Sonntag, 29. Januar 2017

Die Trolljagd - Epilog: Das Nachspiel

Schaynwayle, die Stadt der sieben - oder waren es acht? - Paladine, lag schon einige Stunden hinter mir, dennoch ließen mich die dortigen Geschehnisse nicht los. Auf dem Gespann, das uns der Karawanenführer Tarso Payn ausgeliehen hatte, dachte ich über das Erlebte nach: Hügeltrolle, Schattentrolle und Schattentrolle, die sich als Hügeltrolle ausgaben, um im Sonnenlicht zu überleben. Dann natürlich noch Trollgiganten und Trollhexen. Das alles war für mich sehr verwirrend - und brachte mich um den Schlaf. Widun hatte mir deshalb ein grünlich schimmerndes Gebräu namens »Schratenbier mit Schuss« gemischt, daraufhin war es jedoch nur noch schlimmer geworden: in meinen Träumen tanzten die Trolle zu einem hämmernden Trommeln und sangen Lieder in ihrer scheußlichen Sprache. Dieses Trommeln setzte sich als pochender Kopfschmerz nach dem Erwachen fort. Dazu gesellte sich dann noch die holprige Rückfahrt zum Nordmarkt - Faune jammern eben gerne.
Der Markt sah völlig anders aus als beim letzten Mal. Ich konnte nicht verstehen, wie sich die Menschen hier zurechtfinden bei diesem Kommen und Gehen, dem Gewimmel und Gewusel.

Vivana saß neben mir. Mir fiel ein Lederhalsband mit einem Jadeauge auf, das sie neuerdings um den Hals trug. Ich wollte wissen, wo sie es gekauft hatte, doch sie lächelte nur.
 
Vivanas Malefize - 1. Teil
 
»Da hat sich dieser fette Söldner doch tatsächlich eine Belohnung für die Trollteile abgeholt!«, dachte sich die grazile Diebin, als sie beobachtete, wie der Söldner Fass gerade mit einem reichlich gefüllten Sack den Planwagen des Scharlatans Irozan verließ. So würde sie ihn nicht davonkommen lassen. Sie war so in Gedanken, dass sie gar nicht bemerkt hatte, wie hinter ihr ein Trupp Reiter herangeprescht kam. Sie konnte sich gerade noch mit einem eleganten Schwung auf eine Holztreppe retten, bevor sie unter die Hufe geriet. Dann folgte ein schneller Blick in Richtung des Söldners: er stieg eben auf sein geschundenes Pferd und gab ihm die Sporen. Er ritt in vollem Galopp durch das Stadttor und ignorierte die Rufe der Bürger, die sein Rappe fast totgetrampelt hätte.
»Der ist weg! Verdammt!«, fluchte Vivana innerlich.
»Aber was ist das?«, fragte sie sich, als sie den Krämer Irozan mit einer Phiole mit glitzerndem Inhalt wieder in seinem Planwagen verschwinden sah. Sie musste sich das genauer ansehen. Rasch lief sie die Treppe hoch, vorbei an jubelnden Menschen, und sprang vom Treppenabsatz auf die Brüstung der Stadtmauer. Diese tänzelte sie entlang, bis sie auf ein angrenzendes Hausdach hinüberspringen konnte. Fast wäre sie ausgerutscht, doch geschickt gewann sie ihr Gleichgewicht zurück. Vom Giebel aus ließ sie sich auf den obersten Fenstersims herab. Der Planwagen des Krämers befand sich jetzt genau unter ihr. Unbemerkt ließ sie sich auf die Plane fallen und schwang sich in den Wagen hinein. Das war alles so schnell gegangen, dass Irozan davon nichts mitbekommen hatte. Mucksmäuschenstill kauerte sie sich in eine schattige Ecke des Wagens, von der aus sie den Scharlatan gut im Auge behalten konnte.Er hielt sich gerade eine der Phiolen mit Trollblut vor Augen und zeigte sein zahnloses Lächeln. Er murmelte vor sich hin: »Das Trollblut war das einzige, das noch gefehlt hat, jetzt wird er!«, als plötzlich ein Miauen aus der Ecke zu hören war, in der sich die Jujin-Diebin versteckt hielt.
»Rula, wo warst du denn die ganze Zeit?«, hallte Irozans besorgte Frage durch den Wagen. Vivana erschrak innerlich, als plötzlich eine schwarze Katze um ihre Beine strich.
»Jetzt steckt dieser ›Irre Zahn‹ auch noch eine Kerze an, Mist!«, dachte sich die Diebin und sah sich nach einem Ausweg um. Sie war nicht weit vom Ausgang entfernt. Rasch griff sie im Dunkeln noch nach einem Gegenstand, der von einem Regal an der Seite herunterbaumelte und verließ rückwärts robbend den Planwagen.
»Puh, das war knapp«, seufzte sie erleichtert auf, als sie in der Menschenmenge untertauchen konnte. Auf dem Weg zum Rathaus schaute sie sich ihr »Mitbringsel« genauer an: ein Talisman aus Jade - das allsehende Auge Skias, der Göttin der Weisheit. Ein toller Fang! Am Rathaus schloss sich die Eichentür, durch die sie gerade noch hineinschlüpfen konnte, ohne eingeklemmt zu werden - »Was man nicht alles riskiert für eine Handvoll Silberlinge!«, musste sie sich eingestehen.
____________________

Die Söldner, die uns teils geholfen, teils ihr eigenes, undurchschaubares Spiel getrieben hatten, waren schon vor uns zurückgekehrt. Wir hörten das laute Schnalzen von Peitschenhieben, als wir uns ihrem Lager näherten. Auf einem Schemel vor einem der Zelte erkannten wir den Söldner Zopf, der seinen mit Striemen übersäten Rücken mit nassen Tüchern kühlte - das Wasser in der Schüssel vor ihm hatte sich bereits scharlachrot verfärbt. Zopf erzählte uns, dass ihr Anführer Halar von dem geheimen Abkommen der Söldner mit dem Händler Irozan Wind bekommen hatte - und sie für diesen Vertrauensbruch jetzt bluten ließ. Auch das Töten eines Gefangenen - er meinte wohl den Troll, den sie hatten ausbluten lassen - konnte er als unehrenhafte Tat nicht ungestraft durchgehen lassen, sodass er es sich nicht nehmen ließ, selbst die Hiebe auszuteilen. Die Söldner - wir sahen gerade Fass mit seinem blutdurchtränkten Hemd das Lager hustend und blutspuckend verlassen - ließen diese Strafe ohne Gegenwehr über sich ergehen. Nur Zottelbart und der junge Schatten blieben wohl verschont, weil Speer sie vor dem »gerechten, aber harten« Halar in Schutz genommen hatte.
Edwen und ich suchten einen Bogner auf, um uns mit Kurzbögen einzudecken. Ich ließ all meinen - bescheidenen - Charme spielen und konnte tatsächlich einen guten Preis für zwei Bögen und zwanzig Pfeile heraushandeln. Vivana deckte sich mit Vorräten, Fackeln und Phiolen ein. Urota präsentierte uns seine aufpolierten, brandneuen Armschienen. Das Verhandlungsgeschick des Barden schien nach seiner Nahtoderfahrung stark nachgelassen zu haben, da er mit leeren Händen von seinem Rundgang zurückgekehrt war. Allerdings war er wegen des Vorfalls in der Schenke in Schaynwayle sowieso ziemlich pleite; immer noch stieß er unvermittelt Flüche aus wie »Wenn ich diesen Beutelschneider zu fassen kriege! Donner! Donner!«
 
Vivanas Malefize - 2. Teil
 
Vivana hatte einen Schmied aufgesucht, um sich ihren Dolch schleifen zu lassen. Dieser hatte sie als einen der Wohltäter der Stadt erkannt und verlangte keine Gegenleistung.
»Wieder etwas gespart!«, dachte sie sich, als sie die Schmiede verließ. Mit wachem Blick schlenderte sie durch Schaynwayle. Die Oberstadt, die den Edlen vorbehalten war, ließ den Langfinger in ihr immer wieder in Verzückung geraten, doch ihr Verstand erinnerte sie dann jedes Mal nüchtern: »Du brauchst deine Hände noch!«
In der ärmeren Unterstadt fiel ihr ein junger Jujin auf, der pfeifend durch die Gassen lief. Dieser schien bemerkt zu haben, dass sie ihm Beachtung schenkte, und beschleunigte seinen Schritt.
»Ein Spitzbube! Sowas sehe ich auf den ersten Blick«, schoss es ihr durch den Kopf, »mal sehen, was er vorhat.« Sie ließ ihm einen kleinen Vorsprung; er sollte denken, dass sie ihm nicht mehr folgte. Nachdem der Junge um eine Häuserecke gebogen war, versteckte sich Vivana blitzschnell im Schatten einer Hauswand.
»Hab‘ ich mir‘s doch gedacht!«, lobte sie sich selbst, als sie sah, dass der kleine Dieb seinen polierten Dolch wie einen Spiegel benutzte, um zu sehen, ob ihm noch jemand auf den Fersen war. Dann verschwand der Spiegel wieder hinter der Ecke. Sie wartete noch einen Moment länger. Tatsächlich kam er wieder aus der Gasse hervor und ging in eine ganz andere Richtung davon. Er schlich sich zum Hintereingang einer Schenke, über deren Vordertür »Tanzende Maid« zu lesen war.
Aus dem Schatten heraus konnte Vivana beobachten, wie sich der Junge mit einem primitiven Dietrich vergeblich abmühte, die Hintertür zu öffnen.
»So hab‘ ich auch mal angefangen«, dachte sie sich und ein Schmunzeln huschte über ihre Lippen. »Kann ich dir helfen?«, erschreckte sie den kleinen Einbrecher. Der Junge drehte sich wieselflink um und hielt ihr - mit einem leichten Zittern - seinen Dolch entgegen. Vivana dagegen freute sich, dass sie in ein junges Gesicht mit goldgelber Haut und Mandelaugen blickte - ein Gesicht ihres Volkes. Der Junge entspannte sich, als ihm klar wurde, dass es sich bei ihr ebenfalls um eine Vergessene handelte und ließ seinen Dolch sinken.
»Meine Frage war ernst gemeint. Aber, was willst du eigentlich in der Schenke? Du bist doch noch zu jung für Starkbier!«, stellte sie fest.
Der Junge namens Hasabi hatte seine Stimme wiedergefunden:
»Sie lassen mich nicht durch die Vordertür rein. Ich muss aber zu einem Freund, der sich in der Schenke befindet. Ich habe eine wichtige Nachricht für ihn!«
Vivana glaubte ihm und sprach mehr zu sich selbst:
»Wie könnten diese Mandelaugen lügen.«
»Ich zeige dir mal wie das geht - gib mir deinen Dietrich!«, bat sie den kleinen Möchtegern. Nach mehreren raschen Drehungen und einem Klicken sprang die Tür auf.
Ein lautes Grölen drang aus dem Schankraum. Die laute Stimme eines Gjölnars namens Lorik übertönte alle anderen:
»Heh, Khor’Namar, lass uns gemeinsam Saufen und dann unsere Kräfte messen!«
»Danke, hab‘ meinen Freund schon gefunden!«, verabschiedete sich der kleine Dieb lächelnd und ließ die Schenkentür hinter sich ins Schloss fallen.
____________________

Mir war aufgefallen, dass sich Vivana und Tarquan neuerdings aus dem Weg gingen, was da wohl vorgefallen war?
 
Vivanas Malefize - 3. Teil
 
»Dieser Schuft!«, dachte sich Vivana, als sie sich von der Holzbank erhob und in Richtung des Schauspielhauses verschwand. Sie hatte zufällig das Gespräch zwischen Syr Goreck und einer Stadtwache mitbekommen, dass laute Geräusche aus dem Theater kämen. »Wahrscheinlich nur ein Liebespärchen, das sich nach zu viel Wein dort vergnügt!«, meinte Syr Goreck.
Grazil schlüpfte sie durch ein geöffnetes Fenster des Theaters.
»Kein Wunder, dass hier nachts die Fenster offen stehen, sehr heiß und stickig hier drin«, erklärte sich Vivana, wie sie so leicht hineingelangen konnte. Dann hörte sie etwas: rhythmische Geräusche, die durch den geschlossenen Bühnenvorhang drangen. Rasch kletterte sie die Balustrade empor und balancierte auf einem Balken, der bis hinter die Bühne reichte.
»Erwische ich dich etwa auf frischer Tat?«, malte sich Vivana das Schlimmste aus.
Und tatsächlich: da stand er, grinsend, mit aufgeknöpftem Hemd - in Umarmung mit einer bildhübschen blonden Maid, einer Gauklerin ihrer Kleidung nach. Vivana merkte, wie ihr vor Eifersucht das Herz bis zum Hals schlug. Wütend begann sie mit ihren Fäusten auf den Balken unter sich zu trommeln, so laut, dass das Pärchen erschrocken auseinandersprang. Tarquan blickte nach oben; er musste sie erkannt haben, denn er rief:
»Mandeläuglein, bleib stehen - das ist anders als du denkst!«
____________________

Sie hatte uns auch verschwiegen, wie sie in die Hände der Trolle geraten war. Ich vermutete, dass sie vielleicht einen Gedächtnisverlust erlitten hatte - so wie es Edwen und mir ergangen war.
Vivana in den Gassen Schaynwayles.

Vivanas Malefize - 4. Teil
 
»Was sind das für bucklige Gestalten da unten?«, fragte sich Vivana, als sie sich enttäuscht - alleine - auf den Weg zu ihrem Bett in der Gaststätte aufgemacht hatte. Als Jujin-Diebin hatte sie natürlich nicht den »normalen Weg« gewählt, den alle anderen eingeschlagen hatten: Sie sprang von Dach zu Dach. »Trolle!«, stellte sie erschrocken fest.
»Was sind denn das für Exemplare? Die sind blass und haben viel längere Kinnhauer als Hügeltrolle«, fragte sie sich.
Sie beobachtete eine - aufgrund ihres schwankenden Ganges offensichtlich betrunkene - junge Frau durch die Gassen torkeln.
»Oh nein, sie läuft ihnen direkt in die Arme«, befürchtete Vivana. Als die Maid um die Häuserecke bog, wurde sie auch schon von einem Troll geschnappt. Er hielt ihr den Mund zu. »Eklig!«, kommentierte Vivana leise, als der Troll der Frau mit seiner langen Zunge über das Gesicht leckte - dann schleppte er sie fort.
»Du muss ihr doch helfen!«, meldete sich das Gewissen der Diebin. Immer mehr Trolle kamen - wie es schien - aus allen Richtungen auf den Festplatz zu.
»Ach ... du …«, erschauderte Vivana, als sie die beiden Trollgiganten bemerkte, deren Köpfe die Dächer der Häuser deutlich überragten. Sie versteckte sich rasch hinter einem Schornstein und wartete ab, bis die beiden vorbeigezogen waren.
»Jetzt aber schnell!«, trieb sich Vivana an und kam bei ihrer Verfolgung der entführten Frau an zahlreichen Leichen und Blutlachen vorbei. Im Bereich des Flussufers verlor sie die beiden aus den Augen. Dann wurde ihr klar, wo sie verschwunden sein mussten: am Ende einer Steintreppe erkannte sie ein Eisentor.
Ein Mensch hantierte daran herum; er versuchte offensichtlich, das Tor wieder abzuschließen.
»Aber das ist doch« - hatte sie ihn erkannt - »Halef!«
Sie trat ihm entgegen. Er blickte sie mit Augen an, aus denen eine uralte, unheimliche Bosheit sprach. Er flößte ihr eine unbeschreibliche Angst ein - ihre Knie wurden weich. Da schloss sich auch schon von hinten ein blasser Trollarm um ihren Hals und sie verlor das Bewusstsein.
____________________
 
Ich leckte meine Wunden, wie ich das immer nach einem überstandenen Abenteuer mache, und sehnte mich nach ruhigeren Tagen in Tarsos Karawane.

1 Kommentar:

  1. Sehr abwechslungsreiches Kapitel. Vivanas Geschichten/Gedanken sind sehr passend eingefügt! Weiter so!

    AntwortenLöschen