Samstag, 5. August 2017

Des Henkers Braut - Kapitel 8: Die Wahrheit kommt ans Licht

Je näher wir dem Marktplatz kamen, desto lauter wurden die Rufe und Schreie einer aufgebrachten Menschenmenge. Als uns die Menschen bemerkten, traten sie zurück, um uns durchzulassen. Aus manchen Gesichtern sprach Angst, andere schauten uns zornig an, manche schienen auch einfach nur verwirrt zu sein.
In der Mitte des Markplatzes angelangt, schlug uns die Hitze eines brennenden Scheiterhaufens entgegen. Hier war jemand verbrannt worden, es waren nur noch verkohlte Überreste zu sehen.
Aus dem grellen Feuerschein kam uns eine Gestalt entgegen. Es war Inotius in seiner blutverschmierten Robe. Der Henker stand ihm zur Seite, sein poliertes Beil blitzte im Flackerlicht.
Als der doppelzüngige Priester uns wahrgenommen hatte, begann er wild gestikulierend die Menge aufzuwiegeln – sein Gesicht wirkte in der Glut des Scheiterhaufens wie eine verzerrte Dämonenfratze.

»Eine Hexe haben wir verbrannt, aber unter dieser Gruppe befindet sich eine weitere Hexe – eine Feuerhexe! Und dieser Troll da ist ein Menschenfresser, der euch von Zurak geschickt wurde! Dieser Faun dort hat eine dämonische Flöte, mit der er den Stadtherrn verhext hat! - Helft mir dabei, diese Diener Zuraks auszumerzen!«

Inotius' Lügen verfehlten ihre Wirkung nicht – die Menschen bewarfen uns mit Steinen. Sie kesselten uns ein und der Kreis wurde immer kleiner. Da trat plötzlich Tolar vor, der letzte der Novizen, und versuchte Inotius zu beschwichtigen.

»Bruder Inotius, hört mir zu! Ich kann für sie bürgen. Sie haben die Stadt Altem von einer Rattenplage befreit und mich und zwei weiteren Novizen des Alun auf der Reise nach Medea beschützt. Sie sind keine Anhänger des Zurak!«

Die Leute schien das ganze wenig zu kümmern, sie warfen weiter mit Steinen und der Kreis schloss sich unaufhaltsam.
Widun: »Wir können beweisen, dass wir keine Diener des Hassgottes sind. Haben nicht alle Diener die Tätowierung einer Spinne auf der Brust? Gefährten, entblößt eure Brust!«
Auf Widuns Geheiß hin zeigten wir – zumindest die männlichen Mitglieder der Gruppe – den Leuten unsere nackte Brust. Mein Huhn sprang erschrocken aus der offenen Lederrüstung, landete auf dem Boden, legte ein Ei und verfiel sofort wieder in seine Schockstarre.
Ich konnte erkennen, dass sich Inotius suchend umblickte. Sein Gesichtsausdruck wirkte panisch. Ihm war wohl bewusst geworden, dass sein falsches Spiel gleich aufflog. Dann ging plötzlich alles ganz schnell. Er versuchte, sich davonzustehlen – doch der Henker packte ihn an der Robe – und diese zerriss bei der Fluchtaktion. Für alle sichtbar prangte das Mal einer Spinne auf seiner Brust.
Inotius' Augen wurden rot – er öffnete die Lippen – wahrscheinlich um einen Fluch auszustoßen – doch der Henker war schneller: mit seiner Linken zog er die lügnerische Zunge hervor, und mit dem Messer in seiner Rechten schnitt er sie ab. Statt verfluchter Worte sprudelte ein Schwall dampfenden Blutes aus Inotius' Mund und der falsche Priester sank zitternd zu Boden.

Der Pulk wurde von zwei Stadtwachen zur Seite gedrängt. Sie machten Platz für die Brüder Unar und Utyferus.
Bruder Unar: »Zum Henker, was ist hier passiert? Wie konntet ihr die Hexe hinrichten, ohne dass der Stadtherr anwesend war! Und warum liegt Inotius bewusstlos am Boden?«
Henker: »Auf Inotius' Befehl hin. Er sagte, dass der Stadtherr tot sei, dieser Gruppe dort zum Opfer gefallen und dass sie die Waldhexe befreien wollen, weil sie auch Anhänger des Zurak seien. Deshalb müsse das Urteil schnell vollstreckt werden. - Aber er hat uns alle getäuscht, nicht diese Ausländer, sondern er selbst war wohl der Anführer des Zurakkultes. Er hat die Leute aufgewiegelt und Zwietracht und Misstrauen gesät. Doch das hat jetzt ein Ende.« - Er zeigte ihnen die abgeschnittene Zunge.
Utyferus: »Wenn das wahr ist! Der Hohepriester des Alun ein Kultist des Zurak!«
Henker: »Seht selbst, er hat die Zurakspinne auf der Brust!«
Unar: »Tatsächlich, welch Frevel! Möge Alun uns vor den Mächten des Abgrunds beschützen!« - Er machte das Zeichen des Sonnenrades.
Utyferus: »Nun, dann schafft diesen Hassprediger ins dunkelste Verlies, das Ihr finden könnt!«
Der Henker nahm sich des Bewusstlosen an und trug ihn davon.
Widun fragte Utyferus: »Wisst ihr, wer die Waldhexe gefangen genommen hat?«
Utyferus: »Ja, Di'Vars Bruder hat sie heute Abend an den Haaren zum Stadttor hereingeschleift und geschrien, dass sie hinter allem stecke und dass sein Bruder unschuldig gewesen sei!«

Nachdem der Henker zurückgekehrt war, unterrichteten wir ihn und die beiden Priester über das Ritual im Keller der Gaststätte. Sie schlossen sich uns an, verstärkt von ein paar Soldaten der Stadtwache.
Im Gewölbe angelangt, beugte sich Utyferus über den am Boden liegenden Zurakkrieger und untersuchte ihn gründlich. Er musste sich noch einmal bewegt haben, denn er lag jetzt bäuchlings an der Tür.
Utyferus: »Er lebt, ist aber bewusstlos. Das muss ein Verfaulter sein. Aber sein Gesicht kommt mir irgendwie bekannt vor.«
Henker: »Ja, verflixt und zugenäht, das ist doch der Michel! Der Holzfäller, der vor ein paar Jahren spurlos verschwunden ist.«
Utyferus wandte sich an uns: »Ihr müsst wissen, Verfaulte sind Wächter des Zurak. In der Regel bleiben sie stumm und sind mit einem Fluch belegt, der aus ihnen willenlose Krieger macht, die die geheimen Versammlungsorte der Zurakanhänger schützen sollen. Er muss lange Zeit in diesem dunklen Gewölbe zugebracht haben.«

Er drehte gerade den Kopf des Verfaulten, dann folgte ein spitzer Schrei: »Oh, bei Alun! Ihr habt ihm doch nicht etwa seinen Mund geöffnet!«
Vivana: »Ja, er drohte zu ersticken, also haben wir uns erbarmt!«
Unar: »Ihr Unglückseligen, damit habt ihr einen dämonischen Geist freigesetzt. O Alun, schütze uns vor den Geistern des Abgrundes!« - Er machte wieder das Sonnenzeichen.
Utyferus wandte sich mit etwas sanfterer Stimme an uns. »Die Verfaulten sind nur noch bloße Gefäße für Geister des Abgrunds. Wir werden den Bewahrer des Lichts, Haegus Malefar vom Mon Alunas bitten, uns einen Inspektor mit Gefolgschaft zu schicken, der sich diesen außergewöhnlichen Frevels annimmt. Ich hätte nie vermutet, das unser Hohepriester hinter einem Zurakzirkel stecken könnte. Bleibt bitte in der Stadt, wir brauchen euch zur Aufklärung der Geschehnisse. Wenn ihr verwundet seid, könnt ihr uns gerne im Tempel aufsuchen.«

Tarkin kam ganz aufgeregt in den Keller gerannt. »Ich kriege Saradar nicht wach. Er hat die Augen geöffnet, starrt aber nur ins Leere. Diese verdammten Zurakpriester müssen ihn mit einem Fluch belegt haben!«
Unar: »Bruder Utyferus, geht in den Tempel. Unsere Wichtelpriesterin Freya soll sich um den Barbaren kümmern!«

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