Samstag, 16. März 2019

Der letzte Tanz - Epilog

Auf zwei Langbooten schossen wir über den Fluss Regenarm. Die in fahles Licht getauchte Burgenstadt Regenfels lag hinter uns. Dunkle Wolken am Himmel, links und rechts zogen am Ufer Büsche und Sträucher vorbei. Die Ruderer hatten sich in die Riemen gelegt, darunter waren auch Saradar, Widun und Edwen. Anneliese, Freya und ich waren – wegen unserer zu kurzen Arme – vom Ruderdienst befreit. In unserem Boot saß ein mir unbekannter Mann, er war klein, hatte einen buschigen Schnauzbart und ebensolche Augenbrauen. Er gab die Befehle.
Im anderen Boot versuchten Urota und Maluna den Rhythmus zu halten, den Tarkin mit seinen Kommandos vorgab. Dies missfiel offensichtlich dem hünenhaften Kerl, der mit im Boot saß.
»Hier gebe immer noch ich die Kommandos, Kobold!«, maßregelte er ihn mit undeutlicher Stimme, da er ein langes Entermesser zwischen den Zähnen hatte.
Von der Statur her erinnerte er an Saradar. Mir fiel auf, dass er zahlreiche offene Wunden am Körper hatte. Litt er an irgendeiner Krankheit?
Ganz vorne saß doch tatsächlich Myk, der Knappe. Wie kam er denn hierher?
Tarquan hatte Vivana auf seinem Schoss liegen, sie hatte die Augen immer noch geschlossen – aber der Bund aus Blut & Feuer war wieder vollzählig – und – so wie es aussah – auf der Flucht!

Wir kamen an eine Stromschnelle, die die ganze Aufmerksamkeit der Ruderer erforderte. Das Wasser des tosenden Flusses spritzte in die Boote und ließ mich mit einem nassen Fell zurück. Jetzt hatte sich der Fluss wieder beruhigt und die Strömung war so schnell, dass die Ruder eingeholt werden konnten. Das Rauschen des Flusses hatte eine trügerisch friedliche Wirkung.

Ich tippte Edwen auf die Schulter und bat ihn zu erzählen, wie es ihm ergangen war und wie wir in die Boote gekommen waren, da ich ja eine Erinnerungslücke für die Ereignisse nach meinem Sprung in das schwarze Loch hatte. Edwen räusperte sich und begann in gedämpfter Stimme mit seiner Geschichte:

»Wie Du weißt, bin ich zurückgeblieben, um dem kranken Toran zu helfen. Ich half Gulim und der Magd dabei, ihm neue Wickel anzulegen, wenn er wieder einmal ein Delirium hatte. Er sprach dann wirr, ›tausend Augen‹, ›viele Gesichter‹ und ›Spinnen‹ kamen oft in seinen Fieberträumen vor. Es war furchtbar, meinen alten Weggefährten so leiden zu sehen. Aber Gulim gab die Hoffnung nicht auf. Er sei so schwer verwundet gewesen, dass es trotz der besten Heilkräuter noch eine ganze Weile dauern würde, bis er sich vollständig erholt hätte. Unterdessen war sein Bruder, Syr Benesch, erwacht und berichtete mir, was er im Grünen Kessel erlebt hatte. Er bezeichnete Toran als Hitzkopf, weil er das Leben seiner Männer aufs Spiel gesetzt habe, um ihn zu befreien. Er müsse noch viel lernen, bevor er ein richtiger Anführer sei, dankte mir aber, dass ich solange auf ihn aufgepasst hatte. Ich erfuhr auch, dass die Tekk Taraxhall nach der Eroberung besetzt hielten, was für sie sehr untypisch sei. Normalerweise würden sie die Menschen entführen und die Siedlungen niederbrennen. Erwähnenswert ist auch der Vorfall mit den Rittern vom Regenfels und dem Trupp Imbrier, die Syr Madhur festnehmen wollten. Zum Glück kam es zu keinem Blutvergießen und er ist mit einem Trupp Getreuer davongeritten in Richtung Grüner Kessel. Ich erfuhr von den Imbriern, dass Syr Xardrus ermordet wurde und Syr Madhur in Verdacht steht, die Strippen zu ziehen. Syr Benesch erschien auf der Burgmauer. Ihm als Führer der ersten imbrischen Armee und Lichtbringer beugten alle ihr Haupt. Er entkräftete die Auseinandersetzung zwischen den askalonischen und imbrischen Rittern, konnte aber nicht verhindern, dass ein Trupp imbrischer Soldaten Syr Madhur und seinen Mannen hinterherjagte. Ich entschied mich, die Ritter vom Regenfels zu begleiten, um mich euch wieder anzuschließen. Toran wusste ich bei Gulim in guten Händen. Als wir die beeindruckende Burg erreichten – ich hatte sie nur einmal als Kind besucht und fand sie genauso faszinierend wie damals – war ich überrascht, dass sie eine Ausgangssperre verhängt hatten. Wir kamen rein, aber keiner durfte raus. Auf dem Weg zur Inneren Burg traf ich auf Syr Aschantus, der mich nach Madhur befragte. Ich erzählte ihm, was ich mitbekommen hatte. Er schickte mich in ein Gasthaus, das aber mehr wie ein Gefängnis auf mich wirkte. Ich machte es zwei Männern nach, die ebenfalls wieder aus dem bewachten Gasthaus entschlüpft waren und folgte ihnen bis an einen der Wasserkanäle, wo sie Waren in Langboote verluden. Das waren eben jene beiden, die uns jetzt helfen. Sie hatten keine Zeit bis zur Aufhebung der Ausgangssperre zu warten, da sie für einen Händler Waren aus der Stadt bis zu einem Schiff in der Martoss-Bucht bringen müssen. Ich machte mich auf die Suche nach euch und da kam mir dieser Knappe entgegen, der mir alles erzählte. Er war nicht in die Waffenkammer gegangen, wie ihr ihm aufgetragen hattet, sondern hatte heimlich Syr Aschantus belauscht, wie er seinen Leuten den Befehl gab, den ›Bund aus Blut & Feuer‹ zu verhaften. Ich versuchte mit ihm entlang eines Wasserkanals zur Inneren Burg zu gelangen und …. da kamt ihr mir entgegengeschwommen – die meisten zumindest. Während ich dich rausfischen konnte, schaffte es Maluna gerade noch, Urota aus dem Wasser zu ziehen. Trolle können wohl nicht schwimmen.«
Das andere Boot war direkt neben uns – Urota hatte – wie die anderen auch – Edwen aufmerksam zugehört und grunzte, »Ritter in Eisenrüstung auch nicht!«, während er leicht an unserem Boot wackelte und Saradar zu dem Notruf »Rettet unsere Seelen!« veranlasste.
»Auf jeden Fall haben uns Inisch«, der bärtige Mann drehte sich um und nickte mir freundlich zu, »und Haab, der Halbgjölnar da drüben, mitgenommen. Ihr Kapitän sucht ein paar tüchtige Seeleute.«

Wir trieben eine Weile so dahin und nur ab und zu mussten die Ruder eingesetzt werden, um uns von den Felsen am westlichen Ufer weg zu bringen. Die Ostseite wurde von einem dunklen Wald gesäumt, dessen knorrige Äste und Zweige weit über den Fluss ragten. Nur ab und zu wurde er von einer lichten Stelle unterbrochen, an der ein Bach in den Regenarm mündete. Inisch erhob irgendwann seine Stimme: »Wir kommen bald an eine Stelle, an der wir anlanden müssen, weil der Fluss sich plötzlich zu einem kleinen See verbreitert und das Wasser zu seicht wird für die Boote. Macht euch auf nasse Füße gefasst!«

Der Fluss machte einen Bogen und im Scheine Zamas erkannten wir bereits von weitem die angekündigte Furt. Maluna hob die Hand, sie hatte etwas gehört: »Ich höre Hufschlag!«
Tarquan nickte: »Ja, das sind ein halbes Dutzend Pferde – Dreischlag mit Pause – sie reiten im Galopp!«
Inisch trieb uns an: »Erhöht die Schlagzahl. Wer weiß wer das ist, vielleicht eine Räuberbande! Wir müssen versuchen, vor ihnen an der Furt zu sein und schnell übersetzen!«
Die Ruderer gaben ihr bestes, und tatsächlich schafften wir es, weit vor dem Reitertrupp anzukommen. Die Pferde waren in den Trab zurückgefallen und der vorderste Reiter rief nach uns. Es war eine Frauenstimme, wir konnten nicht verstehen, was sie rief, doch wir erkannten, dass es die Stimme von Galinea war. Wir entschlossen, sie herankommen zu lassen. Die Anführerin stieg von ihrem Pferd und ging auf uns zu. Im Mondlicht konnte ich ihren Gesichtsausdruck erkennen, der freundlich wirkte: »Braucht ihr Hilfe?«
Sie nickte ihren Männern zu, die ebenfalls von ihren Pferden abstiegen und uns beim Tragen der Langboote halfen.
»Ihr seid Torans Freunde, also auch meine Freunde. In Regenfels suchen sie nach euch, aber das wisst ihr ja offensichtlich. Ich schicke ein paar Männer los, damit sie eine falsche Fährte für die imperialen Soldaten legen. Ich soll auf euch aufpassen. Euer Freund Lyr wird auch mitkommen.«
Auch zwei weitere ihrer Männer stiegen in die Boote. Die Seeleute waren zunächst etwas überrascht über die Neuankömmlinge, trauten sich aber nicht, weitere Fragen zu stellen.
Hinter der Furt nahmen die Boote wieder an Fahrt auf. Die Seeleute kannten die gefährlichen Stellen des Flusses. Unter ihrem Kommando konnten wir die Stromschnellen gut umschiffen.

Es wurde langsam hell am Horizont, der Morgen graute. Zu beiden Seiten des Flusses zwitscherten die Vögel. Plötzlich ein Leuchtstreifen am Ufer. Schnell wie eine Libelle war ein glitzerndes Etwas kurz über den Fluss geschossen, um dann wieder im Schilf zu verschwinden. Myk fragte erschrocken: »Was war das?«
Anneliese grinste: »Ich weiß es – verrate es euch aber nicht, da ihr es sowieso nicht glauben würdet!«
Die Luft wurde feucht und salzig. Inisch schnupperte und bemerkte vergnügt: »Ah, Seeluft, wie ich sie liebe! Es ist nicht mehr weit!«
Mit salzigem Geschmack auf den Lippen landeten wir am Ostufer der Mündung des Regenarms. Vor einem hölzernen Kai war ein Schiff vertäut. »Eine Kogge«, wie uns Inisch erklärte, »sehr beliebt bei den Händlern, die die Küste von Oxysm bis hinauf in den hohen Norden befahren«. Am Kai herrschte emsiges Treiben. Seeleute rollten über Holzplanken Fässer an Bord oder warfen Säcke an Deck. Aus einer kleinen Hütte trat ein breitschultriger Mann mit einem Walrossbart, der tief die morgendlich frische Seeluft inhalierte. Er trug einen dicken Seemannsmantel mit Goldknöpfen und seine Stiefel waren auf Hochglanz poliert, sodass sich die ersten Sonnenstrahlen darin spiegelten.
»Willkommen! Ich bin Kapitän Haldart und das ist mein Schiff, die ›Sturmkönigin‹!«
Einige der Männer fingen an zu tuscheln, als Inisch vor den Kapitän trat und auf uns zeigte zeigte: »Ich denke, ich hab' ein paar geeignete Matrosen gefunden!«
Edwen flüsterte, sodass es die Seeleute nicht hören konnten: »Ich fürchte, wir können uns für eine Weile in Askalon und Imbrien nicht blicken lassen. Der Bund aus Blut und Feuer wird wegen Mordes am Hochfürsten gesucht! Vielleicht können wir an Bord dem Ganzen erst einmal aus dem Weg gehen.«
Ich erwiderte ihm leise: »Aber der Mörder Deodan ist doch tot!«
Myk zog plötzlich unsere ganze Aufmerksamkeit auf sich.
»Schaut mal her!«
Er hatte den Beutel, den er von Wunnar erhalten hatte, genauer untersucht und zog ein gefaltetes Stück Papier daraus hervor. Er reichte es Edwen, der das Blatt entrollte -
»Ein Brief!« - und uns vorlas.

Hört zum letzten Mal, Ihr Krieger vom Bund aus Blut und Feuer, die Worte eines Toten. Mögen mir die Götter meine Taten vergeben und möge Mortarax mir den gerechten Weg weisen. Ich bin mir sicher, dass Ihr jetzt auf der Flucht seid. Ich hoffe, dass Ihr alle überlebt habt. Ihr wart meine letzte Karte, die ich ausspielen konnte, um auch an Deodan Rache zu üben.Ihr fragt Euch sicher, warum ich all diese Menschen getötet habe. Nun, ich will es Euch erzählen. Alles begann vor etwa drei Jahren, als sich die Schlinge der Ul'Hukk um Chiram, unsere schöne Stadt Chiram, die ja auch für einen Teil von Euch Heimat war, immer enger zuzog. Ich war damals der Hauptmann der Stadtwache und sollte mit den wenigen Männern, die mir zur Verfügung standen, die Stadt verteidigen. Wir konnten zum Glück viele Freiwillige gewinnen und sie notdürftig ausbilden. Auch sollte uns ein großes Heer aus askalonischen und imbrischen Truppen bald erreichen. Als sie eintrafen, wurde ich zum Kriegsrat berufen. Syr Xardrus hatte den Oberbefehl. Er hatte mit Syr Deodan und Syr Zaran sowie dem einfallsreichen Radex einen Plan ersonnen, wie sie die Tekk vernichtend schlagen wollten. Teil des Plans war es, dass nur ein kleiner Teil der Truppen in der Stadt selbst bleiben sollte, während der Großteil der Armee, insbesondere die Reiterei, den Tekk in den Rücken fallen sollte, sobald der Angriff im Gange war. Ich war der einzige, der Zweifel anmeldete. Chiram hatte keine dicken Verteidungswälle, die den Ul'Hukk lange stand halten konnten, ich befürchtete viele Opfer und forderte eine Verstärkung der Truppen vor Ort. Doch die anderen überstimmten mich. Ich erhielt dreißig Männer zur Verstärkung der Garnison – gerade einmal dreißig Männer! Es kam, wie es kommen musste. Während sich die hohen Paladine und Hochwohlgeborenen zurückzogen und in ihrem Feldlager lange Kriegsrat hielten, war die Zeit für eine Räumung von Chiram abgelaufen, die Tekk hatten die Stadt eingekesselt und dann - fielen sie wie die Bestien über uns her. Sie hatten Ogrens dabei, die in wenigen Augenblicken zwei Breschen in unsere Mauern geschlagen hatten. Die grauhäutigen Bestien aus Ultar strömten wie Ameisen in unsere Stadt. Meine Männer der Stadtwache kämpften tapfer – doch sie fielen wie die Fliegen. Es war hoffnungslos. Ich wollte meine Familie in Sicherheit bringen – doch zu spät – unser Haus stand in Flammen. Ich hatte sie zu ihrer Sicherheit im Keller untergebracht, wo sie sich verbarrikadieren sollten – mein geliebtes Weib Ella, meine drei Söhne und meine einzige Tochter! Jetzt wurde der Keller zu ihrer Todesfalle. Ich hörte ihre Schreie und ich konnte nichts mehr für sie tun. In meiner Verzweiflung wollte ich selbst verbrennen, doch die Hilfeschreie des Bäckers und seiner Familie erinnerten mich an meine Pflicht – den Schutz der Bürger! Uns gelang die Flucht und schließlich kam ich zur Bruderschaft der Gekreuzten Schwerter, in der ich wahre Freundschaft fand. Aber wütend und enttäuscht wuchs in mir das Verlangen, mich an denen zu rächen, die für den Tod meiner Familie verantwortlich waren. Während meiner Zeit auf der Wegburg schmiedete ich den Plan, wie ich die Verantwortlichen zur Rechenschaft ziehen könnte.Das Gift, ja das Gift. Ihr wollt sicher wissen, wie ich daran gekommen bin. Gift ist die Waffe einer Frau heißt es immer, und tatsächlich stammte es von meinem Weib Ella. Sie war eine wunderbare Heilerin, die sich auch mit Giften auskannte. Ich trug die Bitteressenz immer bei mir in meiner Feldflasche, für den Fall, dass ich einmal in tekkische Gefangenschaft geraten sollte und mir so ein Ausweg blieb, um nicht lebendig an einem Fleischhaken zu enden. Es war eine besondere Flasche – indem ich am Mundstück drehte, konnte ich zwischen Gift und Schnaps wählen.Auch ich habe den Tod verdient - ich hätte meiner Familie beistehen müssen und habe sie doch durch meinen Rat in eine Todesfalle gebracht.Um den Heiler und den Notor tut es mir aufrichtig leid. Sie waren kurz davor, mich zu überführen, auch Radex hatte die Bitteressenz gerochen. Meine Rache war noch nicht vollendet. Dieser Lorgrim - er musste mich beim Mord an Fjalgur beobachtet haben – er war bloß ein Dieb – bevor er reden konnte, habe ich ihn mit einer Armbrust ausgeschaltet. Der Notor hatte einen Brief aus Medea erhalten, der mir gerade recht kam, da er euch schwer belastete und auch Deodan schließlich gegen Euch aufgebracht hat. Ihr wart das Werkzeug meiner endgültigen Rache!Wohlan denn, Ihr tapferen Helfer und Helden! Mögen Euch Eure Tage noch viel Segen, Ehre und Reichtum bescheren, auf mich wartet nur noch die bittere Finsternis auf dem Boden meiner Flasche.
Syr Wunnar, Hauptmann der Stadtwache von Chiram.

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