Samstag, 24. Februar 2018

Der letzte Tanz - Kapitel 2: Begegnungen

Inzwischen war erneut die Dunkelheit über das Land hereingebrochen. Jenseits einiger Hügel in einer Talsenke konnte ich bereits die Lichter der halb zerstörten Stadt Altem erkennen – mehr als ich gedacht hätte. Wir wollten uns auf einem Hügel unter einem ausladenden Kastanienbaum zum Nachtlager einrichten, als Vivana uns auf eine Lichtquelle in einigen hundert Schritt Entfernung hinwies. Tarkin schnüffelte: »Das ist ein Lagerfeuer, und darüber wird etwas gebrutzelt! Es riecht köstlich!« Urota begann auch zu schnüffeln: »Ein Mensch.«
Vivana wollte mehr erfahren: »Ich schaue mal nach, was eure feinen Näschen da gerochen haben.« Sie schlich sich zusammen mit Freya an die Feuerstelle heran.
Sie erkannten einen Mann, der sich in einen Fellumhang gewickelt hatte und über dem Feuer einen abgezogenen Hasen briet. Seine schlitzförmigen Augen verrieten, dass er Jujin-Vorfahren haben musste. Aus seinem Rückengurt, den er nicht abgelegt hatte, blitzten zwei exotisch verzierte Schwertknäufe hervor. Vivana entschied, sich zu zeigen. Sie ging mit einer Hand am Dolch auf den Fremden zu und verneigte sich: »Seid gegrüßt, sagt was treibt Ihr hier draußen in finsterster Nacht?« Er hob leicht den Kopf und wirkte überrascht, als er den Rest unser Gruppe erblickte. »Wir sind ein seltsamer Haufen, erschreckt Euch nicht, wir haben einen Hügeltroll dabei, aber Ihr habt nichts zu befürchten«, versuchte Vivana ihn zu beruhigen.
»Mein Name ist Lorgrim. Tretet vor und setzt euch zu mir ans Feuer. Ich habe allerdings nur einen Hasen, das wird nicht für euch alle reichen«, stellte sich der Fremde mit leiser Stimme vor.
Der geheimnisvolle Halbjujin Lorgrim.
Wir steuerten ein paar Himbeeren und einen Teil unseres Proviants bei, sodass alle satt wurden.
Der Mann blieb den weiteren Abend über schweigsam und hatte den Blick gesenkt. Eine tiefe Traurigkeit sprach aus seinen Augen. Vivana fragte ihn nach seinen Plänen. Er hob wieder kurz den Kopf und murmelte: »Will nach Süden, mich der ›Bruderschaft der Gekreuzten Schwerter‹ anschließen und gegen die Tekk kämpfen.« Edwen und Tarkin horchten auf und erzählten ihm, dass sie selbst Mitglieder in der Bruderschaft waren und luden ihn ein, uns zur Wegburg zu begleiten.
Lorgrim wirkte interessiert, blieb aber schweigsam und gab nichts weiter von sich preis.

Plötzlich hörten wir von Norden her ein Knacken im Unterholz und schließlich den Hufschlag eines Pferdes. Vivana sprang auf und rief in die Dunkelheit: »He da, wer dort?«
Eine irgendwie vertraut klingende Stimme antwortete: »Endlich hab ich euch gefunden!«
Vivana entgegnete drohend: »Gebt Euch zu erkennen, wir haben Euch umzingelt und unsere Bögen auf Euch gerichtet!«
Die Gestalt sprang vom Pferd, sie war in einen Kapuzenmantel gehüllt. Als sie ans Feuer trat, warf sie die Kapuze nach hinten und ein Streifen roter Haare auf einem sonst kahlen Schädel trat zutage: »Ich habe einen Bärenhunger!«
Es war Saradar, unser barbarischer Freund – und er konnte wieder sprechen. Nachdem er uns einen nach dem anderen umarmt hatte, begann er zu erzählen:
»Meine Freunde, ich habe immer noch Matsch in der Birne und fühle mich elend, aber dieser schwarze Schleier hat sich gelüftet.« Bei diesen Worten kletterte ihm sein Wiesel auf die Schulter: »Mein treuer Radaras hat mir die ganze Zeit über beigestanden. Es war furchtbar. Es fühlte sich an, als ob Schatten durch meinen Geist gekrochen wären oder meine Seele gefroren hätte. Ich konnte meine Füße nicht mehr spüren, auf meiner Zunge lag der Geschmack von Fäulnis und Tod. Ich habe nicht mehr gewusst, wer und wo ich war oder wie lange ich mich in diesem Zustand befunden habe. Meine Stirn hat gebrannt, mein Herz gegen meine Schläfen gepocht. Irgendwann habe ich dann die Augen geöffnet und musste sie gleich wieder zupressen, weil ich die Helligkeit nicht mehr gewöhnt war. Langsam wurde es besser und ich blickte mich um. Um meinen Hals fand ich diese Kette« - er zeigte uns die Reliquienkette, die ihm Utyferus beschafft hatte, um den ›Schwarzen Sud‹ aufzuhalten.
»Und mein Radaras war die ganze Zeit bei mir!« - das Wiesel kuschelte sich an sein Gesicht.
»Ich habe in einem Zelt gelegen. Irgendwann ist dieser Halar, der Anführer der Söldnertruppe, hereingekommen und hat mir erzählt, was passiert ist.
Tarquan hatte mich in Begleitung von Widun und Anneliese zum Nordmarkt gebracht. Als Bruder aus dem Stamm der Khor'Namar wollte er mich dann nach Yarwaques Hand mitnehmen. Ein Keldyr-Druide hat mir soweit geholfen, dass ich wieder sprechen konnte. Er hat mir gesagt, dass ich diese Kette nie ablegen darf, weil sonst der böse Geist zurückkommt. Und dass ich nach Yarwaques Hand zu einem Osirpriester müsste, um völlig geheilt zu werden.«
»Als ich erfahren habe, dass ihr alle nach Süden in Richtung Rösserpass aufgebrochen seid, um gegen die Tekk zu kämpfen, konnte ich natürlich nicht anders als euch zu folgen, auch wenn das Halar gar nicht recht war. Er würdigte aber meine Tapferkeit und hat mir diese Waffe gegeben«, Saradar zeigte uns eine rostige Barbarenaxt, »die ja wohl kein würdiger Ersatz für meine Zweililie ist. Die liegt wohl noch in Medea, wie ich gehört habe!«
Jetzt erst wurde ihm bewusst, dass unsere Gruppe gar nicht vollzählig war: »Sagt, wo stecken Widun und Anneliese?«
Ich zuckte mit den Schultern: »Du musst sie überholt haben, oder sie wurden aufgehalten. Hast du auf deinem Ritt gar keine Pause gemacht?«
Saradar grinste: »Ich bin durch Regen und Matsch geritten, habe auf dem Pferd geschlafen. Nur zum Scheißen bin ich abgestiegen.«
Jetzt erst war ihm wohl durch seine eigenen Worte bewusst geworden, wie erschöpft er eigentlich sein sollte, denn er fiel augenblicklich - von einem wohlfährigen Seufzer begleitet - in einen tiefen Schlaf.
Vivana übernahm zusammen mit Urota und Lorgrim die erste Nachtwache.
Vivana war neugierig, und versuchte mehr vom Halbjujin zu erfahren. Er schien etwas Vertrauen gefasst zu haben, denn er begann zu erzählen: »Ich bin ein Söldner aus Askalon, mein Vater war ein einfacher Dorfbewohner. Ich wurde zum Schwertmeister ausgebildet und habe in meinem Leben verschiedenen Meistern gedient.«
Vivana war fasziniert von diesem geheimnisvollen Mann, der eine unglaubliche Ruhe, aber auch Traurigkeit ausstrahlte. Sie entschied jedoch, dass er nicht ihr Typ war.
Das Feuer brannte herunter. Ich löste die drei zusammen mit Edwen und Freya ab. Wir hörten in einiger Entfernung das Gekreische einiger Windgreifer, aber diesmal ließen sie uns in Ruhe.

Wir brachen auf im Morgengrauen. Saradar führte sein Pferd am Zügel, da es von den Strapazen sehr mitgenommen aussah.
Nach einer halben Tagesreise erreichten wir endlich die Stadt Altem. In meiner Erinnerung war sie ein kleines, trostloses Städtchen. Erst nach der Befreiung von der Rattenplage hatte eine gewisse Aufbruchstimmung geherrscht und die Leute hatten wieder an Tatendrang gewonnen.
Die Torwächter schenkten uns ein Lächeln und nickten freundlich, als wir die Stadt betraten. Die Straßen waren jetzt sauber und regelrecht überlaufen. Überall Menschen, die emsig ihrem Werk nachgingen: Mauern wurden erneuert, Häuserfassaden gestrichen, das Bollwerk verstärkt, Fässer durch die Gassen gerollt, in einer Schmiede hämmerten gleich vier Männer auf glühende Eisen.
Wir fragten eine der Stadtwachen: »Sagt, wo finden wir den Stadtherrn Largo?«
»Wisst ihr denn nicht, dass Largo vor kurzem verstorben ist! Orell führt jetzt die Geschäfte!«, entgegnete uns die Wache.
»Orell? Das war doch dieser fiese Händler, der die Leute in ihrer Not auch noch ausgebeutet hat! Wer hat den denn als Ratsherrn eingesetzt?«, fragte ich mehr zu mir selbst.
Edwen pflichtete mir bei: »Wahrscheinlich er selbst! Von dem können wir sicher keine Hilfe erwarten!«
Wir erkundigten uns nach dem Notor, der uns damals unterstützt hatte. »Den Notor Tayn findet ihr bei den Flüchtlingen. Ihr findet ihn auf dem ›Müden Markt‹.«
Auf dem Marktplatz drängte sich eine lange Schlange aus Menschen. Sie standen an einer Essensausgabe an – ich erkannte den alten Priester Terek, der uns die Novizen in Obhut gegeben hatte. Er verteilte Gemüsesuppe und Brot an die Hilfsbedürftigen. Hinter der Schlange leuchtete das schlohweiße Haar des Notors. Wir drängten uns hindurch und tippten dem alten Mann auf die Schulter, der gerade damit befasst war, einigen Arbeitern Anweisungen zu geben.
Er drehte sich erschrocken um und wich einen Schritt zurück, als er den Troll sah. Schnell trat aber ein Lächeln des Erkennens in sein Gesicht: »Bei den guten Göttern! Willkommen zurück! Wie ihr sehen könnt, ist viel geschehen, seit ihr uns von diesem Rattendämon erlöst habt!«
Notor Fugan Tayn aus Altem.
Er erklärte uns, dass es sich bei den Menschen auf dem Marktplatz um Flüchtlinge aus Taraxhall handelte, die vor den Tekk geflohen seien. »Es sind zu viele, wir kriegen sie gar nicht alle unter! Ich leite die Arbeiten, um die vom Erdbeben verfallenen Häuser wieder herrichten zu lassen.«
Ich fragte ihn nach Orell. Ich merkte ihm an, dass er auch nicht begeistert war von seinem neuen Stadtherrn: »Es ist traurig, dass Largo von uns gegangen ist. Er erlag einem Fieber, vielleicht war es sogar noch die Rattenpest, die ihn dahingerafft hat. Ich weiß es nicht. Ihr wisst ja, dass Orell einen ungemeinen Geschäftssinn hat. Er nutzte seine Chance, scharte viele Unterstützer um sich und wurde so von den Bürgern gewählt. Ich muss ihm aber zu gute halten, dass er sich geändert hat und ihm das Wohl der Bürger mittlerweile sehr am Herzen liegt.«
Tarkin bat ihn um Pferde, damit wir schneller zum Rösserpass gelangen könnten.
Notor Tayn wirkte nachdenklich: »Wisst ihr, eigentlich können wir im Moment gar nichts entbehren. Aber Notor Gulim von der Bruderschaft ist ein alter Freund von mir. Ihr könnt ihm eine Nachricht von mir überbringen und ich werde euch vier Pferde zur Verfügung stellen.«
Inzwischen war Ian Terek bei der Essensausgabe abgelöst worden und kam zu uns rüber. Er ging stark gebeugt, machte kleine, unsichere Schritte und stützte sich auf einen Stock. Er drehte seinen Kopf schräg nach oben, um uns anzusehen: »Sonnige Grüße! Wenn das mal nicht unsere Rattenfänger sind! Sagt, was ist aus meinen Novizen geworden.«
Er machte mehrmals das Zeichen des Sonnenrades, als er von den Vorgängen in Medea, dem Zurakkult und dem Schicksal von Zedrick und Luth erfuhr. Ich konnte tiefe Trauer in den Zügen des alten Mannes erkennen. Fugan Tayn versprach sich um die Pferde zu kümmern. Wir sollten später wiederkommen. Er beriet sich mit dem alten Priester als wir gingen.
Wir suchten die Schenke ›Zum Lachenden Raben‹ auf, die vormals noch der ›Weinende‹ gewesen war. Unser Eintreten sorgte für einiges Hallo. Aus einer Ecke des Schankraums kam ein freudiges »Syr Edwen, altes Haus! Da ist ja auch Tarkin, der mutige Koboldkrieger!« Es war Syr Kym. Er saß mit seiner Tochter zum Mittagessen an einem großen Tisch. »Setzt euch zu uns, was für eine freudige Überraschung, euch wiederzusehen! Ich bin euch so dankbar, dass ihr mir meine Tochter wiedergebracht habt«, er legte seinen Arm um sie. »Kann ich euch irgendetwas Gutes tun? Ich weiß schon etwas: Bringt Bier für meine Freunde!«
Zwei dralle Schankmaiden kamen vollbeladen mit Bierkrügen. Maluna war skeptisch, was den dunklen Gerstensaft anging: »So etwas trinkt ihr Menschen? Das riecht ja abscheulich!«
Urota hatte sein Bier mit einem Zug abgetrunken und wischte sich den Schaum vom Mund – ein lauter Rülpser folgte, der die umstehenden Bierkrüge zum Wackeln brachte.
Syr Kym erzählte uns von den Ereignissen in Askalon: »Die Tekk haben Taraxhall überfallen und gewütet wie Bestien. Viele Menschen starben, anderen droht ein viel schlimmeres Schicksal. Sie werden in Blutwagen in Fleischhallen gebracht, wo sie solange leben, bis sie wie Vieh von den Tekk geschlachtet und gefressen werden.«
Tarkin, bei dem das Bier schon seine Wirkung zeigte, schüttelte sich vor Entsetzen: »Mein Schwert dürstet nach Tekkblut! Für eine gerechte Sache ist es mir eine Freude, mein Leben aufs Spiel zu setzen!«
Der alte Ritter ließ es sich nicht nehmen, uns mit einem Pferd und Proviant zu unterstützen.
Nach einem herzlichen Abschied schlug Saradar vor, der unglücklich über den Verlust seines Doppelspeers war, die neue Schmiede aufzusuchen. Unsere Bewaffnung – vier Kurzschwerter und ein Dolch – ließ zu wünschen übrig, sodass sich der Rest der Gruppe anschloss.
Das rhythmische Klopfen der Schmiedehämmer war beeindruckend und ging mir durch Mark und Bein. In Serienproduktion stellten die vier Schmiede und ihre Lehrlinge in der riesigen ›Neuen Schmiede‹ Schwerter und Rüstungen her. Überall Funken und glühende Eisen. Mir wurde in meinem Fell richtig heiß, der Schweiß rann mir von der Stirn. Die geschäftigen Menschen würdigten mich keines Blickes, doch als Maluna eintrat wanderten neugierige Augen auf ihrem Körper auf und ab.
»He, pass doch auf, wo du hinschlägst«, wurde einer der Lehrlinge von seinem Meister gemaßregelt, als er mehrfach am Amboss vorbei geschlagen hatte.
Saradar schrie durch den Lärm: »Habt ihr Zweililien?«
Einer der Schmiedemeister blickte ihn ungläubig an: »Ihr wisst schon, dass wir uns auf eine Tekkinvasion vorbereiten. Für solche Kinkerlitzchen haben wir keine Zeit! Eine große Axt könnte ich Euch anbieten!« Saradar schüttelte den Kopf und verließ enttäuscht die Schmiede.
Tarkin zeigte ihm sein Kurzschwert: »Könnt Ihr mir das einschmelzen und daraus eine Koboldklinge machen?« Der Schmied unterbrach seine Arbeit und schwang ungeduldig seinen Hammer von einer Hand in die andere: »Dafür müsste ich sechzig Silberlinge von Euch verlangen!« Tarkin schaute in seinen Geldbeutel und ließ den Kopf hängen. Vivana erstand ein kleines Messer für fünf Silberlinge. Urota versuchte es mit einem Tauschhandel, er wollte ihm zwei Eckzähne anbieten. Der Schmied lachte: »Dann hätte ich ein so beeindruckendes Lächeln wie Ihr mit Euren Hauern! Nein – ehrlich – so etwas kann ich nicht gebrauchen!«
Freya fragte ihn bescheiden nach einer Waffe. Er musste mehrmals nachfragen und sich bücken, um sie zu verstehen. Dann griff er in seine Schürze und holte einen kleinen Eisenspieß heraus: »So etwas hier? Das benutze ich immer als Zahnstocher – wenn Ihr es haben wollt?«
Edwen erstand ein teures Langschwert und ich kaufte mir einen Kurzbogen und zwanzig Pfeile, für die ich ihm zwei Silberlinge und mein Huhn zur Verwahrung überließ: »Aber bitte nicht essen, es legt Euch jeden Tag ein Ei!« Der Schmied zwinkerte seinem Lehrling zu: »Natürlich nicht!«
Die Augen gingen dem Schmied und seinem Lehrling über, als Maluna vortrat. Sie hatte ihr feuerrotes Haar geöffnet und es wallte über ihre Schultern. Im flackernden Feuerschein der Schmiede glänzten gülden ihre Wangenvenen. Bei ihrem Anblick lief selbst mir ein Kribbeln durch den Körper und nicht nur meine Fellhaare richteten sich auf: Sie war eine Feuergöttin!
»Ich habe hier ein Kurzschwert, kann ich dafür von euch ein Langschwert kriegen, und ich meine ein richtiges langes Schwert – versteht Ihr?«
Der Schmied und der Lehrling schauten sich ungläubig an. Sie ging auf die beiden zu und flüsterte ihnen etwas ins Ohr, ich konnte bloß »Mitternacht« verstehen. Beide nickten daraufhin eifrig und der Ausdruck von Vorfreude trat in ihre Gesichter.
Für die Nacht hatten wir uns im ›Lachenden Raben‹ einquartiert.

Am nächsten Morgen waren wir guten Mutes. Vivana hatte bemerkt, dass Maluna tatsächlich das Langschwert bekommen hatte. Die Feueralwe grinste bloß und sagte: »Waren ganz süß die zwei.« Nach einem kurzen Frühstück brachen wir auf. Der Notor hatte uns drei Pferde besorgen können, dazu kamen noch das Ross von Syr Kym und Saradars Schlachtross, das er von Halar erhalten hatte. Fugan Tayn und auch der alte Priester Terek ließen es sich nicht nehmen, sich persönlich von uns zu verabschieden. Tayn wünschte uns viel Glück und erinnerte uns: »Denkt daran, ihr seid jederzeit willkommen in Altem! Ohne euch wäre unsere Stadt dem Untergang geweiht gewesen.« Er zuckte resigniert mit den Schultern: »Vielleicht ist sie es noch – wenn die Tekk über den Rösserpass kommen. Grüßt bitte meinen alten Studienkameraden Gulim von mir!«
Terek gab uns mit auf den Weg: »Möge das Licht mit euch sein! Hütet euch vor Zurak, dem Gott des Hasses. Er versucht Zwietracht zu säen unter Freunden, lasst euch nicht entzweien!«
Er winkte uns zum Abschied mit seinem Stock.

Im Süden lag die flache, askalonische Ebene vor uns, offenes Gelände auf dem wir hoch zu Ross rasch vorankamen. Ob wir es noch rechtzeitig zum Rösserpass schaffen würden?
Wir trafen auf eine große Zahl an Flüchtlingen, die mit ihrem wenigen, überstürzt gepackten Hab und Gut aus Taraxhall und den umliegenden Dörfern geflohen waren. Sie berichteten uns, dass viele Menschen von den Ul'Hukk getötet oder verschleppt worden seien und sie nun auf Schutz in Altem hofften. »Sie haben Riesen in ihren Reihen – reihenweise haben sie die askalonischen Soldaten niedergemetzelt! Wir sind alle verloren!«, war zu hören und »überall diese furchtbaren Krähen!«
Der geheimnisvolle Lorgrim hatte sich uns angeschlossen, er war so schweigsam wie zuvor und war immer darauf bedacht, auf Abstand zu bleiben und nicht aufzufallen.

In der Ferne konnte ich einen Wald erkennen, der sich über den gesamten Horizont erstreckte und wie eine Decke über einem großen Hügel lag. Ein ungutes Gefühl beschlich mich, ich hätte den Wald, der laut Edwens Karte ›Silberforst‹ hieß, am liebsten umgangen.
Die Sonne versank hinter den Bäumen im Westen und zauberte nochmal ein wunderschönes Farbenspiel an den Himmel – wie ein letztes Aufblühen einer Blume vor dem Dahinwelken. Der Wald kam mir seltsam vertraut vor. Ein breiter Pfad führte durch den Wald, zu beiden Seiten gesäumt von alten, knorrigen Bäumen und einem Wechsel aus Laub- und Nadelbäumen. Es wurde stockfinster, als es auch die letzten Sonnenstrahlen nicht mehr schafften, durch das dichte Blätterdach zu dringen. Wir suchten eine geeignete Stelle für unser Nachtlager und fanden eine Höhle, die nicht aus Stein bestand, sondern aus einem dicht verwebten Wurzelwerk uralter Roteiben gebildet wurde. Wieder überkam mich ein mulmiges Gefühl, das ich so nicht kannte. Der urwüchsige Wald erinnerte zwar wenig an die lichten Wälder meiner Heimat Oxysm, doch hätte ich mich auch hier der Erdmutter nahe fühlen müssen. Vielleicht lag es an den Tekk, die jenseits des Rösserpasses auf uns lauerten.
Ich hatte schlecht geschlafen, als mich Tarkin zur zweiten Wache weckte. Ich war müde, die Welt erschien mir wie ein Albtraum. Gespenstisch lag Zamas Licht über dem Blätterdach. Maluna hatte scharfe Augen und hielt die Umgebung im Blick. »Was ist das?«, stieß sie mich plötzlich an.
Ein grünes Leuchten näherte sich und schwebte zwischen den Bäumen umher. Ein Waldgeist?
Beim Näherkommen erkannte ich, dass er eine menschliche Gestalt hatte. Er war in einen Kapuzenmantel gekleidet und gab murmelnde Laute von sich. Maluna kannte keine Waldgeister und hatte sich in Verteidigungsstellung gebracht. Das Wesen kam immer näher, schien aber von uns keine Notiz zu nehmen. Plötzlich hielt es kurz inne uns stieß dann direkt auf mich zu. Der von einer tief ins Gesicht gezogenen Kapuze verhüllte Kopf schnellte empor.
Der Anblick drang mir ins Innerste meiner Druidenseele: aus grün leuchtenden Augen über einem gezwirbelten Schnurrbart und einer aufgerissenen Kehle, aus der die Adern wie Würmer heraushingen, traf mich ein zutiefst vorwurfsvoller Blick. Der Geist versuchte zu sprechen. Ein Brodeln drang aus seinem Mund: »Frevler, Frevler, wir sind alle Frevler!« Dann drehte er sich weg und verschwand, bevor Maluna einschreiten musste. »Wer oder – verdammt nochmal – was war das?«
»Das war Jel, der Grüne«, war das einzige, was ich hervorbrachte, bevor ich die Besinnung verlor.

1 Kommentar:

  1. Ein Kapitel voller Sex, Crime und sogar etwas Horror! Genial! Klasse, wie du all die Details aus den ersten Abenteuern mit eingewoben hast!

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