Montag, 9. Dezember 2024

Der Zahn des kalten Gottes - Kapitel 5: Wilde Freunde

Als Hasabi erwachte, war der Barbar verschwunden und das Feuer fast komplett heruntergebrannt. Der junge Dieb sah, dass Lorik ihm etwas von seinem Proviant dagelassen hatte. Hasabi streckte sich und schüttelte den Tau von seiner Tunika. Er aß das Brot und das kleine Stück Fleisch und überlegte dabei, was er nun tun sollte. Sollte er nach Parapolis zurückkehren, in sein altes Leben? Aber was war dann mit Calvaron und der Reliquie? Lorik hatte behauptet, der Talisman sei ein Geschenk gewesen. Vielleicht hatte dieser Barbar den Drachenzahn von einem anderen Wilden geschenkt bekommen, der ihn den Alwonai entwendet hatte?
Guten Morgen, mein Junge!“ ertönte plötzlich eine Stimme. Hasabi sah überrascht auf und erblickte Calvaron. Der Alwe hatte sein Pferd in einiger Entfernung an einen Baum gebunden und war in seinen dunklen Kapuzenumhang gehüllt durch das Dickicht geschlichen. Es erstaunte Hasabi aufs Neue, wie geschickt sich der Alwe bewegen konnte, ohne jegliches Geräusch zu machen.
Ich bin froh, dass dich der Barbar nicht getötet hat …, aber du hast deine Aufgabe nicht erfüllt!
Er wusste, dass er verfolgt wird!“ unterbrach Hasabi den Alwen und schaute sich suchend um.
Der Barbar ist längst nach Osten verschwunden … ich habe gesehen, wie er aufgebrochen ist! Nun …“ fuhr der Alwe fort und blickte Hasabi zum ersten Mal verärgert an.
… ich werde in die Stadt zurückkehren und einen besseren Dieb suchen, ich hätte mir gleich denken können, dass du versagen würdest, als du es nicht einmal geschafft hast, mir meinen Dolch zu stehlen. So einen Fehler werde ich nicht noch einmal begehen!
Bei diesen Worten drehte sich Calvaron um und beeilte sich zu seinem Pferd zurückzukehren.
Aber, was soll ich denn jetzt machen?“ rief Hasabi Calvaron fragend hinterher.
Der Alwe stieg unbeeindruckt auf sein Pferd.
Geh zurück in diese armselige Stadt und lebe weiter wie eine Ratte!“ rief der Alwe und machte keine Anstalten, auf den Jungen zu warten.
Als Hasabi sah, dass Calvaron nicht vorhatte, ihn in wieder mit in die Stadt zu nehmen, setzte er sich wieder auf den Platz, wo er am Abend zuvor eingeschlafen war. Hasabi fühlte sich, als sei ihm die Chance seines Lebens entgangen. Als er niedergeschlagen auf die Asche des niedergebrannten Feuers blickte, erinnerte er sich daran, was er Lorik vor dem Einschlafen gefragt hatte. Er hatte ihn gefragt, ob er wieder zu seinem alten Leben zurückkehren wollte. Obwohl Lorik nichts geantwortet hatte, wusste Hasabi, dass das das Ziel des großen Mannes war. Vielleicht war das seine Chance. Auf seinem Weg musste der Barbar durch alle Reiche Thaliens ziehen … ja, vielleicht war Lorik und nicht Calvaron der Mann, der ihm half, aus dem 'Rattenleben', wie Calvaron gesagt hatte, herauszukommen.

Hasabi stand auf. Calvaron hatte etwas davon gesagt, dass Lorik nach Osten gegangen war. Das bedeutete, dass er die Straße verlassen haben musste, die weiter in nördlicher Richtung zu den Bergen von Skilis führte. Hasabi holte seinen Dolch, den er bei seinem Versuch, den Drachenzahn zu stehlen, verloren hatte und suchte sich einen Weg durch das Dickicht des skilischen Waldes. Hin und wieder fand Hasabi Spuren des Barbaren, der anscheinend nicht damit rechnete, dass ihm jemand folgen würde. Als Hasabi die Spuren des Kriegers verlor, war es bereits später Nachmittag. Wolken verdunkelten den Himmel und Hasabis Bauch knurrte vor Hunger. Wenn er den Barbaren nicht bald fand, würde er ein paar der Beeren essen müssen, die er gefunden hatte, obwohl er nicht wusste, ob diese giftig waren oder nicht. Er wollte lieber mit dem süßlichen Geschmack von Beeren im Mund als an Hunger sterben. Bald begann es zu regnen und er hatte Mühe, sich durch den schlammigen Wald zu bewegen. Ab und an versackte er bis an die Gürtellinie und konnte sich nur mit allergrößter Mühe wieder befreien. Keuchend setzte sich Hasabi unter einen alten, schief gewachsenen Baum, dessen Namen er nicht kannte und aß die Beeren. Sie schmeckten süßlich, wie er gehofft hatte. Sie waren nicht giftig, jedoch tat ihm der Bauch ein wenig weh, nachdem er Wasser aus einem großen Blatt getrunken hatte, das in der Nähe des alten Baumes im Wind schaukelte. Langsam riss die Wolkendecke wieder auf und die rote Färbung, die der Himmel dahinter angenommen hatte, zeigte, dass auch dieser Tag sich seinem Ende zuneigte.

Als der Regen langsam aufhörte, saß Hasabi immer noch unter dem alten knorrigen Baum und schaute sich um. Der Regen hatte seine Kleider durchnässt. Hasabi fror am ganzen Leib. Plötzlich erhob sich im Wald ein lautes Gebrüll. Der junge Jujin, der nur selten die Stadt in seinem Leben verlassen hatte, hatte so etwas noch nie gehört. Er stellte sich vor, dass seltsame wilde Tiere mit blutunterlaufenen Augen und grässlichen Zähnen nach ihm suchten, um ihn zu zerreißen. Wie gelähmt saß er da und blickte ins Leere. Zuerst wollte er auf den Baum klettern, doch dann erinnerte er sich an Geschichten, in denen haarige Waldwesen vorkamen, die in den Kronen der Bäume nach ihrer Beute jagten. Ein Knacken hinter ihm ließ Hasabi herumfahren. Er sah nichts, nur die Farne und Bäume, die sich sanft im leichten Wind wiegten, der aufgekommen war. Als er seinen Kopf gerade wieder zurückdrehte, sah er einen gewaltigen Schatten über sich.

Lorik stand mit gespreizten Beinen, gezogenem Schwert und wehender Mähne über ihm und hätte Hasabi das Blut gefrieren lassen, wenn der Barbar nicht ein breites Lächeln auf dem Gesicht getragen hätte. Seine Augen zeigten dem kleinen Jujin, dass der Barbar sehr erstaunt darüber war, den Jungen wiederzusehen.
Was soll das?“ fragte Lorik und setzte sich neben den immer noch zitternden Jungen.
Du musst ja ganz schön was angebotenen bekommen haben, wenn du diese Strapazen hier auf dich nimmst!
Das Angebot gilt nicht mehr!“ brachte Hasabi durch seine zitternden Lippen hervor.
Also hatte ich doch recht, dich hat jemand geschickt!“ Hasabi blickte Lorik an. Wenn er ihn begleiten wollte, wusste er, dass er ehrlich sein musste. In den Augen des Gjölnar sah er keine Schlechtigkeit und Calvaron schuldete er nichts.
Ein Alwe namens Calvaron hat mich geschickt“, sagte Hasabi, was Lorik interessiert aufhorchen ließ.
In einer Taverne in Bel erzählte mir einst eine Dirne, dass ein seltsam blasser Reisender aus dem Norden nach mir gefragt hatte. Danach war mir einmal in Agilis, als ob mich eine verhüllte Gestalt verfolgen würde. Wer weiß, wer dieser Alwenhexer ist, und was er von mir will!
Er erzählte mir, du hättest den Drachenzahn auf einem Raubzug in Korilion erbeutet. Calvaron behauptete, ein Priester der Göttin Nivie zu sein, der im Auftrag gekommen sei, den Zahn, das heilige Symbol dieser Göttin, zurückzuholen.
Diese verdammten Alwen!“ spuckte Lorik aus.
Komm, Junge, wir müssen einen Unterschlupf für die Nacht finden. In diesem Wald ist es mir nicht so recht geheuer und außerdem siehst du aus, als könntest du was zwischen die Rippen vertragen.
Kurz bevor die Nacht sich über den Wald senkte, fanden die beiden eine kleine Höhle, die nicht mehr war als ein größerer Felsspalt. Schnell entzündete Lorik mit einem Feuerstein und Zunder, den er aus einer Gürteltasche holte, ein Feuer und beauftragte Hasabi damit, in der Nähe der Höhle möglichst trockenes Holz für die Nacht zu suchen. Während Hasabi die wenigen halbwegs trockenen Äste zusammentrug, die er finden konnte, ging Lorik mit einem angespitzten Stock als Speer auf die Jagd. Nach einer Weile kam der Barbar mit einem toten Kaninchen in der Hand zur Höhle zurück. Die Nacht war stockdunkel. Wolken verdeckten wieder den Himmel und ließen das schwache Licht der Sterne nicht hindurch. In der Ferne kündete ein dumpfes Grollen von einem gewaltigen Sturm, der bald den Wald peitschen würde. Lorik und Hasabi zogen sich in die kleine, vom Lagerfeuer erhellte Höhle zurück. Lorik lieh sich Hasabis Dolch und begann damit, dem Kaninchen das Fell abzuziehen. Nachdem er es ausgenommen hatte, spießte er das Fleisch auf einen Stock und hielt es über das Feuer. Das wärmende Feuer vertrieb die Kälte aus Hasabis Körper und ließ auch seine Angst schwinden.
Er wusste, mit Lorik an seiner Seite konnte ihm nichts geschehen.

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen