Samstag, 26. April 2014

Die Plage - Kapitel 8: Der Kampf mit dem Rattenkönig

Eine der Riesenratten schnappte nach Tarkin und verfehlte ihn - Urota hatte weniger Glück, die scharfen Zähne der anderen Riesenratte schugen ihm eine tiefe Wunde. Tarkin traf mit seinem Kurzschwert. Urota rächte sich für den Angriff und erschlug das Monster mit einem gewaltigen Hieb seines Riesenknochens. Edwen hatte Schwierigkeiten, die wendigen Bestien mit seiner Axt zu erwischen - er sah etwas hilflos aus.

Aus Annelieses Richtung sah ich Flammen auflodern - die dann aber sofort wieder erloschen, ohne dass ein Feuerstrahl folgte.

Widun kippte sich kurz etwas hinter die Binde und begann zu beten - vier der Ratten bewegten sich plötzlich unbeholfen wankend - Mnamn sei Dank!

Auch unser Trollwächter beteiligte sich am Kampf. Es blieb ihm letztlich keine andere Wahl, wenn er hier überleben wollte. Die Biester schienen durch seine polierte Rüstung angelockt zu werden, sie stürzten sich in Scharen auf ihn. Er konnte sie nicht abschütteln und schrie vor Schmerzen, als er mehrfach gebissen wurde.

Weitere Ratten drängten auf Urota ein - aus seiner Richtung kam ein Fluchen - ich sah, wie sich zwei in seine Zehen verbissen hatten - was mir zum Glück nicht passieren konnte.
Edwen hatte sich inzwischen auf das Hin und Her der Ratten eingestellt und eine der Reißzahnratten mit seiner Axt entzwei gespalten.

Während sich alle anderen auf die Ratten konzentriert hatten, hatte ich den Rattenmann nicht aus den Augen gelassen. Er schien mit seiner Querflöte mehr Macht über die Ratten zu haben, als sie mir Ianna gewähren konnte. Meine Hirtenflöte war leider in den Wäldern verloren gegangen, als mich der Fallensteller erwischt hatte, ansonsten hätte ich es in einem Flötenduell mit ihm aufnehmen können. Irgendwie musste ich ihn daran hindern, weiter zu flöten. Durch ein Gebet ließ ich Klettenkraut wachsen - diesmal hatte ich damit mehr Glück als beim letzten Mal und erwischte den Rattenmann mit einem gezielten Wurf. Er war sichtlich irritiert und versuchte das Kraut abzuschütteln.

Urota kannte keine Gnade und haute mit dem Knochen auf die Ratten an seinen Zehen - diese waren Matsch - seine Zehen hatte er jedoch auch erwischt - was ein erneutes lautes Fluchen und einbeiniges Hüpfen zur Folge hatte.

Anneliese betätigte sich wieder als Flammenwerfer - ein für eine Koboldin sehr eindrückliches "Singi Sidar Tiron" hallte durch den Thronsaal des Rattenkönigs und der hervorgerufene Feuerstrahl grillte gleich drei Ratten auf einmal. Tarkin war von dem resultierenden Grillaroma sichtlich begeistert - und abgelenkt - denn er schlug ins Leere.
Widun legte sich plötzlich ausgestreckt auf den Boden… und sprach mit den Steinen… nichts passierte. Betete er oder war er nur sturzbesoffen?

Der Rattenmann hatte es doch tatsächlich geschafft, die seltsame Flöte wieder an den Mund zu kriegen - er begann wieder diese unheimliche Melodie zu spielen - neue Ratten drängten aus allen Winkeln heran.

Edwen beschäftigte sich mit der verbliebenen Riesenratte und hatte gerade seine Axt in ihren Rücken versenkt. Eine Aasratte sprang auf mich zu - bevor sie mich beißen konnte, hatte ich sie mit meinem Dolch aufgespießt.

Ich sah, wie Urota den Kurzbogen von Jel hervorholte und auf den Rattenmann anlegte - der Pfeil zischte nur knapp an Edwen vorbei - und verfehlte auch den Rattenmann. Dieser wich aber erschrocken ein Stück zurück und stellte sein Flötenspiel ein.
Die Riesenratte hatte sich jetzt auf die Stadtwache gestürzt - Edwen wurde ein Stück mitgeschleift, da er seine Axt fest umklammert hielt, die sich im Rattenrücken scheinbar verkantet hatte.

Anneliese zog sich etwas zurück - sie vermeldete uns, dass ihre Aura erschöpft sei.
Edwen rief verzweifelt: "Wir müssen die Quelle ausschalten!"
Er hatte seine Axt inzwischen wieder aus der riesigen Ratte herausgezogen und stürzte sich auf die Halbglatze. Tarkin sprang mit erhobenem Schwert auf die Riesenratte und stach ihr von hinten in den Kopf. Ein Röcheln - und sie sackte endlich zu Boden.

Der Rattenmann erkannte, dass ihm jetzt unsere volle Aufmerksamkeit galt und zog sein rostiges Kurzschwert hervor. Anneliese versuchte die Gelegenheit zu nutzen und ihm die Flöte zu stehlen - sie musste aber erkennen, dass der gesamte Leib des Mannes von Ratten bedeckt war, die sie wütend anfauchten, als sie dem Rattenkönig zu nah kam.

Von der Seite stürzten sich mehrere Ratten auf Edwen - er wurde schwer verwundet. Ich eilte hinzu und konnte ihm nur ein wenig Lebenskraft durch Iannas Hilfe zurückgeben - der sonst so starke Axtkrieger konnte sich kaum noch auf den Beinen halten.

Tarkin, Urota und Widun beschäftigten sich mit den verbliebenen Ratten und dezimierten sie nach und nach. Tarkin griff sich plötzlich eine der getöteten Ratten und warf sie Edwen zu.
"Da, iss!"
Die Ratte landete mehrere Schritte von Edwen entfernt auf dem Boden.
"Was soll das? Sehe ich etwa aus wie ein Garbag?"

Anneliese gab nicht auf - sie wich geschickt den Rattenbissen und den Hieben des Rattenmannes aus - doch an seine Flöte ließ er sie nicht ran.
"Verschwinde, du kleiner Dreckskobold!"
Rattenmann.

Auch Tarkin drängte jetzt auch auf ihn ein.
"Noch so ein Dreckskobold!", schrie der Rattenmann ihn an und drosch mit seinem Schwert auf ihn ein.

Ich sah, wie er Schritt um Schritt in die Dunkelheit zurückwich - bestimmt gab es hier irgendwo eine Geheimtür, durch die er verschwinden wollte.
Ich konzentrierte mich und betete an die Erdmutter - ein Waldgeist erschien hinter dem Rattenmann. Da er ihn nicht sah, war er zunächst auch nicht beeindruckt von dessen leuchtend grünen Augen und ging weiter im Rückwärtsgang.
Im Umdrehen erwischte er unsere Kobolddame mit einem gemeinen Hieb - sie blutete am Arm. Das war Edwen zuviel - obwohl auch er verwundet war, nahm er ihn von hinten in den Schwitzkasten. Tarkin nutzte diese Gelegenheit für seinen berüchtigten verhängnisvollen Kopfstoß - beim Rattenmann gingen erst einmal die Lichter aus.
Der Waldgeist verflüchtigte sich so schnell, wie er erschienen war.

Ich griff mir die Querflöte, die der Rattenfänger auf dem Weg ins Land der Träume hatte fallen lassen. Wer wusste schon, wozu ich die nochmal gebrauchen könnte.

Tarkin nahm sich einen der herumliegenden Leinensäcke und sammelte ein paar Ratten ein.
"Für später."

"Ruhe! Ich höre etwas!", meldete sich Anneliese plötzlich. Tatsächlich, jetzt hörte ich es auch. Ein leises Wimmern.

Wir suchten den Thronsaal ab und entdeckten einen großen Holzverschlag in einem Teil, der die ganze Zeit im Dunkeln gelegen hatte. Für Urota war es ein Leichtes ihn aufzubrechen. Weinend stürzten sich uns zwei Mädchen und zwei Jungen entgegen - die vermissten Kinder - wir hatten sie tatsächlich gefunden! Ich hatte schon das Schlimmste befürchtet - nämlich dass sie ein Fraß der Ratten geworden sein könnten!

Hinter dem Verschlag öffnete sich eine Höhle - in den Wänden waren Alkoven - Rattennester wie wir erkennen mussten. Ich wollte nicht wissen, wie viele Ratten hier noch auf uns lauerten. Nach kurzer Beratung entschlossen wir uns dazu, die Nester auszuräuchern. Edwen und Urota schlugen das Holz vom Verschlag in brauchbare Stücke, und wir errichteten einen Stapel in der Mitte der Höhle. Die meisten Ratten schienen zu schlafen - scheinbar waren die Ratten, die uns angegriffen hatten, erst durch das Flötenspiel erweckt worden.

Mit Tarkins Öllampe setzten wir den Stapel in Brand, nahmen die Kinder an die Hand und flüchteten aus der Kanalisation. Hinter uns ertönte ein Konzert aus quiekenden Todesschreien - die hoffentlich vom Ende der Plage Altems kündeten.

Urota hatte sich den Verursacher des ganzen Übels unter den Arm gepackt. Er sollte sich vor dem Rat und der ganzen Stadt für seine Taten verantworten!

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Der Rattenfänger war mittlerweile gefesselt. Wir führten ihn dem Ratsherrn vor.
"Ich erkenne dich wieder, Rattenfänger, hast ein falsches Spiel mit uns getrieben! Du wirst eine gerechte Strafe für deine Vergehen erhalten!"
Die Stadtwachen führten ihn ab. Der Ratsherr rief den Notor hinzu und beriet sich mit ihm.
"Wie ich hörte, habt ihr auch ein großes Rattennest ausgeräuchert und konntet vier Kinder befreien. Wie vereinbart erhaltet ihr eine Belohnung für eure Dienste!"
Jeder von uns bekam 25 Silberlinge.

Tarkin und Anneliese hielten die Kinder noch an der Hand. Sie sahen ausgehungert aus und kniffen wegen der ungewohnten Helligkeit die Augen zusammen, schienen aber ansonsten gesund zu sein. Unter den Kindern war neben dem verschwundenen Pferdejungen auch die Tochter von Syr Kym. Edwen und die Kobolde brachten sie zum Weinenden Raben, wo bestimmt nicht nur dem Namensgeber die Tränen in den Augen stehen würden.

Widun und ich suchten währenddessen das Badehaus auf, um endlich den Gestank der Kanalisation wieder los zu werden. Im heißen Zuber hieß es erst einmal entspannen.

Wir trafen uns schließlich abends im Lager wieder. Edwen teilte die 35 Silberlinge auf, die uns der alte Ritter aus Dankbarkeit gezahlt hatte. Anneliese hatte sich inzwischen vom Gerber einen Wolfsmantel aus dem angebrannten Fell des Silberwolfes fertigen lassen. Tarkin trug neuerdings eine Halskette aus Reißzahnratten-Zähnen.

Wir schauten nach Vivana - sie schlief im Zelt auf den Wolfsfellen. Hoffentlich würde es ihr morgen wieder besser gehen.

Freitag, 18. April 2014

Die Plage - Kapitel 7: Das Reich der Ratten

Ich konnte nichts mehr sehen, als ich nach dem Abstieg aus dem hellen Tageslicht den Boden der Kanalisation erreicht hatte. Meine Augen mussten sich erst an die Dunkelheit gewöhnen. Die von Tarkin mitgebrachte Laterne beleuchtete die Gänge nur spärlich. Ich erkannte, dass die Decke von Rundbögen gebildet wurde, überall an den Wänden waren kleine Öffnungen, aus denen sich Wasser und Fäkalien in den Kanal in der Mitte des Ganges entleerten. Der Gestank, der von der grün-braunen Brühe aufstieg, war kaum auszuhalten. Ich hörte Tropfgeräusche, ab und zu auch ein Plätschern oder Gurgeln. Urota musste sich bücken, um sich nicht den Kopf anzustoßen. Mir kam es so vor, als sei er in der Zwischenzeit ein ganzes Stück gewachsen - an den Wagen der Tekk gekettet war er mir viel kleiner vorgekommen.
Er bemerkte meinen Blick.
"Menschen komisch, bauen Wege für Kot - aber nicht für Urota!"

Die Stadtwache war hinter ihm kaum zu erkennen, ich sah nur die Lichtreflexe seiner polierten Rüstung an den Wänden. Seine Hellebarde hatte er zurücklassen müssen, da sie zu sperrig war in den engen Kanälen. Er hielt stattdessen sein Schwert gezückt.
Widun und ich beteten zu unseren Göttern, um uns ihrer Gunst zu versichern. Wer wusste schon, was für Dinge da im Dunkeln auf uns lauern würden.

Wir zogen die Karte des Notors zu Rate und entschieden uns für einen Weg, der uns zu einem großen Raum führen musste.

Der Boden war glitschig, an einigen Stellen lag Rattendreck. Bisher hatte sich überraschenderweise noch keins der Biester blicken lassen.

Nach unzähligen Abzweigungen waren wir uns nicht mehr sicher, ob wir noch auf dem geplanten Weg waren. Einige Gänge waren verschüttet, und wir stießen auf große Öffnungen, die nicht auf der Karte verzeichnet waren. Leider hatte keiner von uns daran gedacht, Markierungen anzubringen, damit wir leichter den Weg zurückfinden würden. Tarkin musste die Laterne herunterdrehen, um Öl zu sparen. Inzwischen hatten sich meine Augen zum Glück der spärlichen Beleuchtung angepasst.

Plötzlich hörten wir ein Schmatzen und dann ein Knacken wie von brechenden Knochen. Durch den Hall war es schwierig, die Richtung auszumachen, aus der das Geräusch kam.

Wir bogen um eine Ecke, als unser Lichtschein auf etwas fiel, das dort am Boden kauerte. Es erhob einen Arm, um seine Augen vor dem Licht zu schützen. Es sah entfernt aus wie ein Mensch - nur mit fahler Haut und aufgetriebenem Bauch. Der Schädel war haarlos. Es war unbekleidet bis auf einen kleinen Lendenschurz. Neben ihm lag ein Sack, aus dem ein langer Rattenschwanz ragte.

Die Stadtwache schrie: "Da ist er ja, dieser Rattendämon!"
Er wollte sich auf ihn stürzen.
Edwen gebot ihm Einhalt.
"Nein! Haltet euch zurück! Das ist kein Rattendämon, sondern ein Garbag, ein verfluchter - und sehr bedauernswerter - Mensch!"

Garbag (Zeichnung mit Genehmigung von Bill Gage).

"Wo sind die Kinder?", wollte Anneliese wissen.
Der Garbag fragte zurück: "Kinder? Was ist Kinder? Ratten! Ratten lecker!"
Der Blick seiner hohlen Augen fiel auf Anneliese.
"Kobold auch gut".
Er leckte sich über die blassen Lippen.
Widun und ich versuchten es noch einmal.
"Kinder - kleine Menschen - wenn du uns hilfst, sie zu finden, bekommst du alle Ratten, die wir töten!"
"Ratten - lecker!"
Blitzschnell drehte er sich um und hoppelte den Gang hinunter. Wir hatten Mühe, ihn nicht aus den Augen zu verlieren. Dann hielt er plötzlich inne und nahm eine tote Aasratte auf.
"Saftig!"
Er steckte sie in seinen Beutel und erntete dabei einen neidischen Blick von Tarkin.

Einige Schritt weiter mischte sich eine süßliche Note in den Kanalisationsgestank. Dann sahen wir es. Da lag eine ausgestreckte Gestalt, fast bis auf die Knochen abgenagt, die Stofffetzen ließen noch ein bunt-kariertes Muster erkennen.
"Ah
a, deshalb riecht es hier also so komisch!", meinte Widun trocken.

Auf den zweiten Blick fiel uns auf, dass er etwas umklammert hielt - eine kleine Holzkiste. Tarkin löste sie vorsichtig aus den starren Fingern. Er und Urota versuchten vergeblich sie zu öffnen. Vivana hätte sie sicher aufbekommen.
"Gebt mal her!"
Edwen schaffte es schließlich, sie mit seiner Axt aufzuhebeln. Es fielen 50 Silberlinge heraus.
"Jetzt erkenne ich ihn!", rief die Stadtwache aus.
"Dieser verweste Gaukler da, das war einer der Rattenfänger, die der Rat beauftragt hat, sich um die Plage zu kümmern."
Während wir durch das Funkeln der Silberlinge und die Stadtwache abgelenkt waren, musste sich der Garbag heimlich auf und davon gemacht haben.

Wir folgten dem Gang - und stießen auf immer mehr Rattendreck. Schließlich mussten wir aufpassen, auf den Exkrementen nicht auszurutschen. Dann passierte es doch. Widun und ich landeten in der braunen Brühe. Nur mit Mühe konnten wir uns wieder auf den Weg hochziehen, beide bis auf die Knochen durchtränkt. Edwen hielt sich demonstrativ die Nase zu: "So muss Maliques Mageninhalt riechen!"

"Während meines Sturzes habe ich oben in der Decke eine schmale Öffnung gesehen!", stellte Widun überraschenderweise fest. Tarkin richtete die Öllampe in die Richtung, in die Widun zeigte. An der Wand waren hunderte Rattenspuren zu sehen.
"Ich denke, wir nähern uns dem Rattenversteck", meinte Edwen, als das flackernde Licht einen schmalen Gang offenbarte. Urota und Edwen halfen dem Kleinvolk in die Öffnung. Anneliese, unsere Kobold-Magierin kroch voraus. Ich hörte noch den Ausruf "Eine Ratte!" aus dem Gang, dann folgten eine magische Formel, ein Aufflackern und ein schmerzerfüllter Todesschrei.

Urota half uns per Räuberleiter hoch, schließlich zogen wir auch ihn mit Mühe durch die Öffnung. Der enge Verbindungsgang war zum Glück nicht sehr lang. Wir drückten uns durch den Ausgang und standen vor einem Trümmerfeld. Da war ein altes, mit Brettern verbarrikadiertes Tor. Zwischen den Brettern drang Fackelschein hindurch. Das schien der einzige Durchgang zu sein. Urota begann damit, die Trümmer beiseite zu räumen. Jenseits des Tores erklang plötzlich eine Melodie. Dann folgte eine kurze Stille, die jedoch jäh von einem mehrstimmigen Quieken beendet wurde.

Von allen Seiten strömten Ratten auf uns ein. Ich sah wie Edwen eine Ratte abschüttelte. Gleich drei Ratten hatten es auf Anneliese abgesehen - sie setzte einen halben Tekk-Speer ein, um die Biester auf Abstand zu halten.

Ich versuchte es nochmal mit dem Gebet an Ianna, das schon einmal Wunder gewirkt hatte. Und tatsächlich, die Ratten suchten das Weite. Mittlerweile hatte Urota den letzten Felsbrocken mit großer Anstrengung weggerollt und das Tor war frei.

Als es sich öffnete, bot sich uns ein seltsamer Anblick.
Vor einem kleinen Lagerfeuer, das die große Kammer nur spärlich ausleuchtete, saß eine in Lumpen gehüllte Gestalt, die eine seltsame Flöte in der Hand hielt. Ihr Schädel war auf der einen Seite kahl, auf der anderen Seite hingen ihr lange Haare herunter. Ihre gelben Augen glotzen uns zornig an, als wir nähertraten.

"Das ist der andere Rattenfänger, den wir beauftragt haben!", stellte die Stadtwache fest. Er zeigte drohend mit dem Schwert auf ihn.

"Ihr Narren!", brüllte der vermeintliche Rattenfänger uns entgegen.
"Glaubt ihr wirklich, ihr könnt es mit dem König der Ratten aufnehmen?"
Mit diesen Worten setzte er die Flöte an die Lippen und begann eine säuselnde Melodie zu spielen.

Aus allen Richtungen ertönte ein ohrenbetäubendes Fauchen und Quieken. Dann kamen sie - eine wahre Rattenflut stürzte auf uns herein. Darunter erkannte ich zwei riesige Biester, die Edwen bis an die Schulter reichten. Einige Ratten hatten Beulen, aus denen dunkles Sekret troff. Wieder andere hatten lange Zähne, die weit aus ihren Mäulern ragten.
Tarkin hat die Ratten-Arten katalogisiert - aus kulinarischen Gründen.

Mittwoch, 16. April 2014

Die Plage - Kapitel 6: Der weinende Rabe

Nach einer langen Nacht im Kerker erschienen am nächsten Morgen endlich unsere Gefährten in Begleitung einer Stadtwache und befreiten uns. Urota hatte die Haft wenig ausgemacht, zumindest er war ausgeruht nach einem erholsamen Schlaf - der mir aufgrund seines ohrenbetäubenden Schnarchens nicht vergönnt gewesen war. Leider hatte mir Ianna nur einmal zwischen zwei Sonnenaufgängen die Gabe verliehen, mich in ein Tier und wieder zurück zu verwandeln … Als Eichhörnchen wäre ich längst durch die Gitterstäbe geschlüpft!

Widun berichtete uns, was in der Nacht noch vorgefallen war.
"Wir haben auf euch gewartet, aber irgendwann ist es uns zu unheimlich geworden in den Kanälen, ganz abgesehen vom Gestank. Wir sind ins Karawanenlager zurückgekehrt und haben euch dort nicht vorgefunden. Aus Tarsos Zelt drang noch Licht, wir wollten hineingehen, aber da trat uns ein Schatten entgegen."

Mit diesen Worten trat hinter Widun eine große, bärtige Gestalt hervor. Es war Edwen, der Axtkrieger, der uns aus der Hand der Tekk befreit hatte. Was für eine freudige Überraschung. Ich war glücklich, ihn wiederzusehen.

Edwen, der "Schattenmann".

"Eine Taube hat mir geflüstert, dass ihr meine Hilfe braucht", erzählte er uns.
"Außerdem habe ich meinen kleinen Kobold-Söldner vermisst", wandte er sich lächelnd an Tarkin und tätschelte ihm das Fell im Nacken, was diesem sichtlich unangenehm war.

"Wo ist Vivana?", wollte ich wissen.
"Oh! Ihr geht es gar nicht gut - sie muss sich irgendwie den Magen verdorben haben … sie war ganz grün im Gesicht, als ich sie zuletzt gesehen habe", berichtete Widun.
Anneliese beschimpfte Tarkin: "Bestimmt deine Schuld, weil du vor ihren Augen die Ratte geschluckt hast!"
"Quatsch! Was soll denn an einer Ratte eklig sein?", entgegnete Tarkin.

"Ruhe jetzt!" - Widun wollte mit seinem Bericht fortfahren: "Wir wollten euch suchen, aber die Stadtwachen haben uns wegen der Ausgangssperre daran gehindert. Zum Glück hatte Vivana den Siegelring des Notors" - war ja klar - "sodass wir nicht auch im Kerker landeten. Die Stadtwache empfahl uns, den Weinenden Raben aufzusuchen. Die Taverne heißt wohl so seit dem Erdbeben, vorher war das der Lachende Rabe, aber das nur nebenbei …"

"Wir dachten uns schon, dass euch die Stadtwache wegen der Ausgangssperre aufgegriffen hat und wollten den Soldaten überzeugen, uns zu euch zu führen. Dank meines Charmes konnte ich ihn zumindest überreden, uns in die Taverne zu begleiten. Bei einem guten Bier lockert sich bekanntlich die Zunge!"

"Ich fragte ihn, was denn eine Wache mit einem Hügeltroll anstellen würde. Er meinte, dass er ein solches Monster entweder verhaften oder töten würde …"

Urota reagierte gar nicht auf diese Äußerung - er hatte seinen Riesenknochen wiedergefunden und kratzte sich damit gerade den Rücken.

"Dann trat ein alter Ritter auf uns zu, der sich uns freundlich als Syr Kym vorstellte. Er erzählte uns verzweifelt, dass er seine Tochter suche. Er sei Witwer und komme aus Bel. Zusammen mit seiner Tochter sei er nach Altem gekommen, um Stoffe auszusuchen. Letzte Nacht sei seine Tochter dann verschwunden - er hatte keine Erklärung dafür, was passiert sein könnte - einfach weg. Man konnte es ihm ansehen - die Sorgen hatten bereits tiefe Furchen in seinem Gesicht hinterlassen. Er habe bereits den ganzen Tag nach ihr gesucht - keine Spur. Wegen der Gerüchte über einen Rattendämon befürchtet er das Schlimmste."

"Habt ihr ihm denn unsere Hilfe angeboten?", wollte ich wissen.
"Natürlich!", kam es im Chor zurück. "Er hat uns eine reichliche Belohnung versprochen, wenn wir ihm seine Tochter heil zurückbringen."

"Tja, und dann hat sich unser lieber Mnamn-Priester mehr dem Bier als dem Fragen gewidmet", warf Anneliese ein. "Die Stadtwache hat die Taverne wieder verlassen"
"Das stimmt so aber nicht!", verteidigte sich Widun.
"Und dann hat er sich von so einem verschrumpelten Schrat auch noch zum Glücksspiel überreden lassen!", hakte Anneliese nach.
"Wenigstes waren die Knochenwürfel auf meiner Seite!", schmunzelte Widun zufrieden und klimperte mit seinem Geldbeutel.

"Ich sehe, ihr habt euch ja eifrig bemüht, uns so schnell wie möglich aus dem Kerker zu holen!" - alle nickten, keiner hatte wohl den Sarkasmus in meiner Stimme bemerkt.

"Allerdings! Du glaubst gar nicht, wie schwer es heute Morgen war, den Ratsherrn Largo davon zu überzeugen, auch den Troll frei zu lassen", berichtete Tarkin und reichte mir meine Sachen. Ich streifte mir rasch ein Hemd über und legte den Gürtel mit meinem Dolch wieder an.
"Er lässt ihn nur frei, wenn eine Stadtwache uns begleitet, um ihn im Auge zu behalten."
Ich sah den argwöhnischen Blick des Soldaten, der den Troll tatsächlich keinen Moment aus den Augen velor und seine Hellebarde stets parat hielt.

Urota hatte scheinbar wiedermal nur die Hälfte verstanden, er lächelte bloß - noch etwas müde - und streckte sich mit einem lauten Gähnen.

Aus dem Rathaus kam eine gebückte Gestalt, deren weiße Haare in der Morgensonne glänzten. Es war Fugan, der Notor.
"Ich habe gehört, dass ihr nachts in die Kanäle hinabgestiegen seid!", schüttelte er den Kopf. "Das ist doch viel zu gefährlich! Nachts sind die Rattenbiester besonders aggressiv. Ich habe hier eine Karte für euch. Es ist ein alter Plan des Kanalsystems der Stadt. Ach, wir waren vor dem Beben so fortschrittlich, woanders wurde noch in die Gassen ... ihr wisst schon", räusperte er sich.
"Die Karte stammt natürlich aus der Zeit vor dem Beben, viele Gänge werden verschüttet sein - sicherlich auch ein Grund warum es hier so stinkt … andere wurden neu angelegt, bevor das hier mit der Rattenplage begann. Wenn ihr uns helft, die Rattenplage zu beseitigen und die Kinder zu finden, erhält jeder von euch 35 Silberlinge!"
Mit dieser Motivation und der Karte stiegen wir wieder in die Kanalisation hinab. Urota passte kaum durch die Öffnung zur Unterwelt. Vivana war diesmal nicht mit von der Partie, dafür begleiteten uns jetzt Edwen und - sehr widerwillig - ein Soldat der Stadtwache.