Samstag, 25. Februar 2017

Des Henkers Braut - Kapitel 2: Der Priester und sein Henker

Um die Mittagszeit erreichten wir das Stadttor Medeas. Die Wächter waren offensichtlich erstaunt über unsere zusammengewürfelte Truppe.

„Wer seid ihr, woher kommt ihr und was ist euer Begehr?“, fragte uns einer der Wächter.

Saradar drängte sich vor: „Ich bin Saradar, berühmter Barde vom Stamme der Khor’Namar, den Söhnen des Windes.“

Als mein Huhn Saradars Stimme vernahm, kam es schreckhaft aus seinem Unterschlupf unter meinem Hemd hervorgesprungen, setzte sich auf meinen Kopf und begann vor Aufregung zu gackern. Der Blick des Wächters wanderte misstrauisch von Saradar, dem schwerbewaffneten Barden, zu Urota, dem riesigen Hügeltroll mit geschulterter, ebenso riesiger Knochenkeule, zu mir, dem Faun, und schließlich zu meinem Huhn.

Finn: „Nein, wir sind nicht die Stadtmusikanten …“, versuchte ich die Situation etwas zu entspannen. Den Wächtern ließ sich noch nicht einmal der Ansatz eines Lächelns entlocken, ernsten Blickes starrten sie uns weiter an.

Edwen versuchte es diesmal humorlos: „Seiet gegrüßt. Wir sind Gesandte des ehrenwerten Syr Goreck, des Stadtherrn von Schaynwayle, und wir haben ein wichtiges Schreiben, das an euren Stadtherrn gerichtet ist. Außerdem haben wir diesen drei Novizen sicheres Geleit auf ihrem Weg zu ihrer neuen Ausbildungsstätte am Mon Alunas gegeben.“

Die Stadtwache schaute Urota an.
„Wir werden sicher keinen Troll frei durch unsere Stadt laufen lassen. Wenn er hinein will, dann nur in Ketten! Des Weiteren ist das Tragen von Waffen jeglicher Art durch Beschluss unseres hochehrenwerten Stadtherrn Rhovan Rothbart verboten worden. Gebt sie ab - alle Waffen, und wenn ich sage alle, meine ich alle! Sie kommen in die Waffenkammer, wo sie für euch sicher verwahrt werden, bis ihr die Stadt wieder verlasst. Nur uns Wachen - und - dem Henker“ - dabei lachte er seinem Kameraden zu - „ist das Tragen von Waffen aus dienstlichen Gründen gestattet!“

Wir konnten sie schließlich überzeugen, dass von Urota keine Gefahr ausging. Er wurde dennoch in Ketten gelegt und zwei Stadtwachen begleiteten ihn. Er hatte sich keine neue Unbedenklichkeitserklärung ausstellen lassen, nachdem seine letzte wahrscheinlich zusammen mit Ratura in den Abgrund gestürzt war.

Vivana war neugierig: „Sagt, wessen Verbrechen haben sich die beiden Galgenvögel auf dem Hügel vor der Stadt schuldig gemacht?“

Die zweite Stadtwache meldete sich zu Wort.
„Das waren zwei Zurak-Anhänger, die Unheil über unsere heilige Stadt bringen wollten. Unser Rat der Drei kennt keine Gnade, was diese Kultisten angeht. Ihr könnt euch gerne auf dem Richtplatz selbst davon überzeugen!“
Mit diesen Worten deutete er in Richtung einer breiten Gasse, an deren Ende sich eine größere Menschenmenge versammelt hatte.

Das düstere Schauspiel, das sich uns dort bot, stand im krassen Gegensatz zur gleißenden Mittagssonne, die die Giebel der Häuser in hellem Licht erstrahlen ließ.
Dicht umringt von meist blonden Imbriern in typischen Bürgertrachten aus edlem Tuch und Stoffhüten, standen drei Männer um den Verurteilten herum, der mit seinem Kopf bereits auf dem Richtblock lag.
Beim Ersten handelte es sich um einen Alunpriester, der mit gesenktem Blick seine Hände bedächtig gefaltet vor sich hielt. Der Zweite war ein breitschultriger, rothaariger Mann, der geifernd und mit vor Zorn zitternder Stimme in die Menge brüllte: „Nieder mit Zurak! Nieder mit deinen dämonischen Machenschaften, Di'Var! Du bist überführt! Wir merzen die Brut aus, indem wir der Schlange den Kopf abschlagen! Tod allen Abtrünnigen! Tod den Kultisten!“
Nach dieser Hasspredigt spuckte er dem knienden Verurteilten ins Gesicht.

Die Sonne hat ihren höchsten Punkt erreicht und erleuchtete hell den Richtplatz.
Der Bespuckte schien ein Edler zu sein, seinem teuren, jetzt aber befleckten Gewand nach zu urteilen. Er blickte voller Angst auf den dritten Mann, der mit nackter, muskulöser Brust und schwarzer Kapuze vor ihm stand.
Auf seiner Schulter ruhte ein großes Beil, auf dessen blank geschliffener Klinge sich blitzend das Sonnenlicht spiegelte. Der Henker blickte noch einmal zum Alunpriester hinüber, der ihm durch ein Nicken zu verstehen gab, dass er seines blutigen Amtes walten sollte. Er holte aus - Zack! - der Kopf fiel in einen Binsenkorb. Aus den Schlagadern des durchtrennten Halses spritzte das Blut so weit, dass die Umstehenden davon besudelt wurden. Ein Soldat trugden Korb zu einer Feuerstelle, wo er mitsamt Inhalt sofort verbrannt wurde. Vor dem kopflosen Leib hatte sich eine große Blutlache gebildet.

Nach der Hinrichtung löste sich die Menschenmenge rasch auf, manche spuckten aus, andere dagegen zogen schweigend von dannen.
Der Alunpriester trat uns freundlich lächelnd entgegen: „Willkommen in Medea!“

„Ich bin Bruder Inotius, der Hohepriester des Stadttempels. Seid gegrüßt im Namen des heiligen Lichtes!“, stellte sich der angegraute Mann vor.
Inotius, der Hohepriester des Stadttempels von Medea.

Edwen: „Seid gegrüßt, im Namen der guten Götter. Mein Name ist Edwen, und dies sind meine Gefährten.“
Jeder stellte sich namentlich vor.

Inotius: „Eine Taube aus Altem hat eure Ankunft vor einem Viertelmond bereits angekündigt - ihr müsst eine beschwerliche Reise gehabt haben.“

Edwen: „Wir hatten zwischenzeitlich noch andere Verpflichtungen - Ihr habt vielleicht von den Trollangriffen gehört?“

Inotius: „Nein, wie ihr gesehen habt, haben wir unsere ganz eigenen Probleme in Medea.“
Dann fiel sein Blick auf die drei Novizen.
„Ihr müsst Zedrick, Tolar und Luth sein, die drei Novizen, die mir der altehrwürdige Ian Terek zur Ausbildung überstellen wollte.“
Sie stellten sich schüchtern vor. Inotius winkte sie zu sich.
„Ihr könnt mich direkt zum Tempel begleiten, das Mittagsgebet steht an. Eure Beschützer können gerne später nachkommen, sie sind herzlich eingeladen! Vielleicht habe ich auch noch einen Auftrag für sie.“

Er wollte sich gerade zum Gehen wenden, als mir noch etwas einfiel.
„Ehrwürdiger Priester, wir haben in Altem eine Rattenplage bekämpft. Der Verursacher sagte bei seiner Verhandlung aus, er habe diese Querflöte von einem Priester in Medea erhalten. Wisst Ihr vielleicht etwas darüber?“

Inotius schaute etwas verdutzt drein und zuckte dann mit den Schultern.
„Ziegen-Druide, ich weiß nichts darüber. Kommt nach dem Mittagsgebet zum Tempel.“
Er wandte sich ab, die drei Novizen folgten ihm im Schlepptau.

Saradar grinste: „Ziegen-Druide, das klingt gut!“
Ich schmollte, was für eine Beleidigung.
„So ein hochnäsiger Hohepriester. Dabei ist Ianna die einzig wahre Gottesmutter!“

Wir beschlossen, das Rathaus aufzusuchen, um dem Stadtherrn eines der versiegelten Schreiben von Syr Goreck zu übergeben. Von einem freundlichen Händler hatten wir uns einen Stadtplan geben lassen.
Der Stadtplan Medeas.

Das Rathaus wirkte irgendwie finster. Es hatte zwar eine weiße Fassade, diese wurde aber von wuchtigem, dunklem Holz umrandet, in das die Wappen der Stadtväter und das Sonnenrad als Symbol des Lichtgottes geschnitzt waren. Auf der dicken Eichentür war das Wappen Imbriens eingeprägt, das die aufgehende Sonne hinter dem Berg des Lichts zeigt. Die Tür war verriegelt, auch ein Klopfen brachte uns nicht weiter. Ein Passant, der große Weinschläuche um den Hals trug, meinte, dass das Rathaus mittags immer geschlossen sei.

Wir folgten Inotius‘ Einladung und gingen zum Lichttempel. Er war von einem lichtdurchfluteten Vorgarten umgeben. Es folgte eine prächtige, ausladende Vorhalle mit zölestischen Statuen. Figuren in Rüstungen, mit großen Flügeln auf dem Rücken, den Blick immer nach oben gerichtet. Bis auf einen fein verzierten Eichentisch in der Mitte der Halle war der Raum leer. Beim Näherkommen erkannten wir einen weiß gewandteten Alunpriester, der mit seiner langen, spitzen Nase über einem großen Folianten brütete. Er schien uns nicht gehört zu haben - komisch bei den hallenden Schritten und Urotas Kettenrasseln - vielleicht etwas schwerhörig der Gute. Er schreckte auf und fiel fast vom Stuhl, als er zufällig über den Bücherrand schaute. Er fasste sich an die Brust und blickte uns aus fragenden, aber auch etwas ängstlichen Augen entgegen.

Edwen ergriff das Wort: „Seid gegrüßt im Namen der guten Götter! Wir kommen auf Inotius‘ Einladung!“

Der Priester gewann wieder an Fassung.
„Seid gegrüßt im Namen des Lichts! Ihr müsst die Söldnertruppe sein. Mein Name ist Bruder Unar. Ich vergaß, war wieder sehr tief in meine Studien versunken.“
Er ließ eine kleine Glocke erklingen, die neben ihm auf dem Schreibtisch stand.

Ein Novize, erkennbar an seiner gegenüber den Priestern sehr schlicht wirkenden Kutte, eilte herbei und führte uns durch einen Bogengang auf der gegenüberliegenden Seite. Ehrfürchtig durchschritten wir in seinem Gefolge einen hellen Säulengang, der die Vorhalle mit dem Haupttempel verband. Zu beiden Seiten des Ganges konnten wir einen Blick in den Tempelgarten werfen, in dem Blumen in allen möglichen leuchtenden Farben erblühten. Bei diesem Anblick ging mir das Herz auf. Der runde Durchgang war von Abbildungen verschiedener zölestischer Wesen gesäumt, die kunstvoll aus dem weißen Stein herausgearbeitet waren. Als wir den Haupttempel betraten, drang mir ein leichter Geruch von Weihrauch in die Nase. Der Boden war so glatt poliert, dass sich auf ihm die bunten Deckenfresken spiegelten, die Szenen der Schöpfungsgeschichte zeigten.

Vor dem Altar des Lichts stand Bruder Inotius. Er drehte uns den Rücken zu und war in eine Unterhaltung mit zwei Brüdern vertieft. Diese blickten etwas entsetzt drein, als plötzlich ein riesiger Hügeltroll mit zwei Stadtwachen im Schlepptau in den Tempel stapfte.
Ich sah die drei Novizen vor dem Altar knien. Sie waren ins Gebet vertieft. Inotius kam uns lächelnd entgegen.
„Seid gegrüßt im Namen des heiligen Lichts! Willkommen im hohen Tempel!“
Er holte weit aus und schweifte weit ab, als er uns den Tempel und die Szenen erklärte, die auf den Fresken abgebildet waren. Als er gerade erläuterte, was es mit der Eule auf sich hatte, zeigte ihm Vivana ihren Jade-Talisman.
„Das allsehende Auge als Zeichen der Weisheit, ja, auch Skia ist ein Kind Aluns. Befragt das Auge, wenn ihr einmal nicht weiter wisst.“

Saradar trat vor: „Ihr habt gesagt, Ihr hättet vielleicht noch eine Aufgabe für uns.“
Da sprach wohl sein leerer Geldbeutel.

Inotius: „Auf die Novizen wartet ihr Aufnahmeritual. Als erste Aufgabe müssen sie aus der heiligen Quelle im Wald trinken. Es dient der inneren Reinigung. Wenn ihr möchtet, könnt ihr die drei begleiten. Dafür wäre ich euch sehr dankbar. Habt ihr schon von der Hexe im Wald gehört? Dann auch noch die vielen Räuberbanden! Von den Trollen ganz zu schweigen …“
Sein Blick traf auf Urota: „Ihr entschuldigt meine Worte?“
Unser Troll hatte mal wieder nichts mitbekommen, er fand die Erzählung wohl sehr ermüdend und hatte sich beim Rundgang einen Spaß daraus gemacht, die Wächter zu ärgern, indem er im Slalom um die Säulen gelaufen war, damit sich die Ketten ineinander verwickelten - er nickte aber zustimmend.

Saradar konnte sich eine Frage nicht verkneifen.
„Was kriegen wir dafür?“
Er erntete dafür von Edwen einen Stoß in die Rippen.
"Au, ich bin da empfindlich!"

Inotius: „Der gerechte Lohn unseres Allvaters soll euch zuteil werden!“
Sicher keine Antwort, wie sie sich Saradar erhofft hatte.

Wir stimmten zu und verließen in Begleitung der drei gut gelaunten Knaben den Tempel, mit angekettetem Hügeltroll und verzweifelten Wachen im Schlepptau.

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