Mittwoch, 19. März 2014

Die Plage - Kapitel 5 - Der verschwundene Junge

Wir kehrten ins Karawanenlager zurück. Ein Mann trat uns aus dem Schatten entgegen. Es war Tarso, der Karawanenführer.
"Auf ein Wort", sprach er uns an.
"Ich hörte, dass ihr dem kranken Mädchen helfen konntet. Ich bin euch zu großem Dank verpflichtet, nicht auszudenken, was das für meine Geschäfte bedeutet hätte, wenn das Mädchen gestorben wäre! Leider ist während eurer Abwesenheit wieder etwas vorgefallen: der Junge, der sich immer um die Pferde kümmert, ist verschwunden. Tattert, der Talismanhändler, kam vorhin ganz aufgeregt zu mir, weil die Pferde vor Hunger und Durst wieherten. Ich würde mich freuen, wenn ihr euch darum kümmern könntet."

Wir hörten uns im Lager um. Hier hatte keiner so recht etwas vom Verschwinden des Jungen mitbekommen. Wir suchten die Umgebung ab. Aus einem erleuchteten Fenster am Marktplatz winkte uns eine alte Frau zu sich heran. Sie berichtete uns, dass sie eine bucklige Gestalt gesehen hätte, die keuchend in Richtung Kanalisation verschwunden war. Sie glaubte, dass das die Rattenkönigin gewesen sein könnte. Auf dem Stadtplan des Notors konnte sie uns den nächsten Eingang zur Kanalisation zeigen.

Es war stockfinster geworden. Wir kümmerten uns nicht um die Ausgangssperre und besorgten uns eine Laterne vor dem Betreten der Kanalisation. Bis auf Urota, der sich weiter im Lager versteckt halten musste, waren alle mit von der Partie. Der gusseiserne Kanaldeckel ließ sich leicht anheben. Tarkin leuchtete mit der Laterne in die Öffnung zur Unterwelt Altems. Wir sahen eine Leiter, die hinunter ins vermeintliche Verderben führte. Beim Hinabsteigen schlug uns ein scheußlicher Gestank entgegen. Unten angekommen, entschieden wir uns zunächst für den linken Gang, der jedoch nach hundert Schritten blind endete. Er war verschüttet, sicherlich eine Folge des früheren Erdbebens. Es blieb uns nichts anderes übrig, als kehrt zu machen. Beim Umdrehen bemerkten wir rote Augen, die uns aus der Dunkelheit anfunkelten. Als wir den Augen näher kommen, hörten wir ein Fauchen und Zähneknirschen.

Das mussten zehn Ratten sein, die sich da auf uns stürzten. Mir kam eine Idee. Als Druide der Ianna hatte ich schon oft kleine Tiere wie Häschen überzeugt mir Kunststücke zu zeigen. Ich hatte das bisher nie bei Ratten gemacht, aber einen Versuch war es wert. Ich richtete ein Stoßgebet an die Erdmutter - und tatsächlich - zumindest eine der Ratten gehorchte jetzt meinem Willen. Ich ließ sie eine feindliche Ratte beißen.

Eine Ratte attackierte Tarkin - er konnte sie abschütteln, bevor sie zubeißen konnte. Mit seinem Kurzschwert spießte er sie auf.

Jetzt hatte es das Rattenpack auf unseren Priester abgesehen. Drei von ihnen hatten sich in Widun verbissen, er versuchte vergeblich, sie los zu werden. Ianna war gnädig - nach einem weiteren Gebet ließen alle Ratten von uns ab und suchten das Weite.

Tarkin präsentierte uns seine aufgespießte Ratte wie eine Trophäe: "Ganz schön großes Vieh". Dann zog er sie am Schwanz von der Klinge herunter und ließ sie über seinem Mund baumeln. "Was hast du vor?", fragte ich angewidert. Nach den Worten "Ich kann sie doch nicht vergammeln lassen!" schluckte er sie im Ganzen hinunter. Vivana wurde ganz grün im Gesicht.

"Wir brauchen hier unten jede Unterstützung, die wir kriegen können", bemerkte Widun, der sich gerade mit einem Stück Wolfsfleisch stärkte: "Die Biester haben mir ganz schön zugesetzt, dabei waren es nur drei Ratten! Wer weiß, wie viele noch hier unten lauern!"“

Ich schlug vor, Urota als Unterstützung zu holen - Vorurteile der Stadtbewohner hin oder her. Mit den Worten: "Passt auf meine Sachen auf!", verwandelte ich mich wieder in ein Eichhörnchen, kletterte geschwind die Leiter hoch und rannte ins Karawanenlager zurück.

Es war nicht schwer zu erkennen, wo unser Hügeltroll schlief. Aus einem der Zelte, dessen Planen sich deutlich hoben und senkten, drang ein lautes, markerschütterndes Schnarchen. Vorsichtig strich ich dem Troll mit meinem plüschigen Schwanz über die Nase. Er nieste und schlug mit noch geschlossenen Augen in meine Richtung. Mit einem Rückwärtssalto konnte ich seinem Hieb knapp entgehen. Zum Glück war er jetzt wach und hatte erkannt, wer da vor ihm stand. Ich versuchte ihm zu erklären, was ich mit ihm vorhatte, bis mir aufging, dass er meine Zeichensprache wohl für den lustigen Tanz eines Eichhörnchens hält, als er unbeholfen begann, eine Melodie dazu zu pfeifen.

"O Skia, wirf Hirn vom Himmel!", dachte ich, als mir nichts anderes übrig blieb, als mich in meine Faungestalt zurück zu verwandeln - und das, obwohl meine Sachen noch in der Kanalisation lagen! Ich zerrte ihn an der Hand hinter mir her.

Wir hatten gerade den Marktplatz verlassen, als hinter uns Schritte und dann eine Stimme hallten: "Halt! Wer da?"
"Schnell, verstecken!", raunte ich Urota zu. Er bückte sich hinter ein Fass, das ihm leider nur bis zur Hüfte reichte. Ich fand auch kein vernünftiges Versteck - für die Straßenlaterne stand ich zu gut im Futter ...
Un-fass-bar - kein Versteck für einen Troll!

Da war auch schon der Soldat der Stadtwache, der seine im Laternenlicht aufblitzende Hellebarde auf meine nackte Brust richtete: „Was treibt Ihr hier? Es gilt die Ausgangssperre!“

Dann fiel sein Blick auf Urota und er wich ein paar Schritte zurück.
"Ist das ein Troll?", fragte er mit einem Kloß im Hals.
"Tritt hervor, du Unhold!", forderte der Wachsoldat mit schlotternden Knien, was durch das Klappern seiner Beinschienen deutlich zu hören war.
"Wo ist bloß das Siegel des Notors?", fragte ich mich, als die Spitze der Hellebarde wieder auf mich zeigte. Ich versuchte vergeblich, der Wache zu erklären, dass wir auf der Suche nach den verschwundenen Kindern waren. Es kam nur ein "Das könnt ihr morgen alles dem Ratsherrn erzählen!" zurück. Ich bat Ianna um etwas Klettenkraut - leider unterbrach mich die Wache, bevor ich mein Gebet vollenden konnte.
"Lass dein Gemurmel - hier wird nicht gezaubert - Ziegenmensch!"
Für Urota wäre es ein Leichtes gewesen, den verängstigten Soldaten auszuschalten, aber auch er hielt sich zurück - wir standen schließlich alle auf der gleichen Seite. Wir wurden zu einem Anbau des Rathauses geführt und in eine kleine Zelle gesperrt. Urota fiel schnell in einen tiefen Schlaf, während meine Ausbruchsideen ins Leere liefen. Jedes Stoßgebet wurde von der Wache unsanft unterbunden…
Uns blieb nichts anderes übrig als auf unsere Gefährten zu hoffen…

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