Sonntag, 18. Februar 2018

Der letzte Tanz - Kapitel 1: Eine beschwerliche Reise

Die Altmark breitete sich vor uns aus. Eine offene Auenlandschaft mit nur einzeln stehenden Bäumen und von vielen Bächen durchflossen. Einerseits war es ein Vorteil für uns, da sich dadurch nur wenige Versteckmöglichkeiten für Wegelagerer und Räuber boten, andererseits hatten wir einen riesigen Hügeltroll im Schlepptau, den wir nicht so gerne zur Schau stellen wollten.
Wir durchquerten ein Langdorf und die Leute blieben mit offenen Mündern stehen. Eine so seltsame Gruppe hatten sie wohl noch nie zu Gesicht bekommen. Urota sorgte allein durch seinen Anblick schon für Aufruhr. Eltern zerrten ihre Kinder von der Straße, Fensterläden wurden - bis auf einen schmalen Spalt zum Gaffen - geschlossen. Als sie merkten, dass wir nichts Böses im Schilde führten, kamen die Menschen neugierig wieder heraus und boten uns sogar ihre Waren feil. Wir deckten uns für zwei Silberlinge mit Wasser und Proviant ein. Ein Pferd oder gar ein Gespann mit einem Karren konnte leider niemand entbehren. Und so mussten wir zu Fuß auf den schlecht gepflasterten Straßen weiterziehen – andererseits wäre eine Fahrt im Wagen unter diesen Umständen sicher eine holprige Angelegenheit geworden.
Nachdem wir die dritte Siedlung hinter uns gelassen hatten – die Bauernkinder hatten Ringelreigen um den Troll getanzt - suchten wir uns ein ruhiges Plätzchen zum Lagern.

Mein Magen hatte sich schon mit einem lauten Knurren beschwert, was aber gar nichts im Vergleich zu den Geräuschen war, die ein Troll unter solchen Umständen von sich gibt. Wir hatten schon befürchtet, dass ein Gewitter aufziehen würde, es war jedoch lediglich das Rumpeln im Bauch des Hügeltrolls gewesen.
Er hatte gerade seinen Rucksack geöffnet und war dabei, hineinzugreifen, als ein kleines Wesen mit vor Schreck weit aufgerissenen Augen aus dem Proviantbeutel sprang.
Es war die Wichtelin Freya, die da vor uns auf dem Boden lag. Sie erhob sich und strich Krümel von ihrem Gewand. Urota blickte ungläubig zwischen seinem Proviantbeutel und der Wichtelin hin und her.
»Priesterin Freya, wie seid Ihr denn in den Beutel gelangt?«, fragte ich neugierig.
Freya hatte sich bereits wieder vom ersten Schreck erholt und erzählte: »Ich wollte euch mit dem besessenen Barbaren helfen und kam ins Gasthaus. Doch dann wurde ich abgelenkt: Ich hatte noch nichts gefrühstückt und der Duft des Käses war einfach zu verlockend. Ich wollte nur ein Stückchen davon abbeißen – und später natürlich dafür bezahlen – als jemand plötzlich den Rucksack schloss, und dann muss ich das Bewusstsein verloren haben.«
Urotas Gesichtsausdruck wirkte vorwurfsvoll, als er der Wichtelin seinen Beutel hinhielt: »Leer!«
Sein Bauch knurrte wie ein tollwütiger Hund. Wir beeilten uns, ihm etwas von unserem Proviant abzugeben, ein Troll ist ja bekanntlich nicht er selbst, wenn er hungrig ist.
Freya wollte gerne bei uns bleiben: »Ich bin froh, erst einmal aus dem verfluchten Medea draußen zu sein. Und auf die Fragen dieses Inspektors vom Mon Alunas habe ich so gar keine Lust!«
Nachdem der Trollmagen gebändigt worden war, zogen wir weiter in Richtung Süden. Am Horizont waren inzwischen dunkle Gewitterwolken aufgezogen.
»Wir sollten uns einen Unterschlupf suchen, bevor das Unwetter zuschlägt!«, schlug Edwen vor.
Wir beschleunigten unseren Schritt, Freya hatte es sich auf der Schulter des Trolls bequem gemacht. Er schien ihr wegen des leeren Beutels nicht mehr böse zu sein.
Ein Berg im Südwesten nahm stetig an Größe zu, die Landschaft wurde felsiger. Die dunklen Wolken waren zum Glück Richtung Osten weitergezogen, worauf sich die Sonne noch einmal tief am Horizont zeigte und die schroffe Berglandschaft in ein feuriges Rot tauchte. Bereits müde vom Wandern mussten wir noch einen seichten Bach überqueren. Schließlich stellten wir in Ufernähe unter einigen Bäumen unser Nachtlager auf. Wir entschieden uns gegen ein Feuer und teilten die Nachtwachen ein.

Nach einer ereignislosen Nacht und einem kurzen Frühstück setzten wir die Reise fort.
Der Himmel hatte wieder etwas aufgeklart, aber im Süden zeichneten sich erneut dunkle Wolken ab. Wir ließen den Berg rechts liegen und überquerten gerade ein Geröllfeld, als wir plötzlich hinter einem großen Findling Stimmen hörten. Unsere Kundschafterin Vivana winkte uns erleichtert zu. Es waren nur einfache Bauern, die mit ihren Knechten und Mägden unterwegs waren, um im Norden ihre Felder zu bestellen. Sie waren zunächst erschrocken, als sie den Hügeltroll erblickten, beruhigten sich aber schnell, als wir ihnen freundlich begegneten.
»Turg, ich hab dir doch gleich gesagt, dass es keine gute Idee war, durch das Geröll zu fahren. Jetzt siehst du, was wir davon haben«, lamentierte ein Bauer namens Melakk.
Sie versuchten verzweifelt, einen ihrer Ochsenkarren wieder flott zu machen, der sich zwischen zwei Felsbrocken verkantet hatte. Sie zogen und schoben mit vereinten Kräften, sogar die Mägde und ein paar Kinder waren an der Aktion beteiligt.
»Lassen mich machen!«, bot sich unser Troll an und schob den Karren ohne große Kraftanstrengung wieder auf die Straße.
»Habt Dank, Ihr seid der freundlichste Troll, der mir je begegnet ist«, bedankte sich der dritte Bauer namens Fidu, dem der Karren gehörte. Seine Kinder pflückten am Wegesrand ein paar Blumen und formten einen Kranz daraus, den sie Urota – mit Freyas Hilfe – auf den Kopf setzten.
»Ach wie schön, ein Blumentroll«, lachte Tarkin. Als Dank überließen sie jedem von uns einen Laib Brot.
Wir gingen weiter in Richtung Süden. Am Horizont tauchten seltsame Felsformationen auf. Je näher wir kamen, desto deutlicher wurde mir, dass es sich um eine Gruppe einzeln stehender Felssäulen handeln musste. Ich fragte mich, ob sie auf natürliche Weise entstanden sein könnten, wie sie sich da drohend gegen den Himmel abzeichneten. Das Licht der untergehenden Sonne ließ die Felsnadeln glühend rot aufleuchten und zeichnete nach dem Hindurchtreten durch die Spalten seltsame Muster auf den Boden – fast schien es, als ob sich das Licht an einigen Stellen selbst auslöschen würde.

Die Umgebung war wieder gebirgiger geworden und wir hielten Ausschau nach einem Unterschlupf für die Nacht. An einem plätschernden Gebirgsbach deckten wir uns mit frischem Trinkwasser ein – da waren auch Fische im Wasser. Wir versuchten unser Glück – Tarkin hob eine dicke Quellenforelle in die Luft, die fast größer war als er selbst. Mittlerweile war die Sonne hinter dem Gebirgskamm verschwunden und erste Sterne wurden sichtbar. Das Sternbild des Jägers leuchtete hell vor uns am Firmament. Doch was war das – irgendwas hatte die Sterne verdeckt und es schien sich in Kreisen hin und her zu bewegen. Maluna hatte die besten Augen – sie meinte, es könnten große Vögel sein, aber sie habe solche Wesen noch nie zuvor gesehen.
Wir fanden eine Höhle – Tarkin schnüffelte hinein: »Unbewohnt!«. Sie reichte nicht tief in den Berg hinein, und wir trauten uns hier ein Feuer zu machen, um die Quellenforellen zu braten.
Nachdem wir uns an Fisch und Brot gelabt hatten, teilten wir die Nachtwache ein.
Wegen Urotas in der Höhle widerhallenden Schnarchens hatte außer Tarkin, der sich irgendetwas in die Ohren gestopft hatte, niemand schlafen können. Ich war mit dem Troll zur Wache eingeteilt. Nach meiner Weckerfahrung als Eichhörnchen schickte ich Freya vor, ihn an der Nase zu kitzeln. Die Wichtelin machte das ganz geschickt und sprang rechtzeitig in Sicherheit, bevor Urotas Riechkolben ein lautes »Hatschi« durch die Höhle schallen ließ.
Urota und ich setzten uns an den Höhleneingang und lauschten in die Stille, in der Ferne war nur ganz leise das Plätschern des Baches zu hören. Die anderen konnten jetzt endlich in ihren wohlverdienten Schlaf fallen. Urota fiel es schwer wach zu bleiben, immer wieder schlossen sich seine Augenlider und er klopfte sich auf die Wangen, um wach zu bleiben. Immerhin bemühte er sich. Was war das? Von draußen kamen Geräusche, die klangen, wie die Überlagerung von Krächzen und Windgeheul - dann eindeutig Flügelschlag. Urota ging vor den Höhleneingang und schrie sofort auf. Beim Heraustreten konnte ich zwei im Dämmerlicht grün leuchtende vogelartige Wesen erkennen, die sich auf ihn gestürzt hatten und und ihm in die Arme pickten oder vielmehr bissen. Er schlug um sich, und sie zogen sich kurz zurück. Die anderen wurden von Urotas Schrei geweckt und traten ebenfalls hinaus. Da kamen sie wieder: Vivana stach gezielt mit ihem Giftdolch zu und konnte einen erlegen, Tarkin und Edwen holten gemeinschaftlich das zweite Flugmonster vom Himmel.
Ein Windgreifer vor den Säulen der Altvorderen.
Im Feuerschein der Höhle konnte Edwen erkennen, worum es sich handelte: »Das sind Windgreifer. Erstaunlich, eigentlich leben sie viel weiter im Süden, und selbst im südlichsten Askalon sind sie eher selten!«

Ich rupfte drei der grünen Federn, vielleicht könnte ich die ja nochmal gut gebrauchen – und sei es bloß, um einen Troll kitzelnderweise - und aus sicherem Abstand - aus dem Schlaf zu wecken.

Am nächsten Morgen hielten wir vor einer Weggabelung am Fuße der seltsamen Felsformation.
Es handelte sich um vier gewaltige Säulen, die scheinbar aus dem Berghang herausgeschlagen worden waren. Ich konnte mir nicht vorstellen, wer ein solches Werk hätte vollbringen können: Menschen wohl eher nicht, vielmehr Giganten - oder sogar die Götter selbst? An manchen Stellen konnte ich Zeichen oder Symbole erkennen, es musste sich um die Hinterlassenschaften eines uralten Volkes handeln.

Ich befragte Edwen, der mir jedoch nur schulterzuckend antwortete: »Ich weiß nur, dass sie ›Die Säulen der Altvorderen‹ genannt werden.« Widun hätte als Mnamnpriester vielleicht mehr herausfinden können. Die Säulen waren höher als alle Türme der Menschen, die ich auf unseren Reisen bisher gesehen hatte, fast schienen sie, an den Wolken zu kratzen.
Vivana hatte einen verwitterten Wegweiser entdeckt, der am Boden lag: »Also, diesem Schild zufolge liegen im Norden Medea, wo wir hergekommen sind, im Süden ›Kywens Höhen‹ und die Stadt Altem, im Westen Tremen, im Südosten der Rotwachtwald und im Osten ›Die Wilden Marschen‹ - und da ist ein Totenkopfsymbol dahinter.«

Während die anderen darüber diskutierten, welchen Weg wir einschlagen sollten, entschloss ich mich, als Eichhörnchen eine der Säulen zu erklimmen, von dort oben hätte ich sicher einen schönen Panoramablick. Die anderen blieben mit verblüfftem Gesichtsausdruck unter mir zurück, als ich einen der rauen Felsen hochjagte. Ich spürte, wie die Luft immer dünner wurde. Oben angelangt, traute ich meinen Augen kaum. In große Nester gebettet, die zum Teil aus Knochen bestanden, lagen riesige Eier, aber kein Vogel weit und breit.
Ich sah mich um: der Ausblick war wirklich fantastisch. Im Süden zogen allerdings wieder schwarze Wolken auf, wie ein Omen, dass sich dort ein Unheil zusammenbraute. Vor uns lag ein Verbund aus mehreren mittelhohen Bergen, das mussten ›Kywens Höhen‹ sein, danach folgten ein Wald und eine Stadt, wahrscheinlich Altem. Im Westen konnte ich ebenfalls eine Stadt erblicken, von der wir jedoch viel weiter entfernt waren, wahrscheinlich Tremen. Als ich über mit plötzlich Flügelschlag hörte und wieder das Gekreische der letzten Nacht, floh ich schnell die Felsensäule hinunter – als Eichhörnchen hatte ich gegen einen Windgreifer keine Chance.
Nachdem ich mich zurückverwandelt hatte, fragten mich meine Gefährten, welchen Weg ich einschlagen würde. Nach einigem Hin und Her, dem Abwägen von Vor- und Nachteilen kamen wir zum Entschluss, über ›Kywens Höhen‹ zu steigen, um dann nach Altem zu gelangen – wo sie uns noch Dank für die Befreiung von der Rattenplage schuldeten – und den sie uns gerne in Form von Pferden würden ausdrücken können.
Tarkin und Edwen befürchteten, dass wir den Rösserpass ansonsten nicht rechtzeitig erreichen würden, um der ›Bruderschaft der Gekreuzten Schwerter‹ bei ihrer Suche nach den Rotall-Brüdern beizustehen.
Wir setzten unsere Wanderung fort und gelangten an einen Fluss, der laut Edwen Queros hieß und folgten seinem Lauf. Zunächst ging es langsam bergauf, schließlich wurde es jedoch so steil, dass wir die Hänge hochklettern mussten – nicht einfach, ohne eine geeignete Kletterausrüstung.
Der Gipfel warf bereits seinen Schatten auf uns, als wir uns erschöpft eine Kuhle im Felsen suchten, um die Nacht dort zu verbringen. Tarkin hatte unterwegs ein paar Wurzelknollen gefunden und Vivana packte einen großen Käse aus. Wir hatten ein Feuer gemacht, um die Knollen weich zu kochen. Wie sich herausstellte, war das ein Fehler, denn wir wurden erneut von Windgreifern angegriffen, nachdem sie sich mit ihrem Gekreische lauthals angekündigt hatten.
Diesmal gelang es uns, sie schnell in die Flucht zu schlagen, und sie ließen uns auch in der folgenden Nacht in Ruhe.

Am folgenden Morgen ging es wieder bergab ins Tal. Hier fanden wir Beeren und füllten an einem kleinen Bach unsere Trinkflaschen wieder auf. Beim Klettern am nächsten Berg löste sich Geröll, doch wir hatten Glück und überstanden das ganze unbeschadet.
Auf dem Gipfel des zweiten Berges zeigte sich im Zwielicht der gerade untergegangenen Sonne ein Plateau. Gegen die Dämmerung hob sich ein Gebäude ab. Beim Näherkommen konnte ich erkennen, das es sich um die Ruine eines Klosters handeln musste. »Ein guter Ort zum Übernachten«, entschied Vivana. Maluna legte ihr eine Hand auf die Schulter: »Warte, da liegt etwas im Eingangsbereich!«
Sie hatte wirklich unheimlich scharfe Augen. Jetzt wo sie es sagte, sah ich es auch. Ein großes, vierbeiniges Wesen, das dort am Boden lag und dessen Körper sich rhythmisch hob und senkte. Eine zottige, rote Mähne verdeckte sein Gesicht. »Es schläft!«, meinte ich. Edwen hielt einen Finger vor seinen Mund: »Leise, das ist ein askalonischer Berglöwe, und die haben ein sehr feines Gehör!«
Kaum hatte er mir das zugeflüstert, als sich auch schon der Berglöwe aufrichtete, seine rote Mähne schüttelte und uns dann aus funkelnden, grün leuchtenden Augen anstarrte.
Ein askalonischer Berglöwe vor den Ruinen von Kywens Kloster.
Unversehens trabte er auf Vivana zu, die in eine Art Schockstarre verfallen sein musste. Im letzten Moment duckte sie sich weg, der Löwe streifte sie jedoch mit einem gewaltigen Prankenhieb, sodass sie gegen eine Mauer geschleudert wurde und halb besinnungslos liegen blieb.
Ich durfte keine Zeit verlieren und betete an Ianna. Aus dem Boden unter dem Monster schnellte eine gewaltige Dorne hervor, die ihm eine große Wunde beibrachte. Damit hatte der Löwe nicht gerechnet. Er legte sich hin und leckte seine Wunde, wie es Katzen tun – und Faune natürlich auch. Da wir keine Fernkampfwaffen hatten, warfen die anderen mit Steinen nach ihm. Er wurde dadurch nur noch aggressiver und fauchte uns an. Ich betete erneut an Ianna um einen »Dornenstich« - eine weitere Dorne schoss aus dem Boden und traf den Löwen am Hals. Er röchelte, sackte in sich zusammen, zuckte noch eine Weile rhythmisch mit den Beinen und blieb dann regungslos liegen.

Vivana hatte sich schnell wieder berappelt. Ihre erste Sorge galt allein dem Löwenfell: »Oh nein, da sind ja Löcher drin!« Selbst Urota musste da ungläubig mit dem Kopf schütteln. Wir betraten die Klosterruine und entfachten ein Feuer in der Mitte der großen Eingangshalle. Nachdem Vivana dem Berglöwen das Fell abgezogen hatte, teilten wir sein Fleisch zwischen uns auf und grillten es. Ich bat um die langen Eckzähne, immerhin hatte ich ihn – mit Iannas Hilfe – zur Strecke gebracht. Tarkin fragte mich erstaunt: »Bist du jetzt auch unter die Trophäensammler gegangen, Faundruide?« Ich erklärte ihm: »Wie du weißt, akzeptiert Ianna das Töten von Gegnern in Notwehr oder als Beute. Diese Eckzähne sollen mir nur als Erinnerung an dieses Wesen dienen, um es zu ehren, nicht um damit anzugeben.«
Die zerfallene Deckenkonstruktion gab den Blick auf die Sterne frei. Wohl gesättigt fiel ich in einen tiefen Schlaf.

Edwen weckte uns am nächsten Morgen: »Wohlan, es ist nicht mehr weit bis Altem!«
Tatsächlich kamen wir bergab schnell voran, zumindest bis wir auf eine Schlucht stießen, die etwa einen Steinwurf breit war. Eisiger Wind blies uns aus dem tiefen Felsspalt ins Gesicht.
»Wie kommen wir da rüber?«, fragte ich. Maluna zeigte nach links. Ich folgte ihrem Finger mit den Augen. Da war eine Hängebrücke. Beim Näherkommen konnten wir erkennen, dass diese ziemlich wackelig und heruntergekommen aussah. Sie schaukelte stark im Wind, einige Planken fehlten bereits, andere hingen nur noch lose an den Brückenseilen.
»Die macht keinen sehr vertrauenswürdigen Eindruck«, meinte Edwen.
Mir kam eine Idee. Ich griff in meine Tasche und holte die Zauberbohne hervor. Ich legte sie ans Brückenende und betete. Sie wuchs am Brückengeländer entlang, schaffte es aber nicht, die Schlucht komplett zu überbrücken.
»Vielleicht sollten erst einmal die Leichtgewichtigen voran gehen«, schlug Edwen vor.
»Ich zuerst«, rief Tarkin und ging mutig voraus. Plötzlich krachte es und Tarkin stürzte - doch er hatte Glück im Unglück, da sich sein haariger Fuß in der Bohnenranke verfangen hatte. Vivana ging vorsichtigen Schrittes, immer mit einem Fuß vorfühlend, über die Brücke und gelangte sicher auf die andere Seite. Sie warf Tarkin ein Seil dazu, mit dem er sich sichern sollte – er verfehlte es jedoch. Ich folgte vorsichtig, gelangte auf die andere Seite, konnte Tarkin aber auch nicht hochziehen.
Ich wollte noch »Warte Urota!« rufen, doch es war zu spät. Hilfsbereit wie er war, war auch unser Troll auf die Brücke getreten – und rutschte durch die Planken. Er konnte sich noch gerade so an der Bohnenranke festhalten. Als jetzt auch noch Edwen auf die Brücke trat, war es ihr zuviel – vor Edwen rissen alle vier Seile und die Brücke krachte mitsamt der Bohnenranke, an der wiederum Urota und Tarkin hingen, gegen die gegenüberliegende Felswand. Tarkin hing jetzt kopfüber in der Mitte der Schlucht, nur sein eingehakter Fuß verhinderte den Sturz in die Finsternis. Edwen hatte sich geistesgegenwärtig am diesseitigen Brückenseil festhalten können und zog sich wieder hoch: »Puh, das war knapp.«
Ich betete an Ianna, dass die Ranke Urota hochziehen sollte – er war jedoch zu schwer. Tarkin schafft es endlich, seinen Fuß aus der Schlinge zu ziehen. Flink kletterte er die Ranke und das verbliebene Seil hoch auf das rettende Felsplateau.
Zu dritt und mit Hilfe von Ranke und Seil schafften wir es endlich, auch den Troll in Sicherheit zu bringen.
»Was machen wir jetzt?«, wollte Edwen wissen, der noch mit Maluna und Freya drüben stand.
Freya überbrückte die Wartezeit, indem sie sich ein paar Himbeeren pflückte und jetzt begann, mit ihnen zu jonglieren.
Nach einigem Hin- und Herüberlegen, ließ ich die Ranke sich wieder in die Bohne zurückverwandeln, verwandelte mich selbst in meine Eichhörnchenform und kletterte mit der Bohne im Mund die Schlucht hinab. In der Finsternis am Boden der Schlucht hörte ich Krabbelgeräusche und beeilte mich, über ein kleines Bächlein zu springen, dass ich besser hören als sehen konnte. Auf der anderen Seite kletterte ich wieder hoch. Oben angekommen, tätschelte mir Edwen das Fell: »Was hast du denn vor, mein schlaues Eichhörnchen?«
Ich spuckte die Bohne aus, die wieder zu einer Ranke auswuchs und ungefähr drei Viertel der Schlucht überspannte. Dann kehrte ich in meine Faungestalt zurück und rief Vivana auf der anderen Seite zu: »Versuch aus deinem Seil eine Schlinge zu formen und sie über das Rankenende zu werfen.« Sie schaffte es auf Anhieb, zog die Schlinge fest zu und verknotete das Seil an einer großen Baumwurzel. Freya balancierte leichten Schrittes über Ranke und Seil – und ließ es sich nicht nehmen dabei weiter mit den Himbeeren zu jonglieren. Urota fand, dass das einen Applaus wert war. Maluna hatte ebenfalls einen ausgeprägten Gleichgewichtssinn und kam ohne Probleme auf die andere Seite. Edwen in seiner schweren Rüstung fiel das ganze schwerer. Er stolperte, als er auf der Ranke war, konnte sich aber festhalten und hangelte sich schließlich rüber.
Ich betete an Ianna – die Ranke wurde zur Bohne und sprang mir zurück in die Hand. Vivana holte ihr Seil wieder ein.

Welche Mühen und Nerven es uns gekostet hatte, über diese Schlucht zu gelangen!

Morgen würden wir endlich in Altem sein!

1 Kommentar:

  1. Ja, so war das an dem Abend: Ihr habt geflucht und gelacht und die Schlucht nach einigen Mühen überwunden! Haha! Hat Spaß gemacht den Reisebericht zu lesen! Auch die Bilder sind echt klasse!👏

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