollblut' aufschnappen.
Tarkin hatte inzwischen mitbekommen, dass sich einer der Söldner namens Tanz sehr für unseren Barden interessierte und konnte sich natürlich eine diesbezügliche Anspielung nicht entgehen lassen.
„Na, Saradar, hast du schon den Preis für den Weinschlauch mit Tanz ausgehandelt?“

Während Saradar und Widun in der Stadt ihre Vorräte an geistreichen Getränken aufstockten, brach der Reitertrupp Schaeynwayles mit den Söldnern auf. Wir folgten ihren Spuren nach einer erneuten Auseinandersetzung, ob wir es überhaupt mit dieser Trollarmee aufnehmen sollten. Mit Einbruch der Nacht suchten wir Unterschlupf in einer Höhle. Anneliese entfachte ein Feuer, während sich Tarkin auf einem Hügel postierte.

Nach einer Weile trat ohne Vorwarnung eine dunkle Gestalt in unsere Höhle. Mit einem Arm hatte sie sich Tarkin vor die Brust geklemmt, mit dem anderen hielt sie ihm eine Klinge an den Hals.
„Macht sofort das Feuer aus! Wollt ihr etwa die Trolle hierher locken?“, zischte sie uns an. Bei der Gestalt handelte sich um einen Söldner namens Mond. Ich konnte nur seine dunklen Augen erkennen, da der Rest des Gesichts durch einen Helm verdeckt wurde. Nachdem auch unser Schnarchtroll endlich wach war, folgten wir Mond.

Er führte uns sicher ins Lager der Söldner. Ein Söldner namens Speer zeigte beim Eintreffen auf Urota.
„Was sollen wir mit dem da machen?“

„Ich wüsste da schon was!“, rief Fass und strich dabei mit seinem Finger quer über den Hals.

Widun schritt ein: „Das ist unser Gefährte. Er hat tapfer mit uns gekämpft!“

Speer wandte ein: „Jetzt geht es aber gegen sein eigenes Volk!“

Widun entgegnete: „Na und, wie viele Menschen habt Ihr denn schon getötet?“

Auf diese Gegenfrage hin brach bei den Söldnern Gelächter aus, und die Lage entspannte sich schlagartig. Wir sollten uns zu ihnen setzen und ein Bier mit ihnen trinken. Während die anderen ihre Furcht betäubten, schaute ich mir diese Gestalten etwas genauer an.
Ich konnte beobachten, wie sich der Söldner mit der Augenklappe, der wohl Tarquan hieß, an Vivana ranmachte.
„Trinkt Ihr einen Becher Wein mit mir? Morgen könnten wir alle tot sein!“
Nach einer Weile sah ich, wie die beiden wild küssend und sich befummelnd in einem Zelt verschwanden.
Der dicke Söldner hatte es ebenfalls mitbekommen und rief lachend: „Gleich wird sie wissen, warum er auch Pferd genannt wird!“
Das ließ die Söldner ihre Achtsamkeit vergessen und sie brachen in lautes Gelächter aus.
Mir war hingegen nicht zum Lachen zumute. Langsam kroch mir die Angst in die Knochen.

Die Trolljagd - Kapitel 2: Von Goblins und Wieseln

Saradar: „Bei den askalonischen Soldaten war es anfangs ja ganz nett. Es gab reichlich Bier, wir vertrieben uns die Zeit mit Glücksspielen und für die anderen Dinge, die ein Mann zum Glücklichsein braucht, war ebenfalls gesorgt…“
Dabei grinste er Vivana an.

„Das Ganze wurde ab und an durch ein Scharmützel mit den Ul’Hukk unterbrochen. Zwei Monde brachte ich so zu, aber irgendwann schleicht sich ein Gefühl der Trägheit in die Arme, beginnt auch das beste Bier schal zu schmecken, eine Glückssträhne reißt ab und man kennt alle Frauen im Lager, manche besser als man eigentlich beabsichtigt hat …“

„Na, dann hoffe ich mal, dass du dir da nichts geholt hast“, gab ihm Vivana mit einem Augenzwinkern zurück.

„Eines Nachts erklang das Horn der Wächter. Diese schwachsinnigen Ul’Hukk versuchten wieder mit einer Gruppe Speerträgern und einer Säbelzahnechse den Wall einzunehmen. Das sind natürlich keine Gegner für einen Khor’Namar, einen Sohn des Windes.“
Saradar auf dem Schlachtfeld.

„Jetzt übertreib’ aber mal nicht!“, warf Tarkin ein.

Saradar ignorierte den Kobold: „Einige meiner Mitstreiter fielen im Gefecht, das waren gerade diejenigen, mit denen ich so manchen Abend beim Würfeln und Saufen zugebracht hatte. Da wurde mir klar, dass ich dort keinen Ruhm ernten kann, dass über diese Taten keine Heldenlieder gesungen werden … Eilig packte ich meine Sachen und verließ das Lager beim Ruf des ersten Nachtwolfes. Ich hab‘ mir dann so einen alten Kelari-Hengst geschnappt, der leider seine besten Tage schon hinter sich hatte - für den interessierte sich sowieso niemand mehr. Die Lichter des Soldatenlagers verschwanden hinter mir, ich hatte jedoch immer den Eindruck, als ob mich etwas verfolge. In einer Höhle fand ich Unterschlupf und Wasser für mein Pferd. Die Winde trieben mich in den Norden. Als es dunkel wurde, kam ich zu einem kleinen Wäldchen, aus dem mir Feuerschein entgegenflackerte. Ich band mein Pferd an einem Baum in sicherer Entfernung fest und näherte mich lautlos dem Feuer. Kriechend kam ich so nah heran, dass ich erkennen konnte, wer es sich da um das Feuer gemütlich gemacht hatte: Es war eine Bande Goblins, die sich gerade ein kleines Tier über dem Feuer grillten. Plötzlich hörte ich ein lautes Knurren, ich dachte zuerst, dass das mein Magen sei, doch dann sprang ein Schatten auf mich zu - ich konnte nur noch gefletschte Zähne erkennen. Nun ging alles ganz schnell: Ich packte das Etwas unter meinen rechten Arm und würgte solange, bis es nicht mehr zappelte. Jetzt erkannte ich: Es war ein Nachtwolf, der mich da angegriffen hatte.“ Bei diesen Worten deutet er auf das dunkle Fell, das er umhängen hat: "Das konnte ich natürlich nicht zurücklassen!"

„Haben die Goblins etwas davon mitbekommen?“, wollte ich wissen.

„Diese Feiglinge sind davongerannt. Vom Duft des Bratens angelockt, näherte ich mich der Feuerstelle. Plötzlich vernahm ich ein eigentümliches Wimmern. Zwischen den zerlumpten Sachen der Goblins, die sie in Panik zurückgelassen hatten, fand ich ein kleines, hilfloses Wiesel, das ich doch so nicht zurücklassen konnte! Seine Mama hatten die Goblins schließlich bereits verspeist."

Tarkin: "Und jetzt bist du seine Ersatzmama!", lachte der Kobold.

Saradar: „Das Babywiesel jammerte die ganze Zeit. Ich traf schließlich auf einen Schafhirten, der mir etwas Milch abfüllte. Er wollte als Dank eine Geschichte von mir hören, und ich erzählte ihm von unserer Flucht vor den Ul’Hukk durch das Feld der tausend Tode. Er erzählte mir wiederum von Trollüberfällen im Norden. Ein Gedanken keimte in mir: So sollte sich denn im Kampf mit Trollen mein Schicksal erfüllen, und der Ruhm wieder Einzug in mein Herz halten!“

„Wie pathetisch!“, kam es da von Anneliese.

„Auf meinem Weg nach Norden traf ich schließlich auf einen Bauern, der mich zum Nordmarkt begleitete, tja, und dann wäre ich beinahe auf diesen Kobold da getreten“ - damit war Tarkin gemeint.

Tarkin: „Was für ein lausiges Abenteuer - hast einen alten Gaul geklaut, einen Wolf gewürgt, der wahrscheinlich auch altersschwach war und ein paar Goblins das Abendessen entführt. Damit kommst du nie in Osirs Halle der Krieger!“

Samstag, 26. Juli 2014

Die Trolljagd - Kapitel 1: Der Nordmarkt

Auf dem Kutschbock wehte mir ein warmer Regenmondwind um die Nase. Um mich herum erblühten die Felder, die durch die Sonne in einem goldenen Glanz erstrahlten. Tarso erklärte uns, dass wir gerade die unbefestigte Grenze zwischen Askalon und Imbrien überquert hatten. Ich war gespannt auf das große thalische Reich der Menschen, von dem ich schon so viel gehört hatte.

Unser erster Halt war die Stadt Tremen direkt hinter der Grenze. Während der Baustil an Altem erinnerte mit Fachwerkhäusern und dunklen Steinhäusern, waren die Menschen hier völlig anders. Sie wirkten viel entspannter und waren gut gelaunt - was den Händlern gute Geschäfte bescherte. Vivana wollte ihre Wolfsfelle loswerden, fand hier aber keinen Abnehmer.

Unser nächster Halt war die Stadt Tyngarden. Sie bot einen prächtigen Anblick: helle Steinmauern und dutzende Wachtürme rahmten die Stadt ein. In der Stadt waren die Straßen sauber, die Häuser wirkten herausgeputzt, es gab sogar Parkanlagen. Die Menschen waren in edle Gewänder gekleidet und fast alle waren mit Schmuck behängt. Die meisten hatten blonde Haare, viele der Frauen tragen sie zu langen Zöpfen geflochten.
Hier fanden die exotischen Waren aus Skilis reißenden Absatz. Zwei der fünfzehn Händler waren bereits alle ihre Waren losgeworden und machen sich auf eigene Faust auf den Rückweg nach Skilis, um für Nachschub zu sorgen. Auch Boldran Blei, der Händler mit den abstehenden Ohren und dem Spitzbärtchen, war darunter. Er verabschiedete sich herzlich von uns und hoffte auf ein baldiges Wiedersehen.
Vivana war indes in Tyngarden erfolgreicher. Ein Fellhändler kaufte ihr nach harten Verhandlungen zwei der drei Silberwolffelle für 100 Silberlinge ab.

Nach kurzem Aufenthalt ging es weiter und die Karawane steuerte ihr eigentliches und wichtigstes Ziel an: den großen Nordmarkt in Imbrien. Tarso erklärte uns, dass sich dort die wichtigsten Händler aus ganz Thalien und sogar dem hohen Norden aus Yarwaques Hand trafen. Dort würde nicht nur gefeilscht, dem Glücksspiel gefrönt und gesoffen, sondern es würde sich auch über die neuesten Gerüchte und die attraktivsten Handelswege ausgetauscht.

Nach einer Fahrt ohne Vorkommnisse konnte ich den Nordmarkt schließlich schon aus großer Entfernung erkennen. Er schien sich über den gesamten Horizont zu erstrecken: eine riesige Stadt aus Zelten und Wagen. In der Mitte überragten ein paar Giebel die Zelte, bei denen es sich um das Dörfchen Gaad handelte, das vom Markt praktisch verschluckt wurde.

Die Händler kannten sich untereinander, wir fuhren an keinem Zelt oder Stand vorbei, von dem uns nicht ein freudiges Willkommen entgegenschallte. In meine Nase drangen die Gerüche exotischer Gewürze und zwischen den Zelten wimmelte es von Menschen aller Hautfarben, die in die unterschiedlichsten Gewänder gekleidet waren. Es wurde geschimpft, gelacht und geflucht.

Ein Marktwächter wies der Karawane ihren Stellplatz zu. Die Händler stiegen ab und begannen umgehend damit, ihre Zelte und Stände aufzurichten. Tarso trat auf uns zu: „Schaut euch ruhig einmal auf dem Nordmarkt um, so etwas habt ihr sicherlich in eurem Leben noch nicht zu Gesicht bekommen - verlauft euch aber nicht!“

Widun blickte händereibend auf das Getümmel: „Hier wird Mnamn viele neue Anhänger finden! Mal schauen, wo es Bier gibt - es ist an der Zeit, eine Messe zu halten!“

Tarkin und Urota suchten nach einer Kräuterfrau. Ich war mir zunächst unschlüssig, folgte den beiden dann aber in einiger Entfernung - gar nicht so einfach bei diesem Gedränge. Um Urota herum hatte sich eine Gasse gebildet, keiner der Menschen wollte ihm zu nahe kommen. Mit seiner Unbedenklichkeits-Erklärung in Händen fühlte er sich jetzt sicher, auch der Marktwächter hatte sich damit zufrieden gegeben.

„Wenn das nicht Tarkin ist, der große Koboldkrieger!“, ertönte es plötzlich. Aus der Ferne sah ich einen großen, muskulösen Mann mit einem Streifen roter Haare auf dem sonst kahlen Schädel. Beim Näherkommen konnte ich ihn erkennen: es war Saradar, der Gjölnar-Barde, der es vorgezogen hatte, bei den askalonischen Soldaten zu bleiben.

„Was wollt Ihr denn hier, Barbar!“, entgegnete ihm - nicht gerade höflich - Tarkin, der wohl die Auseinandersetzung um das Kettenhemd noch nicht vergessen hatte.

Saradar: „Spuckt’s aus, wo seid ihr denn groß geworden? Ist das die Koboldart einen alten Kampfgenossen zu begrüßen?“

Tarkin: „Während ihr euch rumgetrieben habt, haben wir die Stadt Altem von ihrer Rattenplage befreit!“

Saradar: „Ihr habt Ratten getötet, toll! Ich habe es mit Nachtwölfen und Goblins aufgenommen!“

Tarkin: „Und was habt ihr denn da überhaupt für ein Gewürm auf eurem Arm?“

Saradar: „Hütet eure Zunge, das ist mein Begleiter, aber auf einen halben Schritt Niveau lasse ich mich jetzt nicht herab, das mit euch zu diskutieren! Ihr habt auch einen neuen Gefährten wie ich sehe: Einen Hügeltroll, der soll euch wohl beim Einkaufsbummel die Taschen tragen. Bei den Gerüchten über Trollüberfälle rufe ich da wohl mal besser den Marktwächter!“

Tarkin: „Sprecht nicht so von ihm! Ich habe an der Seite dieses Trolles schon Kinder gerettet!“

Das gimg noch eine Weile so weiter, durch den Lärm bekam ich nicht alle Einzelheiten mit. Saradar führte ein Pferd am Zügel, das er verkaufen wollte. Die Haut des Pferdes lag in Falten, die Augen waren eingefallen und es hatte kaum noch Zähne im Maul. Er versuchte es bei einem Pferdehändler loszuwerden, der bot ihm jedoch nur ein paar Silberlinge dafür und meinte, er sollte es schlachten lassen. Saradar: „Das Angebot lehne ich ab. Zugegeben, das ist ein alter Gaul, dem schaut man nicht ins Maul - und Pferdefleisch habe ich noch nie gemocht!“

Inzwischen war auch Widun dazugestoßen: „Kennen wir uns nicht vom Saufen?“, begrüßte er Saradar und klopfte ihm dabei kräftig auf den breiten Rücken.

Endlich hatten wir auch die Kräuterfrau gefunden. Sie verkaufte uns "Wundzumach", so nannte sie ein Kraut mit großen Blättern, das wir auf Wunden legen sollten - nach drei Tagen sei dann alles verheilt.

Ich war diesen Rummel nicht gewohnt - das genaue Gegenteil von meiner beschaulichen Heimat Oxysm. Bei mir drehte sich alles im Kopf von den vielen Eindrücken, sodass ich schließlich zum Karawanenlager zurückkehrte. Hier traf ich auf Edwen, der auch gerade vom Einkauf zurückkam - er hatte einen askalonischen Ritterhelm erworben.

Die Sonne küsste bereits den Horizont, als meine Gefährten sich nach und nach im Lager einfanden. Saradar war seinen Gaul bei ein paar Söldnern losgeworden: „Eine seltsame Bande ist das. Einer von denen hat mich angemacht und wollte mir sein Zelt zeigen. Aber immerhin, ihr Anführer, Halar, ist ein Gjölnar - vom gleichen Stamme wie ich, ein Khor‘Namar, habe ich sofort an seinen rot-weißen Haaren erkannt!“
Mit den Silberlingen hatte er sich eine Lilie gekauft.

„Für wen ist die Blume?“, fragte ich naiv.

„Das ist eine Lilie!“, lacht der Gjölnar und lässt einen Doppelspeer über seinem Kopf kreisen.

Tarkin hat sich auch einen Helm zugelegt, während Urota stolz seinen neuen Langbogen präsentiert.

Vivana und Anneliese erzählen, dass sie sich auf der Suche nach 'speziellen' Dingen in den östlichen Teil des Marktes vorgewagt haben. Laut Tarso sei dieser Teil berüchtigt für zwielichtige Geschäfte und Beutelschneiderei. Vivana meint, dass das mit einer Hand am Dolch und einer am Beutel kein großes Problem gewesen sei.
„Seid ihr denn fündig geworden?“, frage ich neugierig.

Anneliese: „Wir sind auf einen Krämer namens Irozan gestoßen, der seltene Dinge verkauft. In seinem dunklen Zelt standen Regale mit Knochen, toten Schlangen und allerlei Phiolen. Ich denke, ich habe einen guten Handel abgeschlossen: Für einen der Silberwolfzähne und ein paar Krähenfedern habe ich diesen Stein bekommen.“
Sie präsentiert uns ihren Stab, an dem jetzt ein Opal prangt, der in allen Farben schimmert.
„Der Krämer habe ihn von einer alten Hexe bekommen - er ist überzeugt, dass der Stein magische Energie bündeln und so die Aura eines Magiers verstärken kann.“

Vivana zeigt uns ein Glas mit einem kleinen Frosch darin: „Ein Giftfrosch aus Zul, sein Gift soll eine lähmende Wirkung haben.“

„Na, dann hoffen wir mal, dass euch dieser Scharlatan nicht über’s Ohr gehauen hat!“
Das kommt von Widun, der sich schwankend auf eine Bank fallen lässt:

„Saradar, alter Saufkumpan, jetzt erzähl uns endlich deine Geschichte!“

Montag, 9. Juni 2014

Abenteuer 3: Die Trolljagd - Prolog

Das Ende des Rattenkönigs war tatsächlich auch das Ende der Plage. Es wehte ein frischer Wind durch Altem. Die Menschen hatten wieder neuen Tatendrang und begannen die Gassen vom Unrat zu befreien. Aus dem Weinenden wurde wieder der Lachende Rabe.
Ian Terek, der greise Alun-Priester, hatte nach uns schicken lassen. Er erzählte uns, dass eine Taube aus Medea eingetroffen sei. Der dortige Alun-Priester hatte nach Novizen verlangt, die am Fuße des Mon Alunas ausgebildet werden sollten. Er wollte der Bitte gerne entsprechen, da ihm aus Altersgründen die Ausbildung immer schwerer falle. Er stellte uns drei seiner Novizen vor: Der erste hieß Zedrick, er war einer der vom Rattenmann entführten Jungen. Terek meinte, dass es gerade für ihn gut sei, aus der Stadt heraus zu kommen. Die beiden anderen hießen Tolar und Luth. Wir sagten gerne zu, auf die drei aufzupassen.
Auf Urota wartete noch eine Überraschung. Dankbar für seine Dienste, erhielt er vom Ratsherrn Largo ein Schriftstück, das ihm eine ungefährdete Weiterreise durch das Thalische Reich gewähren sollte, eine Art Unbedenklichkeitserklärung.
Die Händler konnten doch noch mit ihren Geschäften in Altem zufrieden sein, da sich die Bürger nach dem Ende der Plage wie Verhungernde auf ihre Waren stürzten - auch wenn ihnen der Krämer Orel in der Notzeit für das tägliche Brot viele Silberlinge abgeknöpft hatte…
Tarso gab am nächsten Morgen den Befehl zum Aufbruch: Das Thalische Reich wartete schließlich auf die Waren aus Skilis…

Dienstag, 6. Mai 2014

Die Plage - Epilog: Aluns Gerechtigkeit

Nach einem tiefen Schlaf - ich hatte mir am Abend zuvor ein Zelt weit weg von unserem Schnarchtroll ausgesucht - wurde ich vom Zwitschern der Vögel geweckt. Als ich aus meinem Zelt hinaustrat und mich streckte, sah ich ein paar Honigschwalben, die durch die Gestänge der zum Teil schon abgebauten Karawanenzelte glitten. Der Sonnengott Alun küsste die Schlafenden wach - es war ein verheißungsvoller Morgen.

Die Händler waren mit dem Abbau der Zelte wohl etwas voreilig gewesen - ich sah wie sich hunderte Menschen auf den Markt drängten - keine Rede mehr von einem »Müden Markt«!
Meine Gefährten schienen aus ihren Feldbetten gefallen zu sein - ihre Zelte waren leer - selbst Vivana war wohl schon wieder unterwegs.

Ich schlenderte über den Markt und schaute mir die Stände an. Ein Bogner verkaufte Eschenholzbögen und gehärtete Pfeile. Eine in dicke Tücher gehüllte Obsthändlerin pries ihre Äpfel und Birnen an. Daneben war ein Fischhändler, der geräucherte Heringe feil bot.
Vivana und Tarkin standen am Stand eines Bauern, der ihnen gerade mehrere Rationen Hartkäse und Pökelfleisch überreichte. Sie hatte sich also wieder erholt von ihrer Magenverstimmung. Anneliese entdeckte ich beim Feilschen mit einer Stoffhändlerin. Sie hatte sich das gegerbte Wolfsfell geholt und wollte sich einen Mantel daraus nähen lassen.

Wir hatten für unsere Verdienste reichlich Silberlinge bekommen. Bislang besaß ich nur einen alten Bauerndolch, einen Gürtel und ein Hemd, das mir askalonische Soldaten überlassen hatten. Ich brauchte unbedingt etwas, worin ich meine Fundstücke - neben der Flöte des Rattenmannes einige Felle und Federn - verstauen konnte. Ich konnte bei der freundlichen Stoffhändlerin einen Geldbeutel und einen kleinen Rucksack für drei Silberlinge erwerben.
»Eine Lederrüstung wäre auch nicht schlecht!«, überlegte ich laut, bei den Blessuren durch Ratten, Wölfe und Kadavermaden, die ich schon erleiden musste. Es gab auf dem Markt nur einen Händler, der Waffen und Rüstungen anbot. Sein Stand wurede scheinbar von den Bürgern gemieden.

Da sah ich zufällig die Stadtwache, die uns in die Kanalisation begleitet hatte und von den Ratten ziemlich malträtiert worden war. Er grüßte mich freundlich und stellt sich als Alwyn vor - gestern in der Hektik waren die Höflichkeiten flöten gegangen - wir hatten den armen Kerl nicht einmal nach seinem Namen gefragt. Er war beim Notor gewesen und hatte sich von ihm einen neuen Wundverband anlegen lassen. Ich bekam ein schlechtes Gewissen - wir hatten uns gestern noch nicht einmal um seine Verletzungen gekümmert. Er machte mir keine Vorwürfe, sondern war froh, dass die Rattenplage endlich vorbei war. Er hatte sogar ein Lächeln auf den Lippen: »Dank euch bin ich ein Held in Altem! Der Ratsherr hat mir ein Lob ausgesprochen und mich reich belohnt!«
Er klimperte mit seinem Geldbeutel.

Er sah, dass ich mich für den Waffenstand interessiere: »Bei diesem Orell, der fetten Kröte, müsst Ihr aufpassen. Der hat die Notlage ganz schön ausgenutzt! Er war der einzige, der während der Plage Brot angeboten hat - und hat dafür von den Menschen ihr letztes Hemd verlangt. Kein Wunder, dass niemand mehr etwas mit ihm zu tun haben will! Er hat zum Tausch auch Waffen und Rüstungen angenommen, die will er jetzt wohl loswerden…«
Er erinnerte mich noch einmal an die anstehende Verhandlung über den Rattenfänger, zu der uns der Notor als Zeugen bestellt hatte, und verabschiedete sich dann.

Der Krämer Orell.

Ich versuchte mein Glück beim Krämer, doch hatte dieser nichts als Verachtung für mich übrig, als ich mit ihm feilschen wollte. Nach einigem Hin und Her, dem Einschreiten Vivanas, Anfeindungen und Drohungen … zahlte ich schließlich doch den überteuerten Preis. Was für ein Halunke, dieser Orell!

»Hört! Hört!«, klang es plötzlich über den Marktplatz. Inmitten der Menge stand ein Herold, der gerade wieder ansetzte.
»Hört! Hört! Der Rat der Stadt Altem will heute Abend Gericht halten über den Rattenfänger, der so viel Unglück über unsere schöne Stadt gebracht hat. Alle sollen sich auf dem Richtplatz am Nordufer des Rostwassers einfinden!«

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Mit einem mulmigen Gefühl im Magen begab ich mich am Abend zusammen mit meinen Gefährten zum Richtplatz. Hier hatte sich schon eine riesige Menschenmenge versammelt - es schien fast so, als seien tatsächlich alle Bürger dem Ruf des Herolds gefolgt. Wir wurden von den Stadtwachen in die vorderste Reihe geleitet, da wir als Zeugen aussagen sollten - so bekam ich mit meinen Ein-Schritt-Dreißig wenigstens etwas mit von der Verhandlung. Als die Leute Urota sahen, wichen sie freiwillig zurück und ebneten uns den Weg.

Am Ufer des dreckigen Flusses, der trefflich den Namen »Rostwasser« trug, stand ein verwittertes Podest aus dunklem Holz. Hierauf hatten sie einen langen Tisch gestellt, an dem der Rat Platz genommen hatte. In der Mitte des Podests prangte das, was den Schuldigen erwartete - der Galgen.

Zwei Mitglieder des Rats kannte ich bereits: den sehr ernst drein blickenden Ratsherrn Largo und den Notor Fugan Tayn mit seiner weißen Mähne. Beim dritten Mitglied handelte es sich um einen greisen, barhäuptigen Mann. Er schien Alunpriester zu sein, denn er trug das typische Gewand mit dem Sonnenrad.

Dann kamn sie: drei Stadtwachen mit dem Rattenfänger in der Mitte. Beim ersten Anblick des Übeltäters begannen die vorher so friedlichen Bürger Altems zu schreien und zu fluchen: »Hängt ihn!« - »Hängen ist nicht genug! Vierteilt ihn! Oder noch besser - vorher ans Rad!« - »Wo ist deine Krone, Rattenkönig?« - »Rattendämon, wir schicken dich zurück in den Abgrund!«

Der Rattenfänger musste sich mit am Rücken gefesselten Händen in die Mitte des Podests stellen. Hier war er dem Zorn der Bürger Altems ausgesetzt. Sie hatten faules Obst, einige sogar tote Ratten, mitgebracht und bewarfen ihn damit.
Der Ratsherr erhob sich schließlich und brachte die aufgebrachte Menge mit einer beschwichtigenden Geste zur Ruhe. Als er uns bemerkte, nickte er uns freundlich zu und setzte dann an:
»Werte Bürger der Stadt Altem. Wir haben uns heute hier versammelt, um diesem Mann, der uns nur als der Rattenfänger bekannt ist, nach dem Recht des Lichts und der Vernunft, ein Maß an Gerechtigkeit zuteilwerden zu lassen, wie es das Gebot ist!
Wir werfen ihm vor, dass er zum einen zahlreiche Kinder entführt, Menschen verletzt und zum anderen unsere Stadt mit der Rattenplage überschwemmt hat. Unser ehrenwerter Notor Fugan Tayn und unser alt-ehrwürdiger Alunpriester Ian Terek werden die öffentliche Befragung des Angeklagten vornehmen.«

Damit übergab er mit einem Nicken das Wort an den weisen Notor. Fugan Tayn erhob sich und schaute dem Rattenmann, der von den Wachen in Richtung der Richterbank gedreht worden war, direkt ins Gesicht: »Nun Fremder, verrate uns zunächst deinen Namen!«

Ich sah von der Seite, wie der Rattenmann den Notor spöttisch anlächelte und ihm dann vor die Füße spuckte. Eine der Wachen teilte ihm dafür einen Hieb mit der stumpfen Seite einer Hellebarde aus - ihm blieb kurz die Luft weg und der Spott war verschwunden.

Das Schreien und Zetern der Leute schwoll bedrohlich an - Largo fiel es diesmal schwerer, die Menge wieder in den Griff zu kriegen. Er fauchte den Rattenmann an: »Rattenfänger, dir muss klar sein, dass du am Galgen endest, wenn du nichts zu sagen hast. Ich glaube kaum, dass sich für dich ein Fürsprecher finden wird!«
Ich sah, wie der Rattenfänger die Stirn runzelte. Er schien auf die Bitte Largos einzugehen, denn er wandte sich an die hasserfüllte Menge:
»Ich schaue euch in die Augen als einer von euch. Ich stamme nicht von hier, doch bin ich ebenso verdammt wie ihr. Ihr führt ein Leben in einer stinkenden, zerstörten Stadt und könnt nicht anders, als euer Bestes zu versuchen. Auch ich versuchte einst mein Bestes. Ich war ein Künstler, ein Gaukler im großen Zirkus des Talas Sambar. Niemand konnte sich abwenden, wenn Estrella zu meiner Musik tanzte. Ich hatte Talent - und Hoffnung - damals. Die Hoffnung, einst vor Königen zu spielen und dafür reich entlohnt zu werden.
Und Estrella, meine kleine weiße Ratte, würde in einem goldenen Käfig schlafen.
Doch dann warfen sie uns hinaus und ließen uns in der stinkenden Gosse zurück! Wir mussten von dem leben, was wir uns erbetteln konnten - und das war herzlich wenig. Doch ich hatte immer noch Hoffnung, Hoffnung, dass sich wieder alles zum Guten wenden würde - bis zu jenem Tag - jenem Tag, als die Kinder kamen!«

Ein Funkeln des Wahnsinns trat bei den letzten Worten in seine Augen, die auf ein kleines Mädchen fielen, das sich aus Furcht schnell unter dem Rock seiner Mutter verkroch.

»Erzähl uns, was an jenem Tag geschah!«, forderte ihn der Notor auf.

Der Rattenfänger hatte seinen Kopf gesenkt. Während einer langen Pause atmete er mehrmals tief ein und aus. Dann hob er wieder seinen Kopf - Wahnsinn war scheinbar Trauer gewichen - dicke Tränen kullerten seine Wangen herunter.
Er blickte den Notor an und fuhr heulend fort:
»Diese Kinder, sie haben sich angeschlichen, meine Flöte zerbrochen und dann«, er brach in ein lautes Schluchzen aus, »und dann meine Estrella getötet! Ohne Grund, aus Spaß, Spaß am Töten!«

Ian Terek sah bestürzt zum Notor hinüber und bedeutete ihm, sich hinzusetzen. Der alte Priester stemmte sich mühsam an der Tischplatte hoch und begann mit zittriger Stimme:
»Auch Ihr seid ein Kind des Lichts, junger Mann. Warum habt ihr die Kinder unserer ehrbaren Bürger entführt? Wolltet ihr euch für die Gräuel rächen, die euch widerfahren sind?«

Der Rattenfänger reagierte zunächst nicht auf die Frage. Unerwartet brach er plötzlich in ein lautes Gelächter aus. Die Menge wurde unruhig, der Ratsherr musste wieder einschreiten.

»Nein!«, fauchte der Angeklagte dann den alten Priester an.
»Es war ein Lichtverehrer wie Ihr einer seid, der mich hierher schickte. Er sagte, er wolle mir helfen, mich von der Straße holen. Er gab mir sogar eine neue Flöte, die unzerbrechlich sei und mir neue Hoffnung geben sollte!«

»Ein Bruder des Lichts soll euch hierher geschickt haben?«, fragte der Priester ungläubig zurück.

»Ja, und er hat mich zu dem gemacht, der jetzt vor euch steht!«, schmetterte ihm der Rattenmann entgegen.

»Das ist eine schwere Beleidigung der Bruderschaft des Lichts. Das alleine genügt, um euren Tod zu rechtfertigen! Ist euch das klar?«, schimpfte der Alte mit jetzt sehr energischer Stimme.

Wieder dieses unheimliche Lachen des Rattenfängers.

»Nennt uns den Namen des Priesters, damit wir ihm eine Taube schicken können!«, verlangte der Notor, der sich weit über den Tisch nach vorne gebeugt hat.

»Ich kenne seinen Namen nicht. Er war ein Priester in Medea, wo ich in der Gosse hauste! Die Güte, die mir durch ihn widerfuhr, wollte ich weitergeben. Ich kam mit guten Vorsätzen nach Altem.«

»Du Schwein! Hängen sollst du!«, kam ein Zwischenruf aus der Menge.

»Nun haben wir von euch eine traurige Geschichte gehört. Doch was habt ihr zu den Vorwürfen zu sagen?«, schaltete sich jetzt doch der Ratsherr ein.

Der Rattenmann wandte seinen Blick ab und schwieg.

Der Notor ließ die Eltern vortreten, deren Kinder entführt worden waren. Sie berichteten über die Ängste, die sie aushalten mussten. Die Menge wurde wieder lauter und forderte die sofortige Hinrichtung.

Dann waren wir an der Reihe. Widun schilderte in kurzen Worten unsere Entdeckungen in der Kanalisation und unseren Kampf mit dem »Rattendämon«. Mit der Schilderung der getöteten Ratten und des Feuers, das wir gelegt hatten, trat wieder dieses Funkeln des Wahnsinns in seine Augen.
»Die Ratten - sie sind meine einzigen Freunde! Die Menschen sind die Monster! Überall habe ich gesehen, wie sie meine Freunde getötet haben! Und wieder diese Kinder, wie sie sich über jede getötete Ratte gefreut haben! Ich hasse sie! Ich hasse sie!«

Jetzt zappelte er wie tollwütig und Speichel tropfte aus seinem Mund.

Ich sah, wie der Rat der Drei sich besprach. Dann erhob sich der Alunpriester, dem scheinbar die Verkündung des Urteils oblag.
»Wir sind zu dem Schluss gekommen, dass die Sachlage eindeutig ist! Der Rattenfänger, der uns seinen Namen nicht verraten will, ist schuldig! Er trägt die Schuld an der Rattenplage, der Entführung zahlreicher Kinder Altems und der Verbreitung der Rattenpest - der einige Bürger erlegen sind! Wir verurteilen dich hiermit - im Namen Aluns, des Gottes des Lichts und der Gerechtigkeit - zum Tode durch den Strang! Das Urteil wird sofort vollstreckt!«

Der Rattenfänger hatte aufgehört, sich zu schütteln und wurde zum Galgen begleitet. Ich sah, wie er Anneliese einen bösen Blick zuwarf und etwas vor sich hin murmelte - ich konnte ihn nicht verstehen. Ein vermummter Soldat legte ihm den Strick um den Hals. Die Menge johlte. Dieses Gemurmel, war das eine Verwünschung gewesen? Vielleicht sogar ein Todesfluch? Die anderen teilten meine Bedenken - doch was sollten wir tun?
Urota entschloss sich dazu, den Henker aufzuhalten. Doch zu spät. Bevor er auch nur zum Sprung auf das Podest ansetzen konnte, hatte der Henker die Falltür geöffnet und der Rattenkönig stürzte hinab. Ein lautes Knacken hallte über den Richtplatz, als ihm das Genick brach. Die Menge war noch immer völlig außer sich - diesmal jedoch vor Freude!
Das war also das Ende des Rattenkönigs - aber war es auch das Ende der Plage?

Ich zog mich ins Karawanenlager zurück und leckte meine Wunden - bis zum nächsten Abenteuer.

Samstag, 26. April 2014

Die Plage - Kapitel 8: Der Kampf mit dem Rattenkönig

Eine der Riesenratten schnappte nach Tarkin und verfehlte ihn - Urota hatte weniger Glück, die scharfen Zähne der anderen Riesenratte schugen ihm eine tiefe Wunde. Tarkin traf mit seinem Kurzschwert. Urota rächte sich für den Angriff und erschlug das Monster mit einem gewaltigen Hieb seines Riesenknochens. Edwen hatte Schwierigkeiten, die wendigen Bestien mit seiner Axt zu erwischen - er sah etwas hilflos aus.

Aus Annelieses Richtung sah ich Flammen auflodern - die dann aber sofort wieder erloschen, ohne dass ein Feuerstrahl folgte.

Widun kippte sich kurz etwas hinter die Binde und begann zu beten - vier der Ratten bewegten sich plötzlich unbeholfen wankend - Mnamn sei Dank!

Auch unser Trollwächter beteiligte sich am Kampf. Es blieb ihm letztlich keine andere Wahl, wenn er hier überleben wollte. Die Biester schienen durch seine polierte Rüstung angelockt zu werden, sie stürzten sich in Scharen auf ihn. Er konnte sie nicht abschütteln und schrie vor Schmerzen, als er mehrfach gebissen wurde.

Weitere Ratten drängten auf Urota ein - aus seiner Richtung kam ein Fluchen - ich sah, wie sich zwei in seine Zehen verbissen hatten - was mir zum Glück nicht passieren konnte.
Edwen hatte sich inzwischen auf das Hin und Her der Ratten eingestellt und eine der Reißzahnratten mit seiner Axt entzwei gespalten.

Während sich alle anderen auf die Ratten konzentriert hatten, hatte ich den Rattenmann nicht aus den Augen gelassen. Er schien mit seiner Querflöte mehr Macht über die Ratten zu haben, als sie mir Ianna gewähren konnte. Meine Hirtenflöte war leider in den Wäldern verloren gegangen, als mich der Fallensteller erwischt hatte, ansonsten hätte ich es in einem Flötenduell mit ihm aufnehmen können. Irgendwie musste ich ihn daran hindern, weiter zu flöten. Durch ein Gebet ließ ich Klettenkraut wachsen - diesmal hatte ich damit mehr Glück als beim letzten Mal und erwischte den Rattenmann mit einem gezielten Wurf. Er war sichtlich irritiert und versuchte das Kraut abzuschütteln.

Urota kannte keine Gnade und haute mit dem Knochen auf die Ratten an seinen Zehen - diese waren Matsch - seine Zehen hatte er jedoch auch erwischt - was ein erneutes lautes Fluchen und einbeiniges Hüpfen zur Folge hatte.

Anneliese betätigte sich wieder als Flammenwerfer - ein für eine Koboldin sehr eindrückliches "Singi Sidar Tiron" hallte durch den Thronsaal des Rattenkönigs und der hervorgerufene Feuerstrahl grillte gleich drei Ratten auf einmal. Tarkin war von dem resultierenden Grillaroma sichtlich begeistert - und abgelenkt - denn er schlug ins Leere.
Widun legte sich plötzlich ausgestreckt auf den Boden… und sprach mit den Steinen… nichts passierte. Betete er oder war er nur sturzbesoffen?

Der Rattenmann hatte es doch tatsächlich geschafft, die seltsame Flöte wieder an den Mund zu kriegen - er begann wieder diese unheimliche Melodie zu spielen - neue Ratten drängten aus allen Winkeln heran.

Edwen beschäftigte sich mit der verbliebenen Riesenratte und hatte gerade seine Axt in ihren Rücken versenkt. Eine Aasratte sprang auf mich zu - bevor sie mich beißen konnte, hatte ich sie mit meinem Dolch aufgespießt.

Ich sah, wie Urota den Kurzbogen von Jel hervorholte und auf den Rattenmann anlegte - der Pfeil zischte nur knapp an Edwen vorbei - und verfehlte auch den Rattenmann. Dieser wich aber erschrocken ein Stück zurück und stellte sein Flötenspiel ein.
Die Riesenratte hatte sich jetzt auf die Stadtwache gestürzt - Edwen wurde ein Stück mitgeschleift, da er seine Axt fest umklammert hielt, die sich im Rattenrücken scheinbar verkantet hatte.

Anneliese zog sich etwas zurück - sie vermeldete uns, dass ihre Aura erschöpft sei.
Edwen rief verzweifelt: "Wir müssen die Quelle ausschalten!"
Er hatte seine Axt inzwischen wieder aus der riesigen Ratte herausgezogen und stürzte sich auf die Halbglatze. Tarkin sprang mit erhobenem Schwert auf die Riesenratte und stach ihr von hinten in den Kopf. Ein Röcheln - und sie sackte endlich zu Boden.

Der Rattenmann erkannte, dass ihm jetzt unsere volle Aufmerksamkeit galt und zog sein rostiges Kurzschwert hervor. Anneliese versuchte die Gelegenheit zu nutzen und ihm die Flöte zu stehlen - sie musste aber erkennen, dass der gesamte Leib des Mannes von Ratten bedeckt war, die sie wütend anfauchten, als sie dem Rattenkönig zu nah kam.

Von der Seite stürzten sich mehrere Ratten auf Edwen - er wurde schwer verwundet. Ich eilte hinzu und konnte ihm nur ein wenig Lebenskraft durch Iannas Hilfe zurückgeben - der sonst so starke Axtkrieger konnte sich kaum noch auf den Beinen halten.

Tarkin, Urota und Widun beschäftigten sich mit den verbliebenen Ratten und dezimierten sie nach und nach. Tarkin griff sich plötzlich eine der getöteten Ratten und warf sie Edwen zu.
"Da, iss!"
Die Ratte landete mehrere Schritte von Edwen entfernt auf dem Boden.
"Was soll das? Sehe ich etwa aus wie ein Garbag?"

Anneliese gab nicht auf - sie wich geschickt den Rattenbissen und den Hieben des Rattenmannes aus - doch an seine Flöte ließ er sie nicht ran.
"Verschwinde, du kleiner Dreckskobold!"
Rattenmann.

Auch Tarkin drängte jetzt auch auf ihn ein.
"Noch so ein Dreckskobold!", schrie der Rattenmann ihn an und drosch mit seinem Schwert auf ihn ein.

Ich sah, wie er Schritt um Schritt in die Dunkelheit zurückwich - bestimmt gab es hier irgendwo eine Geheimtür, durch die er verschwinden wollte.
Ich konzentrierte mich und betete an die Erdmutter - ein Waldgeist erschien hinter dem Rattenmann. Da er ihn nicht sah, war er zunächst auch nicht beeindruckt von dessen leuchtend grünen Augen und ging weiter im Rückwärtsgang.
Im Umdrehen erwischte er unsere Kobolddame mit einem gemeinen Hieb - sie blutete am Arm. Das war Edwen zuviel - obwohl auch er verwundet war, nahm er ihn von hinten in den Schwitzkasten. Tarkin nutzte diese Gelegenheit für seinen berüchtigten verhängnisvollen Kopfstoß - beim Rattenmann gingen erst einmal die Lichter aus.
Der Waldgeist verflüchtigte sich so schnell, wie er erschienen war.

Ich griff mir die Querflöte, die der Rattenfänger auf dem Weg ins Land der Träume hatte fallen lassen. Wer wusste schon, wozu ich die nochmal gebrauchen könnte.

Tarkin nahm sich einen der herumliegenden Leinensäcke und sammelte ein paar Ratten ein.
"Für später."

"Ruhe! Ich höre etwas!", meldete sich Anneliese plötzlich. Tatsächlich, jetzt hörte ich es auch. Ein leises Wimmern.

Wir suchten den Thronsaal ab und entdeckten einen großen Holzverschlag in einem Teil, der die ganze Zeit im Dunkeln gelegen hatte. Für Urota war es ein Leichtes ihn aufzubrechen. Weinend stürzten sich uns zwei Mädchen und zwei Jungen entgegen - die vermissten Kinder - wir hatten sie tatsächlich gefunden! Ich hatte schon das Schlimmste befürchtet - nämlich dass sie ein Fraß der Ratten geworden sein könnten!

Hinter dem Verschlag öffnete sich eine Höhle - in den Wänden waren Alkoven - Rattennester wie wir erkennen mussten. Ich wollte nicht wissen, wie viele Ratten hier noch auf uns lauerten. Nach kurzer Beratung entschlossen wir uns dazu, die Nester auszuräuchern. Edwen und Urota schlugen das Holz vom Verschlag in brauchbare Stücke, und wir errichteten einen Stapel in der Mitte der Höhle. Die meisten Ratten schienen zu schlafen - scheinbar waren die Ratten, die uns angegriffen hatten, erst durch das Flötenspiel erweckt worden.

Mit Tarkins Öllampe setzten wir den Stapel in Brand, nahmen die Kinder an die Hand und flüchteten aus der Kanalisation. Hinter uns ertönte ein Konzert aus quiekenden Todesschreien - die hoffentlich vom Ende der Plage Altems kündeten.

Urota hatte sich den Verursacher des ganzen Übels unter den Arm gepackt. Er sollte sich vor dem Rat und der ganzen Stadt für seine Taten verantworten!

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Der Rattenfänger war mittlerweile gefesselt. Wir führten ihn dem Ratsherrn vor.
"Ich erkenne dich wieder, Rattenfänger, hast ein falsches Spiel mit uns getrieben! Du wirst eine gerechte Strafe für deine Vergehen erhalten!"
Die Stadtwachen führten ihn ab. Der Ratsherr rief den Notor hinzu und beriet sich mit ihm.
"Wie ich hörte, habt ihr auch ein großes Rattennest ausgeräuchert und konntet vier Kinder befreien. Wie vereinbart erhaltet ihr eine Belohnung für eure Dienste!"
Jeder von uns bekam 25 Silberlinge.

Tarkin und Anneliese hielten die Kinder noch an der Hand. Sie sahen ausgehungert aus und kniffen wegen der ungewohnten Helligkeit die Augen zusammen, schienen aber ansonsten gesund zu sein. Unter den Kindern war neben dem verschwundenen Pferdejungen auch die Tochter von Syr Kym. Edwen und die Kobolde brachten sie zum Weinenden Raben, wo bestimmt nicht nur dem Namensgeber die Tränen in den Augen stehen würden.

Widun und ich suchten währenddessen das Badehaus auf, um endlich den Gestank der Kanalisation wieder los zu werden. Im heißen Zuber hieß es erst einmal entspannen.

Wir trafen uns schließlich abends im Lager wieder. Edwen teilte die 35 Silberlinge auf, die uns der alte Ritter aus Dankbarkeit gezahlt hatte. Anneliese hatte sich inzwischen vom Gerber einen Wolfsmantel aus dem angebrannten Fell des Silberwolfes fertigen lassen. Tarkin trug neuerdings eine Halskette aus Reißzahnratten-Zähnen.

Wir schauten nach Vivana - sie schlief im Zelt auf den Wolfsfellen. Hoffentlich würde es ihr morgen wieder besser gehen.

Freitag, 18. April 2014

Die Plage - Kapitel 7: Das Reich der Ratten

Ich konnte nichts mehr sehen, als ich nach dem Abstieg aus dem hellen Tageslicht den Boden der Kanalisation erreicht hatte. Meine Augen mussten sich erst an die Dunkelheit gewöhnen. Die von Tarkin mitgebrachte Laterne beleuchtete die Gänge nur spärlich. Ich erkannte, dass die Decke von Rundbögen gebildet wurde, überall an den Wänden waren kleine Öffnungen, aus denen sich Wasser und Fäkalien in den Kanal in der Mitte des Ganges entleerten. Der Gestank, der von der grün-braunen Brühe aufstieg, war kaum auszuhalten. Ich hörte Tropfgeräusche, ab und zu auch ein Plätschern oder Gurgeln. Urota musste sich bücken, um sich nicht den Kopf anzustoßen. Mir kam es so vor, als sei er in der Zwischenzeit ein ganzes Stück gewachsen - an den Wagen der Tekk gekettet war er mir viel kleiner vorgekommen.
Er bemerkte meinen Blick.
"Menschen komisch, bauen Wege für Kot - aber nicht für Urota!"

Die Stadtwache war hinter ihm kaum zu erkennen, ich sah nur die Lichtreflexe seiner polierten Rüstung an den Wänden. Seine Hellebarde hatte er zurücklassen müssen, da sie zu sperrig war in den engen Kanälen. Er hielt stattdessen sein Schwert gezückt.
Widun und ich beteten zu unseren Göttern, um uns ihrer Gunst zu versichern. Wer wusste schon, was für Dinge da im Dunkeln auf uns lauern würden.

Wir zogen die Karte des Notors zu Rate und entschieden uns für einen Weg, der uns zu einem großen Raum führen musste.

Der Boden war glitschig, an einigen Stellen lag Rattendreck. Bisher hatte sich überraschenderweise noch keins der Biester blicken lassen.

Nach unzähligen Abzweigungen waren wir uns nicht mehr sicher, ob wir noch auf dem geplanten Weg waren. Einige Gänge waren verschüttet, und wir stießen auf große Öffnungen, die nicht auf der Karte verzeichnet waren. Leider hatte keiner von uns daran gedacht, Markierungen anzubringen, damit wir leichter den Weg zurückfinden würden. Tarkin musste die Laterne herunterdrehen, um Öl zu sparen. Inzwischen hatten sich meine Augen zum Glück der spärlichen Beleuchtung angepasst.

Plötzlich hörten wir ein Schmatzen und dann ein Knacken wie von brechenden Knochen. Durch den Hall war es schwierig, die Richtung auszumachen, aus der das Geräusch kam.

Wir bogen um eine Ecke, als unser Lichtschein auf etwas fiel, das dort am Boden kauerte. Es erhob einen Arm, um seine Augen vor dem Licht zu schützen. Es sah entfernt aus wie ein Mensch - nur mit fahler Haut und aufgetriebenem Bauch. Der Schädel war haarlos. Es war unbekleidet bis auf einen kleinen Lendenschurz. Neben ihm lag ein Sack, aus dem ein langer Rattenschwanz ragte.

Die Stadtwache schrie: "Da ist er ja, dieser Rattendämon!"
Er wollte sich auf ihn stürzen.
Edwen gebot ihm Einhalt.
"Nein! Haltet euch zurück! Das ist kein Rattendämon, sondern ein Garbag, ein verfluchter - und sehr bedauernswerter - Mensch!"

Garbag (Zeichnung mit Genehmigung von Bill Gage).

"Wo sind die Kinder?", wollte Anneliese wissen.
Der Garbag fragte zurück: "Kinder? Was ist Kinder? Ratten! Ratten lecker!"
Der Blick seiner hohlen Augen fiel auf Anneliese.
"Kobold auch gut".
Er leckte sich über die blassen Lippen.
Widun und ich versuchten es noch einmal.
"Kinder - kleine Menschen - wenn du uns hilfst, sie zu finden, bekommst du alle Ratten, die wir töten!"
"Ratten - lecker!"
Blitzschnell drehte er sich um und hoppelte den Gang hinunter. Wir hatten Mühe, ihn nicht aus den Augen zu verlieren. Dann hielt er plötzlich inne und nahm eine tote Aasratte auf.
"Saftig!"
Er steckte sie in seinen Beutel und erntete dabei einen neidischen Blick von Tarkin.

Einige Schritt weiter mischte sich eine süßliche Note in den Kanalisationsgestank. Dann sahen wir es. Da lag eine ausgestreckte Gestalt, fast bis auf die Knochen abgenagt, die Stofffetzen ließen noch ein bunt-kariertes Muster erkennen.
"Ah
a, deshalb riecht es hier also so komisch!", meinte Widun trocken.

Auf den zweiten Blick fiel uns auf, dass er etwas umklammert hielt - eine kleine Holzkiste. Tarkin löste sie vorsichtig aus den starren Fingern. Er und Urota versuchten vergeblich sie zu öffnen. Vivana hätte sie sicher aufbekommen.
"Gebt mal her!"
Edwen schaffte es schließlich, sie mit seiner Axt aufzuhebeln. Es fielen 50 Silberlinge heraus.
"Jetzt erkenne ich ihn!", rief die Stadtwache aus.
"Dieser verweste Gaukler da, das war einer der Rattenfänger, die der Rat beauftragt hat, sich um die Plage zu kümmern."
Während wir durch das Funkeln der Silberlinge und die Stadtwache abgelenkt waren, musste sich der Garbag heimlich auf und davon gemacht haben.

Wir folgten dem Gang - und stießen auf immer mehr Rattendreck. Schließlich mussten wir aufpassen, auf den Exkrementen nicht auszurutschen. Dann passierte es doch. Widun und ich landeten in der braunen Brühe. Nur mit Mühe konnten wir uns wieder auf den Weg hochziehen, beide bis auf die Knochen durchtränkt. Edwen hielt sich demonstrativ die Nase zu: "So muss Maliques Mageninhalt riechen!"

"Während meines Sturzes habe ich oben in der Decke eine schmale Öffnung gesehen!", stellte Widun überraschenderweise fest. Tarkin richtete die Öllampe in die Richtung, in die Widun zeigte. An der Wand waren hunderte Rattenspuren zu sehen.
"Ich denke, wir nähern uns dem Rattenversteck", meinte Edwen, als das flackernde Licht einen schmalen Gang offenbarte. Urota und Edwen halfen dem Kleinvolk in die Öffnung. Anneliese, unsere Kobold-Magierin kroch voraus. Ich hörte noch den Ausruf "Eine Ratte!" aus dem Gang, dann folgten eine magische Formel, ein Aufflackern und ein schmerzerfüllter Todesschrei.

Urota half uns per Räuberleiter hoch, schließlich zogen wir auch ihn mit Mühe durch die Öffnung. Der enge Verbindungsgang war zum Glück nicht sehr lang. Wir drückten uns durch den Ausgang und standen vor einem Trümmerfeld. Da war ein altes, mit Brettern verbarrikadiertes Tor. Zwischen den Brettern drang Fackelschein hindurch. Das schien der einzige Durchgang zu sein. Urota begann damit, die Trümmer beiseite zu räumen. Jenseits des Tores erklang plötzlich eine Melodie. Dann folgte eine kurze Stille, die jedoch jäh von einem mehrstimmigen Quieken beendet wurde.

Von allen Seiten strömten Ratten auf uns ein. Ich sah wie Edwen eine Ratte abschüttelte. Gleich drei Ratten hatten es auf Anneliese abgesehen - sie setzte einen halben Tekk-Speer ein, um die Biester auf Abstand zu halten.

Ich versuchte es nochmal mit dem Gebet an Ianna, das schon einmal Wunder gewirkt hatte. Und tatsächlich, die Ratten suchten das Weite. Mittlerweile hatte Urota den letzten Felsbrocken mit großer Anstrengung weggerollt und das Tor war frei.

Als es sich öffnete, bot sich uns ein seltsamer Anblick.
Vor einem kleinen Lagerfeuer, das die große Kammer nur spärlich ausleuchtete, saß eine in Lumpen gehüllte Gestalt, die eine seltsame Flöte in der Hand hielt. Ihr Schädel war auf der einen Seite kahl, auf der anderen Seite hingen ihr lange Haare herunter. Ihre gelben Augen glotzen uns zornig an, als wir nähertraten.

"Das ist der andere Rattenfänger, den wir beauftragt haben!", stellte die Stadtwache fest. Er zeigte drohend mit dem Schwert auf ihn.

"Ihr Narren!", brüllte der vermeintliche Rattenfänger uns entgegen.
"Glaubt ihr wirklich, ihr könnt es mit dem König der Ratten aufnehmen?"
Mit diesen Worten setzte er die Flöte an die Lippen und begann eine säuselnde Melodie zu spielen.

Aus allen Richtungen ertönte ein ohrenbetäubendes Fauchen und Quieken. Dann kamen sie - eine wahre Rattenflut stürzte auf uns herein. Darunter erkannte ich zwei riesige Biester, die Edwen bis an die Schulter reichten. Einige Ratten hatten Beulen, aus denen dunkles Sekret troff. Wieder andere hatten lange Zähne, die weit aus ihren Mäulern ragten.
Tarkin hat die Ratten-Arten katalogisiert - aus kulinarischen Gründen.

Mittwoch, 16. April 2014

Die Plage - Kapitel 6: Der weinende Rabe

Nach einer langen Nacht im Kerker erschienen am nächsten Morgen endlich unsere Gefährten in Begleitung einer Stadtwache und befreiten uns. Urota hatte die Haft wenig ausgemacht, zumindest er war ausgeruht nach einem erholsamen Schlaf - der mir aufgrund seines ohrenbetäubenden Schnarchens nicht vergönnt gewesen war. Leider hatte mir Ianna nur einmal zwischen zwei Sonnenaufgängen die Gabe verliehen, mich in ein Tier und wieder zurück zu verwandeln … Als Eichhörnchen wäre ich längst durch die Gitterstäbe geschlüpft!

Widun berichtete uns, was in der Nacht noch vorgefallen war.
"Wir haben auf euch gewartet, aber irgendwann ist es uns zu unheimlich geworden in den Kanälen, ganz abgesehen vom Gestank. Wir sind ins Karawanenlager zurückgekehrt und haben euch dort nicht vorgefunden. Aus Tarsos Zelt drang noch Licht, wir wollten hineingehen, aber da trat uns ein Schatten entgegen."

Mit diesen Worten trat hinter Widun eine große, bärtige Gestalt hervor. Es war Edwen, der Axtkrieger, der uns aus der Hand der Tekk befreit hatte. Was für eine freudige Überraschung. Ich war glücklich, ihn wiederzusehen.

Edwen, der "Schattenmann".

"Eine Taube hat mir geflüstert, dass ihr meine Hilfe braucht", erzählte er uns.
"Außerdem habe ich meinen kleinen Kobold-Söldner vermisst", wandte er sich lächelnd an Tarkin und tätschelte ihm das Fell im Nacken, was diesem sichtlich unangenehm war.

"Wo ist Vivana?", wollte ich wissen.
"Oh! Ihr geht es gar nicht gut - sie muss sich irgendwie den Magen verdorben haben … sie war ganz grün im Gesicht, als ich sie zuletzt gesehen habe", berichtete Widun.
Anneliese beschimpfte Tarkin: "Bestimmt deine Schuld, weil du vor ihren Augen die Ratte geschluckt hast!"
"Quatsch! Was soll denn an einer Ratte eklig sein?", entgegnete Tarkin.

"Ruhe jetzt!" - Widun wollte mit seinem Bericht fortfahren: "Wir wollten euch suchen, aber die Stadtwachen haben uns wegen der Ausgangssperre daran gehindert. Zum Glück hatte Vivana den Siegelring des Notors" - war ja klar - "sodass wir nicht auch im Kerker landeten. Die Stadtwache empfahl uns, den Weinenden Raben aufzusuchen. Die Taverne heißt wohl so seit dem Erdbeben, vorher war das der Lachende Rabe, aber das nur nebenbei …"

"Wir dachten uns schon, dass euch die Stadtwache wegen der Ausgangssperre aufgegriffen hat und wollten den Soldaten überzeugen, uns zu euch zu führen. Dank meines Charmes konnte ich ihn zumindest überreden, uns in die Taverne zu begleiten. Bei einem guten Bier lockert sich bekanntlich die Zunge!"

"Ich fragte ihn, was denn eine Wache mit einem Hügeltroll anstellen würde. Er meinte, dass er ein solches Monster entweder verhaften oder töten würde …"

Urota reagierte gar nicht auf diese Äußerung - er hatte seinen Riesenknochen wiedergefunden und kratzte sich damit gerade den Rücken.

"Dann trat ein alter Ritter auf uns zu, der sich uns freundlich als Syr Kym vorstellte. Er erzählte uns verzweifelt, dass er seine Tochter suche. Er sei Witwer und komme aus Bel. Zusammen mit seiner Tochter sei er nach Altem gekommen, um Stoffe auszusuchen. Letzte Nacht sei seine Tochter dann verschwunden - er hatte keine Erklärung dafür, was passiert sein könnte - einfach weg. Man konnte es ihm ansehen - die Sorgen hatten bereits tiefe Furchen in seinem Gesicht hinterlassen. Er habe bereits den ganzen Tag nach ihr gesucht - keine Spur. Wegen der Gerüchte über einen Rattendämon befürchtet er das Schlimmste."

"Habt ihr ihm denn unsere Hilfe angeboten?", wollte ich wissen.
"Natürlich!", kam es im Chor zurück. "Er hat uns eine reichliche Belohnung versprochen, wenn wir ihm seine Tochter heil zurückbringen."

"Tja, und dann hat sich unser lieber Mnamn-Priester mehr dem Bier als dem Fragen gewidmet", warf Anneliese ein. "Die Stadtwache hat die Taverne wieder verlassen"
"Das stimmt so aber nicht!", verteidigte sich Widun.
"Und dann hat er sich von so einem verschrumpelten Schrat auch noch zum Glücksspiel überreden lassen!", hakte Anneliese nach.
"Wenigstes waren die Knochenwürfel auf meiner Seite!", schmunzelte Widun zufrieden und klimperte mit seinem Geldbeutel.

"Ich sehe, ihr habt euch ja eifrig bemüht, uns so schnell wie möglich aus dem Kerker zu holen!" - alle nickten, keiner hatte wohl den Sarkasmus in meiner Stimme bemerkt.

"Allerdings! Du glaubst gar nicht, wie schwer es heute Morgen war, den Ratsherrn Largo davon zu überzeugen, auch den Troll frei zu lassen", berichtete Tarkin und reichte mir meine Sachen. Ich streifte mir rasch ein Hemd über und legte den Gürtel mit meinem Dolch wieder an.
"Er lässt ihn nur frei, wenn eine Stadtwache uns begleitet, um ihn im Auge zu behalten."
Ich sah den argwöhnischen Blick des Soldaten, der den Troll tatsächlich keinen Moment aus den Augen velor und seine Hellebarde stets parat hielt.

Urota hatte scheinbar wiedermal nur die Hälfte verstanden, er lächelte bloß - noch etwas müde - und streckte sich mit einem lauten Gähnen.

Aus dem Rathaus kam eine gebückte Gestalt, deren weiße Haare in der Morgensonne glänzten. Es war Fugan, der Notor.
"Ich habe gehört, dass ihr nachts in die Kanäle hinabgestiegen seid!", schüttelte er den Kopf. "Das ist doch viel zu gefährlich! Nachts sind die Rattenbiester besonders aggressiv. Ich habe hier eine Karte für euch. Es ist ein alter Plan des Kanalsystems der Stadt. Ach, wir waren vor dem Beben so fortschrittlich, woanders wurde noch in die Gassen ... ihr wisst schon", räusperte er sich.
"Die Karte stammt natürlich aus der Zeit vor dem Beben, viele Gänge werden verschüttet sein - sicherlich auch ein Grund warum es hier so stinkt … andere wurden neu angelegt, bevor das hier mit der Rattenplage begann. Wenn ihr uns helft, die Rattenplage zu beseitigen und die Kinder zu finden, erhält jeder von euch 35 Silberlinge!"
Mit dieser Motivation und der Karte stiegen wir wieder in die Kanalisation hinab. Urota passte kaum durch die Öffnung zur Unterwelt. Vivana war diesmal nicht mit von der Partie, dafür begleiteten uns jetzt Edwen und - sehr widerwillig - ein Soldat der Stadtwache.

Mittwoch, 19. März 2014

Die Plage - Kapitel 5 - Der verschwundene Junge

Wir kehrten ins Karawanenlager zurück. Ein Mann trat uns aus dem Schatten entgegen. Es war Tarso, der Karawanenführer.
"Auf ein Wort", sprach er uns an.
"Ich hörte, dass ihr dem kranken Mädchen helfen konntet. Ich bin euch zu großem Dank verpflichtet, nicht auszudenken, was das für meine Geschäfte bedeutet hätte, wenn das Mädchen gestorben wäre! Leider ist während eurer Abwesenheit wieder etwas vorgefallen: der Junge, der sich immer um die Pferde kümmert, ist verschwunden. Tattert, der Talismanhändler, kam vorhin ganz aufgeregt zu mir, weil die Pferde vor Hunger und Durst wieherten. Ich würde mich freuen, wenn ihr euch darum kümmern könntet."

Wir hörten uns im Lager um. Hier hatte keiner so recht etwas vom Verschwinden des Jungen mitbekommen. Wir suchten die Umgebung ab. Aus einem erleuchteten Fenster am Marktplatz winkte uns eine alte Frau zu sich heran. Sie berichtete uns, dass sie eine bucklige Gestalt gesehen hätte, die keuchend in Richtung Kanalisation verschwunden war. Sie glaubte, dass das die Rattenkönigin gewesen sein könnte. Auf dem Stadtplan des Notors konnte sie uns den nächsten Eingang zur Kanalisation zeigen.

Es war stockfinster geworden. Wir kümmerten uns nicht um die Ausgangssperre und besorgten uns eine Laterne vor dem Betreten der Kanalisation. Bis auf Urota, der sich weiter im Lager versteckt halten musste, waren alle mit von der Partie. Der gusseiserne Kanaldeckel ließ sich leicht anheben. Tarkin leuchtete mit der Laterne in die Öffnung zur Unterwelt Altems. Wir sahen eine Leiter, die hinunter ins vermeintliche Verderben führte. Beim Hinabsteigen schlug uns ein scheußlicher Gestank entgegen. Unten angekommen, entschieden wir uns zunächst für den linken Gang, der jedoch nach hundert Schritten blind endete. Er war verschüttet, sicherlich eine Folge des früheren Erdbebens. Es blieb uns nichts anderes übrig, als kehrt zu machen. Beim Umdrehen bemerkten wir rote Augen, die uns aus der Dunkelheit anfunkelten. Als wir den Augen näher kommen, hörten wir ein Fauchen und Zähneknirschen.

Das mussten zehn Ratten sein, die sich da auf uns stürzten. Mir kam eine Idee. Als Druide der Ianna hatte ich schon oft kleine Tiere wie Häschen überzeugt mir Kunststücke zu zeigen. Ich hatte das bisher nie bei Ratten gemacht, aber einen Versuch war es wert. Ich richtete ein Stoßgebet an die Erdmutter - und tatsächlich - zumindest eine der Ratten gehorchte jetzt meinem Willen. Ich ließ sie eine feindliche Ratte beißen.

Eine Ratte attackierte Tarkin - er konnte sie abschütteln, bevor sie zubeißen konnte. Mit seinem Kurzschwert spießte er sie auf.

Jetzt hatte es das Rattenpack auf unseren Priester abgesehen. Drei von ihnen hatten sich in Widun verbissen, er versuchte vergeblich, sie los zu werden. Ianna war gnädig - nach einem weiteren Gebet ließen alle Ratten von uns ab und suchten das Weite.

Tarkin präsentierte uns seine aufgespießte Ratte wie eine Trophäe: "Ganz schön großes Vieh". Dann zog er sie am Schwanz von der Klinge herunter und ließ sie über seinem Mund baumeln. "Was hast du vor?", fragte ich angewidert. Nach den Worten "Ich kann sie doch nicht vergammeln lassen!" schluckte er sie im Ganzen hinunter. Vivana wurde ganz grün im Gesicht.

"Wir brauchen hier unten jede Unterstützung, die wir kriegen können", bemerkte Widun, der sich gerade mit einem Stück Wolfsfleisch stärkte: "Die Biester haben mir ganz schön zugesetzt, dabei waren es nur drei Ratten! Wer weiß, wie viele noch hier unten lauern!"“

Ich schlug vor, Urota als Unterstützung zu holen - Vorurteile der Stadtbewohner hin oder her. Mit den Worten: "Passt auf meine Sachen auf!", verwandelte ich mich wieder in ein Eichhörnchen, kletterte geschwind die Leiter hoch und rannte ins Karawanenlager zurück.

Es war nicht schwer zu erkennen, wo unser Hügeltroll schlief. Aus einem der Zelte, dessen Planen sich deutlich hoben und senkten, drang ein lautes, markerschütterndes Schnarchen. Vorsichtig strich ich dem Troll mit meinem plüschigen Schwanz über die Nase. Er nieste und schlug mit noch geschlossenen Augen in meine Richtung. Mit einem Rückwärtssalto konnte ich seinem Hieb knapp entgehen. Zum Glück war er jetzt wach und hatte erkannt, wer da vor ihm stand. Ich versuchte ihm zu erklären, was ich mit ihm vorhatte, bis mir aufging, dass er meine Zeichensprache wohl für den lustigen Tanz eines Eichhörnchens hält, als er unbeholfen begann, eine Melodie dazu zu pfeifen.

"O Skia, wirf Hirn vom Himmel!", dachte ich, als mir nichts anderes übrig blieb, als mich in meine Faungestalt zurück zu verwandeln - und das, obwohl meine Sachen noch in der Kanalisation lagen! Ich zerrte ihn an der Hand hinter mir her.

Wir hatten gerade den Marktplatz verlassen, als hinter uns Schritte und dann eine Stimme hallten: "Halt! Wer da?"
"Schnell, verstecken!", raunte ich Urota zu. Er bückte sich hinter ein Fass, das ihm leider nur bis zur Hüfte reichte. Ich fand auch kein vernünftiges Versteck - für die Straßenlaterne stand ich zu gut im Futter ...
Un-fass-bar - kein Versteck für einen Troll!

Da war auch schon der Soldat der Stadtwache, der seine im Laternenlicht aufblitzende Hellebarde auf meine nackte Brust richtete: „Was treibt Ihr hier? Es gilt die Ausgangssperre!“

Dann fiel sein Blick auf Urota und er wich ein paar Schritte zurück.
"Ist das ein Troll?", fragte er mit einem Kloß im Hals.
"Tritt hervor, du Unhold!", forderte der Wachsoldat mit schlotternden Knien, was durch das Klappern seiner Beinschienen deutlich zu hören war.
"Wo ist bloß das Siegel des Notors?", fragte ich mich, als die Spitze der Hellebarde wieder auf mich zeigte. Ich versuchte vergeblich, der Wache zu erklären, dass wir auf der Suche nach den verschwundenen Kindern waren. Es kam nur ein "Das könnt ihr morgen alles dem Ratsherrn erzählen!" zurück. Ich bat Ianna um etwas Klettenkraut - leider unterbrach mich die Wache, bevor ich mein Gebet vollenden konnte.
"Lass dein Gemurmel - hier wird nicht gezaubert - Ziegenmensch!"
Für Urota wäre es ein Leichtes gewesen, den verängstigten Soldaten auszuschalten, aber auch er hielt sich zurück - wir standen schließlich alle auf der gleichen Seite. Wir wurden zu einem Anbau des Rathauses geführt und in eine kleine Zelle gesperrt. Urota fiel schnell in einen tiefen Schlaf, während meine Ausbruchsideen ins Leere liefen. Jedes Stoßgebet wurde von der Wache unsanft unterbunden…
Uns blieb nichts anderes übrig als auf unsere Gefährten zu hoffen…

Samstag, 1. März 2014

Die Plage - Kapitel 4: Das Heilmittel

Im Wagen lag das Mädchen unter dicken Wolldecken - und zitterte. Diesmal untersuchte ich den Arm, der geblutet hatte, genauer: Ich erkannte eindeutig Bissspuren, die aussahen wie bei den toten Welpen. Sie war also auch von einer Ratte gebissen worden. Im Namen Iannas konnte ich ihren Zustand fürs Erste stabilisieren, sie brauchte aber einen richtigen Heiler. Tarso empfahl uns, zum Rathaus zu gehen. Widun und Tarkin machten sich sofort auf den Weg. Ich blieb bei dem kranken Mädchen. Vivana und Anneliese wollten das Wolfsfleisch braten, damit es nicht verderben würde. Das Mädchen hatte inzwischen aufgehört zu zittern, dafür fühlte sich ihre Stirn jetzt glühend heiß an. Ihr Vater und ich umwickelten ihre Waden mit nassen Leinenlappen. Mir kam es wie eine Ewigkeit vor, bis endlich Widun mit einem alten buckligen Mann zurückkam, der sich uns als Notor vorstellte. Widun berichtete kurz, wie er dank seines Charmes die Wachen vor dem Rathaus dazu gebracht hatte, ihn einzulassen. Tarkin hatte sich schon vorher vorbei geschlichen. Sie waren auf den Kämmerer getroffen, der sie aber habe abweisen wollen, weil sich der Ratsherr schon zu Bett begeben hätte. Er hatte ihn aber überzeugen können, dass es sich um eine sehr dringliche Angelegenheit handelte. Der gutmütige Ratsherr hatte dann sofort nach dem Notor schicken lassen. Leider gab es keinen richtigen Heiler mehr in der Stadt. Der letzte hatte wegen der Rattenplage fluchtartig die Stadt verlassen.

Widun lässt seinen Charme spielen...

Der Notor stellte sich vor: "Ich bin Fugan Tayn. Ich bin kein ausgebildeter Heiler, die Leute rufen mich aber, weil sie mich für weise halten … Nun ja, ich sehe ja tatsächlich aus wie eine alte Eule".
Der Vater des kranken Mädchens bettelt ihn um Hilfe an: "Weiser Notor, bitte helft meinem armen Mädchen. Sie wurde scheinbar von einer Ratte gebissen. Dieser Faun da hat versucht, sie zu heilen, aber jetzt ist sie im Fieberwahn."
Der Notor schaut sich die Bissstelle an: "Ja, tatsächlich, ein Rattenbiss. Das sehe ich hier in letzter Zeit öfters … Es gibt ein Heilmittel, aber es wird schwierig, das Mädchen zu retten - ich brauche dazu viele Zutaten! Leider hat mein Gedächtnis in letzter Zeit sehr nachgelassen … Ich muss in die Bücher schauen."
Mit diesen Worten verließ er unbeholfen den Wagen.

Nach einer Weile kehrte er zurück und überreichte uns einen Zettel und eine Karte: "Hier ist eine Liste mit den Zutaten, die ich für das Heilmittel benötige. Bei einigen Kräutern weiß ich, wo sie zu finden sind, ich habe sie für euch auf diesem Stadtplan markiert. Einzig für die Essigwurz müsst ihr die Stadt verlassen. Ich gebe euch ein Siegel mit, damit ihr ohne Schwierigkeiten an den Wachen vorbeikommt."

Wir teilten uns auf, um die Kräuter zu holen. Ich wollte mich um die Essigwurz kümmern und verwandelte mich dazu in meine Eichhörnchengestalt. Es war stockfinster geworden. Tarkin entzündete eine Fackel, Vivana bevorzugte dagegen die Dunkelheit. Unheimlich war so eine Menschenstadt im Dunkeln. Die Laternen wogten quietschend im Wind wie Gehängte. Manchmal dachte ich, dass sich die Wände der Fachwerkhäuser bewegen würden: überall huschende Schatten - oder war das alles nur Einbildung?

Ich eilte über die Stadtmauer - keine Wachen weit und breit. Rasch hatte ich die gesuchte Essigwurz gefunden und konnte mich auf den Rückweg machen. Vor dem Planwagen verwandelte ich mich zurück. Wir hatten alle Zutaten beisammen: Essigwurz, Ginsterbeeren, Tarinlapp, Brennnesseln und Löwenzahn. Auch meine Gefährten berichteten von unheimlichen Geräuschen: trippelnde Schritte und quietschende Schreie. Der Notor hatte einen Mörser und weitere Zutaten dabei, aus denen er mit Hilfe der Kräuter eine Arznei herstellte. Das Mädchen hustete, als ihr der Trank eingeflößt wurde. Schon nach kurzer Zeit sank das Fieber und unsere Patientin fiel in einen tiefen Schlaf. Wir waren erleichtert, verließen den noch immer sehr bekümmerten Vater und nutzten den Rest der Nacht zum Schlafen.

Am nächsten Morgen kam uns der Vater schluchzend entgegen: "Ihr habt meine Tochter gerettet! Wie soll ich euch nur danken? Bitte nehmt diese 30 Silberlinge als kleines Zeichen meiner Dankbarkeit!"

Wir waren zum Ratsherrn eingeladen worden, der uns freundlich begrüßte und dann von seinen Sorgen berichtete: "Unsere einst so stolze Stadt liegt seit dem großen Beben in Trümmern. Meine fleißigen Bürger hatten einen Teil der Stadt schon wieder aufgebaut und alle waren in Aufbruchstimmung, besonders nachdem die Ul‘Hukk erfolgreich zurückgeschlagen werden konnten. Vor drei Monden ist aber ein großes Unglück über unsere Stadt hereingebrochen: Ratten, überall Ratten! Sie haben sich rasant in den Ruinen vermehren können, jetzt findet man sie überall. Sie haben keine Angst mehr vor den Menschen - es wurde schon von zahlreichen nächtlichen Angriffen berichtet, so dass ich eine Ausgangssperre verhängen musste. Die Menschen bleiben in ihren Häusern, nur wenn die Sonne hoch am Himmel steht, trauen sie sich noch auf die Straße. Das kranke Mädchen hatte Glück - viele sind schon an der Rattenpest gestorben! Wir haben zwei Rattenfänger gerufen, die beide aber nach kurzer Zeit mit unseren Silberlingen das Weite gesucht haben!"

Der stämmige Mann räusperte sich kurz und seine Backenhaare zitterten dabei: "Es gibt noch ein weiteres Problem, das mir noch viel mehr am Herzen liegt. Verzweifelte Eltern kommen zu mir. Sie berichten, dass ihre Kinder verschwunden seien. Die Leute flüstern, dass ein Dämon sie hole und verspeise. Andere berichten von einer hässlichen alten Frau, die sie nachts in den Gassen gesehen hätten - sie bezeichnen sie als die Rattenkönigin. Wir wissen aber nicht, ob das alles in einem Zusammenhang steht…"