Sonntag, 2. Februar 2020

Kalte Brise - Kapitel 5: Im Kerker

Das Stadttor öffnete sich und verschluckte den müden und dreckigen Haufen aus Blut und Feuer. Die Pikeniere hatten sich an den Seiten und hinter uns postiert, senkten ihre Spieße und trieben uns auf diese Weise vorwärts. Während sich wegen des strömenden Regens kaum jemand auf der Straße blicken ließ, drängten sich im Eingangsbereich der Burg zahlreiche Menschen in prachtvollen Gewändern. Die meisten trugen gefütterte Mäntel mit Pelzkragen. An den Burgmauern hingen dicke Wandteppiche: auf vielen prangte das Wappen der vier Schwerter oder sie zeigten Schlachtszenen, meist mit vier Rittern, die gegen Barbaren und pelzige Monster aus der Kälte ankämpften. Große Fackeln erhellten die prächtigen, hohen Bogengänge des dunklen Gemäuers. Wir wurden in die große Halle geführt, in der der Widerhall unserer Schritte das Gemurmel der anwesenden Menschen verstummen ließ. Der Fackelschein spiegelte sich in den polierten Rüstungen der imbrischen Soldaten und tauchte alles in ein fahles Licht. Am anderen Ende der Halle stiegen ein paar Steinstufen hoch zu einer Estrade, auf der sich ein steinerner Thron erhob. Der Paladin ging uns voraus und brachte einen dicken Mann in brauner Robe durch ein Nicken dazu, ihm Platz zu machen – vermutlich der Notor von Firnhall. Der Gottesritter ließ sich vor der untersten Stufe auf die Knie fallen und senkte das Haupt.
"Erhebt Euch, Syr Noreenus!", sprach der Mann auf dem Thron, der die Ehrwürde eines Königs ausstrahlte, auch wenn er keine Krone trug. Der Paladin erhob sich.
"Eure Boten haben mir berichtet, Ihr hättet die Unruhestifter des Bundes aus Blut und Feuer gefangen, die in Medea und auf Regenfels so viel Chaos angerichtet haben."
"Nicht nur Chaos, werter Ened Kelen, viel Schlimmeres: sie haben den wahren Glauben verraten und zahlreiche grausame Morde begangen. Das werden die Anklagepunkte vor dem heiligen Gericht sein. Der Bewahrer des Lichts, Haegus Malefar, wird sich ihrer höchstpersönlich annehmen wollen. Gewähret mir, sie solange in Euren Kerker zu werfen, bis ihnen hier der Prozess gemacht werden möge."
"Selbstverständlich", stimmte der Herr von Firnhall rasch zu, "mein Kerker freut sich auf alle Feinde von Glaube, Recht und Reich."
Er gab seinen Wachen Zeichen, uns umgehend abzuführen.
"Werft sie ins dunkelste Verlies, und vergesst nicht, ihnen vorher ihre Sachen abzunehmen!", rief Syr Kelen seinen Wachen noch nach.
Während wir hinausgeführt wurden, bekam ich noch mit, wie Speis und Trank in die Halle gebracht wurden. Mir knurrte der Magen beim Anblick der Köstlichkeiten – doch statt am Gelage teilzuhaben, wurden wir in die dunklen Eingeweide der Burg hinabgeführt. Der Fackelschein durchdrang kaum die Finsternis, sodass wir aufpassen mussten, wohin wir traten.
"Dieser Troll passt nicht durch die Öffnung!" rief einer der Wächter, der gerade mühsam versuchte, Urota durch einen engen Durchgang zu stopfen.
"Dann lasst ihn hier, auf dieser Ebene sind auch ein paar schöne Zellen!", entschied der Kerkermeister mit dämonischem Grinsen. Der Rest des Bundes aus Blut und Feuer verschwand dagegen im tiefsten Kerkerloch der Burg von Firnhall. Wir wurden nach Geschlechtern in zwei Zellen aufgeteilt – bei den Kobolden waren sich die Wächter unsicher und entschieden mehr nach Bauchgefühl, in welche der beiden gegenüberliegenden Zellen sie geschubst wurden. Bevor sie uns einschlossen, mussten wir unsere Taschen leeren und sie nahmen uns bis auf die Kleidung, die wir am Leib trugen, alle Habseligkeiten ab.
"Hier stinkt's!", rümpfte Anneliese die Nase. "Würde mich nicht wundern, wenn hier im Dunkeln ein paar vermoderte Leichen rumlägen!"
Widun widersprach: "Das liegt eher daran, dass es hier keinen Abort gibt!"
"Ruhe da!", grunzte einer der Wächter, dessen fetter Bauch einen ebensolchen Schatten warf. Sein Topfhalm saß nur halb auf seinem viel zu dicken Kopf, eine Säufernase wie eine Steckrübe ragte aus seinem Gesicht.
"Genau, sonst gibt’s nix zu futtern!", knurrte der zweite Wächter, der zurückgeblieben war. Er war das genaue Gegenteil: spindeldürr, mit einem Kettenhemd, das ihm über die Knie hing und einer Spitznase, aus der lange Haare wie Tropfsteine hingen.
Sie leuchteten mit ihren Laternen in unsere Zellen.
"Du, Pylak, schau dir die mal an: Kobolde, ein Faun, ein Halbschrat, ein Wichtel, eine Alwe und oben ein Troll – so einen bunten Haufen habe ich noch nie gesehen!", quiekte der Dicke verwundert.
Der Dürre hielt die Laterne in Richtung von Maluna und Vivana und flüsterte mit seinem Kumpanen, ich konnte nur "Harun ... die Jujin-Braut ist aber auch nicht schlecht!" verstehen.
Dann verschwanden sie kurz in einem Seitengang und brachten klappernd ein paar Näpfe mit, die mit irgendetwas, das einem Eintopf ähnelte, gefüllt waren. Außerdem wuchteten sie jeweils einen Wassereimer in jede Zelle: "Wasser: zum Trinken, gluck gluck, nicht zum Waschen!", wollte der Dürre Saradar belehren - dafür erhielt er eine feuchte Antwort: "Spucke: kannst selber entscheiden, was du damit machst!"
Pylak hob drohend sein Schwert – das kürzer als seine Nase war. Der dicke Harun hielt ihn zurück und wischte ihm mit seinem dreckigen Ärmel über das Gesicht.
"Der Abschaum erhält noch seine gerechte Strafe, dann kannst du ihm ins Gesicht spucken. Lass uns lieber würfeln, ich muss meine Verluste wieder wettmachen!"
Sie setzten sich an einen klapprigen Tisch vor dem Treppenabsatz, stellten die Laterne drauf und begannen mit ihrem Würfelspiel. Braune und Silberlinge gingen hin und her, begleitet von kleineren und größeren Wutausbrüchen.
Der verkochte Eintopf war wahrlich kein Genuss, aber seit längerem die erste warme Mahlzeit und daher rasch verschlungen.
"Irgendeine Idee, wie wir hier rauskommen könnten?", fragte Tarkin leise in die Runde.
Saradar strich sich gedankenverloren über die Narbe an seiner Brust und sagte: "Die beiden da sind nicht die Hellsten, die haben die Frauen gierig angestarrt, vielleicht ist da was zu machen!"
Leider hatten wir nicht bemerkt, dass der dürre Wächter plötzlich vor dem Gitter stand.
"So, ihr denkt, wir sind dumm! Ihr seid dumm, wenn ihr denkt, ihr kommt hier raus!"
Er spuckte in die Zelle und ging zurück zu seinem Würfelbruder.
"Heh, Wichtel, bleib stehen, sonst zertrete ich dich wie eine Assel!", rief plötzlich der dicke Wächter, der bemerkt hatte, dass sich Freya zwischen den Gitterstäben durchgedrückt hatte und im Schatten seines Bauches an den beiden vorbeischleichen wollte.
"Verdammt!", entfuhr es der kleinen Priesterin, als sie mit einem Tritt zurück in der Zelle landete.
"Versuch das nicht noch einmal, sonst kommst du in einen Sack!", drohte ihr der Dicke.
Maluna versuchte natürlich, die beiden abzulenken, doch hatten sie im Moment nur Augen für ihr Würfelspiel.
Von oben drang ein Poltern an unsere Ohren, etwas zwängte sich die enge Treppe herunter. Pylak sprang auf und fuchtelte drohend mit seinem Schwert: "Wer da?"
"Ich bins nur, ihr Dussel!", erwiderte die dralle Magd ängstlich, als sie mit einem Bierfass zwischen den Brüsten in den Zellengang trat. "Das ist für euch, mit Empfehlung von unserem Herrn, ihr sollt nicht dürsten in der Finsternis während oben geschmaust wird!"
"Nett von dem Herrn!", freute sich der Dicke und zog die Magd mitsamt Fass auf seinen Schoß.
"Nur das Bier!", drückte sich die Magd von ihm herunter und knallte das Fässchen auf den Tisch.
"Schade, hätte gerne mit dem Fass den Platz getauscht!", bedauerte der Dürre mit lüsternem Blick.
"Da würdest du ersticken!", lachte die Magd und wackelte wieder den Gang hoch.
Das Fässchen war schnell angestochen und die ersten Krüge gefüllt. Sie stießen an – der Schaum spritzte über den Rand. Wir mussten Widun die Augen zuhalten, dessen heraushängende Zunge beim Anblick des Gerstensaftes immer länger wurde.
"Eine Wohltat für meine trockene Kehle!", seufzte Harun und rülpste – sodass es im Kerker nur so hallte. Ein paar Krüge später grölte der Dicke: "Schlürfen wir lieber nicht zu viel davon, bei der Arbeit muss man immer einen klaren Kopf behalten, hicks!"
"Gut, mein Dickerchen, aber einer geht noch!", stimmte ihm der Dürre zu.
Mit letzter Kraft prosteten sie sich zu und sackten im Trinken beide mit den Köpfen auf den Tisch, wobei sie den Rest des Bieres verschütteten.
"Was für eine Sünde!", grummelte Widun in seinen Bart.
Die beiden schliefen, der Dicke schnarchte so laut, dass ich an Urota denken musste, den sie ein Geschoss über uns eingepfercht hatten, beim Dürren flatterten die langen Haare im Nasenwind.
"Was jetzt?", fragte der Koboldkrieger in die Runde.
"Freya, meinst du, du kommst an die Zellenschlüssel?"

[Fortsetzung folgt]