Donnerstag, 31. Mai 2018

Der letzte Tanz - Kapitel 6: Rosenschwert und Sonnenrad

Am Morgen nach der Schlacht versammelten wir uns auf dem Grabhügel abseits der Wegburg, um von den Toten Abschied zu nehmen. Ein kalter Wind blies unablässig über den breiten Rücken des Hügels. Widun, Anneliese und Tarquan hatten die Wegburg im Morgengrauen erreicht und Syr Edwen hatte sie über den Verlauf der Schlacht unterrichtet. Der »Bund aus Blut und Feuer« war wieder vollzählig. Die Freude über das Wiedersehen war jedoch schnell wieder verebbt angesichts des traurigen Anlasses. Der Großteil der Besatzung der Wegburg, zahllose askalonische und imbrische Soldaten, Ritter und deren Knappen sowie hohe Paladine des Lichts hatten sich in einem Halbkreis um den Hügel herum versammelt. Sie hatten die Leiber der zwölf gefallenen Krieger aufgebahrt und zwölf Gräber ausgehoben. Fünf der Gefallenen hatten mit uns an der Wegburg gekämpft, darunter war auch Syr Zork. Notor Gulim hatte ihm ein leichtes Kettenhemd angelegt und ihm den rostigen Morgenstern in die gefalteten Hände gelegt.

Der Halbkreis öffnete sich in der Mitte, um für den Totendiener eine Gasse zu bilden. Er stellte sich zwischen die Leichen und begann die Todesmelodie auf einer Schädelflöte zu spielen. Anschließend stimmte er das >Lied vom letzten Wege< an, in das alle miteinfielen. Tarkins Blick war dabei gebannt auf den Zähneknirscher gerichtet. Ich sah, dass ihm vor Rührung eine dicke Träne die Wange herunterkullerte. Auch ich konnte mir die Tränen nicht verkneifen. Mir tat es auch sehr leid um Zork, der sich in der Schlacht als wahrer Held erwiesen hatte.

Jetzt trat Syr Vardek, der Hochfürst des Rössertals vor. Er war ein hochgewachsener Mann, in dessen Gesicht Stolz, Tapferkeit, aber auch Kummer ihre Spuren hinterlassen hatten. Er musste schon so manche Schlacht geschlagen und so manchen Verlust erlitten haben mit seinen - ich schätzte - über fünfzig Sonnenjahren. Er trug ein silbernes Kettenhemd mit einer prächtig verzierten Halsberge. Sein grauer Waffenrock und sein langer weißer Umhang trugen das Wappen seiner Familie, eine weiße Burg, über der Regen fällt. Er ging vor den Gefallenen bedächtig auf die Knie und erhob sich nach einiger Zeit wieder.

Er ließ einen traurigen Blick über die Versammelten streifen und setzte dann an:

»Der Feind dringt in unsere Länder vor. Mit Eisen und Blut bezahlen wir jeden Schritt bei der Verteidigung unserer Heimat. Diese tapferen Männer haben in den vergangenen Tagen unseren Tribut an Mortarax bezahlt. So lasst sie uns gemeinsam ehren und die Worte für sie sprechen, zu ihrem Andenken und zu ihrem Wohle im Reiche des Todes.«

Ein Alunpriester trat vor und drehte sich zur Menge: »Aluns Licht brennt noch immer in ihren Herzen!«
Vor allem die imbrischen Soldaten fielen in seinen Sprechgesang mit ein: »Möge es niemals verglimmen!«

Viele Augen, vor allem die der Askalonier, richteten sich jetzt erwartungsvoll auf mich und Widun. Einige der Gefallenen waren Anhänger der Erdgöttin, sodass ich auch einen Segen sprach und Ianna darum bat, dass sie die Leiber in ihr Reich aufnehmen und neues Leben daraus erwachsen lassen solle.

Widun hatte Weinfässer aus der Wegburg herrollen lassen und erhob jetzt einen riesigen Weinkelch, nahm einen großen Schluck daraus, und ließ ihn reihum gehen. Er musste mehrfach nachgefüllt werden. So hatten wir auch die Anhänger des Schratenherrn berücksichtigt. Zum Abschluss trat noch einmal der völlig in schwarz gekleidete Totendiener zu den Leichen und sang: »Mortarax hat das Bett für euch bereitet, er sende eure Seelen auf den letzten Pfad!«
Er winkte einige der Männer zu sich, die dabei halfen, die Toten in den Erdlöchern zur Ruhe zu betten. Das Begräbnisritual endete mit dem melancholischen Harfenspiel des Mortaraxpriesters. Die Versammlung löste sich auf und die Soldaten kehrten in ihre gestern noch hastig am Fuße der Wegburg errichteten Lager zurück.

Wir wollten uns gerade zur Wegburg wenden, als ein junger Mann keuchend den Grabhügel hochrannte. Es war Valan, der junge Wächter, der uns die erste Kunde vom Tekkangriff gebracht hatte. Wir ließen ihn erstmal wieder zu Atem kommen, dann setzte er an: »Mehr … zurück!«

»Noch mehr Grauhäute?«, fragte ihn Edwen ungläubig.
»Nein!«, keuchte Valan und ein Lächeln trat auf seine Lippen. »Gruppe mit Überlebenden aus dem grünen Kessel … gekommen!«

Wir kehrten eiligen Schrittes zur Wegburg zurück. Ich sah, dass sie die Leichen der Tekk am Rande der Schlucht gestapelt hatten und gerade dabei waren, den errichteten Scheiterhaufen in Brand zu setzten. Das Holz war nass vom vielen Regen und es wollte den Soldaten nicht so recht gelingen. Anneliese schubste Widun an: »Ich könnte doch … mit einem kleinen Feuerball!«

»Willst du selber auf dem Scheiterhaufen landen? Das da drüben sind Alunpaladine. Wenn die mitbekommen, dass du Feuermagie beherrschst, grillen sie dich gleich mit, aber lebendig!«, flüsterte ihr der besorgte Mönch zu.

Wir traten durch das Burgtor und erblickten im Hof eine Gruppe mit roten Schwertern auf Rüstung und Schild. Sie gaben gerade ihre Pferde bei den Stallburschen ab. Eine Frau war darunter. Das auf den Rücken gegürtete Schwert verriet, dass sie eine Kriegerin war. Sie blickte kurz zu uns herüber. Ihr Gesicht hatte einen grimmigen Ausdruck, der noch von ihrer ungewöhnlichen Frisur unterstützt wurde. Sie hatte eine Seite des Schädels kahl geschoren und die Haare der anderen Seite zu dünnen, aber langen Zöpfen geflochten.

Als ihr Blick auf mich fiel, wechselte ihr Gesichtsausdruck. Jetzt hatte sie ein eher spöttisches Lächeln auf den Lippen. Sie drehte sich weg und verschwand im Eingang zum Haupthaus. Zwei der Rotschwerter bezogen Stellung vor der Tür.
»Seltsam, was geht da vor sich?«, fragte ich mich, als uns Notor Gulim zu sich rief.

»Darf ich euch vorstellen, das ist >mein< Lyr, ein hervorragender Alchimist, der einst mein Zögling war. Jetzt ist er Mitglied im Bund der roten Klingen.«
Der junge Alchimist Lyr.
Gemeint war ein kahlköpfiger, junger Mann mit vor Intelligenz funkelnden Augen, der in die Robe eines skilischen Gelehrten gekleidet war. Auf der Robe waren zahlreiche Symbole, die ich noch nie gesehen hatte, wahrscheinlich alchimistischer Natur. Gulim drückte ihn noch einmal an sich und war selbst um einen Kuss auf die Wange nicht verlegen.
»Er kam damals als Waisenjunge zu mir, und ich habe ihn wie meinen eigenen Sohn aufgezogen«, erklärte Gulim nicht ohne Stolz.

Gulim entschuldigte sich und überließ Lyr unseren Fragen.
Widun betrachtete seine zitternde Hand: »O Tremorio, ich muss dringend einen Trinken gehen!«

»Schön Euch kennenzulernen«, begann Edwen. »Gulim hat oft von Euch erzählt, doch Ihr wart schon weg, bevor ich zur Bruderschaft gestoßen bin.«

Der junge Alchimist nickte: »Ja, ich habe in Skilis Alchimie studiert und dann in Taraxhall gearbeitet. Nach dem Fall der Stadt habe ich mich den >Roten Klingen< angeschlossen. Unsere Anführerin, Galinea, habt Ihr ja schon gesehen. Unser Bund besteht hauptsächlich aus Überlebenden des grünen Kessels und anderer von den Tekk eroberter Gebiete Askalons. Galinea ist hier, weil sie überlegt, sich der Bruderschaft anzuschließen.«

Tarkin fragte unverblümt: »Was sollen die Wachen vor dem Haupthaus?«

Lyr sah uns ungläubig an: »Könnt ihr euch das nicht denken? Sie sind beide schwer verwundet, aber am Leben ...«

Er hatte kaum ausgesprochen, als Edwen und Tarkin mit großen Schritten auf die Tür zugingen. Die Wachen kreuzten die Schwerter vor ihnen, doch Lyr rief ihnen zu, dass es in Ordnung sei, uns durchzulassen.

Wir durchschritten den langen Flur. Aus einer Seitentür drang heißer Dunst. Vier Burschen erhitzten hier Steine im Feuer und Wasser brodelte in großen Kesseln. Wegen der hohen Luftfeuchtigkeit fing ich sofort an zu schwitzen. Einer der Burschen hatte Wein aufs Feuer gestellt und warf jetzt stechend riechende Kräuter hinein. Die Tür zum Nachbarraum ging auf und die dicke Magd Melda trat herein.

»Habt ihr endlich die Tücher ausgekocht?«, fuhr sie zwei der Burschen in harschem Ton an.

Der Raum, aus dem die Magd gekommen war, war abgedunkelt. Als wir Anstalten machen wollten, hineinzugehen, stellte sich uns die resolute Melda in den Weg: »Wo sollsn hingehn?«

Urota blickte auf sie herab und seine Hauer formten ein Trollgrinsen. »Alles klar!«, piepste die Magd und sprang beiseite.

Hier lagen zwei Männer auf Strohmatratzen. Notor Gulim legte gerade einem der beiden einen Verband an und tupfte anschließend auf die glühende Stirn.
»Wundbrand!«, flüsterte er. Der Verwundete schien weit weg zu sein, jedenfalls lag er wie schlafend unter einer dicken Bärendecke. Das traf jedoch nicht auf den anderen zu. Dieser wand sich schweißgebadet hin und her auf seiner Matratze und drohte ständig herunterfallen. Er hatte die Augen halb geöffnet, ich konnte sehen, dass seine Pupillen wild hin und her zuckten. Er murmelte unzusammenhängende Worte. Ein kleiner, älterer Mann mit großem Schnauzbart im Gewand eines Heilers beugte sich gerade über ihn und schmierte eine Salbe auf die von Schnittwunden übersäte Brust des jungen Mannes. Galinea hockte auf der anderen Seite und versuchte, den Versehrten zu bändigen.
»He, ihr da! Steht nicht so da rum! Bringt mir ausgekochte Leinentücher und den heißen Wein!«, fuhr uns der alte Heiler an. »Etwas Hilfe beim Festhalten wäre auch nicht schlecht! So kann ich nicht arbeiten!« Saradar und Urota halfen beim Festhalten, während ich mit Freya und Tarkin die Tücher und den Wein holen ging. Au! Ich musste den heißen Weinkrug fallen lassen. Irgendwie hatten es aber die kleine Wichtelin und Tarkin geschafft, einen Weinkrug unbeschadet zum Heiler zu bringen. »Syr Toran hier geht es sehr schlecht, wenn wir nicht rasch seine Wunden ausspülen, stirbt er!« Selbst der Troll und der Gjölnar hatten Schwierigkeiten, Toran festzuhalten, sein Wundkrampf war kaum zu bändigen. Der Heiler bat Saradar, ihm ein Tuch fest in den Mund zu pressen, damit er sich nicht auf die Zunge beißen würde, und goss dann den heißen Wein in die tiefe Wunde. Torans Körper bäumte sich noch einmal in einem massiven Krampf auf, um dann erschöpft in sich zusammen zu sinken. Seine Bewegungen wurden ruhiger, schließlich schien er eingeschlafen zu sein.

»Ich bin Wael, der oberste Heiler des Hochfürsten. Danke, dass ihr mir geholfen habt und entschuldigt bitte, dass ich so barsch war, aber es ging um Leben und Tod«, stellte sich der kleine Mann jetzt vor. »Ich denke, dass die beiden durchkommen werden, aber sie brauchen jetzt viel Ruhe, sie sind beide extrem geschwächt. Verlasst bitte den Raum, damit sie schlafen können«, bat er uns.
Galinea sprach noch kurz mit dem Heiler und folgte uns dann in den Flur.

Edwen stellte sie zur Rede: »Seid gegrüßt im Namen der guten Götter. Ihr seid Galinea, die Anführerin der >Roten Klingen<?«
Sie blitzte ihn mit ihren stahlblauen Augen an: »Ja, das bin ich. Und was seid ihr für ein bunter Haufen?«
Wir erklärten ihr, dass ein Teil von uns bereits an Torans Seite gegen die Tekk gekämpft hatte und auch jetzt mit den >Gekreuzten Schwertern< der anrückenden Tekkarmee entgegengetreten war.
Sie schien beeindruckt und begann zu erzählen: »Dann seid ihr Torans Freunde! Der Faun und die Wichtelin haben auch mitgekämpft? Das hätte ich euch gar nicht zugetraut. Ihr wollt sicher wissen, was da drüben passen - ich meine jenseits des Rösserpasses - passiert ist. Wir wollten uns mit Toran treffen, um zusammen mit ihm seinen Bruder zu befreien. Doch leider war er vorher in einen Hinterhalt der Tekk geraten und sie hatten ihn in einen ihrer Blutwagen gesteckt. Er hatte sich natürlich gewehrt und wurde schwer verwundet. Zu seinem Glück sind die Tekk jedoch an >Frischfleisch< interessiert und lassen ihre Gefangenen deshalb zunächst einmal am Leben. Wir fanden heraus, wer ihn gefangen hielt und konnten ihn – leider nur mit großen Verlusten – schlussendlich befreien. Auch sein Bruder Benesch befand sich unter den Gefangen. Fünf weitere überlebten die Reise zur Wegburg nicht – wegen der anrückenden Tekkarmee kamen wir nicht vorbei und mussten uns ein Versteck suchen. Dort hatten wir aber keine Möglichkeit, die Verwundeten richtig zu versorgen. Ich muss jetzt gehen - der Kriegsrat wartet. Glück mit euch!«
Sie verabschiedete sich mit einem Nicken und trat ins Freie.

Die Magd Melda kam aus der >Kammer des Schweißes<. Saradar kramte rasch einen Beutel hervor und bot ihr doch tatsächlich die Hexenkräuter aus Medea zum Kauf an.
Sie schaute kurz drauf, schnupperte und zuckte schließlich mit den Schultern: »Kenn ich net, will ich net. Und von einem Barbaren schonmal gar net!«
Sie ließ ihn mit offenem Mund auf dem Flur stehen und eilte hinaus.

»Was machen wir jetzt?«, fragte ich in die Runde. Edwen schlug vor, ein Nachtlager zu suchen. Er meinte, dass wir vielleicht bei den freien Rittern oder den Askaloniern unterkommen könnten. Wir verließen die Wegburg durch das Torhaus. Vor uns lag das imbrische Lager. Die hellen Zelte standen in Reih und Glied, an jedem flatterte das Sonnenbanner. Die Ritter, alle glatt rasiert und in sauberer Kleidung, saßen vor ihren Zelten und unterhielten sich, während die Knappen mit dem Polieren der Rüstungsteile beschäftigt waren. Alles blitzte und blinkte. Zwischen den Zelten waren die Pferde angekoppelt. Sie trugen aufwändige Schabracken mit Sonnensymbolik. Die Stallburschen waren gerade beschäftigt, sie zu tränken und zu füttern.
»Die sind mir zu arrogant«, entschied Tarkin und stapfte weiter.
Wir folgten der Passstraße und hatten das freie Lager zur Rechten. Hier standen die Zelte, alle in den verschiedensten Farben und Zuständen, einige neu, andere schon sehr zerschlissen, wild durcheinander. Die unterschiedlichsten Banner wehten vor den Zelten. Bei einigen fehlte es sogar gänzlich. Die Krieger trugen teils verrostete Rüstungen, manche hatten auch nur Teilplatten und trugen Kettenhemden oder Leder mit Aufschlägen. Ein seltsamer Gestank lag hier in der Luft.
»Die haben doch tatsächlich … einen Ogrens. Die spinnen!«, besprach sich gerade ein freier Ritter mit einem Kameraden. Sie verstummten und drehten sich weg, als wir näher kamen. Dann unterhielten sie sich in einem Flüsterton weiter.
Anneliese hielt sich die Nase zu: »Nein danke, dieser Gestank ist nichts für eine Kobolddame.«

Das askalonische Lager bestand hauptsächlich aus roten Zelten, die nicht ganz so ordentlich wie die ihrer imbrischen Kampfgenossen aufgereiht standen. Die Krieger waren emsig, einige übten sich im Schwertkampf, andere im Bogenschießen auf Strohpuppen. Hier wurden Pfeile geschnitzt und mit Federn bestückt, da ölten sie die Scharniere ihrer Rüstungen und schliffen ihre Schwerter. Die Kriegsvorbereitungen waren in vollem Gange, bei den Imbriern hatte ich dagegen den Eindruck gewonnen, sie wären eher auf einem Ausflug. Ein Fiedler stimmte soeben eine alte askalonische Weise an. Hier gefiel es mir viel besser als bei den Hochnäsigen und Gestriegelten. Das askalonische Lager war hufeisenförmig angeordnet. In der Mitte stand das größte Zelt. Vor ihm waren zwei Ritter mit einem gebeugten Mann in ein Gespräch vertieft.
Einer der Ritter lächelte uns freundlich entgegen: »Bei den guten Göttern, seid gegrüßt, wenn das mal nicht die Helden der Schlacht am Rösserpass sind. Mein Name ist Syr Deodan, und das hier ist Syr Madhur.«
Der andere Ritter hatte einen grimmigen Gesichtsausdruck und musterte uns eher finster und ablehnend. Der gebeugte Mann mit tiefen Gesichtsfalten, ein Notor, wie ich jetzt an seiner Gelehrtenrobe erkannte, war hinter den zweiten Ritter zurückgetreten. Tarkin fragte geradeheraus, warum dieser so grimmig dreinblicke, sie hätten doch schließlich den Sieg davongetragen.
Syr Madhur antwortete zähneknirschend: »Das geht euch gar nichts an, Ihr seid kein Askalonier!«
Edwen trat vor: »Ich schon, sagt, was macht Euch so wütend?«
Madhur schien Edwens Schlangenschwert-Wappen zu kennen: »Syr Edwen, der Kriegsrat – oder vielmehr der Hochfürst und dieser Graufuchs Xardrus – haben beschlossen, dass die Wegburg verstärkt werden soll und ein Teil der Truppen als Verstärkung hier bleiben soll.«
»Aber das sind doch gute Nachrichten«, mischte sich Saradar ein und erhielt dafür einen stechenden Blick vom askalonischen Ritter, der selbst mir fast körperlich weh tat. Deodan dachte wohl, dass er einschreiten müsse und drängte sich zwischen den Barbaren und Syr Madhur. Er schaute Edwen an, als er erklärte: »Der Kriegsrat hat sich dagegen entschieden, den Tekk nachzusetzen und sie aus dem Süden Askalons endlich zu vertreiben. Chiram ist gefallen, Taraxhall ist gefallen, jetzt ist der gesamte >Grüne Kessel < in der Hand der Bestien aus Ultar. Auch ich wäre für eine andere Vorgehensweise – aber wir müssen es mit Vernunft betrachten. Gegen ihre Übermacht haben wir im Augenblick keine Chance!«
Syr Madhur drehte sich weg und grummelte so etwas wie »Scheiß auf eure Vernunft!«, trat gegen einen Stein und verschwand dann hinter einem der Zelte.
Syr Deodan, askalonischer Ritter aus dem Grünen Kessel.
Deodan beschwichtigte: »Ihr müsst ihn verstehen. Seine Stadt ist in der Hand dieser Bestien. Aber was hilft es, wenn wir im Anrennen alle auf der Strecke bleiben!«
Der faltige Notor wollte sich gerade zum Gehen wenden, als ihm Syr Deodan auftrug, ein leeres Zelt für uns zu finden: »Ihr habt doch sicher noch kein Nachtlager!«
Gebeugten Hauptes und schlurfenden Schrittes hatte uns der bucklige Notor zu einem leeren Zelt am Rand des Lagers geführt: »Hier könnt ihr für heute Nacht bleiben!«
Vivana und Pferd verabschiedeten sich vorerst vom Rest der Gruppe – sie wollten sich bestimmt ein ungestörtes Plätzchen suchen.

Ein Rumpeln – Urotas Magen hatte sich gemeldet, pünktlich zur Mittagszeit.
»Wo kriegen wir was zu essen her?«, fragte Saradar in die Runde. »Nicht, dass der Troll noch einen von uns anknabbert!«
»Wir könnten auf die Jagd gehen!«, schlug Anneliese vor. Tarkin lachte: »Ich würde sogar mit dir kommen, aber ...« - er zeigte auf sein angekokeltes Fell - »... ich habe Angst, dass du den ganzen Wald in Brand setzt!« Maluna verstand sich auf Feuerwitze: »Dann wäre wenigstens alles schön kross!«
»Ich sehe mal, wo sich Widun rumtreibt, er hat bestimmt eine Idee, wo wir etwas Gescheites zum Essen und Trinken herkriegen!«
Ich ging zurück zur Wegburg, Maluna begleitete mich und zog alle Blicke auf sich. Wir fanden Widun in der Schenke – wo sonst? Er saß am Tresen und prostete einigen Soldaten zu. Es war nicht schwer ihn wegzukriegen, als wir ihn baten, ein Fässchen Bier mitzubringen. Ich holte mir aus der Küche einen Kessel mit Kartoffelsuppe, mit Malunas Hilfe war es kein Problem, ihn ins Zeltlager zu tragen.

Wir kamen an der Schmiede vorbei, wo ich mitbekam, wie der Schmied zwei seiner Lehrlinge anschrie und beschimpfte: »Ein Blinder hämmert genauer als ihr!« und »Meine Esse ist noch nie erloschen – eher stoße ich einen von euch Nichtsnutzen hinein, bevor sie ausgeht!« und »Das soll Weißglut sein? Ihr erlebt gleich, was richtige Weißglut ist!«
Vor der Schmiede standen vier Knappen mit verbeulten, schweren Rüstungsteilen auf dem Rücken - in einer Warteschlange - in der prallen Mittagssonne. Auch sie bekamen ihr Fett weg: »Wartet, bis ihr dran seid! Der früheste Termin ist der nächste Halbmond! Und jetzt weg hier, ihr stehlt mir die Luft zum Atmen!« Maluna zuckte mit den Achseln: »Da werde ich wohl kein so leichtes Spiel wie beim letzten Mal haben!« Sie grinste nur, als ich auf ihre Aussage mit einem Gesichtsausdruck, der wohl eine Mischung aus Schreck und Ekel zeigte, antwortete.

Als wir zurückkamen – Widun rollte das Bierfässchen mit seinem Fuß die Passstraße hinab - spielte Saradar gerade mit seinem Wiesel. Anneliese wollte es gerne streicheln, doch es schlüpfte flink wieder zurück in sein Versteck - in Saradars Hose.

Nach dem Essen trat Valan ins Zelt: »Syr Benesch ist aufgewacht und möchte euch gerne sehen!«
Wir folgten ihm in die Wegburg, Urota und Freya waren zurückgeblieben, sie wollten sich noch etwas ausruhen – so viel Bier in praller Sonne vertrug nicht jedermann.
Zufälligerweise war Maluna die erste, die eintrat. »Träume ich noch? Seid ihr eine Alwe? Toran hat gar nichts von Euch erzählt!«, begrüßte er sie. »Ähm, ich bin eine Freundin von Tarkin, dem Kobold«, erklärte sie. »Ah, da ist ja auch der Faundruide, der sich in ein Eichhörnchen verwandeln kann – Toran hat sich immer sehr darüber amüsiert« - er hustete.

Edwen kannte ihn am besten von unserer Gruppe und trat zu ihm: »Syr Benesch, wie geht es Euch?«

»Edler Syr Edwen, es könnte besser gehen, aber ich lebe. Es war unvernünftig von meinem Bruder so viel zu riskieren...« - er musste immer einmal wieder eine Pause einlegen, selbst zum Sprechen war er noch zu schwach.

»Wisst ihr, sie hatten mich in einer Felsenhöhle angekettet, diese Bestien. Sie halten uns ja solange am Leben, damit wir ihnen und der Brut ihrer Königin irgendwann einmal als Nahrung dienen können! Wir sind doch kein Schlachtvieh! Dieser törichte Toran musste herausgefunden haben, wo sie mich festhielten. Mit fünf Leuten stürmte er in die Höhle, nur er und ich kamen lebendig wieder raus. Aber seht, was sie mit uns gemacht haben. Mein Bruder war schon immer ein Hitzkopf, diesmal hat er sich aber wie ein Freitodwühler verhalten!«

Toran lag nebenan und ließ ein weit entfernt klingendes Flüstern hören, als er seinen Namen hörte – er schien Albträume zu haben. Wael, der Heiler, trat ins Krankenzimmer und bat uns, wieder zu gehen. Benesch war inzwischen wieder eingetrübt, er murmelte »Lichtbringer« und »Ilon Heck...« als wir den Raum verließen.

Die Sonne stand tief am Horizont, als wir durch das Torhaus traten. Jenseits der Brücke waren die Arbeiten an der Passmauer in vollem Gange. Edwen folgte mir über die Brücke. Unten lagen Teile der Passmauer und des Turms im rauschenden >Schwarzbach<. Handwerker hatten die Trümmer beiseite geräumt und Steinmetze hämmerten fleißig an Ersatzsteinen für die eingestürzte Mauer. Ein Holzgestell zeigte, wo der neue Wehrturm errichtet werden sollte. Hier standen mehrere Bogenschützen und hielten Wache. Ein erfahrener Schütze namens Isgard Falkenauge gab den anderen Hinweise, wie sie ihre Treffsicherheit erhöhen könnten. Wir folgten dem Gebirgspfad noch etwas in Richtung Grüner Kessel. Hier hatten Handwerker spitze Pfähle in den Boden gerammt, um einen erneuten Ansturm der Tekk das nächste Mal schon früher zum Stillstand zu bringen. Auch hier waren Wachen postiert. Sie unterhielten sich angeregt:

»Diese Tekk sterben lieber als in Gefangenschaft zu geraten.«

»Ja, und nachdem der alte Xardrus den Tekkgeneral erschlagen hatte, seien nur Krähen davon geflogen und die umstehenden Ul'Hukk tot umgefallen.«

»Aber hast du das von dem Menschenfresser gehört? Die Soldaten von der Regenburg haben doch tatsächlich eines dieser Viecher gefangen.«

»Ja, angeblich sammelt der Hochfürst solche Monster irgendwo unter seiner Burg in einer Art Bestiarium!«

Die Sonne war schon hinter den Schwarzeisenbergen verschwunden, als wir das Zelt erreichten. Widun hatte bereits dafür gesorgt, dass kein Tropfen des guten Bieres zugekommen war. Tarquan und Vivana kamen ins Zelt. Ich sah, dass Vivana Moos in den Haaren hing, sie hatten wohl der Waldgöttin gehuldigt.

Saradar versuchte mal wieder, sich bei Maluna einzuschmeicheln, doch die Feueralwe schien resistent gegen den wilden Charme des Barbaren aus dem hohen Norden und ließ ihn wiedermal abblitzen. Anneliese grinste und wünschte ihm »feurige Träume«. Der Barbar zuckte mit den Schultern, legte sich hin und flüsterte »Was mache ich bloß falsch?«, während er sich zur Zeltwand drehte. Tarkin sah hoffnungsvoll zu Anneliese rüber, doch auch sie zeigte ihm nur die kalte Schulter. Mit einem tiefen Koboldknurren drehte er sich ebenfalls in Richtung Zeltwand.

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