Samstag, 18. Februar 2017

Des Henkers Braut - Kapitel 1: Vorboten des Chaos

Tarso hatte uns wieder zwei seiner Gespanne für die zweitägige Reise nach Medea geliehen. Ich saß mit den drei Novizen auf einem der Wagen. Der jüngste der drei, Zedrick, blondgelockt und mit ganz roter Nase - er schien erkältet zu sein - berichtete mir:
„Wir dachten wirklich, die Trolle hätten euch erschlagen. Wir waren drauf und dran auf eigene Faust nach Medea aufzubrechen, aber Tarso hat uns - zu unserem Glück - davon abgehalten.“

Finn: „Ja, hat er uns erzählt. Er ist zwar immer auf seinen Gewinn bedacht, aber in diesem dicken Leib schlägt ein gutes Herz“, lächle ich.

Zedrick: „Ja, ihr habt Recht - Hatschi! - Habe mir eine schlimme Erkältung geholt, hoffe ich stecke euch nicht an!“

Finn: „Faune sind da nicht so empfindlich, was Menschen-Krankheiten angeht!“

Der Novize Luth tippte mir von hinten auf die Schultern: „Finn, Ihr wart an der Stelle stehengeblieben, als ihr den Trollriesen mit eurem Klettenkraut besiegt habt - erzählt bitte weiter! Ihr wisst doch, ich schreibe eine bescheidene Chronik über unsere Reisen, der tut ein wenig Pfeffer von Euren Abenteuern sehr gut!“

Urota saß mit auf dem Wagen und war vor lauter Lachen nicht mehr einzukriegen, der ganze Wagen wackelte und drohte umzukippen.
„Faun besiegen Riese - hahaha - der FAUN - hohoho!“
Ihm glitt seine Decke vom Rücken und als er sich umdrehte, um sie wieder überzuwerfen, konnte ich einen kurzen Blick auf das Symbol erhaschen, das ihm die Hexe kurz vor ihrer Begegnung mit Mortarax in den Rücken geritzt hatte.
Es handelte sich um das Trollsymbol für „Tod“, doch es war unvollendet geblieben.

Die Sonne stand tief am Horizont. Wir hatten soeben ein kleines Wäldchen passiert, als Edwen ein lautes „Halt!“ rief und die Pferde des ersten Gespanns zügelte.
„Es ist Zeit, unser Lager aufzuschlagen!“

Ich suchte mir ein Plätzchen am Waldrand aus, soweit weg wie möglich von Urotas sägendem Organ. Hier war alles mit Moos überwuchert und ich freute mich schon auf einen geruhsamen Nachtschlaf. Im Zelt nebenan hörte ich plötzlich Saradar.
„Vivana, das kitzelt, ich bin da sehr empfindlich!“ - Vivana: „Man sieht überhaupt nichts mehr von deinen blauen Flecken, sei nicht so wehleidig!“ - Saradar: „Au, das tat jetzt aber richtig weh!“ - Vivana: „Und so etwas will ein Krieger sein!“ - Saradar: „Ich bin Barde und eigentlich zartbesaitet.“

Tarquan, der uns um jeden Preis begleiten wollte, ging just in diesem Moment am Zelt vorbei - und schien seinen Ohren nicht zu trauen. Er lauschte kurz - und stürmte dann hinein. Kurz darauf kam Vivana mit einem Rückwärtssalto aus dem Zelt heraus, die beiden Männer hinterher.
„Kann ich euch damit nicht beeindrucken?“ - Saradar: „Du solltest mir doch mit Ruß und Alkohol ein Dreieck tätowieren - jetzt sieht es aus - wie, wie“, schrie er lauthals Vivana hinterher.

Das war zu viel. Mein Huhn kam gackernd und mit seinen gestutzten Flügeln schlagend aus meinem Zelt hervor und lief in seiner Panik direkt auf den halbnackten Barbaren zu, um dann abrupt stehenzubleiben. Die beiden blickten sich tief in die Augen. Das Huhn kippte um, es konnte Saradars Blick nicht standhalten.

Ich brachte es schnell vor dem Barbaren in Sicherheit, der inzwischen wieder - kochend vor Wut - in seinem Zelt verschwunden war. Ich bekam gerade noch so mit, wie Pferd Vivana hinterher lief, doch sie zeigt ihm nur ihre kalte Schulter.

Die Sonne ging unter. Ich machte es mir auf dem Moos gemütlich. Im Westen ging Zama auf. Der helle Mond war voll und tauchte die Landschaft in ein gespenstisches Licht. Der dunkle Mond Lor würde ihm - wie in jeder Nacht - folgen und über das Firmament jagen. Die Legenden besagten, dass eine Überdeckung der beiden das Zeichen für einen Kataklysmus sein sollte, der ganz Ion erschüttern würde. Mit einem mulmigen Gefühl musste ich wieder an die Höhle der Schattentrolle denken, wo ich das Symbol des Verborgenen Gottes gesehen hatte - und das Symbol der Spinne, deren Sternbild über mir im Zenit stand. Beunruhigt von diesen Gedanken, fiel mir das Einschlafen schwer.

Was war das? Ein grünlicher Schimmer zwischen den Bäumen, der mich in seinen Bann zog. Ich konnte mich nicht dagegen wehren, meine Beine bewegten sich wie von selbst, meine Füße schienen nicht mehr den Boden zu berühren. Sie brachten mich zu einem Baum, dessen Stamm die Form eines Gesichts hatte. Aus zwei nebeneinander liegenden Astlöchern drang ein pulsierendes, grünes Leuchten. Dann erklang eine tiefe Stimme, mehr in meinem Kopf als von außen. „Wandle dich, du Diener der Erdgöttin, wandle dich! Nutze deine Gabe!“

Meine Haare wuchsen, mein Kopf verlängerte sich, die Hörner verschwanden, meine Hufe wurden zu Klauen - aber anders als sonst - wuchs ich. Auf vier Beinen rannte ich durch den Wald - unermüdlich. Ich spürte eine unbändige Kraft in mir. Als ich schließlich einen grasbewachsenen Hügel erreicht hatte, stand ich im hellen Lichte Zamas. Ich konnte nicht anders, als ein Heulen ertönen zu lassen.
Ein Wolfstraum.
Ich wurde wach. Ich lag in meinem Zelt, mein Fell war ganz nass. Ich musste stark geschwitzt haben in der Nacht. Das Huhn lag auf meinem Bauch - noch in der gleichen Schockstarre wie am Abend zuvor - seltsam. Es musste ein Traum gewesen sein. Ein Wolfstraum - wie damals als Kind, als ich träumte, mich in ein Eichhörnchen verwandeln zu können. Ich betete an meine Göttin: „O Ianna, ich danke dir für diese reiche Gabe, die du deinem bescheidenen Diener verleihst!“

Meine Gefährten saßen bereits beim Frühstück. Vivana war in eine Decke gehüllt und hatte gerade eine Nießattacke, die gar nicht aufhören wollte.
„Das kommt davon, wenn man einem Barbaren zu nahe kommt“, sagte ich im Spaß - was bei Saradar aber nicht so ankam. Er schien immer noch verärgert von gestern Abend zu sein, denn er ballte seine Faust - und - „Wusch!“ - sie schwang knapp an meiner Nase vorbei. Ein erschrockenes Gackern - ich hatte mein Huhn in meiner Lederrüstung versteckt - es schien aus seinem Schockzustand erwacht zu sein. Ein Ei plumpste mir zwischen die Beine.

Finn: „Au! Spinnst du?“ - Saradar hatte mir im Moment meiner Ablenkung voll auf die Nase gehauen.
„Musst du deine schlechte Laune an mir auslassen!“
Beleidigt verwandelte ich mich in ein Eichhörnchen und suchte das Weite. Das Huhn sprang mir gackernd hinterher. Ich hörte Edwen noch sagen: „Der kommt schon wieder zurück!“

Er hatte natürlich Recht, Faune sind recht schnell, aber nie sehr lange beleidigt. Zum Glück saß ich nicht auf dem gleichen Gespann wie Saradar, dieser launige Möchtegern-Barde.

Jetzt hatte es auch den dritten Novizen, Tolar, erwischt, der mit einer Triefnase hinter mir saß.

„Wir müssten bald da sein, ein Hügel noch!“, rief uns Edwen vom vorderen Wagen zu. Ein Pferd mit zwei Reitern überholte uns. Es waren Tarquan und Vivana, die sich fest umschlungen hielten. Er hatte ihr am Morgen Kräuter gegen ihre Erkältung gebracht und sie schien ihm vergeben zu haben.

Sie hatten Edwen überholt und gerade den Scheitelpunkt des Hügels erreicht, als sich plötzlich Tarquans Pferd aufbäumte und die Reiter fast abwarf. Es wieherte und sträubte sich angsterfüllt.

Der Himmel hatte sich mittlerweile verdunkelt, es sah nach Regen aus.

Auf dem Hügel angekommen, konnte ich endlich sehen, was das Pferd so erschreckt hatte. Auf beiden Seiten des Weges standen Galgen, an denen stark verweste Leichen baumelten.

Saradar: „So verfährt Medea also mit seinen Dieben“, sein Blick streifte Vivana.

Finn: „Wie kommst du drauf, dass es Diebe waren?“

Saradar: „Faun, bist du blind? Ihnen fehlen die Hände!“

Faun: „Aber auch die Zunge, vielleicht waren es ja Magier, Medea ist doch die Hochburg der Alunpriester, die Jagd auf Magier machen.“

Tarquan: „Augen haben sie auch keine mehr - aber waren bestimmt die Krähen!“

Eine dunkle Vorahnung kroch mir ins Herz. Schwarze Wolken verdunkelten die Sonne. Stumm und mit schlimmen Vorahnungen überquerten wir den Hügel.

Als endlich wieder die Sonne durch die Wolken brach, heiterte sich auch unsere Stimmung wieder auf. In der Ferne konnten wir Medea erkennen, die kleine imbrische Stadt mit ihrem Lichttempel. Seine drei Türme wurden in ein blendendes Gelborange getaucht. Im Hintergrund trat der majestätische Mon Alunas aus einem Wolkenschleier hervor. An den Hängen konnte ich zwei der sieben Klöster erkennen, die in verschiedenen Höhen erbaut worden waren und die sieben Stufen der Priesterschaft symbolisierten.

1 Kommentar:

  1. Wie immer schön von Finns Abenteuern zu lesen! Wie immer sehr unterhaltsam!

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