Sonntag, 29. Januar 2017

Die Trolljagd - Kapitel 11: Ein Opfer des Hochmuts

Wir folgten unserem Mortarax gerade noch einmal entkommenen Gefährten durch die Tür. Tarkin machte uns Licht: ein hoher, rechteckiger Raum mit einem gewaltigen Tor auf der gegenüberliegenden Seite. Das Tor wurde flankiert von zwei Podesten, auf denen Kupferschüsseln befestigt waren. Auf ihnen erkannte ich wieder Spinnen- und Mondsymbole. Das Tor selbst bestand aus massiver Eiche und war fest verriegelt, das bekam selbst unser Troll nicht auf. Im Fackelschein sahen wir auf seiner Oberfläche schwarze, zum Teil schon wieder abgebröckelte Runen: ein Wort auf Trollgar. Wir schauten Urota an, der jedoch nur mit den Schultern zuckte. Bei den Trollen können wohl nur die Hexen lesen und schreiben.
Mit Trollblut geschriebene Trollrunen.

Widun hatte sich schon einmal mit Trollrunen befasst und erklärte sie mir: „Der nach oben offene Keil ist ein U, das Zeichen darunter ein F, der nach rechts offene Keil - ein C oder K, dann das Dreieck - ein A, dann folgen ein R und schließlich wieder ein Dreieck - also ein A - macht zusammen UFCARA. Eigentlich ganz einfach. Urota, weißt du, was das bedeutet?“

Urota nickte: „Bedeuten: Opfer machen!“

Widun sah uns fragend an: „Aber wen sollen wir opfern?“

Alle schauten betreten unter sich, außer Saradar, der irgendetwas Unverständliches wie „ene, mene …“ murmelte und nacheinander mit seinem Finger auf jeden Einzelnen - außer sich selbst - zeigte.


Nach langen Überlegungen kam ich auf eine mögliche Lösung. Das Wort wurde mit Trollblut geschrieben und neben dem Tor standen zwei Schüsseln: „Nicht wen, sondern was! - Urota, du musst etwas von deinem Blut in die Opferschalen geben!“

Unser Hügeltroll zögerte nicht lange und hielt mir seine Hand hin. Ein kleiner Schnitt mit meinem Dolch und er blutete aus der Handfläche. Er ließ etwas Blut in beide Schalen tropfen. Wir hörten, wie ein Mechanismus aktiviert wurde und das Tor öffnete sich mit einem lauten Knarren.

Ehrfurchtsvoll blickten wir in die dahinterliegende riesige Höhle, der Fackelschein reichte gar nicht aus, als dass wir ihr Ende hätten sehen können. Zu beiden Seiten standen hölzerne Gestelle . Bei genauer Betrachtung wurde mir klar, dass es sich dabei wohl um die Schlafgelegenheiten der Schattentrolle handelte. Das mussten tausende sein! Zu unserem Glück war die Halle "trollleer". Wir durchquerten sie so leise und vorsichtig wie möglich und konnten schließlich am Ende mehrere riesige Käfige erkennen. Darin befanden sich Skelette; an einigen Knochen hingen noch Fleischfetzen. Da lagen auch gewaltige Ketten am Boden; hier wurden scheinbar die Trollgiganten gehalten. Bis auf ein paar Stofffetzen und vergammeltes Essen fanden wir jedoch weiter nichts in der Höhle.

Wir verließen die Höhle durch einen Seiteneingang und standen plötzlich vor einem Abgrund, über den lediglich ein paar Holzbretter gelegt worden waren.

Vivana antwortete instinktiv: „Das riecht förmlich nach einer Falle.“

Saradar sah das ganz anders: „Ach Quatsch, wir gehen vorwärts!“

Einer nach dem anderen folgten wir unserem furchtlosen Barden. Plötzlich wurde uns klar, dass wir uns mitten auf einer Art Felseninsel befanden - umgeben von einem tiefen Abgrund. Auf der anderen Seite lagen ebenfalls ein paar Bretter, die die Schlucht überbrückten. Vivana hatte Recht gehabt - eine Falle! Da waren zwei angemalte Schattentrolle auf der Felseninsel. Sie stießen die Bretter auf beiden Seiten in die Tiefe - wir saßen fest! Dann auch noch ein Luftzug - unsere Fackel loderte noch einmal kurz auf, um dann endgültig zu erlöschen. Das Lachen der Trolle hallte uns entgegen - sie kamen näher. Als Tarkin die Fackel wieder entfachen konnte, kriegten sie plötzlich Angst und versuchten, über die Schlucht zu springen. Einer prallte gegen die gegenüberliegende Felswand, konnte sich nicht festhalten und stürzte mit einem Stöhnen in die Tiefe. Der zweite Troll war erfolgreicher und hielt sich gerade noch so am Felsrand fest.

Vivana war sauer: „Ich hab es euch doch gesagt, eine Falle, war ja offensichtlich - aber auf mich hört ja keiner - alle marschieren sie unserem waghalsigen Barden hinterher wie Freitodwühler.“

Wir tasteten herum - da schienen umgestürzte Säulen zu sein; wir waren uns aber nicht sicher, ob wir mit ihnen über den Abgrund gelangen könnten.
Meine Bohne regte sich. Ich warf sie zu Boden und bat meine Göttin, eine Ranke aus ihr wachsen zu lassen. Ich konnte mit ansehen, wie aus der Bohne zunächst ein weißer Keimling spross, der dann in die Länge wuchs und sich verzweigte. Die Fasern wanden und verdrillten sich ineinander, bis schließlich eine dicke Ranke in die Höhe wuchs, an der wir hochklettern konnten. Wir gelangten so an eine Brücke, die oberhalb des Runentors über die Schlucht führte. Urota war als erster oben angelangt und zog uns nacheinander von der Ranke auf die Brücke. Dann schrumpfte meine Bohnenpflanze wieder in sich zusammen und flog mir in hohem Bogen in die geöffneten Hände.

An das gegenüberliegende Ende der Brücke schloss sich ein Durchgang an, von dem ein blasser Schimmer ausging - in der Ferne konnte ich huschende Schatten erkennen; ich vermutete, dass es sich um fliehende Trolle handelte. Es war hier so dunkel, dass man kaum die Hand vor Augen sehen konnte. Urota ging voraus. Ungefähr in der Mitte der Brücke hielt er unvermittelt an.

Urota flüsterte: "Feind!"

Ein durchdringendes Lachen erschallte plötzlich - eines, das mich in meine Albträume verfolgen würde. Wir wussten, wer uns da erwartete - es war Ratura.
Im blassen Fackelschein sahen wir den Trollberserker, wie er sich breitbeinig auf der schmalen Brücke in Position brachte, um uns den Weg zu versperren. Er schwang seine riesige dornenbewehrte Holzkeule dabei auf und ab.

Höhnisch rief er Urota etwas zu, das so klang wie „Di meks dukam kurbä rer, Waräsar!“.
Urota erwiderte ihm drohend: „Ik karam di sus!“

Auge in Auge standen sich die beiden Trolle gegenüber. Ratura schien sich sicher zu sein, dass er einen nach dem anderen von der Brücke werfen könnte. Doch er hatte die Rechnung ohne Mnamn gemacht: Widun betete an seinen Gott - und Ratura begann wieder zu lachen.
Diesmal aber nicht höhnisch, sondern es hörte sich richtig herzhaft an - er konnte gar nicht aufhören damit und schüttelte sich richtig vor Lachen. Urota nutzte die Gelegenheit - und stieß ihn einfach von der Brücke. Aber nicht, ohne ihm vorher noch seine Dornenkeule abgenommen zu haben.
Ungläubig hörten wir, wie er im Fallen immer noch weiter lachte. Es wurde immer leiser - und schließlich verstummten auch die Echos.

Saradar freute sich: „Na, den sind wir los!“

Vivana zweifelte: „Bei dem wäre ich mir da nicht so sicher …“

Ein kleines Problem blieb noch: Wie kamen wir hier wieder raus? Der Ausgang auf der anderen Seite war verbarrikadiert, wie wir resigniert feststellen mussten. Auch das noch: Unsere letzte Fackel war erloschen, jetzt standen wir da in absoluter Finsternis. Nachdem sich meine Augen an die Dunkelheit gewöhnt hatten, fiel mir ein blasser Schimmer an der Höhlendecke auf.

„Mein Böhnchen, auf ein Neues!“ - Ianna sei Dank wuchs sie wieder empor und diente uns schließlich als Leiter, um an die Decke zu gelangen. Da war tatsächlich ein Loch - und es schimmerte Tageslicht herein! Wir begannen zu graben - und mussten zu unserer Verwunderung feststellen, dass uns scheinbar jemand aus der anderen Richtung entgegen grub. Dann wurde es plötzlich richtig hell - und wir erkannten, wer da gebuddelt hatte. Nein, kein Maulwurf - es war Pferd!

Er reichte Vivana die Hand und half ihr nach oben: „Na, du hättest ja nicht gleich im Erdboden verschwinden müssen, nur weil ich meine Halbschwester umarmt habe!“

Sie ließen uns ein Seil herab, an dem wir und schließlich alle wieder ans Tageslicht ziehen konnten. Meine Zauberbohne verschwand wieder in ihrem Leinenbeutel.

Zu unserem Erstaunen fanden wir uns auf dem Grabhügel von Schaynwayl wieder. Die Statue des achten Paladins, der dem Alun-Priester nach von einem Feuerdrachen in Asche verwandelt wurde, leuchtete grell in der Abendsonne.

Tarquan berichtete: „Ich habe gehört, dass ihr einen Auftrag des Mortarax-Dieners angenommen habt, außerdem war Vivana plötzlich wie vom Erdboden verschwunden. Da habe ich mich auf die Suche gemacht. War schon eine Überraschung, als ich plötzlich dieses scharrende Geräusch hier gehört habe, dachte schon, es gibt hier Ghule, aber die lassen sich ja nur nachts blicken.“

Widun fragte: „Aber hast du vielleicht hier irgendwelche Trolle gesehen?“

Tarquan nickte: „Allerdings, auf der Straße nach Südosten habe ich zehn voll mit Tonkrügen beladene Wagen gesehen, die von hunderten grün bemalter Trolle gezogen wurden. Die hatten es sehr eilig, wollten glaube ich den imbrischen Soldaten aus dem Weg gehen. Was mir aufgefallen ist: Da war auch ein Mensch darunter - ich glaube, dass das dieser Händler war, den ihr vor den Trollen gerettet habt!“

Widun war überrascht: „Halef? Aber warum in Mnamns Namen sollte er jetzt mit ihnen gemeinsame Sache machen?“

Noch lange beschäftigten uns diese Gedanken. Widun hatte unterdessen dem Totendiener Doryth die Überreste der Paladine übergeben, der sich dafür bei ihm nur mit einem schlichten Nicken bedankt habe. Widun musste zugeben: „Na ja, von den Mumien ist ja nur eine halbverweste Hand übrig geblieben.“

Wir begaben uns in die Stadt, wo wir von Lord Goreck empfangen wurden. Wir berichteten ihm von den Vorkommnissen und erhielten eine erneute Belohnung. Er versprach, die nach dem Trollangriff der letzten Nacht noch erschöpften Soldaten hinter den Trollen her zu schicken.

Syr Goreck überreichte uns ein Bündel Schriftrollen: "Nehmt diese versiegelten Schreiben mit und händigt sie persönlich an die Stadtherren aus, denen ihr auf eurer Reise begegnet. Sie enthalten eine Warnung vor den Schattentrollen. Wir wissen nicht, was sie noch weiter vorhaben. Sie sollen euch 20 Silberlinge dafür geben."

Das war dann wohl das Ende der Trolljagd - zumindest für uns.

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen