Sonntag, 5. Februar 2017

Abenteuer 4: Des Henkers Braut - Prolog

Es war nicht einfach, das Karawanenlager im Chaos des Nordmarktes wiederzufinden. Wir hatten Tarso Payn, dem Karawanenführer, versprechen müssen, ihm seine Gespanne zurückzubringen. Als wir es nach langwierigem Durchfragen und völlig erschöpft endlich gefunden hatten, stürzte uns Tarso auch schon entgegen: »Ein Glück, ihr lebt! - Da sind ja auch meine Gespanne! - Ich habe schon das Schlimmste befürchtet! - Ihr wart lange weg! - Wir müssen doch nach Süden aufbrechen! - Wolltet ihr nicht diese Novizen nach Medea bringen? - Das liegt aber im Osten! - Sie wollten schon ohne euch aufbrechen! - Jetzt essen sie sich auf meine Kosten die Bäuche fett! - Hätte ich sie doch ziehen lassen! - Aber dann hätten sie wahrscheinlich ihr Ende im Bauch eines Riesentrolls gefunden! - Was für ein Dilemma!«
Tarso Payn, der Karawanenführer.
Tarso war völlig außer Atem nach dieser Tirade. Er keuchte und schnappte nach Luft, seine Lippen waren blau verfärbt. Wir beruhigten ihn und vereinbarten, innerhalb eines Mondes mit ihm nach Süden in Richtung Skilis aufzubrechen. Er gab sich damit zufrieden. Die Novizen und unser Versprechen hatten wir – ehrlich gesagt – völlig vergessen.

Syr Edwen kannte sich in Imbrien aus. Er schätzte, dass wir etwa zwei Tagesreisen bis nach Medea brauchen würden. Medea, die Stadt am Fuße des gewaltigen Mon Alunas, dessen Silhouette Teil des imbrischen Wappens war. Wir würden zwar auf festen Straßen durch Imbrien reisen, er habe aber auch von Räuberbanden gehört, die auf uns lauern könnten.

Tarso hatte uns gebeten, ihm bei den Vorbereitungen für die Rückreise zu helfen. Wir entschieden, unsere Gruppe aufzuteilen. Widun, Anneliese und Tarkin würden zur Unterstützung auf dem Nordmarkt bleiben, der Rest sollte den Novizen als Begleitschutz dienen.

Bis es soweit war, blieben uns einige Tage Zeit, die jeder auf seine Weise nutzte.
Widun freute sich darauf, die Anhängerschaft des Schratenherrn Mnamn unter den Besuchern des Nordmarktes noch weiter zu vergrößern, obwohl er – was er natürlich nie zugeben würde – noch verkatert vom letzten Saufgelage mit Halars Söldnern war.
Anneliese wollte die Zeit nutzen, noch ein wenig bei den Schmuckständen und Talismanhändlern zu stöbern – sie war wie immer auf der Suche nach magischen Artefakten.
Tarkin bot mit leicht zittriger Stimme an, sie in den gefährlichen östlichen Teil des Marktes zu begleiten. Warum war er bloß immer so nervös, wenn er mit der kleinen Koboldmagierin sprach?
Anneliese lieh mir ein Buch über Erdmagie aus und zeigte mir, wie ich meine Aura zum Zaubern nutzen kann: »Ianna ist doch die Erdmutter, sie wird schon nichts dagegen haben, wenn du etwas Erdmagie beherrschst!«
Syr Edwen hatte sich mit einigen der Söldner angefreundet und lernte neue Kampftechniken von ihnen. Der Söldner Mond zeigte ihm den »Todesstoß«, während ihm Zopf demonstrierte, wie ein »heftiger Angriff« ausgeführt wird.
Vivana deckte sich mit seltenen Ingredienzien ein. Sie liebte den Nordmarkt für seine exotischen Krämer. Sie erzählte, dass sie einen alten Giftmischer kennengelernt hatte, der sie jetzt in Giftkunde unterwies und ihr einige neue Rezepte beibrachte. Blieb nur zu hoffen, dass unsere »Giftprinzessin« ihre Talente weiterhin nur bei unseren Feinden einsetzen würde.

Mir war aufgefallen, dass sich der Hügeltroll Urota seit unserem letzten Abenteuer merklich verändert hatte. Er schien wieder gewachsen zu sein und war in-sich-gekehrter als je zuvor. Er verhüllte sich neuerdings mit einer Decke, die jedoch nicht verbergen konnte, dass er eine Art Symbol auf dem Rücken trug. Es war wohl nicht bloß ein Kratzer gewesen, der ihm da von der Trollhexe zugfügt worden war.
Der Barde Saradar hingegen schien sich - bis auf eine große Beule am Kopf und mittlerweile grün verfärbte Blutergüsse an den Rippen - gut erholt zu haben. Seine Kommentare waren wieder bissig wie eh und je.

Die drei Novizen – die tatsächlich etwas zugelegt hatten – wurden schließlich ungeduldig und drängten uns zur Eile: »Der Hohepriester in Medea erwartet uns seit einem Viertelmond! Der altehrwürdige Terek hat uns doch schon mit einer Taube bei ihm angekündigt!«
Syr Edwen beschwichtigte sie mit einem wohlmeinenden Lächeln: »Ihr werdet euren Mon Alunas schon früh genug zu Gesicht bekommen! Wir brechen morgen auf!«
Wir deckten uns am Vorabend noch mit Proviant ein. Alle waren verdutzt, als ich mit einem – lebendigen – Huhn vom Einkauf zurückkam.
Saradar forderte: »Was willst du denn damit? Gib's her, das brat' ich und das ess' ich!«
Urota tropfte der Speichel vom rechten Kinnhauer: »Lecker. Ich Feuer machen!«
Ich musste meinen Neuerwerb verteidigen: »Das habt ihr euch so gedacht. Das ist mein Huhn! Und es wird mir hoffentlich jeden Morgen ein schönes Frühstücksei legen!«
Das Huhn, das wohl die gierigen Blicke des Barbaren und des Trolls richtig zu deuten wusste, verschwand mit einem Gackern unter meiner Lederrüstung.

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