„Sie hätten ja auch mal Hinweisschilder anbringen können, wo es zur Quelle geht!“, beschwerte ich mich.
Edwen grinste: „So einfach können sie es den Novizen nun auch nicht machen, außerdem könnten Räuber solche Schilder missbrauchen, um kleine Faune in die Falle zu locken.“
Wir entschieden uns für die östliche Abzweigung. Nach einer Biegung raschelte es im Unterholz - und plötzlich stand ein riesiger Hund vor uns, der seine Zähne fletschte und uns anknurrte. Wir standen wie erstarrt - noch machte er keine Anstalten, uns zu attackieren - Sabber tropfte ihm in großen Portionen aus dem Maul.
Dann ein erneutes Rascheln - und ein Mann mittleren Alters im Gewand eines Jägers trat aus dem Gestrüpp: „Uggu, ruhig mein Braver!"
Er schaute uns etwas ungläubig an und begann dann: "Nivië zum Gruße! Ich bin Derk der Jäger. Entschuldigt meinen Bullbeißer, aber im Moment kann man in den Wäldern nicht vorsichtig genug sein, da bin ich froh, so einen aufmerksamen Jagdhund an meiner Seite zu haben. Ihr seht so aus, also ob ihr euch verlaufen hättet. Kann ich euch helfen?“
Der Mann hatte graue Schläfen und ein Spitzbärtchen, für einen Menschen machte er einen sehr sympathischen - und - attraktiven Eindruck. Das hatte auch Vivana mitbekommen: „Hallo, Nivië zum Gruße. Ich heiße Vivana - und das sind meine Gefährten. Wir sollen diese drei Novizen zur heiligen Quelle begleiten. Könnt Ihr uns da vielleicht weiterhelfen?“, säuselte sie ihm zu.
Tarquan hatte sich im Hintergrund gehalten, ich merkte aber, dass ihm gar nicht gefiel, was er da sah.
Vivana fragte mit Blick auf den gewaltigen Hund: „Uggu ist ein lustiger Name. Hat er eine Bedeutung?“
Derk antwortete lächelnd: „Wisst ihr, ich habe meinen Hund nach meinem Großvater benannt, der hat auch immer so gesabbert… - Spaß beiseite, das ist Trollgar und steht für ‚fleißig‘. Folgt mir, ich führe euch zur Quelle, es ist nicht weit!“
Er ging mit uns den Weg zurück zur Kreuzung und nahm die westliche Abzweigung. Nach einer kurzen Strecke tat sich vor uns eine große Lichtung auf, in deren Zentrum ein kleiner Hain aus alten Eichen stand. Als wir den Hain betraten, konnten wir schon das Plätschern hören. Unscheinbar sprudelte hier klares Gebirgswasser aus einer Öffnung im Boden und bildete ein kleines Rinnsal.
Saradar: „Ich habe vielleicht einen Durst!“ - Er hatte sich bereits auf den Boden geworfen und den Mund geöffnet, als er völlig unerwartet vom Bullbeißer weggestoßen wurde. Uggu bellte, begann zu knurren und dann mit seinen Pfoten zu scharren.
Derk: „Das ist seltsam, so etwas macht er nur, wenn er etwas Verdächtiges gewittert hat.“
Auch Vivana warmisstrauisch. Sie kramte zwei Phiolen hervor, nahm Proben vom Quellwasser und schnupperte daran.
„Das Wasser riecht wirklich komisch, vielleicht ist es verseucht. Also, ich würde erst einmal nicht davon trinken!“
Tolar: „Aber was ist mit unserer Aufgabe? Vielleicht ist das ja die Prüfung des Glaubens!“
Derk: „Das glaube ich nicht! Ich war schon oft hier. Da ist wirklich etwas faul. Trinkt lieber nicht davon!“
Unverrichteter Dinge kehrten wir um. Vor der Stadt verabschiedete sich Derk von uns.
„Wenn ich euch einen Tipp geben darf: Wenn ihr eine Herberge für die Nacht sucht, übernachtet im Gasthof Zur gesegneten Aussicht, da ist das Essen zwar teuer, dafür schmeckt es aber auch, und die Zimmer sind ihren Preis wert! Ich verweile auch öfters dort, wenn ich in der Stadt bin.“
Die Stadtwachen waren sehr ungehalten über unser Kommen und Gehen.
„Entscheidet euch endlich - rein oder raus! Für das Verstauen eurer Waffen kriegen wir keinen Extrasold!“
Damit war wohl vor allem Urotas Riesenknochen gemeint, den ein Mensch alleine gar nicht heben konnte. Mühsam legten sie Urota wieder die Ketten an und zwei Wachen folgten ihm auf Schritt und Tritt.
Die Menschen in der Stadt musterten uns argwöhnisch. Sie sahen wohl selten fremde Völker. Ein Gjölnar, eine Jujin, ein Faun und - ein Troll an der Leine - wir waren ein zusammengewürfelter Haufen. Aber selbst Edwen, den Mensch aus Askalon, betrachteten sie missgünstig. Einzig die Kinder schienen keine Abscheu vor uns zu haben. Sie tanzten um uns herum und lachten. Ein kleines Mädchen stellte sich vor den angeketteten Urota, der zu lächeln versuchte.
„Wo kommst du her? Betest du fremde Götter an? Frisst du kleine Kinder?“, fragte sie ihn rotzfrech. Er schüttelte den Kopf.
Eine alte Frau rief den Kindern zu: „Geht da weg, das sind Fremde!“
Wir beschlossen, es noch einmal mit dem Rathaus zu versuchen. Die Novizen wollten solange auf uns warten. Ihnen war die ganze Aufmerksamkeit scheinbar unangenehm. Diesmal hatten wir Glück. Nachdem Urota angeklopft hatte, öffnete ein Diener des Stadtherrn die schwere Eichentür. Er war ganz entrüstet "ob der Heftigkeit des Schlages", wie er sich ausdrückte. Wir erklärten ihm unseren Begehr und er brachte uns zum Schreibzimmer. Dort saß - zwischen einigen großen Büchern - der rothaarige Mann, der bei der mittäglichen Hinrichtung seine Wut hinaus gebrüllt hatte.
Seelenruhig, unsere Anwesenheit völlig ignorierend, schrieb er eine Urkunde zu Ende und setzte sein Siegel darunter. Dann erst erwies er uns die Gnade seines Blickes, und dieser Blick war weniger überrascht als vielmehr feindselig.
„Seid gegrüßt, Fremde. Ich bin Rhovan Rothbart, rechtmäßiger Stadtherr von Medea, der Stadt des Lichts und der Gottesfürchtigkeit. Was ist euer Begehr?“, fragte er uns abschätzig.
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Rhovan Rothbart, der Stadtherr von Medea. |
„Fremde, habt Dank für euren Botendienst. Ihr sollt die versprochene Belohnung erhalten!“ Mit diesen Worten holte er aus seinem Schreibtisch einen Beutel hervor und zählte zwanzig Silberlinge ab. Wir waren verblüfft, wegen seines Auftretens hätten wir nicht mehr mit einer Entlohnung gerechnet.
„Aus dem Brief geht hervor, dass ihr zuverlässige Söldner sein sollt. Ich habe auch einen Auftrag für euch. Im angrenzenden Wald gibt es eine Hexe. Ich will, dass ihr sie beobachtet und herausfindet, ob sie etwas mit den Kultisten zu tun hat. Sie soll sich in der Nähe der alten Ruine herumtreiben. Wollt ihr das für mich und den Frieden der Stadt tun?“, fragte er mit einem leichten Verziehen der Mundwinkel.
Saradar ließ seinen ganzen Charme spielen.
„Wie wollt Ihr uns entlohnen, werter Stadtherr Syr Rhovan?“
Ihm war sicher nicht entgangen, dass da kein Ritter vor ihm saß, doch vielleicht war es auch nur seine Verhandlungstaktik. Der Rotbärtige schien tatsächlich geschmeichelt zu sein. „Zwanzig Silberlinge jetzt und vierzig später, wenn ihr euren Auftrag erfüllt und mir Bericht erstattet habt!“
Plötzlich kroch das Wiesel aus Saradars Hose hervor und lief ihm einmal quer über die Brust, um dann wieder in der Hose zu verschwinden.
Mein Huhn schien das auch mitbekommen zu haben. Es streckte seinen Kopf aus seinem Versteck, schaute sich irritiert um und gackerte angsterfüllt.
Angewidert schrie uns Rothbart an.
„Ihr … - ihr seid ja mehr Tiere als Menschen. Raus hier - und lasst euch nicht eher blicken, bis ihr euren Auftrag erfüllt habt!“
Wir befolgten gerne seinen Befehl. Was für ein unsympathischer Mensch - und hässlich noch dazu mit seiner großen Warze im Gesicht.
Wir holten die Novizen ab und gingen mit ihnen zusammen zum Tempel zurück. Dort erwartete uns Inotius bereits.
„Novizen, habt ihr eure erste Aufgabe erfüllt und ist euch die innere Reinigung zuteil geworden?“
Sie blickten verlegen auf ihre Füße.
Vivana ergriff für sie das Wort.
„Nein, wir trafen auf den Jäger Derk und seinen Bullbeißer, der uns vor der Quelle gewarnt hat. Sie scheint vergiftet zu sein. Wir konnten gerade noch so verhindern, dass eure Novizen aus der Quelle tranken. Ich habe eine Probe genommen.“
Sie zeigte Inotius eine der Phiolen.
Inotius: „Das ist … - bedauerlich und … - besorgniserregend. Ihr könnt mir eine der Proben überlassen. Ich werde sie an Bruder Rotbert weiterreichen, der sie in seinem Laboratorium untersuchen soll. Kommt morgen wieder, vielleicht wissen wir bis dahin mehr!“
Wir überließen die Novizen seiner Obhut und verabschiedeten uns von ihnen.
Der Tag neigte sich langsam seinem Ende zu. Bevor wir Derks Rat befolgen und im Gasthaus Zur gesegneten Aussicht einkehrten, machten wir mit Hilfe unseres Plans noch eine kleine Stadtbesichtigung. Uns fiel ein Turm auf, der durch seine Bauweise aus der Umgebung hervorstach. Hier waren viel gröbere und dunklere Steine verbaut worden. Er wirkt dadurch sehr alt - und wollte nicht so recht in die Umgebung passen. An seinem Fuße verlief der Fluss. Über eine schmale Holzbrücke gelangten wir auf eine Insel. Hier stand die Mühle mit einem großen Wasserrad, das sich unablässig drehte. Vor dem Eingang stand der Müller, der uns aber über die Vorkommnisse in Medea nichts Neues berichten konnte und nur mit den Schultern zuckte. Er zeigte auf zwei alte Männer, die auf einer Bank vor dem alten Turm saßen und sich die Zeit mit einem Würfelspiel vertrieben.
„Ich bin zu beschäftigt, um viel mitzukriegen. Aber fragt mal die beiden da, wenn einer was weiß, dann sie!“
„Seid gegrüßt im Namen der guten Götter!“, sprach Edwen die beiden Weißbärtigen an. Der eine war dick, der andere spindeldürr. Sie unterbrachen ihr Würfelspiel für uns.
Der Dicke blickte uns freundlich an: „Seid gegrüßt, Fremde!“
Edwen: „Wisst ihr etwas über die seltsamen Dinge zu berichten, die sich in Medea abspielen?“
Der Dicke setzte sich gerade hin und rückte seinen Bauch zurecht.
„Und ob, wir sitzen immer hier, so kriegt man viel mit, was so vor sich geht. Erst vor drei Tagen haben sie hier an der Mühleninsel eine Leiche aus dem Weißwasser gezogen. Es soll ein Novize gewesen sein - und er ist wohl nicht ertrunken, sondern ermordet worden, denn er hatte ein klaffendes Loch in der Brust!“
Jetzt schaltete sich der Dürre mit ein und berichtete mit blau leuchtenden Augen:
„Aber das war nicht der Einzige. In der Nähe der alten Ruine haben sie auch einen gefunden … - ausgeweidet! Anhänger des Zurak sollen dahinter stecken. Rothbart hat viele erwischt, vielleicht war dieser Di'Var ja wirklich der Anführer und wir haben endlich unseren Frieden. Aber da ist noch diese Waldhexe … - ihr Blick soll tödlich sein!“
Edwen: „Woran kann man diese Zurak-Anhänger eigentlich erkennen?“
Jetzt antwortete wieder der Dicke: „Es heißt, sie tragen eine Tätowierung auf ihrer Brust, das Symbol der Spinne - das Zeichen Zuraks! - Übrigens heißt es, dass die Ruine und der alte Wehrturm die Überbleibsel einer uralten Siedlung sein sollen, aber keiner weiß so genau, welches Volk früher hier gelebt haben soll.“
Die Wachsoldaten waren genervt, sie schwitzten in ihren Metallrüstungen. Wir ließen uns aber nicht davon abbringen, unsere Besichtigung fortzusetzen. Wie zu vermuten, gab es in der Stadt keinen einzigen Waffenhändler, nur Goldschmiede, die Anhänger in Form des Sonnenrades für die Pilger oder andere Schmuckstücke mit Edelsteinen herstellten.
Medea war berühmt für seinen guten Wein, der am Südhang des Mon Alunas wohl prächtig gedieh - daher gab es hier viele Winzer. Saradar ließ jedoch seine Pläne, in der Weinstraße einen guten Tropfen für Widun zu besorgen, schnell wieder fallen, als er die Preise sah.
Da die Sonne tief am Horizont stand und die Stadt bereits in ein leuchtendes Rot tauchte, machten wir uns auf zur Herberge. Ich war für getrennte Zimmer, da mein Huhn Angst vor dem Barbaren und seinem Wiesel hatte. Urota wurde von den Wachen an ein Bett gekettet. "Morgen holen wir dich wieder ab!"
Sichtlich erleichtert trollten sich die beiden Soldaten. Auf den fragenden Blick Urotas, was denn sei, wenn er einmal müsse, deutete Saradar auf den Nachttopf unter dem Bett.
"Da sollen Inhalt Trollblase rein?"
Ich war froh, dass die Herberge dicke Wände hatte und ich so von Urotas Schnarchen verschont blieb. Rasch fiel ich in einen tiefen Schlaf.
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„Ein Erdbeben?“, fragte ich mich, als mein Bett wackelte. Schlaftrunken bekam ich kaum meine Augen auf. Ein gewaltiger Rums! und schon flog ein Teil der Wand durch mein Zimmer. Durch ein riesiges Loch konnte ich ins Nachbarzimmer blicken. Dort schien ein Kampf zu toben. Ich hörte ein tollwütiges Knurren - war das? Uggu!
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Der tollwütige Bullbeißer Uggu. |
Das Knacken von Uggus Rückgrat ging auch uns durch Mark und Bein. Er lag am Boden und wir mussten uns sein Todesröcheln anhören.
„Was ist bloß in ihn gefahren? Heute Mittag hat er uns noch geholfen und jetzt das!“, stellte Vivana betroffen fest.
Sie hat einen Verdacht und schnüffelte an ihm.
„Seltsam, er riecht genauso wie das Quellwasser. Vielleicht ist er vergiftet worden und deshalb so ausgerastet!“
Dann - ein Schrei - er kam vom anderen Ende des Ganges. Wir stürmten hinaus.
An einer offenen Zimmertür stand eine hysterische Frau. Als wir in das Zimmer blickten, konnten wir unseren Augen kaum trauen. Da lag Derk, mit durchgebissener Kehle.