Der Zurakkult war besiegt – so schien es uns zumindest. Der Brief der »Bruderschaft der Gekreuzten Schwerter« trieb uns zur Eile an, wollten wir noch rechtzeitig vor der Invasion der Tekk am Rösserpass eintreffen.
Bruder Unar hatte jedoch eine Ausgangssperre verhängen lassen. Er war der höchste Amtsträger der Alunpriesterschaft in Medea und hatte jetzt das Sagen, nachdem Inotius, der zungenlose Verräter, im finstersten Kerker gelandet war und auf das weltliche Urteil wartete, während das jenseitige über den Stadtherrn Rothbart dem Totengott oblag.
Unar hatte Haegus Malefar, dem »Hochwächter des heiligen Lichts«, eine Taube geschickt, um ihn über die Vorkommnisse in Medea zu unterrichten. Er war sich sicher, dass er eine Untersuchungskommission bilden und sie den beschwerlichen Weg vom Gipfel des Mon Alunas hinab entsenden würde – aber das konnte sehr lange dauern.
Unterdessen waren unsere Verletzten auf dem Weg der Besserung. Während die körperlichen Wunden von Tarquan schnell heilten, vor allem dank der aufopfernden Pflege von Vivana, hielt Saradars seltsamer Bewusstseinsverlust unerklärlich lange an.
Am Abend nach der Entlarvung Inotius' als Kopf des Kultes hatten ihn Utyferus, der junge Priester, den wir als Straßenmusikanten kennengelernt hatten, und eine Wichtelpriesterin namens Freya aufgesucht.
Der Priester hatte versucht, Saradars Fluch zu bannen, doch seine Bemühungen waren erfolglos geblieben. Am folgenden Abend hatten sie uns erneut aufgesucht, diesmal schienen sie weitergekommen zu sein. Sie waren überzeugt, dass er von einer dunklen Präsenz befallen sei und versprachen, ihm zu helfen.
Am folgenden Morgen – wir nahmen gerade ein Frühstück aus altem, harten Brot, ein paar Eiern, knusprig gebratenem Speck mit einer Gemüsebrühe ein – gesellte sich der Henker zu uns, sein Beil, die »Henkersbraut«, ruhte an seinem Schemel. Er hatte - wie immer in der Stadt - seine Maske auf, aber wir konnten erkennen, wie uns seine durchdringenden blauen Augen musterten.
Schließlich begann er: »Ihr seid eine seltsame Gruppe von Abenteurern, aber ihr habt hier viel verändert. Der Hochwächter des Lichts hat eine Gruppe aus einem Inspektor, sechs Priestern, einem Paladin und sechs Schwertern des Lichts entsandt, die hier alles auf den Kopf stellen wird. Ihr denkt, ihr habt der Stadt geholfen, doch das Böse weilt immer noch hier – unsichtbar für die Sterblichen, lauernd im Schatten. Der Inspektor wird euch nicht mehr fortlassen. Geht besser, solange ihr noch könnt. Sie werden nach euch suchen, weil ihr die Ausgangssperre missachtet habt, aber ihr werdet leben.«
Wir wussten, dass wir die Stadt über den Geheimgang am alten Wehrturm jederzeit verlassen konnten, doch wollten wir nicht ohne unsere Pferde und unsere Waffen gehen.
Wir versuchten also, von Unar die Erlaubnis zu bekommen, die Stadt verlassen zu dürfen. Er verwies uns jedoch an die nächsthöhere Instanz, an Haegus Malefar, den Vorsteher des Ordens der Wächter des heiligen Lichts. Wir ließen von Bruder Latius eine Nachricht verfassen und per Taube verschicken, doch die Zeit drängte, wir konnten unmöglich einen Halbmond warten, bis eine Antwort eintreffen würde.
Ohne eine Besserung von Saradars Zustand war allerdings nicht an eine Flucht zu denken.
Vivana zweifelte, ob es die richtige Entscheidung gewesen war, den Alunpriestern Saradars Leben anzuvertrauen. Doch wir wurden nicht enttäuscht. Nach unserer Rückkehr in die Schenke trafen wir auf einen griesgrämig dreinblickenden Wirt, der gerade seine Krüge polierte. Ich war mir sicher, dass er uns insgeheim für die Ausgangssperre verantwortlich machte und uns gerne besser heute als morgen los geworden wäre. Mürrisch entgegnete er uns: »Da oben wartet jemand auf euch.«
Utyferus stand in der Tür zu Saradars Krankenlager. Eine Kette mit einem Knochen baumelte an seiner Hand, die deutliche Kratzspuren aufwies. Tarkin fragte besorgt: »Ihr seid verletzt, was ist euch widerfahren, und was ist das für ein Knochen?«
»Das an meiner Hand? Das war bloß Kater Filius, der mag es nicht, wenn man ihn streichelt. Und das hier ist eine Reliquie, um genau zu sein: das Schädelfragment des Hl. Kaleisius. Fragt lieber nicht, was ich auf mich genommen habe, um in seinen Besitz zu gelangen. Legt Saradar die Kette um, der Knochen muss Kontakt mit seiner Haut haben, um wirksam zu sein. Er ist dann nicht geheilt, es wird aber den Wandlungsprozess aufhalten und er wird auch wieder gehen können. Ihr müsst ihn so schnell wie möglich nach Norden bringen, nur ein Priester seines Gottes kann ihn wirklich von der schwarzen Präsenz befreien.«
Der Priester legte dem Gjölnarbarden die Kette um den Hals und sprach ein leises Gebet an den Lichtgott. Der Knochen ruhte dabei auf der Brust des Khor'Namar, des Windsohns.
Utyferus sprang erschrocken zurück, als plötzlich Saradars Wiesel aus dessen Hose herauskroch und Freudensprünge auf dem Bauch des Barbaren vollführte.
Saradar schien es tatsächlich schlagartig besser zu gehen. Er konnte sich aufsetzen, aufstehen und sogar ein paar Schritte laufen, sein Blick war jedoch immer noch leer.
»Wo ist die Wichtelpriesterin?«, wollte Tarkin wissen.
»Wenn ich das wüsste. Schwester Abelia hat sie heute Morgen das letzte Mal gesehen. Ich mache mir schon Sorgen. Ich dachte, sie würde mir helfen beim ›Ausleihen‹ der Reliquie, doch sie war wohl besorgt um ihre Stellung in der Priesterschaft. Vielleicht hat sie ihre Ansicht geändert, und sich aus Scham versteckt, ich weiß es ehrlich gesagt nicht.«
Tarkin verriet ihm den Geheimgang am alten Wehrturm, falls er selbst in Verdacht geraten sollte.
Er verabschiedete sich lächelnd von uns: »Möge das Licht euch immer scheinen. Inspektor Elysius soll ein harter Hund sein, aber es wird schon nicht so schlimm werden. Lebt wohl.«
Wir haderten, ob wir uns durch einen Trick, wie einen inszenierten Brand, unsere Waffen und Pferde von der Stadtwache zurückholen sollten. Wir entschieden dann aber doch, die Stadt klammheimlich durch den Geheimgang zu verlassen. Immerhin blieben uns die Waffen, die wir im Kampf mit den Räubern und Zurakpriestern erbeutet hatten.
Mit geleckten Wunden und aufgefülltem Proviant, freute ich mich auf unser nächstes Abenteuer.
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