Samstag, 9. Juni 2018

Der letzte Tanz - Kapitel 8: Das Turnier am Regenfels

Auf dem Festplatz vor der Burg ergab sich ein beeindruckendes Bild. Neben zahlreichen Zelten hatten sie auch eine gewaltige Tribüne errichtet. Über den Zelten flatterten Banner in allen Farben, darunter ein gelbes Banner mit einem Streithammer, ein hellblaues mit einem Albatros, ein graues mit einem brennenden Turm – und viele weitere mehr. Ein großer Platz vor der Tribüne war mit Sand bestreut worden und mit einem Zaun umgrenzt. Weitere Fahnen, Wimpel und Schilde mit prächtigen Wappen wurden im Bereich der Zelte, an der Tribüne und an zahlreichen Stangen aufgehängt. Zwischen den Zelten und auf dem großen Platz herrschte ein buntes Treiben. Ich konnte Knappen sehen, die Rüstungen und Schwerter polierten, Stallburschen, die die Pferde fütterten, Mägde, die Gemüse und Wasser in die Zelte der Ritter brachten. Zahlreiche Handwerker waren noch mit der Fertigstellung der Tribüne beschäftigt, während Schmiede die stolzen Schlachtrösser mit neuen Hufeisen versahen. In einem anderen Bereich wurden Schießscheiben aus Stroh aufgestellt, in der Nähe saßen Pfeilmacher, die sich beeilten, genug Pfeile für das Bogenschießen herzustellen. Auf einer angrenzenden Wiese hatte sich ein Barde niedergelassen, der lustige Lieder zum Besten gab und von den Bürgern, die sich das bunte Treiben nicht entgehen lassen wollten, ein ums andere Mal mit einem Silberling belohnt wurde.

Ich sah einen Knappen, der ein Fass laut polternd einen Hang hinunterrollen ließ, um es dann mühsam wieder hinaufzurollen. Schweiß tropfte von seiner Stirn, als ich ihn neugierig fragte, was er da tat. Der Junge verbeugte sich höflich und stellte sich vor: »Mein Name ist Gerdwyk, ich bin der Knappe des edlen Ritters Syr Hradwyn, des Hüters von Quenlins Cayp.« Er zeigte auf ein nahegelegenes Zelt, über dem ein Banner mit einem doppelköpfigen Adler über einem freien Feld flatterte. »So reinige ich die Rüstungsteile meines Herrn. Im Fass sind Sand und seine Eisenschuhe, die ich dadurch vom Rost befreie. Natürlich muss ich sie danach noch polieren.«
»Für die Vermählungsfeierlichkeiten?«, fragte ich naiv. »Für das Turnier natürlich!«, rief er fröhlich aus und ließ das Fass mit einem Fußtritt wieder hinunterpoltern.

Plötzlich ertönte eine Fanfare. Ich sah, wie die Leute in Richtung Turnierplatz strömten – wir schlossen uns an. In der Mitte des Sandplatzes stand ein Herold, der, nachdem sich die Menge ein wenig beruhigt hatte, mit gewählten Worten ansetzte: »Hört, hört. Die Anmeldungen für den Buhurt, das Bogenschießen und den Tjost schließen in zwei Stunden. Ich erinnere: zum Tjost sind nur gesalbte Ritter zugelassen. Der Sieger des Buhurt darf sich eine der edlen Waffen aus der Waffenkammer des Hochfürsten aussuchen. Der Sieger des Bogenturniers erhält vier Goldtaler und einen echten Silbereschenbogen aus der hochfürstlichen Waffenkammer. Der Sieger des Tjost schließlich erhält ein Preisgeld von zwanzig Goldtalern und das sagenumwobene Krysar-Schwert der Familie von Burg Regenfels. So tretet heran, ihr mutigen und furchtlosen Ritter und Recken!«

»Na dann hoffe ich mal, der edle Fürst hat eine Zweililie in seiner Waffenkammer!«, lachte Saradar und ging schnurstracks auf einen der drei Eichentische zu, die am Rande des Turnierplatzes standen. Über den Tischen hingen Holzschilder. Ich erklärte sie mir so: »Axt und Schwert, das musste für den Buhurt stehen, der Ritter für den Tjost und Pfeil und Bogen waren selbsterklärend.«
Saradars Schlange wurde kürzer, nachdem ein dicker, übel stinkender Bauer seine Keule vom Tisch genommen und darauf einen kleinen Misthaufen zurückgelassen hatte. Er trug eine große Narbe im Gesicht und zog gerade seine Rotze hoch, als er an mir vorüberging.
»Na, da kann ja wohl jeder mitmachen«, sagte ich zu Saradar. »Alles unter Faungröße sicher nicht, ich kann ja nicht ständig nach unten schauen, um nicht auf dich draufzutreten!«, konterte Saradar.
Ein anderer Gjölnar hinterließ drei Kreuze auf dem Anmeldebogen, dann war Saradar an der Reihe. Aus den Augen des Gelehrten, der die Anmeldungen durchführte, sprachen Güte, aber auch tiefer Schmerz. Er begrüßte Saradar: »Willkommen beim Buhurt! Hier wird zu Fuß gekämpft und zwar solange, bis ein Kämpfer dreimal getroffen zu Boden geworfen wurde oder aufgibt. Alle kämpfen gleichzeitig, bis nur noch ein Kämpfer übrig ist. Wollt Ihr wirklich teilnehmen? Verletzungen werden hier nicht abgegolten und sind so gut wie sicher.« Saradar lachte ihn aus und unterschrieb.

Der Buhurt war sicher nichts für mich, aber das Bogenschießen sah interessant aus. Maluna stand schon bei der Anmeldung und ich stellte mich hinten an. Als ich an der Reihe war, bellte mir ein junger, schlecht rasierter askalonischer Soldat entgegen: »Die Anmeldung kostet Euch zwei Silberlinge!«
Als er merkte, dass ich vom Tisch zurücktreten wollte, erhob er sich.
»Ihr erhaltet auch fünf Turnierpfeile, die ihr behalten dürft. Wollt Ihr Euch jetzt eintragen?«
Ich stimmte zu und unterschrieb. Er drückte mir die Pfeile in die Hand.
»Morgen zur ersten Vormittagsstunde geht es los, seid pünktlich auf dem Schießplatz!«

Ich sah, dass auch Urota am Buhurt teilnehmen wollte. Der Gelehrte erhob sich jedoch und winkte ab: »Wir werden hier sicher keinen Troll zulassen.«
Ein Mann mit Knollennase trat zum Tisch. Es war einer der beiden Männer, die sich auf der Wegburg zwischen den Hochfürsten und Syr Madhur gestellt hatten. Der Gelehrte nickte ihm freundlich zu: »Ihr stimmt mir doch sicherlich zu, Waffenmeister Radex, einen Troll können wir nicht zum Turnier zulassen!«
Der Angesprochene wandte sich direkt Urota zu: »Unser Hochfürst schickt mich, er hat einen Vorschlag für Euch, Hügeltroll – wie war doch gleich Euer Name?« »Urota Nero«, brummte dieser.
»Ihr dürft am Turnier teilnehmen, wenn ihr in einen Faustkampf gegen einen noch zu bestimmenden Gegner einwilligt. Seid Ihr bereit dazu, Urota?«
Der Hügeltroll nickte begeistert.

Unser Koboldkumpan Tarkin – Verzeihung, natürlich Syr Tarkin – wollte sich die Gelegenheit nicht entgehen lassen, als frisch gesalbter Ritter am Lanzenstechen teilzunehmen. Er stand in der Reihe hinter einem stattlichen, jungen Ritter, der seinen Helm unter dem Arm trug und dessen Umhang im Wind flatterte. Sein Wappen zeigte drei goldene Speere zu Füßen einer goldenen Rose. Der Ritter trat an den Tisch heran und trug sich mit einer großen Schwanenfeder in die Turnierliste ein. Im Weggehen musterte er den Kobold verwundert: »Ihr wollt ein Ritter sein? Wo sind Ross und Rüstung? Habt Ihr überhaupt eine Lanze?« Der Schreiber hinter dem Tisch stand kurz auf und blickte auf den bedröppelt dreinschauenden Kobold herab: »Eine Lanze können wir Euch stellen, aber den Rest müsst Ihr Euch besorgen. Geht doch mal zu den Handwerkern und Schmieden rüber.«
Der Waffenmeister schien Tarkins Dilemma mitbekommen zu haben.
»Syr Tarkin, ich soll Euch für Eure Tapferkeit vom Hochfürsten diesen Goldtaler zukommen lassen. Er möchte unbedingt, dass Ihr am Turnier teilnehmt. Geht am besten gleich zum Rüstungsmacher und sagt ihm, dass ich Euch geschickt habe. Er kann sicher in dieser kurzen Zeit kein Meisterstück abliefern, aber für das Turnier sollte es reichen!«
»Fehlt nur noch das Ross!«, überlegte Tarkin laut. Saradar klopfte ihm auf die Schulter: »Du kannst natürlich mein Schlachtross reiten, ich freue mich schon auf den Anblick!«
Radex hatte noch einen Ratschlag: »Syr Tarkin, lasst Euch beim Sattler eine Schabracke fertigen und den Sattel anpassen, damit Ihr nicht schon vorher herunterfallt!«

Plötzlich wieder Fanfaren und Jubelrufe aus dem Dorf, aus allen Himmelsrichtungen strömten die Menschen herbei. Sie ließen eine Gasse frei für einen langen Reitertross, der sich wie eine mit Flaggen und Bannern gefiederte Schlange seinen Weg durch die Menschenmenge bahnen musste.
»Der Hochfürst kehrt zurück auf seine Burg! Er ist immer noch sehr beliebt, auch wenn es viele gibt – wie diesen Madhur – die seine Entscheidung in Frage stellen, die Burg durch die Vermählung in imbrische Hände zu übergeben.«
Im Tross konnte ich Syr Wunnar von der Wegburg erkennen, auch die »Roten Klingen« Galinea und Lyr waren dabei, der junge Ritter Syr Tergen aus der Altmark.
Als er uns sah, stieg Syr Wunnar vom Pferd, nahm einen Schluck aus seiner Schnapsflasche und wünschte uns viel Glück beim Turnier. »Auch ich werde mein Glück als >neuer Ritter< beim Tjost versuchen, auch wenn ich mir aufgrund meines Alters da wenig Chancen ausrechne. Ich hoffe, ich breche mir nicht alle Knochen im Leib.« Er nahm noch einen Schluck aus der flachen Flasche, die er stets an einen Faden gebunden um den Hals trug.

Der Waffenmeister verabschiedete sich von uns. »Ich kann Euch leider nicht in die Burg einladen, diese ist aufgrund der Vorbereitungen für die Vermählung für Gäste gesperrt. Ihr könnt Euch aber sicher im Dorf einen Schlafplatz suchen. Wir sehen uns dann morgen beim Turnier.«

Beim Überqueren der Hauptstraße mussten wir aufpassen, nicht von einem großen, mit einem halben Dutzend vollen Bierfässern beladenen Wagen überrollt zu werden. Ein alter Ackergaul zog das rumpelnde Gefährt, auf dessen Kutschbock sich drei Schrate lautstark in ihrer knarzigen Sprache stritten.
»Ich werde mal sehen, wo sie die Fässer hinbringen. Vielleicht kann ich dem Wirt mit einem Segen dienlich sein!«, rief Widun und rannte dem Wagen hinterher.

Ein Spielmann begann – an den Rand des Dorfbrunnens gelehnt - seine Bardenlieder zum Besten zu geben. Er trug eine große Feder am Hut und hatte einen langen, gegabelten blonden Bart, den er mit Klammern am Saum seines Umhangs befestigt hatte. Ich vermutete, dass er so verhindern wollte, dass sich die Haare in den Saiten seiner Laute verfingen.
Als er eine Pause einlegte, um seine Stimme mit einem Schluck Gerstensaft zu ölen, trat Anneliese an ihn heran.
»Mein haariges Kind, was kann ich für Dich tun?«, fragte er sie. Sie stellte sich vor und er entgegnete die Höflichkeit: »Sehr erfreut, ich bin Agalfar, die Leute kennen mich auch als den Gewitzten. Ich stamme aus Tanadom und verdinge mich – wie ihr ja schon vernommen habt – als Spielmann.«
Anneliese blickte sich vorsichtig um und fragte ihn dann: »Sagt, als Barde erfährt man doch so einige Dinge, ich hätte da mal eine Frage an Euch.« Sie kletterte auf den Brunnenrand und flüsterte ihm etwas ins Ohr. Der Barde sah sie erstaunt an, kratzte sich am etwas verfilzten Kopf und antwortete im Flüsterton: »Ich kenne da jemanden, ich lasse ihm eine Nachricht zukommen und Du kannst ihn dann heute Nacht aufsuchen! Komm' in einer Stunde nochmal vorbei, dann sage ich Dir, wo Du ihn treffen kannst.«
Wir blickten Anneliese fragend an, diese lächelte bloß, zuckte mit den Schultern und meinte: »Ihr wisst doch, immer auf der Suche.«

Die beiden Herbergen des kleinen Dorfes waren überfüllt, auch die Burg durften wir nicht betreten und keiner hatte daran gedacht, ein Zelt zu besorgen.
»Wir könnten bei einem Bauern fragen, ob wir im Stall übernachten dürfen, dann hätten wir es wenigstens schön warm.«
»Und riechen schön nach Stall am nächsten Morgen«, rümpfte Anneliese die Nase.
Maluna klopfte bereits an die große Holtztür des nächstbesten Bauernhauses: »Lasst mich mal machen!«
Ein dicker, verschwitzter Bauer öffnete genervt die Tür – als er Maluna erblickte, huschte ein anzügliches Grinsen über sein Gesicht: »Was wollts denn ihr? Suchst a Platz zum Schlafe, da seids hier falsch, aber wenn die schöne Rothaarige bei mir bleibts die Nacht, könnt I scho was mache.«
Angewidert trat unsere Faueralwe einen Schritt zurück: »Nie und nimmer!«
»Dann machts Euch fott!«, knallte der Bauer die Tür hinter uns zu.

Mittlerweile war Widun zurückgekehrt, er schwankte etwas und berichtete begeistert von den Vorzügen des dunklen Schratenbieres, das er für den Gastwirt geweiht hatte.
Bei Einbruch der Dunkelheit stahl sich Anneliese davon, nur um kurze Zeit später mit freudestrahlendem Gesicht zurückzukehren. Sie zeigte uns ihren Neuerwerb: »Der Barde kannte einen Schwarzhändler, bei dem habe ich mir diesen roten Stein gekauft. Seht nur, wie er funkelt vor flammender Aura! Feuer ist eben mein Element!«

Wir suchten uns einen Kuhstall aus und warteten, bis im Bauernhaus die Kerzen ausgegangen waren. Auch Anneliese war jetzt dank des magischen Steins der Geruch egal. Als sich Urota ins Heu warf, knackten die Balken und die Kühe wurden unruhig. Wir hörten Schritte und versteckten uns hinter den Heuballen. Das Scheunentor ging auf und wir hörten nur ein »Halt's Schnauze, Gerda!« - bevor das Tor mit einem lauten Knall wieder zugeschlagen wurde.
»Wo steckt eigentlich Vivana?«, fragte ich in die Runde. »Bestimmt im Pferdestall!«, lachte Saradar. In Vorfreude auf das morgige Turnier schlief ich rasch ein.

Ich wurde jäh aus dem Schlaf gerissen – der Hochfürst hatte angewiesen, dass pünktlich zum Sonnenaufgang zehn Posaunen über dem Regenfels erschallen sollten. Ich schüttelte mir das Stroh aus dem Fell. Gerade noch rechtzeitig bevor der Bauer den Stall zum Melken betrat, hatten wir uns hinausgeschlichen. An einem Bach machten wir uns frisch und besorgten uns bei einem anderen Bauern Brot, Butter, Schinken und Eier für ein kräftiges Frühstück. Nachdem Tarkin sich seine Rüstung abgeholt hatte – die für die kurze Fertigungszeit sehr stattlich aussah – half ihm Saradar beim Satteln des Schlachtrosses.
Ich hatte mich mit Maluna verabredet, um vor Beginn des Wettkampfes ein paar Übungspfeile abzuschießen. Statt des anvisierten Strohballens schoss ich mir einmal beinahe selbst in den Fuß. Bei dieser Streubreite konnte ich mir selbst Außenseiterchancen abschminken. Maluna dagegen hatte offensichtlich ein angeborenes Talent zum präzisen Schuss. Mit ruhiger Hand versenkte sie einen um den anderen Pfeil im Strohballen.
Eine Fanfare kündigte die baldige Eröffnung des Turniers an. Wir schritten in Richtung Turnierplatz. Zahlreiche Menschen aller Schichten – Arme in Lumpen, Reiche in Pomp – hatten sich auf dem Nebenplatz des Tjostfeldes versammelt. Jetzt trat der Hochfürst selbst unter Fanfaren auf die Tribüne, begleitet von seiner bezaubernden Tochter und ihrem Verlobten, Syr Zaran. Zahlreiche Ritter füllten die Plätze um den Hochfürsten herum und dem gemeinen Volk zugewandt hatten sich einige Wachen postiert.


»Ruhe, Ruhe, Silenzio!«, schrie ein Herold, um das Getuschel der Zuschauer zum Erliegen zu bringen. Der Hochfürst erhob sich und begrüßte die Menschen mit fester, aber freundlicher Stimme: »Meine lieben Menschen von Burg Regenfels, liebe Askalonier, liebe Imbrier, werte Damen, werte Herren! Ich freue mich, das Turnier zu Ehren der Vermählung meiner Tochter Firnja und zur Feier des Sieges im Grünen Kessel, eröffnen zu dürfen. Ich wünsche allen eine wundervolle Zeit sowie spannende und faire Wettkämpfe!«
Jubel brandete auf, der erst wieder abebbte, als der Herold begann, beschwichtigende Gesten aufzuführen.

»Hört, hört. Folgende Schützen treten heute im Bogenschießen gegeneinander an: Maloren der Gelbe, Soldat der imbrischen Armee.« Es erklang ein Johlen aus der Gruppe der imbrischen Soldaten. »Isgard Falkenauge, askalonischer Bogenschütze der Bruderschaft der Gekreuzten Schwerter. Feynwyr, Bogner der Roten Klingen. Rugar der Späher, bester Bogenschütze von Burg Regenfels.« Hier wurde der Beifall richtig laut. »Tarun, ein Jujin aus dem Söldnerlager des berühmten Marulion Blutsohn. Adana Gyl, auch bekannt als die treffsichere Maid vom Regenfels. Und Myk, Knappe unseres verehrten Syr Zaran, des Bräutigams.« Es folgten weitere Namen der langen Liste. »Sowie Finn, der Faun und Maluna, die Feueralwe vom Bund aus Blut und Feuer.«
Jeder hatte drei Schuss frei, als Zielscheiben dienten bespannte Strohballen. Mir war ja schon vorher klar gewesen, dass ich in diesem Feld keine Chance haben würde, immerhin traf ich einmal die Scheibe und verletzte niemanden durch meine Fehlschüsse. Maluna traf die Scheibe dreimal im Randbereich. Falkenauge und Tarun lieferten sich ein spannendes Duell, beide hatten mit ihren drei Schüssen genau die Mitte getroffen. Das anschließende Stechen entschied Tarun für sich, indem er es schaffte, den Schaft von Falkenauges letztem Pfeil zu spalten. Syr Xardrus hatte die Ehre, dem siegreichen Jujin-Söldner den Eschenholzbogen und das Gold zu überreichen.

Jetzt war der Buhurt an der Reihe. Nach einer erneuten Fanfare traten die Kämpfer aufs Turnierfeld. Vivana hauchte ihrem Tarquan noch einen Kuss hinterher. Die Zuschauer drängten sich am Holzzaun, um nichts zu verpassen.
Aus unserer Gruppe nahm neben Pferd auch Saradar teil. Der Herold stellte als weitere Teilnehmer vor: »Am heutigen schlachtenartigen Buhurt nehmen teil: Mjarol der Düstere, Söldner der Blutbande. Lorgrim, Krieger im Dienste der Gekreuzten Schwerter. Zorell, Leibwächter des Schratenbraumeisters der Bierbringer. Unser tapferer Schmiedemeister Mallund der Starke.« Die Dorfbewohner jubelten ihrem »Helden aus dem gemeinen Volk« zu. »Muuf, ähm, der Bauer.« Der so Vorgestellte zeigte dem Publikum ein dümmliches Grinsen und kratzte sich mit seiner Keule dabei den Allerwertesten. »Kelen, Soldat der imbrischen Streitkräfte. Arak Fenn, Soldat der askalonischen Streitkräfte. Galinea, Anführerin der Roten Klingen.«

Syr Xardrus hatte das Vergnügen, das Hauen und Stechen in Gang zu setzen: »Lasset den Buhurt beginnen!« Die Posaunen verliehen dem ganzen Schauspiel die gewünschte Dramatik. Nachdem es kurz so aussah, als ob sich alle in Form eines wilden Tanzes umkreisen würden, kam es dann zu einem richtigen Getümmel, in dem jeder auf jeden einschlug. Es war schwierig hier den Überblick zu behalten. Der Boden war aufgeweicht, ein kurzer Regen in der Nacht hatte die Arena in einen schlammigen Acker verwandelt.

Was Menschen so alles zu ihrem Vergnügen veranstalteten. Bei uns Faunen gab es so etwas nicht. Es gab natürlich auch Wettkämpfe, diese liefen aber in der Regel völlig gewaltlos ab, niemals kämen wir auf die Idee, uns gegenseitig zu verletzten. Es gab musikalische Veranstaltungen, wo wir im Flötenspiel und in der Sangeskunst gegeneinander antraten, Geschicklichkeitsspiele – wer ist am schnellsten den Baum hochgeklettert, wer hat am schnellsten den Fluss überquert. Unser Volk war nie einer ernsten Bedrohung ausgesetzt gewesen, während die Menschen in ständigem Konflikt lagen. Das machte sicherlich den Unterschied aus. Wenn die Tekk einmal auf die Idee kämen, Faune auf ihre Speisekarte zu setzen, hatten wir wenig Gegenwehr zu leisten, wir konnten uns verstecken oder wegrennen, aber uns nie im Kampfe mit ihnen messen. Wir mussten auf die Erdmutter vertrauen, dass sie uns vor dem Bösen beschützen möge.

Ich saß vorne bei den Kindern direkt am Zaun und hatte deshalb trotz meiner geringen Körpergröße einen guten Blick auf das Geschehen. Freya saß auf einem Balken neben mir.
Tarquan und Saradar hielten sich gut. Der Söldner lag gerade im Klinsch mit dem Schmiedemeister. Jetzt stießen sie sich voneinander ab und der Schmied ließ seinen gewaltigen Hammer über dem Kopf kreisen. Der flinke Tarquan wich dem Hieb aus und kam durch eine geschickte Drehung hinter den Schmied. Das Gewicht des Hammers hatte diesen aus dem Gleichgewicht gebracht, sodass ein leichter Tritt in den Hintern reichte, um ihn in den Schlamm zu schicken. Nach einem Hieb mit dem stumpfen Turnierschwert blieb Mallund liegen und musste vom Feld getragen werden. Mjarl und Lorgrim hatten sich gegenseitig zu Fall gebracht und waren bereits ausgeschieden. Saradar hatte gerade den Schrat durch einen Tritt zu Boden geschickt, während Galinea den Bauern umtänzelt und zum dritten Mal in den Schlamm geschickt hatte. Von oben bis unten mit Matsch besudelt, wurde Muuf hinausgetragen. »Sieht besser aus als vorher«, lachte Freya neben mir. Kelen und Arak Fenn hatten sich gegen Tarquan verbündet, während die beiden Rothaarigen, Saradar und Galinea es miteinander ausfochten. Gegen die zwei erfahrenen Krieger hatte Tarquan keine Chance. Er schaffte es zwar noch, den Imbrier zu Boden zu bringen, erhielt aber bei dieser Aktion einen so gewaltigen Hieb zwischen die Schulterblätter, dass auch er ächzend im Schlamm landete. Es hatte ihn so heftig erwischt, dass er hinausgetragen werden musste. Vivana kümmerte sich sogleich herzlich um ihn. Galinea zog sich etwas zurück und ließ den Askalonier auf den Barbaren losgehen. Beim Versuch, der stumpfen Axt des Khor'Namar aus dem Weg zu gehen, knickte Arak Fenn um, musste aufgeben und humpelte vom Feld. Während Saradar dem Soldaten noch hinterherblickte, hatte sich Galinea so geschickt von hinten an ihn herangeschlichen, dass jeder Warnruf von uns zu spät kam. Sie tippte ihm auf die Schulter, sodass er sich überrascht umdrehte, während sie eine Beinschere ansetzte und den hochgewachsenen Barbaren wie eine schwere Eiche zu Fall brachte. Sie ließ es sich nicht nehmen, ihm noch ihre Klinge auf die tätowierte Brust zu setzen.
Eine laute Fanfare ertönte und ein Herold ließ verlauten: »Sieger des Buhurt ist Galinea, die Anführerin der Roten Klingen.« Jubel brandete auf, ihre Roten Klingen pfiffen und schrien und trugen sie schließlich davon.
Galinea, Siegerin des Buhurt.
Während der Siegerehrung hatte sich Saradar bedröppelt zum Rest der Gruppe gesellt: »Keine Lilie! Gegen eine Frau verloren! Verdammt!«
Maluna konnte sich einen Kommentar nicht verkneifen: »Unterschätze nie die Waffen einer Frau!«
»Besonders nicht, wenn sie Magie beherrscht!«, musste Anneliese noch anbringen.
Radaras hatte während des Buhurt Unterschupf in Annelieses Ärmel gefunden. Jetzt kam das Wiesel wieder hervor, sprang auf Saradars Schulter und leckte ihm wie zum Trost über die dreckige Wange.

Wieder ertönten die Fanfaren. »Hört, hört. Auf hocheigenen Wunsch unseres geliebten Hochfürsten Syr Vardek erwartet Euch jetzt und hier etwas ganz Besonderes. Der Hügeltroll Urota Nera vom Bund aus Blut und Feuer hat eingewilligt, sich in einem Faustkampf gegen einen unbekannten Gegner zu beweisen. Urota Nera, tretet vor!«
Begleitet von dramatischem Fanfarenspiel trat unser Trollfreund in die Arena. Einige Kleinkinder fingen an zu weinen und zu schreien, als sie den Troll erblickten. Sie mussten von ihren Müttern, die sich das Spektakel nicht entgehen lassen wollten, getröstet werden. Die Zuschauer spendeten ihm aber ermutigenden Beifall und allen war erwartungsvolle Spannung ins Gesicht geschrieben. »Und hier kommt sein Herausforderer.«
Unter tosenden Fanfaren fuhr ein Wagen, der von vier Kaltblütern gezogen wurde, in die Arena. Auf dem Wagen stand ein kastenförmiger Aufbau, der von einem riesigen Laken verhüllt wurde.
Syr Xardrus hatte als Ehrengast wieder das Vergnügen, das Geheimnis zu lüften. Ein Raunen ging durch die Zuschauerreihen – die Kinder heulten wieder auf und Firnja suchte Schutz in den Armen ihres Verlobten. Syr Vardek hingegen hatte sich von seinem Sitz erhoben und klatschte laut Beifall. Ein seltsamer Ausdruck war in sein Gesicht getreten, so als wollte es sagen: »So, und jetzt will ich Blut sehen!«
Da stand er – eine Schreckgestalt aus schlimmsten Albträumen. Durch die Stäbe des freigelegten Eisenkäfigs blickte ein Ogrens. Das musste das Monster sein, das sie im Grünen Kessel gefangen hatten. Geifer tropfte aus seinem Maul und es rüttelte an den Gitterstäben wie ein wildes Tier.
Der Herold hatte Schwierigkeiten die aufgewühlte Menge zu übertönen: »Das ist Gorrym, der Ogrens. Unsere siegreichen Soldaten haben ihn im Grünen Kessel gefangen genommen. Wie viele Menschen mag dieser Unhold schon gefressen haben! Der Faustkampf wird solange ausgetragen, bis einer der Kontrahenten bewusstlos am Boden liegt. Wir hoffen natürlich alle, dass der Troll gewinnt. Ihn erwartet in diesem Fall eine besondere Überraschung.« Die Mütter hielten ihren Kindern die Augen zu, einige verließen sogar den Turnierplatz. Die Soldaten der Stadtwache hatten die gefährliche Aufgabe, den an den Armen gefesselten Ogrens bis zur Mitte der Arena zu geleiten. Sie standen im Kreise um ihn herum, ihre streitkolbenartigen Stangenwaffen nach innen gerichtet. Im Zentrum der Arena befand sich ein großer, im Boden verankerter Eisenring, an den die Fußfessel des Ogrens mit einer dicken Kette angeschlossen wurde.
Die Stadtwache zog sich zurück und Syr Vardek ließ es sich nicht nehmen, den Kampf selbst zu eröffnen: »Möge der Kampf der Monster beginnen!« - Fanfaren und dann setzte ein donnerndes Trommelspiel ein, um die Dramatik noch zu erhöhen. Sie lösten die Armfesseln des Ogrens. Er rieb seine wunden Handgelenke und nahm dann Urota ins Visier. Ob sie ihm wohl versprochen hatten, dass er freigelassen würde, wenn er den Troll besiegen könnte?
Urota war so konzentriert auf seinen Gegner, dass er die Beleidigung, als Monster bezeichnet zu werden, überhört zu haben schien. Der Ogrens war durch die Fußfessel in seiner Bewegungsfreiheit eingeschränkt, sodass ihn Urota umkreisen konnte. Unser Trollfreund war nach den Ereignissen auf der Wegburg nicht gut zu sprechen auf die Menschenfresser. Mit Gebrüll stieß er vorwärts und hämmerte dem Ogrens gegen den Schädel. Dieser setzte zu einem Schwinger an, der Urota am unteren Brustkorb erwischte und ihn zehn Schritt durch die Arena fliegen ließ. Die Zuschauer johlten und der Hochfürst war außer sich vor Vergnügen. Urota verzog merklich das Gesicht, auch einem Hügeltroll tat so ein Schlag in die Rippen scheinbar ganz schön weh.
Jetzt ging er bedächtiger vor – soweit man davon bei einem Troll sprechen kann – er wartete seine Chance ab, durch die Deckung des Ogrens einen sicheren Treffer zu landen. Das Monstrum war jedoch zwei Schritt größer als er und ihm in Sachen Reichweite deutlich überlegen. Auf einen leichten Treffer seinerseits im Bauchbereich landete Gorrym einen schweren Leberhaken, der Urota schnaufend zurückweichen ließ. Wir feuerten Urota an, doch es wurde immer klarer, dass er diesem Gegner im Faustkampf unterlegen war. Ein weiterer Schlag Urotas prallte von den Brustplatten des Ogrens ab und dieser traf Urota im Gegenzug so fest an der Schläfe, dass unser Freund besinnungslos zu Boden ging. Der Ogrens grunzte und reckte die Arme nach oben. Als von den Zuschauerrängen nur Buh-Rufe erklangen, machte sich Gorrym an der Kette seiner Fußfessel zu schaffen, und versuchte die Verankerung aus dem Boden zu reißen. Sofort waren die Wachsoldaten zur Stelle und hieben mit ihren langen Streitkolben von allen Seiten auf ihn ein, bis auch er ohnmächtig und mit einem lauten Grunzen zu Boden ging. Blut rann ihm aus dem Maul und hinterließ eine große Lache in der Arena. Sie hatten Mühe das gewaltige Monstrum wieder auf den Wagen zu ziehen. Der Hochfürst war begeistert vom Spektakel, während seine Tochter die ganze Zeit angewidert zu Boden geblickt hatte. Wir betraten die Arena und halfen Urota auf die Beine, der schon wieder die Augen geöffnet hatte und enttäuscht nuschelte: »Urota zum ersten Mal besiegt, nicht stark genug. Darf nicht wieder passieren, muss Faustkampf üben.«

Es folgte eine Pause, die die Leute dazu nutzten, sich an den Buden mit in Öl gebratenen Erdäpfeln, die in rote oder weiße Soßen getaucht wurden, zu bedienen. Auch der Barde war wieder da und gab ein Liebeslied über »Isidur und die holde Isolde« zum Besten.

Passend zum höchsten Sonnenstand bliesen die Posaunen zum Höhepunkt des Turniers, dem Tjost.
Die Ritter traten in ihren glänzenden Rüstungen, die sie mit Hilfe ihrer Knappen angelegt hatten, aus ihren Zelten, stiegen auf ihre geschmückten Rösser und ritten einer nach dem anderen an der Tribüne vorbei, um dem Hochfürsten und natürlich der holden Firnja ihre Ehrerbietung zu erweisen. Jeder Ritter wurde dabei ausführlich vom Herold vorgestellt. »Syr Hradwyn, der Hüter von Quenlins Cayp, Paladin des Quenlin, beim Tjost in silberner Rüstung. Sein Wappen ist der doppelköpfige Adler über freiem Feld. Syr Aschantus, Paladin des Alun, in goldener Paladinrüstung, mit dem heiligen Sonnenrad des Lichtherrn auf der Schabracke seines Rosses und seinem Schilde. Auf seiner Brust prangt die Darstellung von Zölestion, dem höchsten Krieger des Lichtgottes und dem Vorbild aller Paladine.« Bei Syr Aschantus' Vorstellung fiel der Beifall eher bescheiden aus, nur die Imbrier ließen Handgeklapper hören.
»Des weiteren, Syr Kallek, freier Ritter aus Tyr. Syr Asurius, der Brennende Hammer, ein ehrenvoller imbrischer Ritter, der tapfer im Grünen Kessel kämpfte. Syr Zaran, der Bräutigam, der es sich nicht nehmen lässt, selbst am Turnier teilzunehmen.« Firnja band ihm als ihrem Favoriten ein blaues Tuch mit der Regenburg an die Lanzenspitze. »Syr Tergen aus der Altmark, zum Ritter geschlagen ob seines Mutes im Kampfe gegen die Ul'Hukk von unserem Hochfürsten höchsteigen. Syr Wunnar, askalonischer Veteran aus der Bruderschaft der Gekreuzten Schwerter! Und Syr Deodan aus dem Grünen Kessel, der die Truppen gegen die Bestien aus dem Süden in den Kampf geführt hat! Syr Jurk ...« Die Askalonier erhielten besonders viel Applaus von ihren Landsleuten.
»Und zu guter Letzt Syr Tarkin, Koboldritter aus dem Bund aus Blut und Feuer, auch er wurde vom Hochfürsten höchsteigen zum Ritter geschlagen, nachdem er gegen die Ul'Hukk seine Tapferkeit bewiesen hat!« Besonders die Kinder jubelten laut, sie hatten in dem Fell tragenden Krieger ihren Favoriten auserkoren.
Ich musste zugeben, Tarkin machte Eindruck in seiner neuen Rüstung und hoch zu Ross. Sicher reckte er die mit einer rot-weißen Flagge geschmückte Lanze in die Höhe.
Die Paarungen waren am Morgen ausgelost worden. Ich hatte so etwas noch nicht gesehen und war sehr gespannt, wie sich unser Koboldfreund schlagen würde. Er kam als erstes an die Reihe und musste gegen einen Syr Jurk antreten. Auf ein Signal hin gallopierten die Rösser, getrennt durch eine hölzerne Trennwand, aufeinander zu. Die Ritter hatten die Lanzen gesenkt und zielten jeweils auf die Rüstung ihres Gegenübers. Dann ein Krachen – und Syr Jurk flog rücklings vom Ross und landete mit einem Ächzer auf dem Hosenboden, während sein Ross weitertrabte und von einigen Knappen wieder eingefangen werden musste. »Sieger der ersten Runde: Syr Tarkin vom Bund aus Blut und Feuer!« Wir jubelten begeistert unserem Kobold-Ritter zu. So ein Kobold gab nur ein kleines Ziel ab, gar nicht einfach ihn zu treffen.
Syr Kallek warf den Hammer Asurius aus dem Sattel, Syr Zaran glänzte gegen den jungen Syr Tergen aus der Altmark und auch der alte Syr Wunnar behielt gegen sein Gegenüber die Oberhand.
In der nächsten Runde sollte dann Syr Aschantus, der zuvor den Hüter von Quenlins Cayp aus dem Sattel gehoben hatte, gegen Tarkin antreten. Ich bekam mit, wie sich dieser eingebildete Paladin bei seinen imbrischen Kameraden über den Kobold lustig machte. Tarkin konnte es kaum erwarten, ihm eine Lektion zu erteilen. Ein fallendes Tuch von der schönen Firnja war das Signal. Immer schneller gallopierten die Rösser aufeinander zu. Syr Aschantus goldene Rüstung blitzte und blinkte im Sonnenschein – Tarkin musste blinzeln – und stach mit seiner Lanze vorbei – während Aschantus ihm die seinige mit voller Wucht in den kleinen Panzer rammte. Aschantus' Lanze zerbarst und der Krähenfresser flog in hohem Bogen, sich mehrfach in der Luft überschlagend, aus dem Sattel. Auch er landete auf seinem Hosenboden, schüttelte sich ein paar Mal, stand auf und verbeugte sich artig vor Syr Vardek und dem Brautpaar. Syr Aschantus ließ es sich nicht nehmen, ihm ein paar Schmähworte hinterherzuschicken: »Jetzt bist Du da, wo Du hingehörst, Du Möchtegern-Ritter: im Dreck«. Saradar hatte sein Schlachtross bereits wieder am Zügel gefasst und versuchte Tarkin zu trösten: »Du hast Dein bestes gegeben. Keiner hätte gedacht, dass Du Dich überhaupt im Sattel halten könntest!«
Die Kinder jubelten ihm Beifall und buhten von jetzt an jedesmal, wenn Aschantus an der Reihe war.
Der dicke Heiler Wael kümmerte sich mit einigen Helfern um die geschundenen Ritter. Den weiteren Turnierverlauf bekam ich nicht mehr so genau mit, da ich mir die Wundbehandlung ansehen wollte. Wael erklärte gerade einem seiner Helfer: »Die Verletzungen der Ritter sind meist stumpf, dann hilft nur sofortiges Pausieren, Eis auf die Schwellung, Compressio mit einer Binde aus langem Gummiblatt, das sehr elastisch ist, sowie das Hochlagern des verletzten Körperteils – merke Dir die P-E-C-H-Regel!«
Eine Fanfare ertönte zum letzten Duell. Jetzt musste ich doch zurück zum Tjostfeld.
Der alte Syr Wunnar musste gegen den miesen Aschantus antreten. Es war klar, auf welcher Seite unsere Sympathien lagen. Syr Wunnar hatte Glück, eine große Wolke hatte sich vor die Sonne geschoben, sodass er nicht wie Tarkin von Aschantus' Rüstung geblendet werden konnte. Die Lanzen krachten ineinander, doch beide Kontrahenten blieben im Sattel. Beide ließen sich neue Lanzen reichen. In der zweiten Runde bäumte sich Aschantus' Pferd mitten im Galopp plötzlich auf. Ich sah, dass ihm Blut von der Flanke tropfte. Er musste ihm so fest die Sporen gegeben haben, dass es ihn abwerfen wollte. Der Paladin sprang vom Pferd und fluchte. Er verpasste seinem Ross einen Tritt, sodass es davon galoppierte und von den Knappen nicht gehalten werden konnte. Er riss sich den Helm vom Kopf und schleuderte ihn wutentbrannt zu Boden.
Der Herold verkündete: »Wir haben einen Sieger! Syr Wunnar von Chiram, Hauptmann der Bruderschaft der Gekreuzten Schwerter!« Wir fielen in den Jubel mit ein.
Tarkin frotzelte: »Ganz schlechter Verlierer, dieser Aschantus.«
Syr Wunnar, Sieger des Tjost.
Wieder ertönten die Fanfaren. Der Herold erklärte das Turnier für beendet. Der Hochfürst erhob sich, dies war scheinbar auch das Signal für die Zuschauer, sich auf den Heimweg zu machen.
Ich sah, dass der Hochfürst mit dem Waffenmeister sprach und dann auf uns deutete. Eiligen Schrittes kam uns Radex nachgelaufen, da wir uns bereits auf den Weg gemacht hatten, in einer der Dorfschenken zum Abendessen einzukehren.
»Werte Mitglieder des Bundes aus Blut und Feuer. Der Hochfürst höchstselbst hat mich geschickt, um Euch für morgen in die Innere Burg zur Zeremonie einzuladen. Das ist eine große Ehre, der Hochfürst scheint sehr viel von Euch zu halten. Die Feier beginnt zur Mittagsstunde, seid pünktlich! Ihr müsst Euch natürlich dem Anlass entsprechend kleiden – ähm, und der ein oder andere ein Bad nehmen – das Brautpaar erwartet sicherlich auch ein angemessenes Geschenk von Euch. Bis morgen!«

Sonntag, 3. Juni 2018

Der letzte Tanz - Kapitel 7: Kleinvolks Ritterschlag

Wir wurden vom Krähen eines Hahns geweckt. Es war noch früh und dunkel draußen. Jemand aus dem askalonischen Lager rief »Scheißhahn«.

In der frühen Morgenstund tat der Hahn sein Krähen kund,
doch einer mocht es lieber ruhig,
und schnitt dem Hahn die Gurgel durch.

Zumindest war jetzt Ruhe und ich konnte vielleicht noch einmal einschlafen. Widun rieb sich die Augen und streckte sich. »Der Schratenherr fordert seinen Tribut«, rief unser Bierprediger und schwang sich in die Höhe, um aus dem Zelt zu gehen.

Zur ersten Morgenstunde ungefähr, da drückt' den Schrat die Blase sehr,
er sprang von seinem Bette auf,
und setzte noch 'nen Darmwind drauf.

»Ah, frische Luft!«, meinte Saradar als er vors Zelt trat und machte sogleich ein paar Liegestütze, der Reliquienknochen baumelte dabei im Dreck. »Ich würde an deiner Stelle ein bisschen besser auf das Ding aufpassen!«, merkte Vivana an. »Der Priester meinte, dass dich der >Schwarze Sidd< wieder holt, wenn du den verlierst!«
Freya korrigierte: »Das heißt >Schwarzer Sud<, und das ist kein Dämon oder Geist, sondern eine Art schmarotzender Seelenfresser.«
»Apropos >essen<, ich schlage vor, wir gehen zum Frühstück in die Schenke!«, rief Widun, der sich hinter dem Zelt einer großen Last entledigt zu haben schien, so erleichtert, wie er jetzt dreinblickte.

Ich sah, wie Anneliese noch etwas müde in Richtung des imbrischen Lagers davonstappste, was sie wohl vorhatte?

Die Sonn' in ihrem Morgenlauf, folgt' der Koboldmagierin bergauf,
auf der Suche nach 'nem roten Stein,
trat se in Fisimatenten rein.

Saradar spielte mit Radaras, seinem Wiesel. Danach lief es ihm von Arm zu Arm und blieb schließlich auf seiner tätowierten Schulter sitzen. Das war immer das Zeichen gewesen, dass es Hunger hatte, aber der Barbar reagierte nicht darauf. Unvermittelt sprang es runter und schwänzelte in Richtung Lagerausgang davon. »Willst du nicht hinterher?«, fragte ich Saradar.
»Radaras muss langsam lernen, für sich selbst zu sorgen und auf die Jagd zu gehen. Ich kann ihn ja nicht ewig durchfüttern. Der verweichlicht mir noch!«

»Wo bleibt Anneliese?«, fragte Tarkin. »Wollte sie nicht mit uns frühstücken?«
Widun zuckte mit den Schultern. Wir hatten eine volle Stunde gewartet, doch sie war noch nicht zurück. Saradars Schoßtier kam jedoch zurückgewieselt und zerrte an seinem Schuh.
»Was willst du mir sagen? Soll ich dir folgen?«, fragte der Bestienmeister.
Das Wiesel lief in Richtung Lagerausgang und dann auf das imbrische Lager zu, wir hinterher.

Radaras hielt auf auf ein Zelt am Rande des Lagers zu. Ein hochgewachsener Imbrier mit kahlgeschorenem Schädel stand in der Nähe und gab zwei Soldaten Anweisungen: »Lasst die Hexe nicht aus dem Zelt, wir werden ihr heute noch den Prozess machen – dann gibt es heute Abend noch ein schönes Feuerchen.« Er lachte – bis er uns kommen sah. Sein Gesichtsausdruck wurde direkt wieder ernst – todernst. Edwen wollte Tarkin zurückhalten – doch es war zu spät.
»Seid gegrüßt im Lichte Aluns«, hieß er uns willkommen. »Sagt, Ihr seid ein Kobold, habt Ihr vielleicht etwas mit einer Koboldin zu tun, die sich mit den schwarzen Künsten beschäftigt?«
Tarkin tat so, als sei er gar nicht gemeint und blickte in der Gegend umher.
»Ja, Euch meine ich, Pelzknäuel!«, versuchte der Imbrier Tarkins volle Aufmerksamkeit zu gewinnen. Das Wiesel war inzwischen weiter auf das Zelt zugelaufen.
Tarkin versuchte ihn vom Wiesel abzulenken: »Sprecht Ihr mit mir? Ich bin Tarkin, großer Koboldkrieger und Mitglied im >Bund aus Blut und Feuer< und gehöre auch zur Bruderschaft der Wegburg. Und wer gedenkt Ihr zu sein?« Er hatte bei seinen Worten deutlich seine Brust rausgestreckt und versucht eine edle, ja fast ritterliche Haltung anzunehmen. Aufgrund des Größenunterschieds wirkte das ganz etwas grotesk. Fehlte noch, dass er sich von Urota in die Höhe heben ließ, damit er auf den Imbrier hätte hinabsehen können.
»Ihr seid tollkühn. Wisst Ihr denn nicht, dass Ihr Syr Aschantus, den Waffenmeister der Paladine des Lichts vor Euch habt?«, entgegnete ihm der Ritter in seiner gülden blinkenden Rüstung und schien wenig beeindruckt zu sein. Das Wiesel hatte inzwischen das Zelt erreicht und war hineingeschlüpft – unbemerkt von den beiden Soldaten, die sich angeregt über die neueste Errungenschaft in der Waffenentwicklung, die >Armbrust< unterhielten.
»Ihr habt bestimmt etwas mit ihr zu tun! Eine Gegenüberstellung wird mir Gewisstheit bringen!« Mit diesen Worten packte er – wir kamen gar nicht dazu, zu protestieren – Tarkin am Arm und zerrte ihn in Richtung Zelteingang. Tarkin stemmte sich nach Leibeskräften dagegen. Als sie zum Zelt kamen und der imbrische Paladin die Plane hochschlug – war das Zelt leer.
»Diese Hexe, wie konnte sie sich befreien! He, Soldaten, ihr solltet doch den Eingang bewachen!«, schnauzte der die beiden Wachmänner an. Er hatte Tarkin losgelassen und wir entschieden, so schnell wie möglich das Lager der Hexenjäger zu verlassen.

Der Vormittag war schon im Gange, da wurd's der Hex im Zelt ganz bange,
doch kam ein Wiesel reinspaziert, biss Fesseln durch und grub ein Loch,
Radaras, der lebe hoch!

Wir fanden Anneliese und das Wiesel in unserem Zelt im askalonischen Lager.
»Puh, das war knapp«, seufzte sie, als wir eintraten. Widun schüttelte mit dem Kopf: »Wie hast du dich denn in diese Lage gebracht?«
Anneliese zuckte mit den Schultern: »Ich habe den Mann in der tollen goldenen Rüstung – die hat vielleicht geblinkt im Morgenlicht, ich sage euch - gefragt, ob er einen Krämer kennt, der magische Steine verkauft.« Tarkin hielt sich die Hände vor Augen, um die Lachtränen zu verbergen: »Hast du nicht!« »Doch, und dann meinte er, dass ich wohl eine Hexe sei, hat mich fesseln lassen und dann haben sie mich in ein Zelt reingelegt. Dann kam das Wiesel, hat mir die Fesseln durchgenagt und mir beim Graben geholfen, sodass wir an der Rückseite des Zelts unbemerkt entkommen konnten.« Widun schüttelte ungläubig den Kopf: »Hab ich dir nicht gesagt, dass du mit deiner Magie vorsichtiger sein musst! Die Imbrier, und besonders diese Paladine, verstehen da keinen Spaß. Erst schneiden sie dir die Zunge raus, dann hacken sie dir die Hände ab und schließlich verbrennen sie dich auf dem Scheiterhaufen. Die fackeln da nicht lange!«
Anneliese war bei diesen Worten immer kleiner geworden, senkte den Kopf und flüsterte: »Ich werde vorsichtiger sein, versprochen!«
Wir gingen zum Frühstück in die Schenke der Wegburg, Anneliese hatte den Kragen ihres Wolfsfellmantels hochgeschlagen, sie wollte unerkannt bleiben – soweit das hier für einen Kobold überhaupt möglich war.

Kurz nachdem wir gefrühstückt hatten, kam Valan in die Schenke und rief: »Kommt alle in den Burghof, der Hochfürst hat etwas Wichtiges zu verkünden!«
Wir folgten seiner Aufforderung, stellten uns jedoch in die hinterste Reihe.

Der Innenhof wimmelte mittlerweile nur so von Rittern, auch die Wehrgänge und die Turmtreppen standen voll. Der Hochfürst trat auf ein Podest; er wurde flankiert von Syr Deodan, dem Anführer des askalonischen Heeres aus Regenfels, und einem etwas älteren imbrischen Paladin, bei dem es sich – so vermutete ich – um Syr Xardrus handeln musste, den Syr Madhur >Graufuchs< genannt hatte. Der alte Paladin überreichte Syr Vardek eine kleine Schriftrolle, die er auch sogleich entrollte, kurz durchlas und dann verkündete:
»Werte Ritter Imbriens, werte Ritter Askalons. Ich hab soeben eine Nachricht erhalten von Syr Ilon Heckslay, unserem tapferen askalonischen Heerführer und Lichtbringer. Er beglückwünscht uns zum Sieg gegen die Tekkarmee. Gleichzeitig rät er uns aber zur Vorsicht, da die Ul'Hukk ihre drei großen Verbände aufgelöst hätten, und die Angreifer nur den Bruchteil eines dieser Verbände dargestellt hätten. Die Ruine Skalan sei gegen Angriffe befestigt worden, sodass hier unsere Verteidigungslinie steht, und der askalonische Grenzwall wieder geschlossen ist. Auch dort im Westen konnten zwei Angriffe der Tekk erfolgreich abgewehrt werden.« Die Imbrier klatschten höflich, während die meisten Askalonier kaum eine Regung zeigten.
Syr Vardek gab Xardrus das Pergament zurück und ließ sich von ihm ein großes, kunstvoll verziertes Schwert reichen.
»Ich habe eine weitere Pflicht zu erfüllen. Knappe Tergen, aus den Reihen der imbrischen Soldaten, Hauptmann Wunnar von der Bruderschaft der gekreuzten Schwerter und Krieger Tarkin vom Bund aus Blut und Feuer, tretet vor!«
Tergen und Wunnar standen bereits vor dem Hochfürsten, als es Tarkin endlich gelungen war, sich durch die Reihen zu schlängeln.
»Kniet nieder, Soldaten. Mir wurde berichtet, dass ihr euer Leben in besonderem Maße eingesetzt, Mut und Geschick bewiesen und gezeigt habt, dass ihr es versteht, andere anzuleiten und zu führen im Chaos einer Schlacht. So sprecht mir folgende Worte nach und empfangt als Auszeichnung von mir den Ritterschlag!«
Sie sprachen dem Hochfürsten folgende Worte nach; ich merkte, dass Tarkin einen Kloß der Rührung im Hals hatte:

»Ich gelobe, hier vor den Völkern Ions und im Angesicht der hohen Götter, dass Respekt, Treue, Demut, Beharrlichkeit, Mut, Disziplin und Hingabe fortan zum Wohle der Schwachen und zum Ruhme der gerechten Götter mein Handeln und Tun bestimmen mögen.« Jetzt trat der Hochfürst zu jedem einzelnen hin, legte das Schwert mit der stumpfen Seite auf jede Schulter und goss anschließend etwas Öl über ihre Häupter.
Er schloss die Zeremonie mit den Worten: »Bei den hohen Göttern, erhebt euch nun als Ritter, Syr Tarkin vom Bund aus Blut und Feuer, Syr Wunnar von der Bruderschaft der gekreuzten Schwerter und Syr Tergen aus der Altmark.«
Die frisch gesalbten Ritter konnten sich vor Umarmungen und Glückwünschen kaum retten. Syr Tarkin tauchte unter den Umarmungen durch, konnte aber dem vernichtenden Blick, den ihm Syr Aschantus zuwarf, nicht entgehen.

Der Sonnenstand zeigt' es war Zenit, als ein Kobold zum Schlage kniet',
Schwert auf die Schultern, Salbe aufs Fell,
ein Ritter werden, das ging doch schnell.

Inzwischen war ein junger imbrischer Ritter an die Seite des Hochfürsten getreten. Vardek hob die Hand und bat die Menge um Ruhe. »Syr Zaran aus der Blutmark ist einer der tapfersten Streiter gegen die Horden der Tekk. Um so mehr freut es mich, dass er vor nicht allzu langer Zeit um die Hand meiner Tochter Firnja vom Regenfels angehalten hat.«
Ein »Hört, hört!« und kurzer Jubel unterbrach den Redner, während ich mitbekam, wie Syr Madhur, der ein paar Schritt neben uns stand, laut hörbar ausspuckte.
Syr Vardek musste erneut die Hand heben, bis wieder Ruhe herrschte, um dann fortzufahren:
»Mit großer Freude gewähre ich ihm die Hand meiner geliebten Tochter, auf dass Imbrien und Askalon wieder ein Stück enger zusammentreten, um auch in Zukunft als Einheit gegen unseren Feind ins Felde zu ziehen!«
Ein lauter Jubel brandete auf, doch konnte dieser nicht einige verärgerte Zwischenrufe ganz überdecken.
»Anlässlich unseres großen Sieges gegen die tekkische Horde«, Zaran räusperte sich, »und – natürlich – auch wegen der bevorstehenden Vermählung des ehrenwerten Syr Zaran und meiner Tochter Firnja, lade ich alle Kämpfer, die an den Schlachten um die Wegburg oder im grünen Kessel teilgenommen haben, zu den Festivitäten auf meiner Burg – Burg Regenfels – ein. Ich hoffe auf zahlreiches Erscheinen!«
Diesmal noch lauterer Beifall. Ich sah, wie sich Syr Madhur an zwei Soldaten vorbei drängte, um an den Hochfürst zu kommen. Syr Zaran und ein etwas älterer Mann mit Knollennase zückten ihre Schwerter und postierten sich zwischen den beiden.
Syr Madhur spuckte ihnen vor die Füße: »Ich lehne eure Einladung ab«, stieß er wütend hervor und drehte sich dann im Kreis. »Ihr alle solltet das tun! Wenn durch Heirat unsere Länder in die Hände der Imbrier fallen, werden zuerst Askalon und dann ganz Thalien fallen! Diese arroganten >Streiter des Lichts< sind sich doch zu fein, richtige Kriege zu führen! Sie kommen doch nur von ihren Sonnenschein-Hügeln runter, wenn sie nichts zu verlieren haben! Spielen sich als große Retter und Sieger auf, dabei wissen sie gar nicht, wie es ist, ständig um seine Heimat kämpfen zu müssen. Ich sage, lasst uns keine Zeit vergeuden mit Feiern und Festivitäten! Lasst uns den verbliebenen Grauhäuten in den Arsch treten und dann Neprox angreifen – wenn wir sie aus Askalon getilgt haben, dann können wir feiern! Erst dann haben die Imbrier bewiesen, dass sie uns ein wahrer Freund sind!«
Bevor der verblüffte Hochfürst ihm etwas entgegnen konnte, hatte sich Madhur abgewandt und sich seinen Weg durch die Menge gebahnt. Er hinterließ eine Welle aus Gemurmel und Getuschel.

Wir berieten uns kurz und entschieden dann, der Hochzeit als Gäste beizuwohnen. Vor dem Aufbruch wollten wir aber noch einmal nach den Rotall-Brüdern sehen. Wael und die Magd waren mit der Versorgung der beiden beschäftigt. Während Toran in einem tiefen Schlummer lag, öffnete Benesch kurz die Augen und sagte uns, dass Toran kurz bei Bewusstsein gewesen sei und mit uns sprechen wollte. Diese wenigen Worte strengten Benesch so sehr an, sodass uns Wael hinausschickte. »Auch Toran wird noch bestimmt zwei Monde brauchen, bis er sich von seinen Wunden erholt hat. Kommt doch nach der Hochzeit noch einmal vorbei, vielleicht ist er dann bereit für ein längeres Gespräch.«

Edwen entschied, vorerst auf der Wegburg zu bleiben, um Notor Gulim zu unterstützen und Toran bei seiner Genesung beizustehen: »Das bin ich meinem alten Kumpel schuldig!«
Er verabschiedete sich herzlich von uns: »Wir werden uns sicher bald wiedersehen! Ich wünsche euch viel Spaß bei den Hochzeitsfeierlichkeiten. Mir ist im Moment nicht nach feiern zumute angesichts der Lage im südlichen Askalon. Ich würde euch bloß den Spaß verderben.«

Wir gingen noch einmal zu Notor Gulim, der jeden - selbst den Troll - umarmte und einen Bruderkuss aufdrückte: »Ich finde es gut, dass es eine neue Verbindung zwischen Askalon und Imbrien geben wird. Ich würde auch gerne mitkommen, muss mich aber um die Wegburg kümmern. Die Rotall-Brüder werden noch lange für ihre Genesung brauchen, solange muss ich mich um alles kümmern. Braucht ihr Pferde oder Proviant für die Reise? Bis zur Regenburg sind es hoch zu Ross zwei und zu Fuß etwa vier Tagesreisen!«
Wir nahmen gerne etwas Proviant mit, doch Pferde hatten wir selbst genug: Saradar hatte sein Schlachtross, Widun und Anneliese einen Schimmel und wir hatten noch drei Pferde von Fugan Tayn.
»Passt auf euch auf, und Syr Tarkin, trinkt nicht zuviel, Ihr wisst, dass ihr das nicht vertragt! Jetzt als Ritter müsst Ihr mehr auf Etikette achten. Mögen die guten Götter euch begleiten!«, verabschiedete sich Gulim von uns.

Als wir losritten, küsste die Sonne bereits die schwarzen Berge, der Himmel leuchtete in Rosa- und Gelbtönen. Nach etwa einem Drittel der Strecke machten wir Halt und schlugen ein Nachtlager auf. Mitten in der Nacht kam Saradar, der Barde, der bislang noch kein einziges Mal für uns gesungen hatte, auf die glorreiche Idee, ein Bardenlied anzustimmen. Selbst der Schnarchtroll wurde dadurch wach und stimmte in den Gesang mit ein. Ein Eulenvogel ließ ein lautes >Uhuuuu< ertönen und suchte dann das Weite. Während meiner Wache sah ich eine Sternschnuppe am Himmel, die sich ihren feurigen Weg übers Firmament bahnte und dann nach einem Blinzeln schon wieder verglüht war.

Am nächsten Morgen begrüßte uns Alun mit einem bunten Sonnenaufgang. Das Wetter meinte es gut mit uns, die Sonne strahlte herbstlich warm vom Himmel.
Ich sah am Wegesrand eine zerfetzte Robe liegen. Es schien sich um eine Druidenrobe zu handeln, sie war mit Blättern an den Schultern geschmückt und mit Waldsymbolen bemalt. An einigen Stellen bemerkte ich eingetrocknete Blutflecken. Was dem Träger dieser Robe wohl widerfahren war? Wir hatten ein wachsames Auge und hofften, dass die Räuberbanden vor einer so großen Reisegruppe Respekt haben würden.
Nach einer ereignislosen Nacht erblickten wir schließlich am Vormittag des nächsten Tages Burg Regenfels am Horizont. Je näher wir kamen, desto mehr Details wurden sichtbar. Die Burg war zweistöckig, von einem breiten Wassergraben umgeben, der – wie mir Edwen erklärte – vom Fluss Regenarm gespeist wurde, hatte zahlreiche Türme und umschloss hohe Gebäude. Ein Dorf war der Burg vorgelagert, schon von weitem konnten wir sehen, dass hier für ein Fest geschmückt wurde.
Am beeindruckensten war jedoch der Hauptturm der Burg, der von einer durchscheinenden Wasserzisterne bedeckt wurde, aus der sich unablässig aus Öffnungen in der Mauer kleine Wasserfälle in die Tiefe ergossen. Fast sah es so aus, als ob die Burg weinen würde. Aber nicht aus Kummer, sondern vor Freude.

Donnerstag, 31. Mai 2018

Der letzte Tanz - Kapitel 6: Rosenschwert und Sonnenrad

Am Morgen nach der Schlacht versammelten wir uns auf dem Grabhügel abseits der Wegburg, um von den Toten Abschied zu nehmen. Ein kalter Wind blies unablässig über den breiten Rücken des Hügels. Widun, Anneliese und Tarquan hatten die Wegburg im Morgengrauen erreicht und Syr Edwen hatte sie über den Verlauf der Schlacht unterrichtet. Der »Bund aus Blut und Feuer« war wieder vollzählig. Die Freude über das Wiedersehen war jedoch schnell wieder verebbt angesichts des traurigen Anlasses. Der Großteil der Besatzung der Wegburg, zahllose askalonische und imbrische Soldaten, Ritter und deren Knappen sowie hohe Paladine des Lichts hatten sich in einem Halbkreis um den Hügel herum versammelt. Sie hatten die Leiber der zwölf gefallenen Krieger aufgebahrt und zwölf Gräber ausgehoben. Fünf der Gefallenen hatten mit uns an der Wegburg gekämpft, darunter war auch Syr Zork. Notor Gulim hatte ihm ein leichtes Kettenhemd angelegt und ihm den rostigen Morgenstern in die gefalteten Hände gelegt.

Der Halbkreis öffnete sich in der Mitte, um für den Totendiener eine Gasse zu bilden. Er stellte sich zwischen die Leichen und begann die Todesmelodie auf einer Schädelflöte zu spielen. Anschließend stimmte er das >Lied vom letzten Wege< an, in das alle miteinfielen. Tarkins Blick war dabei gebannt auf den Zähneknirscher gerichtet. Ich sah, dass ihm vor Rührung eine dicke Träne die Wange herunterkullerte. Auch ich konnte mir die Tränen nicht verkneifen. Mir tat es auch sehr leid um Zork, der sich in der Schlacht als wahrer Held erwiesen hatte.

Jetzt trat Syr Vardek, der Hochfürst des Rössertals vor. Er war ein hochgewachsener Mann, in dessen Gesicht Stolz, Tapferkeit, aber auch Kummer ihre Spuren hinterlassen hatten. Er musste schon so manche Schlacht geschlagen und so manchen Verlust erlitten haben mit seinen - ich schätzte - über fünfzig Sonnenjahren. Er trug ein silbernes Kettenhemd mit einer prächtig verzierten Halsberge. Sein grauer Waffenrock und sein langer weißer Umhang trugen das Wappen seiner Familie, eine weiße Burg, über der Regen fällt. Er ging vor den Gefallenen bedächtig auf die Knie und erhob sich nach einiger Zeit wieder.

Er ließ einen traurigen Blick über die Versammelten streifen und setzte dann an:

»Der Feind dringt in unsere Länder vor. Mit Eisen und Blut bezahlen wir jeden Schritt bei der Verteidigung unserer Heimat. Diese tapferen Männer haben in den vergangenen Tagen unseren Tribut an Mortarax bezahlt. So lasst sie uns gemeinsam ehren und die Worte für sie sprechen, zu ihrem Andenken und zu ihrem Wohle im Reiche des Todes.«

Ein Alunpriester trat vor und drehte sich zur Menge: »Aluns Licht brennt noch immer in ihren Herzen!«
Vor allem die imbrischen Soldaten fielen in seinen Sprechgesang mit ein: »Möge es niemals verglimmen!«

Viele Augen, vor allem die der Askalonier, richteten sich jetzt erwartungsvoll auf mich und Widun. Einige der Gefallenen waren Anhänger der Erdgöttin, sodass ich auch einen Segen sprach und Ianna darum bat, dass sie die Leiber in ihr Reich aufnehmen und neues Leben daraus erwachsen lassen solle.

Widun hatte Weinfässer aus der Wegburg herrollen lassen und erhob jetzt einen riesigen Weinkelch, nahm einen großen Schluck daraus, und ließ ihn reihum gehen. Er musste mehrfach nachgefüllt werden. So hatten wir auch die Anhänger des Schratenherrn berücksichtigt. Zum Abschluss trat noch einmal der völlig in schwarz gekleidete Totendiener zu den Leichen und sang: »Mortarax hat das Bett für euch bereitet, er sende eure Seelen auf den letzten Pfad!«
Er winkte einige der Männer zu sich, die dabei halfen, die Toten in den Erdlöchern zur Ruhe zu betten. Das Begräbnisritual endete mit dem melancholischen Harfenspiel des Mortaraxpriesters. Die Versammlung löste sich auf und die Soldaten kehrten in ihre gestern noch hastig am Fuße der Wegburg errichteten Lager zurück.

Wir wollten uns gerade zur Wegburg wenden, als ein junger Mann keuchend den Grabhügel hochrannte. Es war Valan, der junge Wächter, der uns die erste Kunde vom Tekkangriff gebracht hatte. Wir ließen ihn erstmal wieder zu Atem kommen, dann setzte er an: »Mehr … zurück!«

»Noch mehr Grauhäute?«, fragte ihn Edwen ungläubig.
»Nein!«, keuchte Valan und ein Lächeln trat auf seine Lippen. »Gruppe mit Überlebenden aus dem grünen Kessel … gekommen!«

Wir kehrten eiligen Schrittes zur Wegburg zurück. Ich sah, dass sie die Leichen der Tekk am Rande der Schlucht gestapelt hatten und gerade dabei waren, den errichteten Scheiterhaufen in Brand zu setzten. Das Holz war nass vom vielen Regen und es wollte den Soldaten nicht so recht gelingen. Anneliese schubste Widun an: »Ich könnte doch … mit einem kleinen Feuerball!«

»Willst du selber auf dem Scheiterhaufen landen? Das da drüben sind Alunpaladine. Wenn die mitbekommen, dass du Feuermagie beherrschst, grillen sie dich gleich mit, aber lebendig!«, flüsterte ihr der besorgte Mönch zu.

Wir traten durch das Burgtor und erblickten im Hof eine Gruppe mit roten Schwertern auf Rüstung und Schild. Sie gaben gerade ihre Pferde bei den Stallburschen ab. Eine Frau war darunter. Das auf den Rücken gegürtete Schwert verriet, dass sie eine Kriegerin war. Sie blickte kurz zu uns herüber. Ihr Gesicht hatte einen grimmigen Ausdruck, der noch von ihrer ungewöhnlichen Frisur unterstützt wurde. Sie hatte eine Seite des Schädels kahl geschoren und die Haare der anderen Seite zu dünnen, aber langen Zöpfen geflochten.

Als ihr Blick auf mich fiel, wechselte ihr Gesichtsausdruck. Jetzt hatte sie ein eher spöttisches Lächeln auf den Lippen. Sie drehte sich weg und verschwand im Eingang zum Haupthaus. Zwei der Rotschwerter bezogen Stellung vor der Tür.
»Seltsam, was geht da vor sich?«, fragte ich mich, als uns Notor Gulim zu sich rief.

»Darf ich euch vorstellen, das ist >mein< Lyr, ein hervorragender Alchimist, der einst mein Zögling war. Jetzt ist er Mitglied im Bund der roten Klingen.«
Der junge Alchimist Lyr.
Gemeint war ein kahlköpfiger, junger Mann mit vor Intelligenz funkelnden Augen, der in die Robe eines skilischen Gelehrten gekleidet war. Auf der Robe waren zahlreiche Symbole, die ich noch nie gesehen hatte, wahrscheinlich alchimistischer Natur. Gulim drückte ihn noch einmal an sich und war selbst um einen Kuss auf die Wange nicht verlegen.
»Er kam damals als Waisenjunge zu mir, und ich habe ihn wie meinen eigenen Sohn aufgezogen«, erklärte Gulim nicht ohne Stolz.

Gulim entschuldigte sich und überließ Lyr unseren Fragen.
Widun betrachtete seine zitternde Hand: »O Tremorio, ich muss dringend einen Trinken gehen!«

»Schön Euch kennenzulernen«, begann Edwen. »Gulim hat oft von Euch erzählt, doch Ihr wart schon weg, bevor ich zur Bruderschaft gestoßen bin.«

Der junge Alchimist nickte: »Ja, ich habe in Skilis Alchimie studiert und dann in Taraxhall gearbeitet. Nach dem Fall der Stadt habe ich mich den >Roten Klingen< angeschlossen. Unsere Anführerin, Galinea, habt Ihr ja schon gesehen. Unser Bund besteht hauptsächlich aus Überlebenden des grünen Kessels und anderer von den Tekk eroberter Gebiete Askalons. Galinea ist hier, weil sie überlegt, sich der Bruderschaft anzuschließen.«

Tarkin fragte unverblümt: »Was sollen die Wachen vor dem Haupthaus?«

Lyr sah uns ungläubig an: »Könnt ihr euch das nicht denken? Sie sind beide schwer verwundet, aber am Leben ...«

Er hatte kaum ausgesprochen, als Edwen und Tarkin mit großen Schritten auf die Tür zugingen. Die Wachen kreuzten die Schwerter vor ihnen, doch Lyr rief ihnen zu, dass es in Ordnung sei, uns durchzulassen.

Wir durchschritten den langen Flur. Aus einer Seitentür drang heißer Dunst. Vier Burschen erhitzten hier Steine im Feuer und Wasser brodelte in großen Kesseln. Wegen der hohen Luftfeuchtigkeit fing ich sofort an zu schwitzen. Einer der Burschen hatte Wein aufs Feuer gestellt und warf jetzt stechend riechende Kräuter hinein. Die Tür zum Nachbarraum ging auf und die dicke Magd Melda trat herein.

»Habt ihr endlich die Tücher ausgekocht?«, fuhr sie zwei der Burschen in harschem Ton an.

Der Raum, aus dem die Magd gekommen war, war abgedunkelt. Als wir Anstalten machen wollten, hineinzugehen, stellte sich uns die resolute Melda in den Weg: »Wo sollsn hingehn?«

Urota blickte auf sie herab und seine Hauer formten ein Trollgrinsen. »Alles klar!«, piepste die Magd und sprang beiseite.

Hier lagen zwei Männer auf Strohmatratzen. Notor Gulim legte gerade einem der beiden einen Verband an und tupfte anschließend auf die glühende Stirn.
»Wundbrand!«, flüsterte er. Der Verwundete schien weit weg zu sein, jedenfalls lag er wie schlafend unter einer dicken Bärendecke. Das traf jedoch nicht auf den anderen zu. Dieser wand sich schweißgebadet hin und her auf seiner Matratze und drohte ständig herunterfallen. Er hatte die Augen halb geöffnet, ich konnte sehen, dass seine Pupillen wild hin und her zuckten. Er murmelte unzusammenhängende Worte. Ein kleiner, älterer Mann mit großem Schnauzbart im Gewand eines Heilers beugte sich gerade über ihn und schmierte eine Salbe auf die von Schnittwunden übersäte Brust des jungen Mannes. Galinea hockte auf der anderen Seite und versuchte, den Versehrten zu bändigen.
»He, ihr da! Steht nicht so da rum! Bringt mir ausgekochte Leinentücher und den heißen Wein!«, fuhr uns der alte Heiler an. »Etwas Hilfe beim Festhalten wäre auch nicht schlecht! So kann ich nicht arbeiten!« Saradar und Urota halfen beim Festhalten, während ich mit Freya und Tarkin die Tücher und den Wein holen ging. Au! Ich musste den heißen Weinkrug fallen lassen. Irgendwie hatten es aber die kleine Wichtelin und Tarkin geschafft, einen Weinkrug unbeschadet zum Heiler zu bringen. »Syr Toran hier geht es sehr schlecht, wenn wir nicht rasch seine Wunden ausspülen, stirbt er!« Selbst der Troll und der Gjölnar hatten Schwierigkeiten, Toran festzuhalten, sein Wundkrampf war kaum zu bändigen. Der Heiler bat Saradar, ihm ein Tuch fest in den Mund zu pressen, damit er sich nicht auf die Zunge beißen würde, und goss dann den heißen Wein in die tiefe Wunde. Torans Körper bäumte sich noch einmal in einem massiven Krampf auf, um dann erschöpft in sich zusammen zu sinken. Seine Bewegungen wurden ruhiger, schließlich schien er eingeschlafen zu sein.

»Ich bin Wael, der oberste Heiler des Hochfürsten. Danke, dass ihr mir geholfen habt und entschuldigt bitte, dass ich so barsch war, aber es ging um Leben und Tod«, stellte sich der kleine Mann jetzt vor. »Ich denke, dass die beiden durchkommen werden, aber sie brauchen jetzt viel Ruhe, sie sind beide extrem geschwächt. Verlasst bitte den Raum, damit sie schlafen können«, bat er uns.
Galinea sprach noch kurz mit dem Heiler und folgte uns dann in den Flur.

Edwen stellte sie zur Rede: »Seid gegrüßt im Namen der guten Götter. Ihr seid Galinea, die Anführerin der >Roten Klingen<?«
Sie blitzte ihn mit ihren stahlblauen Augen an: »Ja, das bin ich. Und was seid ihr für ein bunter Haufen?«
Wir erklärten ihr, dass ein Teil von uns bereits an Torans Seite gegen die Tekk gekämpft hatte und auch jetzt mit den >Gekreuzten Schwertern< der anrückenden Tekkarmee entgegengetreten war.
Sie schien beeindruckt und begann zu erzählen: »Dann seid ihr Torans Freunde! Der Faun und die Wichtelin haben auch mitgekämpft? Das hätte ich euch gar nicht zugetraut. Ihr wollt sicher wissen, was da drüben passen - ich meine jenseits des Rösserpasses - passiert ist. Wir wollten uns mit Toran treffen, um zusammen mit ihm seinen Bruder zu befreien. Doch leider war er vorher in einen Hinterhalt der Tekk geraten und sie hatten ihn in einen ihrer Blutwagen gesteckt. Er hatte sich natürlich gewehrt und wurde schwer verwundet. Zu seinem Glück sind die Tekk jedoch an >Frischfleisch< interessiert und lassen ihre Gefangenen deshalb zunächst einmal am Leben. Wir fanden heraus, wer ihn gefangen hielt und konnten ihn – leider nur mit großen Verlusten – schlussendlich befreien. Auch sein Bruder Benesch befand sich unter den Gefangen. Fünf weitere überlebten die Reise zur Wegburg nicht – wegen der anrückenden Tekkarmee kamen wir nicht vorbei und mussten uns ein Versteck suchen. Dort hatten wir aber keine Möglichkeit, die Verwundeten richtig zu versorgen. Ich muss jetzt gehen - der Kriegsrat wartet. Glück mit euch!«
Sie verabschiedete sich mit einem Nicken und trat ins Freie.

Die Magd Melda kam aus der >Kammer des Schweißes<. Saradar kramte rasch einen Beutel hervor und bot ihr doch tatsächlich die Hexenkräuter aus Medea zum Kauf an.
Sie schaute kurz drauf, schnupperte und zuckte schließlich mit den Schultern: »Kenn ich net, will ich net. Und von einem Barbaren schonmal gar net!«
Sie ließ ihn mit offenem Mund auf dem Flur stehen und eilte hinaus.

»Was machen wir jetzt?«, fragte ich in die Runde. Edwen schlug vor, ein Nachtlager zu suchen. Er meinte, dass wir vielleicht bei den freien Rittern oder den Askaloniern unterkommen könnten. Wir verließen die Wegburg durch das Torhaus. Vor uns lag das imbrische Lager. Die hellen Zelte standen in Reih und Glied, an jedem flatterte das Sonnenbanner. Die Ritter, alle glatt rasiert und in sauberer Kleidung, saßen vor ihren Zelten und unterhielten sich, während die Knappen mit dem Polieren der Rüstungsteile beschäftigt waren. Alles blitzte und blinkte. Zwischen den Zelten waren die Pferde angekoppelt. Sie trugen aufwändige Schabracken mit Sonnensymbolik. Die Stallburschen waren gerade beschäftigt, sie zu tränken und zu füttern.
»Die sind mir zu arrogant«, entschied Tarkin und stapfte weiter.
Wir folgten der Passstraße und hatten das freie Lager zur Rechten. Hier standen die Zelte, alle in den verschiedensten Farben und Zuständen, einige neu, andere schon sehr zerschlissen, wild durcheinander. Die unterschiedlichsten Banner wehten vor den Zelten. Bei einigen fehlte es sogar gänzlich. Die Krieger trugen teils verrostete Rüstungen, manche hatten auch nur Teilplatten und trugen Kettenhemden oder Leder mit Aufschlägen. Ein seltsamer Gestank lag hier in der Luft.
»Die haben doch tatsächlich … einen Ogrens. Die spinnen!«, besprach sich gerade ein freier Ritter mit einem Kameraden. Sie verstummten und drehten sich weg, als wir näher kamen. Dann unterhielten sie sich in einem Flüsterton weiter.
Anneliese hielt sich die Nase zu: »Nein danke, dieser Gestank ist nichts für eine Kobolddame.«

Das askalonische Lager bestand hauptsächlich aus roten Zelten, die nicht ganz so ordentlich wie die ihrer imbrischen Kampfgenossen aufgereiht standen. Die Krieger waren emsig, einige übten sich im Schwertkampf, andere im Bogenschießen auf Strohpuppen. Hier wurden Pfeile geschnitzt und mit Federn bestückt, da ölten sie die Scharniere ihrer Rüstungen und schliffen ihre Schwerter. Die Kriegsvorbereitungen waren in vollem Gange, bei den Imbriern hatte ich dagegen den Eindruck gewonnen, sie wären eher auf einem Ausflug. Ein Fiedler stimmte soeben eine alte askalonische Weise an. Hier gefiel es mir viel besser als bei den Hochnäsigen und Gestriegelten. Das askalonische Lager war hufeisenförmig angeordnet. In der Mitte stand das größte Zelt. Vor ihm waren zwei Ritter mit einem gebeugten Mann in ein Gespräch vertieft.
Einer der Ritter lächelte uns freundlich entgegen: »Bei den guten Göttern, seid gegrüßt, wenn das mal nicht die Helden der Schlacht am Rösserpass sind. Mein Name ist Syr Deodan, und das hier ist Syr Madhur.«
Der andere Ritter hatte einen grimmigen Gesichtsausdruck und musterte uns eher finster und ablehnend. Der gebeugte Mann mit tiefen Gesichtsfalten, ein Notor, wie ich jetzt an seiner Gelehrtenrobe erkannte, war hinter den zweiten Ritter zurückgetreten. Tarkin fragte geradeheraus, warum dieser so grimmig dreinblicke, sie hätten doch schließlich den Sieg davongetragen.
Syr Madhur antwortete zähneknirschend: »Das geht euch gar nichts an, Ihr seid kein Askalonier!«
Edwen trat vor: »Ich schon, sagt, was macht Euch so wütend?«
Madhur schien Edwens Schlangenschwert-Wappen zu kennen: »Syr Edwen, der Kriegsrat – oder vielmehr der Hochfürst und dieser Graufuchs Xardrus – haben beschlossen, dass die Wegburg verstärkt werden soll und ein Teil der Truppen als Verstärkung hier bleiben soll.«
»Aber das sind doch gute Nachrichten«, mischte sich Saradar ein und erhielt dafür einen stechenden Blick vom askalonischen Ritter, der selbst mir fast körperlich weh tat. Deodan dachte wohl, dass er einschreiten müsse und drängte sich zwischen den Barbaren und Syr Madhur. Er schaute Edwen an, als er erklärte: »Der Kriegsrat hat sich dagegen entschieden, den Tekk nachzusetzen und sie aus dem Süden Askalons endlich zu vertreiben. Chiram ist gefallen, Taraxhall ist gefallen, jetzt ist der gesamte >Grüne Kessel < in der Hand der Bestien aus Ultar. Auch ich wäre für eine andere Vorgehensweise – aber wir müssen es mit Vernunft betrachten. Gegen ihre Übermacht haben wir im Augenblick keine Chance!«
Syr Madhur drehte sich weg und grummelte so etwas wie »Scheiß auf eure Vernunft!«, trat gegen einen Stein und verschwand dann hinter einem der Zelte.
Syr Deodan, askalonischer Ritter aus dem Grünen Kessel.
Deodan beschwichtigte: »Ihr müsst ihn verstehen. Seine Stadt ist in der Hand dieser Bestien. Aber was hilft es, wenn wir im Anrennen alle auf der Strecke bleiben!«
Der faltige Notor wollte sich gerade zum Gehen wenden, als ihm Syr Deodan auftrug, ein leeres Zelt für uns zu finden: »Ihr habt doch sicher noch kein Nachtlager!«
Gebeugten Hauptes und schlurfenden Schrittes hatte uns der bucklige Notor zu einem leeren Zelt am Rand des Lagers geführt: »Hier könnt ihr für heute Nacht bleiben!«
Vivana und Pferd verabschiedeten sich vorerst vom Rest der Gruppe – sie wollten sich bestimmt ein ungestörtes Plätzchen suchen.

Ein Rumpeln – Urotas Magen hatte sich gemeldet, pünktlich zur Mittagszeit.
»Wo kriegen wir was zu essen her?«, fragte Saradar in die Runde. »Nicht, dass der Troll noch einen von uns anknabbert!«
»Wir könnten auf die Jagd gehen!«, schlug Anneliese vor. Tarkin lachte: »Ich würde sogar mit dir kommen, aber ...« - er zeigte auf sein angekokeltes Fell - »... ich habe Angst, dass du den ganzen Wald in Brand setzt!« Maluna verstand sich auf Feuerwitze: »Dann wäre wenigstens alles schön kross!«
»Ich sehe mal, wo sich Widun rumtreibt, er hat bestimmt eine Idee, wo wir etwas Gescheites zum Essen und Trinken herkriegen!«
Ich ging zurück zur Wegburg, Maluna begleitete mich und zog alle Blicke auf sich. Wir fanden Widun in der Schenke – wo sonst? Er saß am Tresen und prostete einigen Soldaten zu. Es war nicht schwer ihn wegzukriegen, als wir ihn baten, ein Fässchen Bier mitzubringen. Ich holte mir aus der Küche einen Kessel mit Kartoffelsuppe, mit Malunas Hilfe war es kein Problem, ihn ins Zeltlager zu tragen.

Wir kamen an der Schmiede vorbei, wo ich mitbekam, wie der Schmied zwei seiner Lehrlinge anschrie und beschimpfte: »Ein Blinder hämmert genauer als ihr!« und »Meine Esse ist noch nie erloschen – eher stoße ich einen von euch Nichtsnutzen hinein, bevor sie ausgeht!« und »Das soll Weißglut sein? Ihr erlebt gleich, was richtige Weißglut ist!«
Vor der Schmiede standen vier Knappen mit verbeulten, schweren Rüstungsteilen auf dem Rücken - in einer Warteschlange - in der prallen Mittagssonne. Auch sie bekamen ihr Fett weg: »Wartet, bis ihr dran seid! Der früheste Termin ist der nächste Halbmond! Und jetzt weg hier, ihr stehlt mir die Luft zum Atmen!« Maluna zuckte mit den Achseln: »Da werde ich wohl kein so leichtes Spiel wie beim letzten Mal haben!« Sie grinste nur, als ich auf ihre Aussage mit einem Gesichtsausdruck, der wohl eine Mischung aus Schreck und Ekel zeigte, antwortete.

Als wir zurückkamen – Widun rollte das Bierfässchen mit seinem Fuß die Passstraße hinab - spielte Saradar gerade mit seinem Wiesel. Anneliese wollte es gerne streicheln, doch es schlüpfte flink wieder zurück in sein Versteck - in Saradars Hose.

Nach dem Essen trat Valan ins Zelt: »Syr Benesch ist aufgewacht und möchte euch gerne sehen!«
Wir folgten ihm in die Wegburg, Urota und Freya waren zurückgeblieben, sie wollten sich noch etwas ausruhen – so viel Bier in praller Sonne vertrug nicht jedermann.
Zufälligerweise war Maluna die erste, die eintrat. »Träume ich noch? Seid ihr eine Alwe? Toran hat gar nichts von Euch erzählt!«, begrüßte er sie. »Ähm, ich bin eine Freundin von Tarkin, dem Kobold«, erklärte sie. »Ah, da ist ja auch der Faundruide, der sich in ein Eichhörnchen verwandeln kann – Toran hat sich immer sehr darüber amüsiert« - er hustete.

Edwen kannte ihn am besten von unserer Gruppe und trat zu ihm: »Syr Benesch, wie geht es Euch?«

»Edler Syr Edwen, es könnte besser gehen, aber ich lebe. Es war unvernünftig von meinem Bruder so viel zu riskieren...« - er musste immer einmal wieder eine Pause einlegen, selbst zum Sprechen war er noch zu schwach.

»Wisst ihr, sie hatten mich in einer Felsenhöhle angekettet, diese Bestien. Sie halten uns ja solange am Leben, damit wir ihnen und der Brut ihrer Königin irgendwann einmal als Nahrung dienen können! Wir sind doch kein Schlachtvieh! Dieser törichte Toran musste herausgefunden haben, wo sie mich festhielten. Mit fünf Leuten stürmte er in die Höhle, nur er und ich kamen lebendig wieder raus. Aber seht, was sie mit uns gemacht haben. Mein Bruder war schon immer ein Hitzkopf, diesmal hat er sich aber wie ein Freitodwühler verhalten!«

Toran lag nebenan und ließ ein weit entfernt klingendes Flüstern hören, als er seinen Namen hörte – er schien Albträume zu haben. Wael, der Heiler, trat ins Krankenzimmer und bat uns, wieder zu gehen. Benesch war inzwischen wieder eingetrübt, er murmelte »Lichtbringer« und »Ilon Heck...« als wir den Raum verließen.

Die Sonne stand tief am Horizont, als wir durch das Torhaus traten. Jenseits der Brücke waren die Arbeiten an der Passmauer in vollem Gange. Edwen folgte mir über die Brücke. Unten lagen Teile der Passmauer und des Turms im rauschenden >Schwarzbach<. Handwerker hatten die Trümmer beiseite geräumt und Steinmetze hämmerten fleißig an Ersatzsteinen für die eingestürzte Mauer. Ein Holzgestell zeigte, wo der neue Wehrturm errichtet werden sollte. Hier standen mehrere Bogenschützen und hielten Wache. Ein erfahrener Schütze namens Isgard Falkenauge gab den anderen Hinweise, wie sie ihre Treffsicherheit erhöhen könnten. Wir folgten dem Gebirgspfad noch etwas in Richtung Grüner Kessel. Hier hatten Handwerker spitze Pfähle in den Boden gerammt, um einen erneuten Ansturm der Tekk das nächste Mal schon früher zum Stillstand zu bringen. Auch hier waren Wachen postiert. Sie unterhielten sich angeregt:

»Diese Tekk sterben lieber als in Gefangenschaft zu geraten.«

»Ja, und nachdem der alte Xardrus den Tekkgeneral erschlagen hatte, seien nur Krähen davon geflogen und die umstehenden Ul'Hukk tot umgefallen.«

»Aber hast du das von dem Menschenfresser gehört? Die Soldaten von der Regenburg haben doch tatsächlich eines dieser Viecher gefangen.«

»Ja, angeblich sammelt der Hochfürst solche Monster irgendwo unter seiner Burg in einer Art Bestiarium!«

Die Sonne war schon hinter den Schwarzeisenbergen verschwunden, als wir das Zelt erreichten. Widun hatte bereits dafür gesorgt, dass kein Tropfen des guten Bieres zugekommen war. Tarquan und Vivana kamen ins Zelt. Ich sah, dass Vivana Moos in den Haaren hing, sie hatten wohl der Waldgöttin gehuldigt.

Saradar versuchte mal wieder, sich bei Maluna einzuschmeicheln, doch die Feueralwe schien resistent gegen den wilden Charme des Barbaren aus dem hohen Norden und ließ ihn wiedermal abblitzen. Anneliese grinste und wünschte ihm »feurige Träume«. Der Barbar zuckte mit den Schultern, legte sich hin und flüsterte »Was mache ich bloß falsch?«, während er sich zur Zeltwand drehte. Tarkin sah hoffnungsvoll zu Anneliese rüber, doch auch sie zeigte ihm nur die kalte Schulter. Mit einem tiefen Koboldknurren drehte er sich ebenfalls in Richtung Zeltwand.

Der letzte Tanz - Kapitel 5: Die Schlacht am Rösserpass

Regen prasselte mir auf den Kopf und auf dem Boden vor mir lag eine tote Krähe. Ob wir am Ende des Tages auch so daliegen würden? Ich musste an Esperia denken, unsere faunische Ianna-Paladine der Hoffnung, und schöpfte neuen Mut für die kurz bevorstehende Schlacht.

Das Gebrüll der Tekkarmee ebbte nicht ab. Die Feinde aus dem fernen Ultar ließen ihr Kriegsgeschrei durch die Schlucht des Rösserpasses dröhnen, das von den schroffen Felswänden der Schwarzeisenberge wiederhallte und noch verstärkt wurde. Saradar, der zusammen mit Edwen die meiste Erfahrung im Kampf gegen die Tekk hatte, zuckte nur mit den Schultern: »Lasst sie brüllen, ist nicht viel dahinter. Sie kämpfen schlechter als meine Gjölnar-Großmutter – und das will schon etwas heißen – sie zählt über achtzig Sonnenwenden, ist schwerhörig und auf einem Auge blind!«

Syr Edwen beschwor die Mannschaft der Wegburg: »Männer, wenn wir diszipliniert kämpfen, haben wir eine Chance auch gegen die größte Übermacht. Die Schwäche der Ul'Hukk ist ihre fehlende Kriegslist. Lasst sie Welle um Welle gegen unsere gute alte Wegburg prallen – wir werden von den Zinnen auf sie herunterlachen und sie mit Pfeilen begrüßen!«

Hauptmann Wunnar, der den militärischen Befehl inne hatte, teilte die Männer ein: »Ich brauche vier Männer, die den Turm der Passmauer besetzen, damit wir ihnen einen ordentlichen Empfang bereiten können!«

Syr Zork, von allen nur ›Zähneknirscher Zork‹ genannt, bemannte die niedrige Passmauer, vier junge Bogenschützen stiegen auf den etwas nach vorne versetzten Turm.

Ich ging zusammen mit Vivana und weiteren Bogenschützen auf den Turm der Wegburg.
Vivana hatte in Vorbereitung der Schlacht ihre Pfeilspitzen vergiftet und legte sie nun in einem Halbkreis vor sich auf die Zinnen. Ich hatte mir einen Köcher umgeschnallt und übte das Spannen und Einnocken der Pfeile mit meinem Kurzbogen.

Der Himmel hatte sich weiter verfinstert, der Regen wurde immer stärker und spritzte mir prasselnd von den Zinnen ins Gesicht. Die Spannung war kaum auszuhalten, wirre Gedanken schossen mir durch den Kopf, mein rechtes Horn juckte – das hatte es noch nie! Ich entstammte einem friedfertigen Volk, doch was war aus mir geworden? Da stand ich nun hoch auf einem Turm einer Burg und verteidigte die Reiche der Menschen mit Pfeil und Bogen. Ich schloss die Augen und wollte noch ein letztes Gebet an die Erdmutter richten, als mir plötzlich bewusst wurde, dass es auf einmal ganz still geworden war – das Gebrüll der ultarischen Armee war verstummt. Ich öffnete die Augen. Der Regen verschleierte mir etwas die Sicht, dennoch konnte ich erkennen, dass sich Zork über die Brüstung der Mauer beugte und den Männern auf der Brücke, unter denen auch Urota, Saradar und Syr Edwen waren, etwas zurief. Sie nahmen daraufhin Haltung an. Wo waren eigentlich Maluna, Tarkin und Freya? Ich konnte sie von hier oben gar nicht erkennen. Urota legte sich die große Menschenfresseraxt auf die Schulter, Saradar reckte sein Bastardschwert und Edwen erhob sein Langschwert.

Dann ging alles plötzlich ganz schnell. Zork schrie »Sie kommen!« als auch schon ein Feuerball gegen den Turm der Passmauer prallte und mit einer lauten Detonation zerbarst – Teile eines brennenden Fasses rieselten auf die Soldaten herunter. Weitere dieser Feuerbälle flogen gegen die Passmauer und trafen den Turm. Zork hielt schützend sein Schild über sich. Die Bogenschützen auf dem Turm feuerten nach unten. Die Angreifer blieben für mich unsichtbar, hinter der Passmauer verborgen.

Von oben – ein ohrenbetäubendes Krächzen – der Krähenschwarm war zurück. Ich spannte meinen Bogen und schoss in die dunkle Wolke. Die Krähen versuchten im Sturzflug nach mir zu picken oder mich mit ihren Krallen zu verletzen. Ich duckte mich in den Schutz der Mauer. Die Krähen glitten zornig krächzend über die Burgmauer hinweg und schlängelten sich dann wieder in die Höhe. Vivana feuerte ihnen in schneller Folge ihre Giftpfeile hinterher. Ich schaute nach unten – der Turm brannte. Einer der Bogenschützen fiel brennend vom Turm. Zork gestikulierte, dass die drei anderen den Turm verlassen sollten – doch zu spät – nach einem weiteren Feuerball brach der Turm krachend in sich zusammen – die Trümmer stürzten zusammen den schreienden Soldaten in die Tiefe der Schlucht.

Die Krähen kamen zurück. Ich schoss in den gefiederten Schwarm – vorbei. Wieder brausten sie kreischend über uns hinweg.

Zork warf Steine von der Passmauer. Ein weiteres brennendes Fass flog direkt auf ihn zu und warf ihn von der Mauer. Er lag vor dem Tor. Der Sturz schien ihm wenig ausgemacht zu haben, den er rappelte sich bereits wieder auf. Dann – ein Donnern. Das dicke Eichentor vibrierte und flog fast aus seinen Angeln. Ich hörte, dass Hauptmann Wunnar so etwas wie »Verstärkt das Tor!« brüllte und versuchte, mit einigen Soldaten einen Holzwagen zur Verstärkung in Richtung Tor zu schieben. Ein weiteres Hämmern – gefolgt von einem zornigen, unmenschlichen Brüllen.

Meine Nackenhaare stellten sich auf – die Krähen waren zurück. Eine saß auf meinem Rücken und pickte nach mir. Ich schüttelte mein nasses Fell – dann fiel sie tot zu Boden. Vivana lächelte mir zu – einer ihrer Giftpfeile hatte den schwarzen Vogel durchbohrt.

Von unten – ein Ächzen und Krachen – und wieder dieses unmenschliche Brüllen – diesmal aus mehreren Kehlen. Zork schrie »Weg hier!« und rannte zusammen mit Wunnar und den anderen Soldaten von der Passmauer weg. Einen Augenblick später, und sie wären darunter begraben worden. Mit einem ohrenbetäubenden Poltern und Rumpeln fiel die Mauer. Teile von ihr schlugen krachend gegen die Steilwände der Schlucht und landeten laut platschend im Gebirgsbach.

Da wo eben noch die Passmauer gestanden hatte, lag nur noch ein brennender Schutthaufen. Wie hatten es die Tekk geschafft, diese massive Mauer zum Einsturz zu bringen?

Voll gespannter Erwartung und - wie ich am Schlottern der Speere bei einigen jungen Soldaten sehen konnte – Furcht, standen die Brüder der Wegburg auf auf der schmalen Brücke.

Der Regen löschte die Flammen – durch den Qualm hindurch drang ein kehliges Knurren und ein Kettenrasseln zu uns herüber. Auch jetzt konnte ich von den Angreifern kaum etwas erkennen – nur Schatten hinter einem Rauchschleier. Dann setzte ein lautes Gebell ein, waren das Hunde? Mit ungeheurer Geschwindigkeit sprang ein Dutzend schuppiger Hundebestien über die Mauerreste der ersten Verteidigungslinie. »Gobbons!«, rief ein Soldat neben mir.
Ein Bluthund der Tekk.
Einer der Tekkhunde sprang auf den Zähneknirscher zu. Zork schwang die Kette seines Morgensterns und traf die Seite der Bestie. Der Hund heulte auf und stürzte mit einem Jaulen in die Schlucht. Die Soldaten hielten die Bestien mit ihren Speeren in Schach. Urota hieb mit seiner riesigen Axt nach einem der Hunde und spaltete ihn in der Mitte. Einer der Soldaten wurde überwältigt – Wunnar wollte ihm zu Hilfe kommen, doch ein weiterer Gobbon sprang ihm an den Arm und zerrte ihn weg. Blut spritzte, als der Hund dem Soldaten die Kehle zerfleischte. Blut triefend, mit offenem Maul, stand er da und suchte sich sein nächstes Opfer aus. Dann steckte ihm plötzlich ein Pfeil im Kopf und er sank zu Boden. Tarkin sprang herbei, wechselte Bogen gegen Kurzschwert und versicherte sich, dass der Gobbon niemanden mehr beißen würde.

Von oben – wieder lautes Krächzen. Die nächste Angriffswelle der Krähen wehrten wir mit einem Pfeilregen ab, bevor sie auch nur in unsere Nähe kommen konnte. Schwarze Federn wirbelten durch die Luft. Der Boden war inzwischen übersät von ihren nassen Kadavern – ich musste aufpassen, wo ich hintrat, um nicht auf ihren glitschigen Leibern auszurutschen.

Weitere Bluthunde sprangen auf die Brücke – und die ersten Tekk folgten ihnen. Die grauen Krieger aus Ultar – laut Edwen von einer fernen Macht kontrolliert, einer Art Königin, die ihre Gedanken beherrschte. Furchterregend sahen sie aus. Ich hatte nur verschwommene Erinnerungen – die Gedanken an unsere Flucht vor den Ul'Hukk hatte ich verdrängt. Ketteln rasselten, die Platten auf ihren Rüstungen blitzten auf. Viele trugen Helme, die ihre Gesichter verbargen, bei anderen konnte ich selbst von hier oben die für sie typischen Muster auf den Stirnplatten erkennen.

Zork hatte gerade wieder einen der Hunde von der Brücke gefegt, als ein tekkischer Speerkrieger auf ihn einstach. Der Speer prallte an seinem Schild ab - Zähneknirscher drehte sich geschickt und verpasste dem Tekk einen Kinnhaken mit dem Ellbogen seines Waffenarms. Soldaten und Tekk stachen mit Speeren aufeinander ein - Saradar schüttelte einen Tekkhund von seinem Bein und gab ihm einen Tritt – Tarkin schoss einen Pfeil und traf damit einen Tekk in die Brust – Urota trennte einem Ul'Hukk, der seinen Speer vor den Augen des Trolls hatte bedrohlich kreisen lassen, den Speerarm von der Schulter. Überall Leichen und Leichenteile auf der Brücke – ein grausames Bild.

Was war das? Ein Huschen, an der Felswand, wo der Wasserfall in die Tiefe stürzte. Dann sah ich sie: eine Säbelzahnechse kroch schlängelnd über die Felswand auf meinen Wehrturm zu. Ihre schuppige Haut glitzerte im prasselnden Regen. Ich schloss die Augen und richtete ein Stoßgebet an Ianna. Ein großer Dorn rammte aus der Felswand und traf die Riesenechse in den Unterleib. Sie zischte und richtete ihren Reptilienblick auf mich. Sie klapperte mit ihren Zähnen, die ihr den Namen »Säbelzahn« gegeben haben mussten. Mir wurde Angst und Bange – sie kletterte weiter an der Felswand entlang und setzte gerade zum Sprung an – doch ein weiterer Dornenstich irritierte sie so, dass ihr Sprung fehlging, und sie nur mit ihren Vorderbeinen an den Zinnen hängenblieb. Der Soldat neben mir schlug ihr auf die Halt suchenden Krallen.

Unten wurde die Lage immer unübersichtlicher. An vorderster Front stand der unerschrockene Zork. Blut tropfte von seinem Morgenstern. Die Tekkleichen stapelten sich vor ihm. Der Qualm hatte sich inzwischen verzogen – ich konnte riesige Schatten sehen, die sich von jenseits der Schlucht der Brücke näherten. Was waren das für Monstren? Sie waren über drei Schritt groß, gewaltige, geifernde Hauer ragten aus ihren ausladenden Kiefern. Die Menschenfresser waren gekommen. »Ogrens!«, schrie ein Bogenschütze hinter mir. »Jetzt ist unser Ende nah!«

Mit einem Brüllen sprengte das erste Ungeheuer den Leichenstapel auf der Brücke. Die ganze Brücke geriet in Schwingungen, als er auftrat. Selbst der hünenhafte Zork wurde durchgeschüttelt bei jedem Schritt des Ogrens. Heldenhaft blieb der Zähneknirscher auf der Brücke stehen, während alle anderen angsterfüllt ein paar Schritt zurückgewichen waren. »Haltet Stand, Brüder!«, rief der Ritter der Bruderschaft und reckte sein Schild mit dem Wappen der gekreuzten Schwerter wie ein Banner empor.

Dem Soldaten neben mir war es nicht gelungen, die Säbelzahnechse abzuwehren, sie hatte sich ein paar Schritt an der Burgmauer nach unten bewegt und an einer anderen Stelle versucht, über den Zinnenkranz zu klettern. Sie schnappte gerade nach ihm, als es ihm endlich gelang, sein Schwert durch ihren Kopf zu bohren. Trudelnd fiel sie in die Tiefe.
»Argh!«, ertönte ein Schrei, der mich wieder nach unten blicken ließ. Zorks Morgensternkette hatte sich am Bein des Ogrens verfangen. Der Menschfresser hatte Zork mit seiner Linken an der Brust gepackt und quetschte gerade das Leben aus ihm. Die Bogenschützen schossen mit Pfeilen auf die Brust des Monsters, doch prallten diese wie Stöckchen von den gepanzerten Hautplatten des Riesen ab. Meine Gefährten versuchten noch, den Ogrens abzulenken – doch zu spät. Er ließ den leblosen Körper Zorks fallen und trat noch einmal mit aller Kraft auf dessen Brustpanzer, sodass die dicken Holzplanken darunter fast zu brechen drohten. Tarkin schrie auf vor Zorn und stürzte sich zusammen mit Edwen auf den Ogrens. Dieser hatte eine Keule groß wie ein Baum in seiner Rechten. Geschickt wichen sie seinen Keulenhieben aus. Tekk mit auffälligen Helmen und Rüstungen stürmten auf die Brücke. Sie sahen noch furchteinflößender als die anderen Ul'Hukk aus und schwangen Krummsäbel als Waffen. Saradar wehrte zwei der Elitekrieger mit dem Schwert ab, Urota ließ die riesige Axt kreisen. Hauptmann Wunnar hatte sich einen langen Speer geschnappt und kam Edwen und Tarkin zu Hilfe. »Wir müssen ihn unter den Achseln erwischen, da hat er seine Schwachstelle!«, rief er den beiden zu, während er versuchte, seinen Worten Taten folgen zu lassen. Edwen stach mit seinem Langschwert zu und traf den Ogrens in der linken Achsel. Der Menschfresser ließ sich auf sein linkes Knie herab. Jetzt war sein Kopf so tief, dass Tarkin vorspringen und ihm seine Klinge ins Auge rammen konnte. Das Ungeheuer stöhnte auf hob noch einmal mit letzter Kraft seine riesige Keule. Wunnar nutzte die Gelegenheit und rammte seinen Speer tief in die freigelegte rechte Achsel. Der Ogrens wimmerte und sank zu Boden.

Die Krähen hatten sich an den Felswänden niedergelassen, sie schienen genug von unseren Pfeilen zu haben. Weitere Eiltekrieger der Tekk drängten auf die Brücke, dann – ein Donnern – zwei weitere Ogrens trampelten den Gebirgspass hoch. »Wir müssen uns zurückziehen! Macht das Brückentor auf!«, rief Edwen durch den Lärm. Das Brückentor wurde hochgezogen, eilig schleppten die Soldaten die Verletzten auf die andere Seite. Jetzt konnte ich auch Maluna und Freya erkennen, die sich um die Verwundeten kümmerten. Edwen und Tarkin hatten mit jeweils einer Hand Zorks Körper gepackt, während sie mit der anderen die anrückenden Tekk auf Abstand hielten. Wunnar stieß mit seinem Speer nach den Grauhäuten. »Lasst ihn liegen, sonst schafft ihr es nicht!«, rief plötzlich Gulim vom Brückentor herab. »Nein, niemals!«, rief Edwen, der die Hauptlast des in Platten gerüsteten Bruders tragen musste. Hätten sie doch auf die Worte des Notors gehört! Die Ogrens hatten die Brücke erreicht – alles wackelte, die Leichen der Tekk flogen durch das Getrampel in die Höhe, einige stürzten in die Tiefe. Blut spritzte in die Höhe, vermischte sich mit dem Regen und lief durch das Brückentor den Hang zum Rösserpass hinab.

Die Menschenfresser hatten schon fast das noch offene Brückentor erreicht, als ein erneutes Donnern erklang. Diesmal kam es jedoch von unserer Seite des Passes. Der Himmel tat sich auf, Sonnenstrahlen erhellten das Schlachtfeld – der Regen ließ endlich nach. Die Ogrens mussten sich die Augen zuhalten, so intensiv traf sie das plötzliche Sonnenlicht. Das Donnern wurde immer lauter und rhythmischer: Tatapp – tatapp. Das Rössertal funkelte plötzlich in Silber und Gold. Es blinkte und blitzte. Dann – Musik! Das dröhnende Blasen hunderter Fanfaren, das Spiel von Kriegsschalmeien und Sackpfeifen.
Die Wolkendecke riss immer weiter auf und es schien fast so, als ob die ultarische Armee vor dem Licht flüchten würde. Die Ogrens stöhnten und hatten immer noch ihre Hände vor den Augen, als sie langsam zurückwichen. Gulim jubelte vom Brückentor herab: »Die Verstärkung ist da! Seht! Der Imperator hat uns doch nicht vergessen!«

Jetzt konnte ich Einzelheiten erkennen. Voran ritten die grau-weißen Ritter der imbrischen Armee mit dem Banner der aufgehenden Sonne. Darunter einige in goldener Rüstung mit einem Strahlenkranz am Helm – die Paladine des Sonnengottes. Hinter den Rittern in ihren blank polierten Rüstungen unter wehenden Bannern folgten ihre Knappen in einfachen Lederwämsen. Als nächstes kamen berittene Lanzenträger in Kettenhemden. Hierauf folgte die Kavallerie der askalonischen Armee. Angeführt wurde sie von einem Ritter in schwarz-grauer Rüstung, der neben dem Rosenschwert Askalons eine gebrochene Klinge im Wappen führte. Neben ihm ritt ein Krieger in hellgrauer Rüstung mit dunkelblauem Umhang und gehörntem Helm.

Unter dem Jubel der Besatzung der Wegburg galoppierte die Armee durch das Brückentor und - über die Leichen auf der Passbrücke hinweg - den fliehenden Tekk hinterher. Jetzt erreichten auch die Fußsoldaten der imbrisch-askalonischen Armee die Wegburg. Darunter Schwert- und Axtkrieger, Pikeniere und schließlich auch die Kriegerbarden, die die Tekkarmee durch ihr Spiel zum Rückzug animiert hatten.

Das Klingen und Klirren der Schwerter und Lanzen verlor sich allmählich jenseits des Rösserpasses. »Sieg!« und »Hoch lebe die Bruderschaft!« und »Viktoria Solaris!«, der Siegesruf der Imbrier, erschallte allerorten.

Ich kletterte zusammen mit Vivana vom Turm herunter. Unten bekam ich mit, wie Gulim dem geheimnisvollen Lorgrim zunickte und ihm auf die Schulter klopfte: »Gerade noch rechtzeitig, gerade noch!«

Mittwoch, 11. April 2018

Der letzte Tanz - Kapitel 4: Ein kleiner Umweg

Im Norden, einen Viertelmond früher...
»Widun, was ist los? Du hast geschrien im Schlaf!«, rüttelte Anneliese den Mnamn-Priester wach.
»Anneliese, es geht dir gut! Ich habe geträumt, sie hätten dich auf dem Scheiterhaufen verbrannt!«, seufzte Widun erleichert, als er die kleine Koboldmagierin wohlbehalten vor sich sah.
»Mich doch nicht! Wenn hier jemand jemanden verbrennt, dann bin ich das!«, stellte Anneliese klar.
Saradar starrte die beiden aus leeren Augen an. Etwas Schwarzes tropfte aus seiner Nase. Er saß noch so da, wie sie ihn am Vorabend zur Ruhe gebettet hatten.
»Guten Morgen Saradar, wie geht es dir?«, fragte ihn Anneliese freundlich. Er zeigte keine Reaktion und schien durch sie hindurchzuschauen. Der Reliquienknochen ruhte auf seiner Brust, die sich gleichmäßig hob und senkte, als würde er schlafen.
»Nicht viel los mit dem Barbaren«, stellte Tarquan fest.
»Wir sollten aufbrechen, es ist noch ein weiter Fußweg bis zum Nordmarkt.«
Anneliese fütterte das Wiesel, das ihr gegenüber sehr scheu war und nach einem kurzen Frühstück setzte sich die Gruppe wieder in Bewegung. Die Leute, die ihnen auf dem Weg begegneten – meist zu Pferd oder auf einem Gespann – blickten verwundert auf das seltsame Bild, das sich ihnen bot: eine Koboldin, ein Halbschrat und ein Einäugiger mit einem stummen Barbaren im Schlepptau. Leider bot ihnen niemand ein Pferd oder einen Wagen an, der ihre Reise beschleunigt hätte, alle blieben auf Abstand.
Mit Blasen an den haarigen Koboldfüßen und Krämpfen in den strammen Halbschraten-Waden ließen sie sich erschöpft zum Nachtlager nieder. Nur Saradar schien die Strapaze nichts auszumachen, er saß wieder an einen Baumstamm gelehnt und blickte starr in die Dunkelheit.
Anneliese schreckte aus dem Schlaf hoch, weil sie etwas an der Nase gekitzelt hatte: da war es wieder, das glitzernde Etwas! Nach einem Augenzwinkern war es jedoch in die Nacht verschwunden. »Eine Fee!«, fiel es Anneliese plötzlich wie Schuppen von den Augen. Sie schlief wieder ein und träumte davon, wie es wohl wäre, solch ein Wesen aus purer Magie als Begleitung zu haben.

Am Nachmittag des nächsten Tages erreichten sie den Nordmarkt. Das Wiesel des Barbaren war aus seinem Versteck gekommen und kletterte aufgeregt von einer Schulter zur anderen, wo es jeweils kurz verharrte und sich umschaute. Anneliese warf Radaras – so hatte es der Gjölnar getauft – gierige Blicke zu, wie gerne hätte sie auch so einen putzigen Begleiter, sie brachte es aber nicht über's Herz, Saradar seinen wuseligen Begleiter wegzunehmen.
Sie kamen zum Söldnerlager und erblickten zunächst kein bekanntes Gesicht. Tarquan sprach mit einem Söldner am Eingang und sie wurden schließlich zum Anführer durchgelassen. Als sie die Plane zum Hauptzelt anhoben, blickten sie auf den muskulösen Rücken eines riesigen Barbaren. Im Feuerschein schien es fast so, als ob sich die Tätowierung einer blaugrauen Schlange über seine Schulter bis ins Gesicht hochwinden würde.
Der Söldnerhauptmann Halar Khor'Namar.
Halar Khor'Namar drehte sich um und begrüßte knapp den unerwarteten Besuch. Er rauchte Pfeife und blies den Rauch in Ringen unter das Zeltdach.
Tarquan ergriff das Wort: »Hauptmann Halar, seid gegrüßt! Wir haben einen Stammesbruder von euch mitgebracht, der von einem Zurakpriester verflucht wurde, nur ein Heiler aus dem Stamm der Khor'Namar könne ihm helfen.«
Halar schaute in Saradars ausdruckloses Gesicht: »Pferd, sei gegrüßt! Ich kenne ihn, das ist doch Saradar! Natürlich helfe ich meinem Stammesbruder!«
Er rief zwei seiner Männer, die Saradar in ihre Obhut nahmen. »Bringt ihn zu unserem Keldyr-Druiden, vielleicht kann er ihm ja helfen!«
Tarquan blickte unter sich: »Halar, ich habe euch schon einmal darauf angesprochen. Ich möchte mich freikaufen und mit meinen neuen Freunden gen Süden in den Kampf gegen die Tekk ziehen!«
Halar wirkte zunächst überrascht, dann trat kurz ein zorniger Ausdruck in sein Gesicht, der sich aber schnell wieder abmilderte: »Pferd, natürlich hast du das Recht, dich freizukaufen. Ich bedaure dein Weggehen, wir haben viele erfolgreiche Kämpfe zusammen bestritten. Da steckt doch bestimmt eine Frau dahinter.« Er zwinkerte Tarquan zu, der mit einem Schmunzeln antwortete. Der Hauptmann hielt die Hand auf und Tarquan ließ einen klimpernden Beutel hineinfallen. »Hier sind die zweihundert Silberlinge, mit denen Ihr mir einst geholfen habt.«
Halar legte ihm die andere Hand auf die Schulter: »Möge Osir dich mit Tapferkeit segnen und siegreich möge dein Weg sein!«
Es schien eine Art von Ritual zu sein, denn Halar drehte sich weg und verschränkte die Arme, während Tarquan wortlos das Hauptzelt verließ und zielstrebig auf ein Nebenzelt zuging. Einen Augenblick später kam er mit einer kleinen Truhe zurück: »Wir brauchen Pferde!«

Bei einem Händler kaufte er zwei stattliche Schimmel. Sie ritten einem lauen Wind aus Südosten entgegen, die letzten Zelte des Nordmarktes verschwanden hinter ihnen.
Sie suchten sich einen Lagerplatz für die Nacht, als die Sonne hinter dem Schwarzeisengebirge in weiter Ferne unterging. Als es dunkel wurde, hörten sie das leise Heulen einiger Wildhunde. Pferd bot Widun eine Flasche an: »Magst du etwas von dem Gesöff?« Widun konnte nicht widerstehen und tat sich gütlich an dem dunklen Bockbier. Schnell fielen ihm die Augen zu - Mnamn war zufrieden.

Am nächsten Morgen hatte Widun Blähungen vom Bockbier des Vorabends, was ihm jedoch nicht unangenehm war. Anneliese hielt sich die Nase zu: »Du Stinkbombe! Als nächstes studiere ich Windmagie – damit ich deine Darmwinde von mir fernhalten kann!«
Sie ritten weiter nach Süden und kamen nach zwei Tagen an einen provisorisch errichteten Grenzwall. Pferd spekulierte: »Vermutlich haben sie den wegen der drohenden Tekkinvasion aufgeschüttet!«
Nur mit Mühe konnten sie ihn mit ihren Pferden überqueren. Im Osten zeichnete sich schließlich die Silhouette einer Stadt ab: »Das muss Tremen sein!«, vermutete der Söldner. »Es ist nicht mehr weit bis zur Grenze zwischen Imbrien und Askalon.«
Am Abend erreichten sie ein Bergmassiv, die Pferde hatten Mühe, sicheren Tritt zu finden auf den schmalen, mit groben Steinen bestreuten Pfaden, die sich den Berg hinaufwanden.

Plötzlich zog von Süden her eine schwarze Wolke heran.
»Das ist doch keine ...«, ein lautes Krächzen schnitt Tarquan das Wort ab. Es waren tausende Krähen, die da über ihren Köpfen schwirrten, den Himmel verdunkelten, in Schleifen und Spiralen durcheinander flogen, die einer geheimen, dämonischen Logik zu folgen schienen.
»Wenn hier Krähen sind, sind bestimmt auch die Ul'Hukk nicht weit!«, vermutete der Söldner. Sie versteckten sich schnell hinter einem großen Felsen. Und tatsächlich, eine Kettenschaft aus vielleicht fünfzig Tekksoldaten kletterte über ihnen in der Steilwand. »Ich fürchte, wir müssen uns einen anderen Weg suchen«, stellte Tarquan trocken fest.
»Aber ich könnte doch, mit Feuer ...«, wollte Anneliese einen Vorschlag machen.
»Wir hören besser auf Pferd, zu dritt haben wir gegen diese Horde keine Chance!«, unterbrach sie Widun.
Sie nahmen einen Weg, der sie um die Steilwand herumführte, sodass sie außerhalb des Blickfeldes der Tekk liegen würden. Der Anstieg war beschwerlich, die Felsen glitschig – es musste hier am Vortag heftig geregnet haben, kleine Gebirgsbäche waren zu reißenden Strömen geworden. Das nervenaufreibende Krächzen der pechschwarzen Krähen begleitete sie bis in die Nacht. Sie lagerten an einem abschüssigen Berghang. Sie vermieden es, ein Feuer zu machen. Die Nähe der Tekk ließ sie keine Ruhe finden.
Einer der Schimmel scheute plötzlich. Tarquan sah einen dunklen Schatten vor dem weißen Pferd vorbeihuschen. Er bekam noch mit, wie sich einer der Schimmel los riss, auf dem glatten Fels den Tritt verlor und mit einem erbarmungswürdigen Wiehern in die Schlucht stürzte.

Alle drei waren plötzlich hellwach – sie bildeten eine Formation, indem sie sich Rücken an Rücken stellten. Widun konnte mit den Augen dank seines Schratenerbes die Dunkelheit am besten durchdringen: »Ich erkenne drei Tekk, die sich von der Hangseite her anschleichen.«
Anneliese hob ihre rechte Hand, sprach eine Zauberformel und schickte ihnen als Gruß einen Flammenstrahl entgegen. Einer der Tekk wich brennend zurück, doch die beiden anderen stürmten weiter heran. Widun bat seinen Gott um Unterstützung – einer der beiden Späher geriet ins Wanken und hatte Mühe, sich auf den Beinen zu halten. Dann klirrten die Schwerter. Anneliese brachte sich in Sicherheit, Widun und Pferd kämpften verbissen und schafften es – unterstützt von einem weiteren Flammenstrahl der Koboldmagierin, die Tekk in die Flucht zu schlagen.

»Wir müssen hier weg!«, entschied Tarquan. Sie führten den Schimmel am Zügel in der Dunkelheit über die schmalen Bergpfade. Schließlich konnten sie in der Dämmerung die Umrisse einer Burg an einem Berghang erkennen. Im Morgennebel sahen sie zahlreiche Schemen, die sich vor den Mauern hin und her bewegten.
»Freund oder Feind?«, überlegte Widun laut, als er mit dem Fuß in einen Rinnsal trat. Er erschrak, denn es war kein Wasser, das da den Hang herunterfloss - es war Blut.